Es durchzieht sein System als leitendes und richtunggebendes
Motiv und wird bei ihm zu einem künstlichen Entwicklungsschema,
auf dessen Grundlage der Versuch unternommen wird, den
Weltprozeß als ein System ineinandergeschachtelter Triaden -
bestehend aus Position, Negation und Negation der Negation -
darzustellen. Der dialektische Materialismus betont den
objektiven Charakter der Negation der Negation. Von der
idealistischen Hülle befreit, unter der sich der rationelle Kern
der Negation der Negation bei Hegel verbirgt, erweist sich
dieselbe als eine «sehr einfache, überall und täglich sich
vollziehende Prozedur, die jedes Kind verstehn kann, sobald man
den Geheimniskram abstreift, unter dem die alte idealistische
Philosophie sie verhüllte» (Marx/
Engels 20,126). Da sich jede Entwicklung
als eine dialektische Negation
bestehender Qualitäten vollzieht, wobei die neue Qualität alles
Positive der alten in sich aufbewahrt, die Entwicklung auf
dieser Stufe aber nicht stehenbleibt, so muß auch die neue
Qualität ihrerseits eine Negation erfahren. Als Resultat dieser
zweiten Negation, also der Negation der Negation, entsteht eine
neue Qualität, die - logisch gesehen - mit der ursprünglichen,
der Position, identisch sein müßte, die aber, da sie um die
positiven, progressiven Seiten der beiden ersten
Entwicklungsphasen bereichert ist, nur eine formale Ähnlichkeit
rnk dem Ausgangsstadium aufweist. Die Entwicklung wiederholt im
Stadium der Negation der Negation bestimmte Züge und Merkmale
voraufgegangener Stadien auf höherer Stufenleiter und kann daher
bildlich durch die Form einer Spirale veranschaulicht werden. Es
ist dies eine «Entwicklung, die die bereits durchlaufenen
Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf
höherer Stufe (,Negation der Negation'), eine Entwicklung, die
nicht geradlinig, sondern sozusagen in einer Spirale vor sich
geht...» (Lenin 21, 42 f). In seiner Darstellung der Elemente
der Dialektik charakterisiert Lenin diese Seite der
dialektischen Entwicklung als «... die Wiederholung bestimmter
Züge, Eigenschaften etc. eines niederen Stadiums in einem
höheren und ... die scheinbare Rückkehr zum Alten (Negation der
Negation)» (Lenin 38, 214). Bei der Analyse von
Entwicklungsprozessen materieller dynamischer Systeme aus der
Sicht des Gesetzes der Negation der Negation ist zu beachten,
daß die Stadien der Negation und der Negation der Negation sich
auf denselben Bezugspunkt beziehen müssen, d. h., daß ihnen
derselbe Negationsparameter zugrunde gelegt werden muß.
Ein im Stadium der Negation der Negation relativ abgeschlossener
Entwicklungszyklus wird stets durch einen bestimmten
Negationsparameter charakterisiert. Mit Abschluß des Stadiums
der Negation der Negation erfolgt die weitere Entwicklung des
Systems nach anderen Negationsparametern. Ein System kann nun
freilich im Laufe seiner Entwicklung nach ganz verschiedenen
Parametern negiert werden. Diese Negationen nach Parametern, die
sich von dem charakteristischen Negationsparameter des
jeweiligen Entwicklungszyklus unterscheiden, bestimmen den
Entwicklungsabstand, in dem sich das System im Stadium der
Negation der Negation im Vergleich zum Ausgangsstadium der
Position befindet. Wenn der Entwicklungsabstand seinen Ausdruck
in einer höheren Organisiertheit und größeren Stabilität des
Systems findet, so sprechen wir auch von einer progressiven,
im umgekehrten Falle von einer regressiven
Entwicklung.
Da sich die Entwicklung eines materiellen dynamischen Systems
nach verschiedenen Negationsparametern vollzieht, jedes dieser
Systeme aber eine
Hauptentwicklungsrichtung aufweist, muß bei der Einschätzung
seiner Entwicklung aus der Sicht des Gesetzes der Negation der
Negation vor allem analysiert werden, welches der
Hauptnegationsparameter des Systems ist. Es ergibt sich aus
dem Studium des Hauptwiderspruchs, welcher der Entwicklung des
Systems zugrunde liegt. Ist der Hauptnegationsparameter auf
Grund einer konkreten Analyse des Systems und seiner
Wechselwirkungen mit der Umwelt gefunden, so ist es insbesondere
möglich, die weitere Entwicklung des Systems in Gestalt der
Stadien der Negation bzw. der Negation der Negation der diesem
Parameter entsprechenden Verhaltensweise des Systems
vorauszusagen.
Für den dialektischen Materialismus ist das Gesetz der
Negation der Negation nicht das Grundgesetz der Dialektik
schlechthin. Es beschreibt nur eine bestimmte Seite der
Entwicklung: zum Unterschied vom Gesetz der Einheit und des
«Kampfes» der Gegensätze, das die Ursache und die Quelle der
Entwicklung aufdeckt, und dem Gesetz vom Umschlagen
quantitativer Veränderungen in qualitative, das den Charakter
der Lösung der Widersprüche und den inneren Mechanismus der
Entwicklung kennzeichnet, weist das Gesetz der Negation der
Negation auf den inneren Zusammenhang der einzelnen
Entwicklungsstadien hin und gibt die allgemeine Tendenz und
Richtung der Entwicklung an. Als solches ist es ein «äußerst
allgemeines und eben deswegen äußerst weitwirkendes und
wichtiges Entwicklungsgesetz der Natur, der Geschichte und des
Denkens» (Marx/Engels 20, 131). Engels erläuterte dieses Gesetz
an einer Reihe anschaulicher Beispiele aus verschiedenen
Bereichen: «Nehmen wir ein Gerstenkorn. Billionen solcher
Gerstenkörner werden vermählen, verkocht und verbraut, und dann
verzehrt. Aber findet solch ein Gerstenkorn die für es normalen
Bedingungen vor, fällt es auf günstigen Boden, so geht unter dem
Einfluß der Wärme und der Feuchtigkeit eine eigne Veränderung
mit ihm vor, es keimt; das Korn vergeht als solches, wird
negiert, an seine Stelle tritt die aus ihm entstandne Pflanze,
die Negation des Korns. Aber was ist der normale Lebenslauf
dieser Pflanze? Sie wächst, blüht, wird befruchtet und
produziert schließlich wieder Gerstenkörner, und sobald diese
gereift, stirbt der Halm ab, wird seinerseits negiert. Als
Resultat dieser Negation der Negation haben wir wieder das
anfängliche Gerstenkorn, aber nicht einfach, sondern in zehn-,
zwanzig-, dreißigfacher Anzahl. Getreidearten verändern sich
äußerst langsam, und so bleibt sich die Gerste von heute
ziemlich gleich mit der von vor hundert Jahren. Nehmen wir aber
eine bildsame Zierpflanze, z. B. eine Dahlia oder Orchidee;
behandeln wir den Samen und die aus ihm entstehende Pflanze nach
der Kunst des Gärtners, so erhalten wir als Ergebnis dieser
Negation
der Negation nicht nur mehr Samen, sondern auch qualitativ
verbesserten Samen, der schönere Blumen erzeugt, und jede
Wiederholung dieses Prozesses, jede neue Negation der Negation
steigert diese Vervollkommnung. - Ähnlich wie beim Gerstenkorn
vollzieht sich dieser Prozeß bei den meisten Insekten, z. B.
Schmetterlingen. Sie ent-stehn aus dem Ei durch Negation des
Ei's, machen ihre Verwandlungen durch bis zur Geschlechtsreife,
begatten sich und werden wieder negiert, indem sie sterben,
sobald der Gattungsprozeß vollendet und das Weibchen seine
zahlreichen Eier gelegt hat. Daß bei ändern Pflanzen und Tieren
der Vorgang nicht in dieser Einfachheit sich erledigt, daß sie
nicht nur einmal, sondern mehrmal Samen, Eier oder Junge
produzieren, ehe sie absterben, geht uns hier noch nichts an;
wir haben hier nur nachzuweisen, daß die Negation der Negation
in den beiden Reichen der organischen Welt wirklich vorkommt»
(Marx/Engels 20, 126f). Das gleiche läßt sich auch für die
Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zeigen. So wurde das
urkommunistische Gemeineigentum an den Produktionsmitteln im
Laufe seiner Entwicklung durch das Privateigentum an den
Produktionsmitteln negiert, das den einheitlichen Typ der Produktionsverhältnisse
in der Sklaverei, im Feudalismus und im Kapitalismus bestimmt.
Dieses wiederum wird im Laufe seiner Entwicklung ebenfalls zur
Fessel der Produktion und wird notwendig durch die
Wiederherstellung des gesellschaftlichen Eigentums an den
Produktionsmitteln im Sozialismus negiert. Die hier vorliegende
Negation der Negation bedeutet jedoch keine einfache Rückkehr
zum Gemeineigentum und dem Typ der Produktionsverhältnisse der
Urgesellschaft. Das sozialistische Eigentum an den
Produktionsmitteln steht vielmehr auf einer qualitativ höheren
Stufe, die in erster Linie durch den höheren Entwicklungsstand
der Produktivkräfte bestimmt ist. Der für den Entwicklungszyklus
Urgesellschaft - Klassengesellschaft - Sozialismus
charakteristische Negationsparameter ist der Typ der
Produktionsverhältnisse. Mit Abschluß dieses Zyklus, d. h. mit
der Errichtung sozialistischer Produktionsverhältnisse, erfolgt
die weitere Entwicklung nach anderen Negationsparametern.
Besonders eindrucksvoll zeigt sich das Wirken des Gesetzes
der Negation der Negation in der Entwicklung der menschlichen
Erkenntnis. Eine neue wissenschaftliche Theorie entsteht in der
Regel als die Negation einer alten Anschauung, als deren
Antithese, und wird im Prozeß der weiteren Entwicklung selbst
wieder negiert, wobei die Negation der Negation als dialektische
Synthese der früheren Erkenntnisse auftritt, die sich vom
Standpunkt der neuen Theorie als Spezialfälle herausstellen. Das
Gesetz der Negation der Negation dient in der
marxistisch-leninistischen Philosophie nicht zu
willkürlichen Konstruktionen, die der Wirklichkeit aufgezwungen
werden sollen. Die methodischen Forderungen für die
wissenschaftliche Arbeit und das praktische Handeln der
Menschen, die aus ihm - wie aus jedem objektiven Gesetz
-abgeleitet werden können, haben nichts mit willkürlichen
Spekulationen zu tun; sie dienen in erster Linie als Methode zur
Auffindung neuer Resultate, keinesfalls aber als Instrument des
Beweisens. Engels unterstreicht, daß marx, der im Kapital
nachweist, wie die geschichtliche Tendenz der kapitalistischen
Akkumulation zur Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums
an den Produktionsmitteln führen muß, und diesen Prozeß als
Negation der Negation bezeichnet, nicht daran denkt, ihn schon
dadurch als einen geschichtlich notwendigen beweisen zu wollen.
«Im Gegenteil: Nachdem er geschichtlich bewiesen hat, daß der
Vorgang in der Tat teils sich ereignet hat, teils noch sich
ereignen muß, bezeichnet er ihn zudem als einen Vorgang, der
sich nach einem bestimmten dialektischen Gesetz vollzieht»
(Marx/Engels 20,125).