Von der Polizei geprügelt,
„ohne Gnade“. Am Kopf verletzt, Handgelenkbrüche, Verletzungen
an den Beinen. Das erste Mal sprechen die im Identifikations-
und Abschiebungsgefängnis Lampedusa festgehaltenen Migranten.
Mehr als 600 Tunesier und um die 100 Marokkaner sind dort seit
Monaten unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt.
Wir kennen sie,
aber sie haben uns gebeten, ihre Namen nicht zu nennen, aus
Sicherheitsgründen. Sie klagen die Misshandlungen am Tag der
Revolte und des Brandes am 18. Februar 2009 im Lager Lampedusa
an. (…) Ein dunkles Bild, das sich da abzeichnet und vor allem
Licht auf die undurchsichtige Politik der italienischen
Regierung wirft. In ein paar Tagen, am 26. April, fällt das
Dekret 11/2009, mit dem die Haft von 2 auf 6 Monate in den CIE
verlängerbar ist. Ohne ein neues Dekret müssen die 700
Gefangenen auf Lampedusa freigelassen werden! Und sie können zu
ihren Verwandten, wenn auch nur heimlich, die seit Monaten in
Italien und dem Rest Europas auf sie warten. Wenn es jedoch, wie
es zu vermuten ist, von der Regierung verlängert wird, dann
werden wir weiter Geschichten wie diese hier hören.
*Die Schläge.*
„Sie haben uns mit Knüppeln geschlagen, sie haben Tränengass
nach uns geworfen. Und wir hatten nichts. Wir waren in einer
Ecke, dort haben Leute noch geschlafen. Das ist noch nie
vorgekommen.“
Mo. erinnert sich an den Morgen
des 18. Februar 2009. An diesem Tag wurde ein Block des Lagers
durch den Brand komplett zerstört. Das Feuer wurde von einigen
tunesischen Häftlingen gelegt, die sich damit der Polizei zur
Wehr setzten — mehr als Hundert Polizisten in Kampfmontur — die
einige der Migranten verletzten.
F. war auch zugegen: „Sie haben
sie unglaublich brutal behandelt. Ohne Gnade.“
„Überall waren Polizisten“, sagt
ein anderer anonymer Zeuge, M., „alle prügelten mit
Schlagstöcken. Vor mir war einer, der blutete und ein Polizist
schlug ihm auf den Kopf. Sie mussten ihn mit 10 Stichen nähen.
Ein anderer hatte eine gebrochene Hand. Und einer konnte sich
nicht mehr auf den Beinen halten.“
Die Zusammenstöße begannen vor
der Kantine, wo vier oder fünf Polizisten, so M., der sich auch
dort aufhielt, einige Tunesier attackierten, die sie verbal
angegriffen hatten. Von da breitete sich der Protest auf die
Hundert weiteren Anwesenden aus, mindestens vier
wurden dann von der Polizei nach einem Tränengaseinsatz
attackiert. Auch Stunden nach dem Brand, während der
Identifizierung und der Verhaftung von knapp 20 Personen als
Brandstifter gingen die Gewalttätigkeiten weiter.
*Wie in der Hölle*.
Y. spricht von den Schlägen wie von etwas ganz Offensichtlichem:
„Alle wussten, dass die Polizei die Tunesier an diesem
Tag geschlagen hat, auch die
Organisationen, die hier drin arbeiten. Die Polizei war so
wütend. Sein nahmen sie zu zweit unter den Armen und schleppten
sie in die Bäder, einen nach dem anderen. Dann schlossen sie
Fenster und Türen und prügelten sie.“
Mo. kann nicht fassen, was
passiert ist: „Ich bedanke mich bei der Marine, die uns auf See
gerettet hat. Aber warum haben sie uns gerettet, frage ich mich
wenn sie uns in die Hölle bringen?“
*Die Überfüllung*
„Wenn Ihr das Lager gesehen hättet, hättet ihr auch Feuer
gelegt. Es ist kein Ort für Menschen, sondern für Hunde.“
Das Zentrum
ist immer noch überfüllt: mehr als 700 Menschen sind dort in
einer Struktur für 381 Betten untergebracht, die nun auch noch
durch den Brand über weniger Platz verfügt. „In meinem Zimmer
sind wir 21, haben aber nur 12 Betten. Die Leute schlafen unter
den Betten, auf dünnen Matratzen. Oder zwei in einem Bett.
Einige schlafen auf den Fluren.“
Das ist nichts gegenüber dem
Zustand Ende Januar, als sich 1.900 Menschen im Lager befanden.
„Da waren die Bedingungen grauenhaft“, sagt, Mo. „Duschen und
Toiletten funktionierten nicht. In einem Zimmer waren bis zu 100
Personen. Wir schliefen immer zu zweit auf einer Matratze und zu
zweit unter einem Bett, auf der Erde, die Füße am Kopf des
Anderen.“ Es gab sogar eine Zeitlang Schichten zum Schlafen. Y.
zum Beispiel hat nach vier Nächten im Freien, und das Mitte
Januar, sein Bett 10 Tage lang mit einem marokkanischen Freund
geteilt. „Er schlief nachts und ich am Vormittag.“
*Die Psychopharmaka. *
Die Verabreichung von Antidepressiva und Beruhigungsmitteln im
CIE (Identifikations- und Abschiebungshaftzentrum)
von Lampedusa sei eine verbreitete
Praxis, so die interviewten Häftlinge.
„Die Leute sind zu nervös, sie
nehmen Beruhigungsmittel. Viele von ihnen. Du siehst es, weil
sie komisch aussehen. Die Medikamente sind stark“, sagt M.
Andere wiederum beschweren sich über den Mangel an Medikamenten.
„Für jede Krankheit geben sie dir
immer die gleiche Pille“, sagt Mo.
Y. hingegen ist überzeugt, dass sie a und an Beruhigungsmittel
unter das Essen mischen. „Vor einigen Monaten war das…Da waren
wir alle nach dem Essen so müde, dass wir nur noch schlafen
wollten…da haben wir gedacht, dass da was im Essen war.“
*Die Bestätigung. *
Das Dekret, das das Erstaufnahmelager in der Contrada Imbriacola
in eine Abschiebungshaft verwandelte, trat am 26. Januar in
Kraft. Von diesem Tag an hat die Quästur in Agrigento
Zurückweisungsbescheide ausgestellt — für 1.134 anwesende
Häftlinge.
Innerhalb von zwei Wochen haben
Friedensrichter des Gerichts von Agrigento und
Pflichtverteidiger für die Bestätigung der Bescheide und damit
für die 60 Tage Haft gesorgt. 60 Tage, die jedoch die Haftzeit
davor nicht mitzählten. Der Haftprüfungstermin von Y. und Mo.
war am 30. Januar 2009. Sie waren seit drei Wochen in Haft, seit
dem 9. Januar.
Doch die Frist der 60-Tage-Haft lief erst ab dem 31. Januar. Und
die 21. Tage zuvor? Eine willkürliche Haft an der Grenze
Italiens, an der Grenze des Rechts.
Editorische
Anmerkungen
Der Text
erschien am 23.4.2009 bei Indymedia. Trotrz seines
Abfassungsdatums vom 18.2.09 hat er an Aussagekraft nicht
eingebüßt, so dass wir in ihn weiter verbreiten. Ursrpüngliche
Quelle: borderline-europe, auf planet.antira.info
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