„Klosterbrüder des Marxismus“?
Buchbesprechung: Cajo Brendel - Die Revolution ist keine Parteisache

von Jost Wippermann

05/09

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Dass die soziale Revolution weder staatlicherseits verordnet noch eine Parteisache sein kann war gleichermaßen Ausgangspunkt wie Quintessenz linkskommunistischer Kritik an Etatismus und Stellvertretertum. Unter dem Eindruck der russischen Revolution entwickelten linke Marxisten wie Herman Gorter, Anton Pannekoek oder Otto Rühle die theoretischen Konturen einer politischen Strömung, die die Betonung des „selbsttätigen Handelns der Klasse“ in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellte. Die von den russischen Bolschewiki propagierte Perspektive des Aufbaus revolutionärer Massenparteien, die einerseits die bestehende Gesellschaft revolutionär abzulehnen, anderseits aber in ihren Institutionen taktisch zu arbeiten hätten, um den „Kontakt zu den Massen“ nicht zu verlieren, galt den linken Kommunisten nicht von ungefähr als selbst prozessierender Widerspruch. Die platte Verallgemeinerung des russischen Revolutionsmodells war ihnen ebenso suspekt wie die von Moskau verordnete Mitarbeit der Kommunisten in Gewerkschaften und Parlamenten.

„Das Problem der Taktik ist (...), wie in der proletarischen Masse die traditionelle bürgerliche Denkweise auszurotten ist, die ihre Kraft lähmt; alles, was die überlieferte Anschauung neu stärkt ist von Übel. Der zäheste, festeste Teil dieser Denkweise ist ihre Unselbstständigkeit Führern gegenüber, denen sie die Entscheidung allgemeiner Fragen, die Leitung ihrer Klassenangelegenheiten überlässt“, schrieb Anton Pannekoek in Replik auf Lenins berühmt berüchtigte Schrift „Der Linke Radikalismus die Kinderkrankheit des Kommunismus“.

Obwohl sich viele ihrer  Vorhersagen und Kritiken an „Führerglauben“ und „Stellverteterpolitik“ bewahrheiteten sollten, gelang es den Linkskommunisten nicht,  sich als Strömung organisatorisch zu konsolidieren. Mit dem Niedergang der Rätebewegung zerfiel die zeitweise 40 000 Mitglieder zählende linkskommunistische KAPD in ein Konglomerat kleiner Zirkel und Gruppen in denen sich im wachsenden Maße  politik  – und organisationskritische Positionen herausbildeten und zum sog. Rätekommunismus verdichteten. 

Einer organisierten praktischen politischen Aktivität im alt hergebrachten Sinne  standen diese Gruppen kritisch, ja sogar ablehnend gegenüber. Jedem Avantgardismus und Organisationsfetischismus ablehnend, konzentrierten sie sich vorrangig auf propagandistische Aktivitäten. Besonderes Gewicht  legten die Rätekommunisten dabei auf die Schulungs- und Theoriearbeit, was ihnen zuweilen auch den Ruf einhandelte lediglich die „Klosterbrüder des Marxismus“ (so der dissidente Trotzkist Henk Sneevliet) zu sein. Die Rätekommunisten nahmen derartige spöttische Anwürfe mit Gelassenheit auf, zeigten sie doch aus ihrer Sicht nur das absolute Unverständnis der eigentlichen Kernaufgabe „ aus den Erfahrungen der zurückliegenden Kämpfe und somit aus der aktuellen ökonomischen Entwicklung des Kapitalismus das theoretische Fazit zu ziehen.“

Obwohl es mit dem „theoretischen Fazit“ nie etwas werden sollte, leisteten die Rätekommunisten in Sachen  Stalinismuskritik, antiautoritärer Erziehung und Krisentheorie Beachtliches. Durch Weltkrieg und Faschismus sowie den daran anschließenden Triumph der Apparate stalinistischer wie sozialdemokratischer Provenienz gerieten rätekommunistische Theorien zunehmend in Vergessenheit. Erst im Zuge der Jugendrevolte 1968 wurde der Rätekommunismus von Teilen der sog. „Neuen Linken“ wiederentdeckt und zwecks eigener Identitätsfindung je nach Belieben ausgeschlachtet. Wir können heute sehen mit welchen Ergebnissen.

Umso erfreulicher ist es, dass in der verdienstvollen Reihe „Dissidenten der Arbeiterbewegung“ des Münsteraner Unrast Verlages nun ein Sammelband der Schriften Cajo Brendels erschienen ist, der eine kritische Auseinandersetzung mit dem Rätekommunismus wieder möglich macht. Cajo Brendel galt bis zu seinem Tod  im  Juli 2007 gewissermaßen als letzter Mohikaner der alten „deutsch-holländischen Schule des Marxismus.“ 1915 in bürgerlichen Familienverhältnissen geboren, politisierte er sich im Zuge der Weltwirtschaftskrise und engagierte sich in  der „Groep van Internationale Communisten“ (GIC) und nach dem zweiten Weltkrieg im „Communistenbond Spartacus“, der einzigen Gruppierung die damals offen Stellung gegen die niederländische Kolonialpolitik bezog. Nach der heute nur schwer nachzuvollziehenden Spaltung des „Communistenbond“  1964 gab Brendel über dreißig Jahre die Zeitschrift „Daad en Gedachte“ (Tat und Gedanke) heraus, die sich schwerpunktmäßig auf die Berichterstattung über internationale Arbeiterkämpfe konzentrierte.

Neben Nachrufen einstiger Weggefährten wie bspw. Henri Simon und erfrischend selbstironischen autobiographischen Schriften Brendels  liegen nunmehr auch alte Texte von „Daad en Gedachte“ erstmals in deutscher Übersetzung vor. So ermöglicht der Sammelband einen guten Einblick in die rätekommunistische Analyse des Stalinismus als nachholender kapitalistischer Entwicklung oder der Dynamiken autonomer Klassenkämpfe gegen Parteidiktatur und gewerkschaftliche Bevormundung. Gleichzeitig werden aber auch die offenkundigen Schwachpunkte des Rätekommunismus deutlich. Cajo Brendels Weltbild nach der Theorie lediglich die Abstrahierung oder Zusammenfassung dessen sei, was sich in der Wirklichkeit abspiele, mutet zuweilen recht mechanistisch und deterministisch an. Für den   

 rätekommunistischen Interpreten des politischen Geschehens  mag eine solche Sichtweise sicherlich den unschätzbaren Vorteil haben sich stets mit dem Weltgeist in Einklang zu fühlen können, eine weitergehende analytische Tragweite hat sie jedoch nicht. Trotz ihrer offenkundigen Begrenzungen bleiben die rätekommunistischen Theorien jedoch nach wie vor  ein lohnender  Diskussionsgegenstand für alle jene die sich unter sozialer Emanzipation heute mehr vorstellen können als Beschäftigungsprogramme oder ein existenzsicherndes Grundeinkommen. Nicht zuletzt deswegen ist dem von Andreas Hollender, Christan Frings und Claire Merkord sorgfältig edierten Buch eine weite Verbreitung zu wünschen.  

Cajo Brendel: Die Revolution ist keine Parteisache.
Ausgewählt und herausgegeben von Andreas Hollender, Christan Frings, und Claire Merkord.
Unrast Verlag, Münster 2008.
320 Seiten, 18,- Euro