Sie gingen kein Risiko ein
Eine kleine Textanalyse von Nahost-Beiträgen der Wochenzeitung Jungle World und einer Leserreaktion

von
Peter Nowak

05/09

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Soldaten erschießen den 12jährigen Ahmad, der sie in Jenin mit einer Spielpistole bedroht hat. Sollte eine solche Aktion nicht überall in der Welt von einer emanzipatorischen Linken verurteilt werden?

Der Nahost-Korrespondent der Jungle  World Ulrich Sahm scheint da andere Maßstäbe zu haben. Er beschrieb die Tötung des 12jährigen in der Jungle Word  19/2009 so:  „Israelische Soldaten gingen kein Risiko ein. Sie schossen aus 300 Metern Entfernung auf den Jungen“.  Ist dass nicht die zynische Sichtweise, die Law- and Order-FreundInnen in aller Welt immer zum Besten geben, wenn wieder mal ein unbewaffneter Demonstrant oder ein mit einer Spielzeugpistole herumfuchtelnder Junge erschossen wurde.

Die schwerbewaffneten Soldaten gingen nur ein Risiko ein: das Leben des Kindes zu gefährden. Aber das ist nicht des Thema des Herrn Sahm.

Er hat ganz andere Probleme. Der Vater des erschossenen Jungen verhielt sich nämlich nicht so, wie es viele von Palästinensern  erwarten. Er spendete die Organe des toten Jungen an verschiedene andere Kinder. Ahmads Herz rettete der Tochter einer jüdischen Siedlerfamilie das Leben. Die Story wurde durch den Film „Herz von Jenin“, der auch in Deutschland mittlerweile angelaufen ist, weltbekannt. Nun hätte doch Herr Sahm eigentlich mal berichten können, dass die Palästinenser nicht nur fanatische Antisemiten und Islamisten sind, die allen Juden den Tod wünschen. Zumindest Ahmads Vater fällt aus dieser von  deutschen Freunden der israelischen Rechten beschworenen antisemitischen Volksgemeinschaft heraus. Doch soviel Positives aus Jenin möchte Herr Sahm seinen LeserInnen nicht zumuten. Also sucht und findet er in dem Film Fragwürdiges: Vor allem kommen die Palästinenser viel zu gut und die Israelis viel zu schlecht weg. . Denn die Eltern des jüdischen Mädchens, dem Ahmads Herz das Leben gerettet hat, sind extrem rechte Siedler, die immer wieder deutlich machen, dass sie ein nicht-palästinensisches Spenderherz vorgezogen hätten.

Nun könnte man einwenden, es handelt sich doch um einen Dokumentarfilm und die Wirklichkeit ist eben kein Paradies, wo alle gleichermaßen edel und gut sind. Man könnte  als Kritiker auch seine Genugtuung zum Ausdruck bringen, dass so der Film vor allzu viel Kitsch bewahrt wurde. Zwei Gutmenschen in einem Film seien ja wohl gar nicht realistisch. Er hätte noch mal für ganz Begriffsstutzige hinzuzufügen können, dass  in dem Film reale Menschen in einer konkreten Situation vorgestellt werden, die nicht für ein  Volk oder einen anderen Blödsinn stehen. Weder handelt jeder Palästinenser so wie der Vater Ahmads noch jeder Israeli so wie die Eltern des geretteten Mädchens.  

Wurden die Ärzte vergessen? 

Doch Salm rechnet jetzt tatsächlich vor, dass man eben mehr positive Israelis hätte finden müssen und können. So seien die israelischen Ärzte, die bis zum Schluss das Leben des palästinensischen Jungen zu retten versuchten, nicht erwähnt worden. Und auch die Rettungspiloten, die den schwerverletzten Jungen von Jenin nach Israel transportierten, seien  in dem Film nicht gewürdigt worden.  Doch hier merkt Salm gar nicht, wie er in die selbstgestellte Falle tappt. Ist es nicht das Normalste auf der Welt, dass Ärzte und Rettungspersonal das Leben von Schwerverletzten zu retten versuchten, ohne Ansehen der Person? Ist das nicht zwingend vorgeschrieben in Grundsätzen des Roten Kreuzes und in UN-Bestimmungen? Geht Sahm also davon aus, dass es eher ungewöhnlich ist,  wenn sich israelische Ärzte und Hubschrauberpiloten um das Leben eines palästinensischen Jungen kümmern? Nur so lässt sich sein Insistieren erklären, ihr Handeln auf die gleiche Stufe mit dem  tatsächlich ungewöhnlichen Handeln des Vaters von Ahmad zu stellen.

Vollends absurd wird ein anderer Vorwurf von Sahm an die Filmemacher: So schreibt er: „Warum unterschlägt er Sprüche der Mutter Abla, die ihre Zustimmung zur Organspende als "Rache" und "palästinensischen Widerstand" bezeichnete?“  Warum unterschlägt Sahm, dass Mutter Abla diesen palästinensischen Widerstand näher erläuterte. Ihr ging es darum, die Erwartungen der Israelis zu unterlaufen, in dem sie sich eben nicht als fanatische Islamisten sondern als Humanisten zeigen.  Müsse nicht einen solcher Widerstand die Zustimmung aller Freunde Israels finden? Schließlich könnte er mit dazu beigetragen, dass der Konflikt zumindest minimiert wird und weniger Menschen leidern und sterben müssen.       

So wenig Verständnis Sahm für die Eltern des toten Jungen hat,  soviel Empathie hat er mit den Eltern des geretteten Mädchens.  Dass sie nicht zur Filmpremiere kommen ist für ihn  völlig verständlich, weil die ja an einem Samstag stattfand. „Die Veranstalter hatten die Uraufführung auf den Sabbat gelegt: eine anmaßende Rücksichtslosigkeit, zumal sonst keine Juden in dem Film vorkommen“, moniert Sahm.  Dabei sollte man eher von den Fanatismus dieser rechten Siedlerfamilie reden, die nicht  bereit ist,  einmal von ihren religiösen Gewohnheiten abzuweichen, um den Film über einen Mann, der auch ihrer Tochter das Leben gerettet hat, zu würdigen. Man stelle sich vor, eine israelische  Familie hätte die Organe  ihres bei einem islamistischen Selbstmordanschlag getöteten Kindes an ein palästinensisches Kind gespendet und dessen Eltern wären nicht bereit, sich einen Film darüber anzuschauen, weil gerade  Ramadan ist. Würde Sahm dann nicht von islamistischer Intoleranz und Hass reden? Und damit hätte er vollständig Recht. Doch genau so scharf muss das Verhalten der israelischen Siedlerfamilie kritisiert wird.  Statt dessen wirft der Journalist der Mutter des toten Jungen vor, dass sie Menschlichkeit für eine Taktik des  palästinensischen Widerstand  hält und verteidigt den Fanatismus der rechten Siedler.  

 Jede Berichterstattung über den Nahost-Konflikt in Deutschland sollte deutlich machen, dass nicht auf der einen Seite die Guten und auf der anderen die Bösen sind. Das kann aber nicht bedeuten, dass ein Dokumentarfilm  nachträglich retuschiert  werden muss.          

Gar nicht tödlich getroffen.  

Doch die Rezension des Films „Ein Herz aus Jenin“ ist nicht der einzige Artikel, in dem Sahm deutlich macht, dass er nicht vorurteilslos beide Seiten kritisch betrachtet . In der Jungle Word- Ausgabe 15/2009 berichtet er über Meldungen, dass die  israelische Armee beim letzten Gazakrieg auch Kriegsverbrechen verübte. Dafür  gibt es von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen konkrete Hinweise.  Doch für Sahm sind das alles Gerüchte, angebliche Behauptungen, die nicht bewiesen seien und nur den  Palästinensern für ihre Propaganda dienen .Da müsste man doch mal die israelische Armee fragen, warum sie es der palästinensischen Propaganda so leicht macht. Da wird in dem Bericht von angeblichen T-Shirts von israelischen Soldaten mit antipalästinensischen Parolen gesprochen. Dass es eine Homepage gibt, auf denen diese T-Shirts zu sehen sind , wird bei Sahm  ausgeblendet. Der ganze Artikel von Sahm besteht aus Ausflüchten und der implizierten Unterstellung, dass nur Menschen, die Israel übelwollen  über Menschenrechtsverletzungen  der israelischen Armee reden. Sicher ist es richtig, dass antiisraelische und auch antisemitische Propaganda mit solchen Meldungen arbeitet. Gerade deshalb ist es um so wichtiger, dass auch die Freunde Israels die Realität ungefiltert analysieren und nicht von Anfang an, auf dem Standpunkt stehen, es könne gar keine Menschenrechtsverletzungen gegeben haben. Das erleichtert nur den Antisemiten ihr Geschäft. 

Am Ende kommt Sahm auf den palästinensischen Jungen zu sprechen, der im Jahr 2002 mit seinen Vater Schutz vor Angriffen  der israelischen Armee sucht und dabei erschossen wird. Es gibt berechtigte Fragen über den Tathergang und es gibt auch eine  von der Journalistin  Esther Schapira verfolgte These, dass der Junge nicht von israelischen Soldaten sondern von  Querschlägern der Palästinenser tödlich getroffen wurde. Doch Sahm schreibt nun kryptisch, dass „der Junge möglicherweise gar nicht tödlich getroffen wurde“. Das aber kann nur bedeuten, dass der  Junge noch lebt. Doch darüber lässt uns Sahm  dann im Unklaren.  

Es geht um den Westen

Nun könnte man einwenden die Berichterstattung in der Jungle World wolle eben keinen Kontrapunkt zur hiesigen antiisraelischen Berichterstattung setzen.

Aber auch hier sind große Fragezeichen angebracht. Denn geht es Wirklichkeit um die Sicherheit Israels und all seiner Bürger? Dann müssten doch  Aktionen wie die Organspende begrüßt werden. Sie hat einem jüdischen Mädchen das Leben  gerettet. Oder steht Israel nicht auch in der Jungle Word als Vorposten für die westliche Welt, die es also auch für uns verteidigt? Diese Frage ist nicht so absurd, wie sie auf den ersten Blick klingen mag. Es ist Israels   UN-Botschafter Aharon Leshno-Yaar, der in der Jungle World 16/2009  den israelisch-palästinensischen Konflikt als „Teil eines größeren Wertekonflikts zwischen der westlichen und arabischen Welt“ bezeichnet. Jungle Word-Leser Ansgar Mönter zumindest ist zufrieden mit seinem Blatt. Lässt er uns doch in einen Leserbrief wissen: „Auch wird angemessen kritisch, aber sachlich und ohne Tiraden über den politischen Islam berichtet. Diese Ideologie gehört zurzeit meiner Meinung nach zu den größten Bedrohungen von Freiheit und Gleichberechtigung bei uns und allgemein in der Welt...“

Mit dieser Meinung wäre er auf dem Anti-Islam-Kongress von ProKöln und Konsorten gut aufgehoben gewesen. Denn, dass der Islamismus  für Frauen, Schwule und überhaupt Menschen, die die Freiheit lieben, in islamischen Länder eine große Gefahr darstellt, sollte für eine emanzipatorische Linke unstrittig sein. Dass er  aber Deutschland und die westliche Welt bedroht, ist ein Argument der Rechten. So dürfte der Brief des Ansgar Mönter ein vergiftetes Lob für die Jungle Word sein. Aber hat die Jungle World diesen Leser verdient?  Wenn man die Artikel eines Herrn Sahm ließt, fällt es schwer, diese Frage vorbehaltslos zu verneinen.

 

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.