Soldaten erschießen
den 12jährigen Ahmad, der sie in Jenin mit einer Spielpistole
bedroht hat. Sollte eine solche Aktion nicht überall in der Welt
von einer emanzipatorischen Linken verurteilt werden?
Der Nahost-Korrespondent der
Jungle World Ulrich Sahm scheint da andere Maßstäbe zu
haben. Er beschrieb die Tötung des 12jährigen in der Jungle
Word 19/2009 so: „Israelische
Soldaten gingen kein Risiko ein. Sie schossen aus 300 Metern
Entfernung auf den Jungen“. Ist dass nicht die zynische
Sichtweise, die Law- and Order-FreundInnen in aller Welt immer
zum Besten geben, wenn wieder mal ein unbewaffneter Demonstrant
oder ein mit einer Spielzeugpistole herumfuchtelnder Junge
erschossen wurde.
Die schwerbewaffneten Soldaten
gingen nur ein Risiko ein: das Leben des Kindes zu gefährden.
Aber das ist nicht des Thema des Herrn Sahm.
Er hat ganz andere Probleme. Der
Vater des erschossenen Jungen verhielt sich nämlich nicht so,
wie es viele von Palästinensern erwarten. Er spendete die
Organe des toten Jungen an verschiedene andere Kinder. Ahmads
Herz rettete der Tochter einer jüdischen Siedlerfamilie das
Leben. Die Story wurde durch den Film „Herz von Jenin“, der auch
in Deutschland mittlerweile angelaufen ist, weltbekannt. Nun
hätte doch Herr Sahm eigentlich mal berichten können, dass die
Palästinenser nicht nur fanatische Antisemiten und Islamisten
sind, die allen Juden den Tod wünschen. Zumindest Ahmads Vater
fällt aus dieser von deutschen Freunden der israelischen
Rechten beschworenen antisemitischen Volksgemeinschaft heraus.
Doch soviel Positives aus Jenin möchte Herr Sahm seinen
LeserInnen nicht zumuten. Also sucht und
findet er in dem Film Fragwürdiges: Vor allem kommen die
Palästinenser viel zu gut und die Israelis viel zu schlecht weg.
. Denn die Eltern des jüdischen Mädchens, dem Ahmads Herz das
Leben gerettet hat, sind extrem rechte Siedler, die immer wieder
deutlich machen, dass sie ein nicht-palästinensisches
Spenderherz vorgezogen hätten.
Nun könnte man einwenden, es
handelt sich doch um einen Dokumentarfilm und die Wirklichkeit
ist eben kein Paradies, wo alle gleichermaßen edel und gut sind.
Man könnte als Kritiker auch seine Genugtuung zum Ausdruck
bringen, dass so der Film vor allzu viel Kitsch bewahrt wurde.
Zwei Gutmenschen in einem Film seien ja wohl gar nicht
realistisch. Er hätte noch mal für ganz Begriffsstutzige
hinzuzufügen können, dass in dem Film reale Menschen in einer
konkreten Situation vorgestellt werden, die nicht für ein Volk
oder einen anderen Blödsinn stehen. Weder handelt jeder
Palästinenser so wie der Vater Ahmads noch jeder Israeli so wie
die Eltern des geretteten Mädchens.
Wurden die Ärzte vergessen?
Doch Salm rechnet jetzt
tatsächlich vor, dass man eben mehr positive Israelis hätte
finden müssen und können. So seien die israelischen Ärzte, die
bis zum Schluss das Leben des palästinensischen Jungen zu retten
versuchten, nicht erwähnt worden. Und auch die Rettungspiloten,
die den schwerverletzten Jungen von Jenin nach Israel
transportierten, seien in dem Film nicht gewürdigt worden.
Doch hier merkt Salm gar nicht, wie er in die selbstgestellte
Falle tappt. Ist es nicht das Normalste auf der Welt, dass Ärzte
und Rettungspersonal das Leben von Schwerverletzten zu retten
versuchten, ohne Ansehen der Person? Ist das nicht zwingend
vorgeschrieben in Grundsätzen des Roten Kreuzes und in
UN-Bestimmungen? Geht Sahm also davon aus, dass es eher
ungewöhnlich ist, wenn sich israelische Ärzte und
Hubschrauberpiloten um das Leben eines palästinensischen Jungen
kümmern? Nur so lässt sich sein Insistieren erklären, ihr
Handeln auf die gleiche Stufe mit dem tatsächlich
ungewöhnlichen Handeln des Vaters von Ahmad zu stellen.
Vollends absurd wird ein anderer
Vorwurf von Sahm an die Filmemacher: So schreibt er: „Warum
unterschlägt er Sprüche der Mutter Abla, die ihre Zustimmung zur
Organspende als "Rache" und "palästinensischen Widerstand"
bezeichnete?“ Warum unterschlägt Sahm, dass Mutter Abla diesen
palästinensischen Widerstand näher erläuterte. Ihr ging es
darum, die Erwartungen der Israelis zu unterlaufen, in dem sie
sich eben nicht als fanatische Islamisten sondern als Humanisten
zeigen. Müsse nicht einen solcher Widerstand die Zustimmung
aller Freunde Israels finden? Schließlich könnte er mit dazu
beigetragen, dass der Konflikt zumindest minimiert wird und
weniger Menschen leidern und sterben müssen.
So wenig Verständnis Sahm für die
Eltern des toten Jungen hat, soviel Empathie hat er mit den
Eltern des geretteten Mädchens. Dass sie nicht zur Filmpremiere
kommen ist für ihn völlig verständlich, weil die ja an einem
Samstag stattfand. „Die Veranstalter hatten die Uraufführung auf
den Sabbat gelegt: eine anmaßende Rücksichtslosigkeit, zumal
sonst keine Juden in dem Film vorkommen“, moniert Sahm. Dabei
sollte man eher von den Fanatismus dieser rechten Siedlerfamilie
reden, die nicht bereit ist, einmal von ihren religiösen
Gewohnheiten abzuweichen, um den Film über einen Mann, der auch
ihrer Tochter das Leben gerettet hat, zu würdigen. Man stelle
sich vor, eine israelische Familie hätte die Organe ihres bei
einem islamistischen Selbstmordanschlag getöteten Kindes an ein
palästinensisches Kind gespendet und dessen Eltern wären nicht
bereit, sich einen Film darüber anzuschauen, weil gerade
Ramadan ist. Würde Sahm dann nicht von islamistischer Intoleranz
und Hass reden? Und damit hätte er vollständig Recht. Doch genau
so scharf muss das Verhalten der israelischen Siedlerfamilie
kritisiert wird. Statt dessen wirft der Journalist der Mutter
des toten Jungen vor, dass sie Menschlichkeit für eine Taktik
des palästinensischen Widerstand hält und verteidigt den
Fanatismus der rechten Siedler.
Jede Berichterstattung über den
Nahost-Konflikt in Deutschland sollte deutlich machen, dass
nicht auf der einen Seite die Guten und auf der anderen die
Bösen sind. Das kann aber nicht bedeuten, dass ein
Dokumentarfilm nachträglich retuschiert werden muss.
Gar nicht tödlich getroffen.
Doch die Rezension des Films „Ein
Herz aus Jenin“ ist nicht der einzige Artikel, in dem Sahm
deutlich macht, dass er nicht vorurteilslos beide Seiten
kritisch betrachtet . In der Jungle Word- Ausgabe 15/2009
berichtet er über Meldungen, dass die israelische Armee beim
letzten Gazakrieg auch Kriegsverbrechen verübte. Dafür gibt es
von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen konkrete
Hinweise. Doch für Sahm sind das alles Gerüchte, angebliche
Behauptungen, die nicht bewiesen seien und nur den
Palästinensern für ihre Propaganda dienen .Da müsste man doch
mal die israelische Armee fragen, warum sie es der
palästinensischen Propaganda so leicht macht. Da wird in dem
Bericht von angeblichen T-Shirts von israelischen Soldaten mit
antipalästinensischen Parolen gesprochen. Dass es eine Homepage
gibt, auf denen diese T-Shirts zu sehen sind , wird bei Sahm
ausgeblendet. Der ganze Artikel von Sahm besteht aus Ausflüchten
und der implizierten Unterstellung, dass nur Menschen, die
Israel übelwollen über Menschenrechtsverletzungen der
israelischen Armee reden. Sicher ist es richtig, dass
antiisraelische und auch antisemitische Propaganda mit solchen
Meldungen arbeitet. Gerade deshalb ist es um so wichtiger, dass
auch die Freunde Israels die Realität ungefiltert analysieren
und nicht von Anfang an, auf dem Standpunkt stehen, es könne gar
keine Menschenrechtsverletzungen gegeben haben. Das erleichtert
nur den Antisemiten ihr Geschäft.
Am Ende kommt Sahm auf den
palästinensischen Jungen zu sprechen, der im Jahr 2002 mit
seinen Vater Schutz vor Angriffen der israelischen Armee sucht
und dabei erschossen wird. Es gibt berechtigte Fragen über den
Tathergang und es gibt auch eine von der Journalistin Esther
Schapira verfolgte These, dass der Junge nicht von israelischen
Soldaten sondern von Querschlägern der Palästinenser tödlich
getroffen wurde. Doch Sahm schreibt nun kryptisch, dass „der
Junge möglicherweise gar nicht tödlich getroffen wurde“. Das
aber kann nur bedeuten, dass der Junge noch lebt. Doch darüber
lässt uns Sahm dann im Unklaren.
Es geht um den Westen
Nun könnte man einwenden die
Berichterstattung in der Jungle World wolle eben keinen
Kontrapunkt zur hiesigen antiisraelischen Berichterstattung
setzen.
Aber auch hier sind große
Fragezeichen angebracht. Denn geht es Wirklichkeit um die
Sicherheit Israels und all seiner Bürger? Dann müssten doch
Aktionen wie die Organspende begrüßt werden. Sie hat einem
jüdischen Mädchen das Leben gerettet. Oder steht Israel nicht
auch in der Jungle Word als Vorposten für die westliche Welt,
die es also auch für uns verteidigt? Diese Frage ist nicht so
absurd, wie sie auf den ersten Blick klingen mag. Es ist
Israels UN-Botschafter Aharon Leshno-Yaar, der in der Jungle
World 16/2009 den israelisch-palästinensischen Konflikt als
„Teil eines größeren Wertekonflikts zwischen der westlichen und
arabischen Welt“ bezeichnet. Jungle Word-Leser Ansgar Mönter
zumindest ist zufrieden mit seinem Blatt. Lässt er uns doch in
einen Leserbrief wissen: „Auch wird angemessen kritisch, aber
sachlich und ohne Tiraden über den politischen Islam berichtet.
Diese Ideologie gehört zurzeit meiner Meinung nach zu den
größten Bedrohungen von Freiheit und Gleichberechtigung bei uns
und allgemein in der Welt...“
Mit dieser Meinung wäre er auf
dem Anti-Islam-Kongress von ProKöln und Konsorten gut aufgehoben
gewesen. Denn, dass der Islamismus für Frauen, Schwule und
überhaupt Menschen, die die Freiheit lieben,
in islamischen Länder eine große Gefahr darstellt, sollte für
eine emanzipatorische Linke unstrittig sein. Dass er aber
Deutschland und die westliche Welt bedroht, ist ein Argument der
Rechten. So dürfte der Brief des Ansgar Mönter ein vergiftetes
Lob für die Jungle Word sein. Aber hat die Jungle World diesen
Leser verdient? Wenn man die Artikel eines Herrn Sahm ließt,
fällt es schwer, diese Frage vorbehaltslos zu verneinen.
Editorische
Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor zur
Veröffentlichung.
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