Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der 1. Mai in Paris

05/10

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2.000 Rechtsextreme bei Jean-Marie Le Pen – Letzte (?) Mai-Rede des Alt-Neofaschisten zu Themen der Wirtschaftskrise. Die Gewerkschaften mobilisieren rund 30.000 Personen in der französischen Hauptstadt und vielleicht eine Viertelmillion landesweit. Aber ihre Verfassung, jedenfalls ihre Vorgehensweise ist außerordentlich schlapp

Die Botschaft der „Modernisierung“ und „Mäigung“, die für manche Beobachter – oder auch nach Bündnisoptionen suchende konservative Politiker – angeblich vom Aufstieg der „Cheftochter“ Marine Le Pen bei der extremen Rechten ausgeht, ist nicht bei Allen angekommen.

Beispielsweise nicht bei dieser Abteilung der Parteijugend, die am 1. Mai dieses Jahres in Paris unter dem Transparent des Regionalverbands „FN Lothringen“ aus Ostfrankreich aufmarschierte. „Erste, zweite, dritte Generation: Wir sind alle – Kinder von Faschisten“ (Abwandlung eines Slogans, der üblicherweise lautet „ – Kinder von Eingewanderten“) oder auch „Abschiebeflüge für die Illegalen“ lauteten einige der Parolen, die sie riefen. Unterbrochen vom Absingen der Hymne ,Maréchal, nous voilà’, mit welcher bestimmte Leute in den frühen 40er Jahren den Marschall Philippe Pétain feierten. Dazwischen viel Bier aus Dosen oder Bechern. LONSDALE-Klamotten oder T-Shirts mit der Aufschrift ,Charles Martel’: Der fränkische Krieger Karl Martell (der zwar existierte, dessen heutiges Bild aber in weiten Teilen eine Legendenfigur darstellt) soll im Jahr 732 n.Chr. in der Nähe von Poitiers „die Araber und die Ausbreitung des Islam“ gestoppt haben. Die historische Wirklichkeit entspricht der vereinfachenden Legende zwar nicht ganz – das Häufchen von ihm besiegter arabischer Krieger stand im Dienste katholischer spanischer Feudalherren -, aber jeder Rassist versteht die mit seinem Namen verknüpfte Botschaft.

Im Publikum finden sich aber auch einige „normale“ Familien mit kleinen Kindern. Und ältere Leute, die die Sätze ihres Führers mit Hilfe von Diktiergeräten aufnehmen. Es ist voraussichtlich das letzte Mal, dass Jean-Marie Le Pen aus Anlass des 1. Mai vor der Statue der „Nationalheiligen“ Jeanne d’Arc im Pariser Zentrum spricht. Denn im kommenden Jahr dürfte sein Nachfolger oder – wahrscheinlicher – seine Nachfolgerin, der oder die auf dem nächsten Parteitag am 15./16. Januar 2011 in Tours bestimmt wird, die Leitung innehaben. Das Publikum applaudiert dem Anwärter Bruno Gollnisch höflich und ruft ihm aufmunternd zu, aber sehr viel mehr Applaus erhält doch die sehr viel aussichtsreichere Anwärterin Marine Le Pen. Rund 2.000 Anhänger/innen sind zusammengekommen. (Laut Angaben der französischen Polizei, die zweifellos realitätsnäher ausfallen; die Veranstalter sprechen hinterher von 8.000 Teilnehmern.) Im vergangenen Jahr hatten rund 1.200 bis 1.500 Personen (Polizei: 1.200, Veranstalter: 5.000) an der rechtsextremen Kundgebung teilgenommen. Es gibt also einen gewissen Wieder-Anstieg der Teilnehmerzahl, doch ist sie noch weit von jener entfernt, die noch 1999 erzielt wurde – damals erreichten beide Hälften des kurz zuvor zwischen Le Pen- und Mégret-Anhängern gespalteten Front National jeweils gut 3.000 Teilnehmer.

Zu Anfang seiner Rede wird Jean-Marie Le Pen, der sich mehrfach bei seinen verbliebenen Aktivisten für ihre „Treue“ bedankt, erklären, dass die Partei in diesem Jahr leider den Aktivisten nicht ihre Busfahrt in Richtung Paris bezahlen konnte. Tatsächlich hat der FN nach wie vor massive Geldprobleme, infolge seines sehr schlechten Abschneidens bei der letzten Parlamentswahl (Juni 2007) und der gesunkenen staatlichen Parteienfinanzierung. In naher Zukunft dürfte allerdings durch die soeben gewählten 118 Regionalparlamentarier des FN wieder Geld in die Kassen gespült werden.

Seine diesjährige Rede widmete Jean-Marie Le Pen zu guten Teilen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, protektionistischen Perspektiven und sozial klingenden Forderungen. Dafür versuchte er (ähnlich wie der FN im Raum Paris auf Flugblättern von Anfang März 10) auch den früheren Chef der französischen KP, Georges Marchais, der sich 1981 für einen Stopp von Neuzuwanderung ausgesprochen hatte, für sich zu vereinnahmen. Die sozialdemokratische und sogar die kommunistische traditionelle Linke – mit Ausnahme ihrer zum „Immigrationismus“ (ungefähr: zur Einwanderungs-Religion) bekehrten Führungen – stehe „uns viel näher als die Eliten der amerikanisierten Linken und der Schicki-Micki-Rechten“, betonte Le Pen demagogisch. Diejenigen, die er bekämpft („den kapitalistischen und den kommunistischen Materialismus“, wie er an anderer Stelle ausführte) versuchte Le Pen im aktuellen Geschehen in zwei Figuren zu kristallisieren: „Der Spekulant von (der Bank) Goldman Sachs, der Milliarden verpulvert hat; und der Dealer in den Banlieues, der in einem Tag verdient, was andere in einem Monat mit Arbeit verdienen“; und der durch die Polizei „aus Angst vor Aufständen (in den Sozialghettos)“ angeblich nicht behelligt werde.

Gewerkschaften: Es wäre Zeit, andere Saiten aufzuziehen...

Die französischen Gewerkschaften wüssten, wie es auch anders ginge - wenn sie denn wollen täten. Vor nunmehr 15 Jahren beispielsweise verhinderten die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst einen Angriff auf die Rentenregelungen der Eisenbahner/innen, indem sie vier Wochen lang keinen einzigen Zug verkehren, keinen Bus fahren und keinen Brief austragen ließen. Der Streik im November und Dezember 1995 war ausgesprochen populär und wurde bis zum Schluss durch über 60 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Denn viele wussten, dass es auch ihren „sozialen Errungenschaften“, einer nach der anderen, an den Kragen gehen sollte.

Nichts dergleichen ist im Augenblick zu beobachten. Die zentrale Auseinandersetzung, die sich derzeit abzeichnet, ist jene um die drohende „Rentenreform“, deren genauer Inhalt im Juni bekannt gegeben wird. Voraussichtlich wird die Zahl der obligatorischen Beitragsjahre zur Rentenkasse auf mindestens 42,5 angehoben. Sie lag vor einem guten Jahrzehnt noch bei 37,5, inzwischen ist sie - seit den letzten „Reformen“ - bei 40 angekommen.

Aber die Gewerkschaften erweisen sich ausgesprochen zögerlich. Zunächst gingen sie am 23. März 10 erstmals gegen die drohende neuerliche „Reform“ auf die Straße, rund 600.000 Personen kamen. Das ist für französische Verhältnisse kein Bombenerfolg, aber ein beachtliches erstes Kräftemessen. Doch eine Woche später beschlossen die versammelten Gewerkschaftsführungen - nach einer ätzenden Polemik zwischen der rechtssozialdemokratisch geführten CFDT und den linken Basisgewerkschaften SUD-Solidaires -, erst am 1. Mai und im Rahmen der an dem Tag ohnehin üblichen Aufmärsche wieder zu protestieren.

Dies dürfte Präsident Nicolas Sarkozy kaum beeindruckt haben. Zumal der Mobilisierungserfolg kein bedeutender war. Je nach Angaben, jenen des Innenministeriums oder der Gewerkschaftsführungen, kamen zwischen knapp 200.000 und 350.000 Menschen zu den Maidemonstrationen - weniger, als gleichzeitig laut DGB-Angaben in Deutschland demonstrierten: 484.000 laut dem Gewerkschaftsbund.

In Paris waren es rund 30.000. Das sind zwar doppelt so viele, wie üblicherweise in der französischen Hauptstadt zu einer Demonstration am 1. Mai kommen, wenn gerade nichts auf dem Spiel steht. Dennoch hatte die Sache keine richtige Power.

Und, vor allem: Die Mobilisierung wurde an jener vom Vorjahr gemessen. Damals hatten die Gewerkschaftsverbände ihre Mobilisierung - gegen die Krisenpolitik Nicolas Sarkozys - ebenfalls mit den Maidemonstrationen zusammengelegt. Dazu kamen im vergangenen Jahr frankreichweit knapp eine Million Menschen (und über 50.000 in Paris). Was seinerzeit schon einen Rückgang darstellte, denn im Januar und März 2009 waren es auch schon mal zwei Millionen gewesen. – Entsprechend triumphierte die rechte Regierungspartei UMP auch am Sonntag: Die Maidemonstrationen seien nur „ein schwacher Mobilisierungserfolg“ gewesen, so Parteivorsitzender (und Ex-Arbeits- und Sozialminister) Xavier Bertrand oder Sarkozys Sozialberater Raymond Soubie. Letzterer fügte sogar hinzu, dies belege, dass die Franzose „eine Reform der Renten für notwendig erachteten“. Hingegen zeigte sich der neue Arbeitsminister Eric Woerth, der aus einer katholisch-monarchistischen Familie und vom Rechts(fast)auenflügel der Bürgerlichen kommt, von raffiniert-zynischer Subtilität. Genüsslich zynisch führte er am o2. Mai aus: „Auch wenn nur einer in Frankreich demonstriert, interessiert mich das. Und ich höre genau hin, was er zu sagen hat.“

Am Donnerstag dieser Woche nun wollen die Gewerkschaftsverbände über ihre nächsten Schritte beraten. Verbal läuft sich die CGT, der mitgliederstärkste Gewerkschaftsband in Frankreich - der früher parteikommunistisch beeinflusst war, und heute eher sozialdemokratisiert ist - zwar warm. Er warnte die Regierung am Sonntag, sie solle sie eher mäßige Mobilisierung am 1. Mai keinesfalls als „Entwarnung“ werten - sie werde dafür sorgen, dass die Lohnabhängigen wachsam blieben und keine gravierenden Einschnitte hinnehmen müssten. Aber de facto lassen alle größeren Gewerkschaftsapparate die Mobilisierung derzeit ins Leere laufen.

Dies widerspiegelt auch die Tatsache, dass die regierende Rechte in den letzten Jahren intelligent genug war, die CGT - früher ein „rotes Tuch“ in den Augen der französischen Konservativen - einzubinden. Die seit 2008 laufende Reform der „Tariffähigkeit“ begünstigt die größten Dachverbände, also die CGT und die CFDT. Und sie wird dafür sorgen, dass kleinere, rechtere Verbände, „gelbe“ und christliche Gewerkschaften in absehbarer Zeit verschwinden oder aber fusionieren müssen. Da möchte man lieber nicht in die Suppe spucken, meinen die zentralen Apparate der beiden Dachverbände. Im Gegenzug dazu geht aber auch die CGT überwiegend zu einer Gewerkschaftspolitik über, die sich vorrangig am Verhandlungstisch abspielt und nicht - wie früher - zuallererst ihre soziale „Gegenmacht“ auf der Straße zeigen möchte, bevor sie sich eventuell auf Verhandlungen einlässt. Die deutschen Gewerkschaften, die früher nur für die deutlich rechts von ihr stehende CFDT-Spitze das „Modell“ bildeten, erscheinen inzwischen auch der früher „roten“ Konkurrenz zunehmend als Vorbild.

Doch an der Basis radikalisieren sich, auf örtlicher Ebene, die Proteste zunehmend – mit der Gefahr eines Auseinanderdriftens zwischen beiden Ebenen, die sich immer weiter auseinander entwickeln könnten.


Ausführliches dazu demnächst an dieser Stelle...

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir von Bernard Schmid zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.