TREND-Thema: Stadtumbau

Rainer Neef
Zum Begriff der Grundrente

 

05/10

trend
onlinezeitung

Unseres Erachtens ist es unabdingbar für die Gegenwehr im Stadtteil, wenn es um Wohnen und Miete geht, die ökonomischen Grundlagen der Verwertung von Kapital auf diesem Gebiet zu kennen. Dieser Artikel informiert in gemeinverständlicher Weise über zentrale Kategorien  und wurde 1972 für "die Arbeit von Stadtteilgruppen" geschrieben. /red. trend

Seit die umfassende Wohnungsnot in den deutschen Städten die Staatstreue und Loyalität des Kleinbürgertums gegenüber der herrschenden Klasse infrage stellte, indem »sie sich nicht auf die Arbeiterklasse be­schränkt, sondern auch das Kleinbürgertum mit betroffen hat«(2), wurde sie zu einem Problem auch für die bürgerliche Wissenschaft. Seitdem wur­de ein Schwall von Literatur über Wohnungsnot und Grundrente produziert. Meist allerdings streiten sich die Autoren über Einzelfragen oder verlieren sich gar in abseitigen sozialreligiösen Vorstellunge(3); soweit sie allerdings versuchen, die Entstehung der Grundrente systematisch aus ge­samtwirtschaftlichen Bedingungen zu erklären(4)», nähern sie sich Marx' Theorie(5), die immer noch die stringenteste Ableitung des Bodenprofits aus der Gesamtbewegung der kapitalistischen Wirtschaft ist. Es soll daher im folgenden versucht werden, Marx' Theorie so kurz wie möglich und oh­ne ausführliche Erklärung seines Begriffsapparats zu erläutern. Die Grundrente tritt heute in ihrer »kapitalisierten« Form als Bodenpreis auf; die historisch frühere und theoretisch maßgebende Form des Profits aus dem Boden ist jedoch die Pacht, die für Nutzung des Bodens zu zahlen ist (es gibt sie heute nur bisweilen in Städten als »Erbpacht«).

Bei der Pacht zeigt sich deutlich, wie zwischen Grundbesitzer und Hausbesitzer zu unterscheiden ist: der Grundbesitzer zeichnet sich durch »gänzliche Pas­sivität«(6) aus - er wartet, bis sein Land ihm Profit bringt und steckt dann lediglich das Geld ein. Der Hausbesitzer investiert (»riskiert«) sein Ka­pital, läßt Häuser bauen, verwaltet sie und hält sie instand (soweit er dies nicht auf seine Mieter abwälzt) - er ist also nach kapitalistischen Begriffen »produktiv«.

Wird nun der Boden nicht verpachtet, sondern verkauft, so wird die bisher vom Grundbesitzer eingesteckte Pacht - die Grundrente - zu Kapital ge­macht, »kapitalisiert«: dem Grundbesitzer muß eine Geldsumme gezahlt werden, die ihm - wenn er sie z. B. in Wertpapieren anlegt — zum jeweili­gen durchschnittlichen Zinssatz bei geringem Risiko eine jährliche Geld­summe abwirft, die der bisher von ihm bezogenen Grundrente entspricht. Der gezahlte Bodenpreis »ist in der Tat der Kaufpreis, nicht des Bodens, sondern der Grundrente, die er abwirft«(7).

In dem Augenblick, in dem der Boden verkauft wird, werden Pächter (die den Boden z. B. zum Häuserbau nutzen) und Grundbesitzer identisch, Haus- und Grundbesitzer werden ein und dieselbe Person. Doch das Ein­kommen dieser Person ist sehr verschiedenartig:

- das Haus ist ein Gegenstand, der materiell genau definierte Herstellungskosten, einen bestimmten Wert hat, und der daher auch nur einen bestimmten Profit abwerfen kann.

- der Boden dagegen ist nicht produziert, sondern schon vorgefunden. Er kann ganz unterschiedliche Preise haben, die nichts mit seiner materiellen Gestalt zu tun haben (und auch verschiedene materielle Gestalt, z. B. sandiger Boden, Felsboden, ist lediglich vorgefunden, kann also keinen verschiedenen Wert bedingen, da Wert nur durch Arbeit entstehen kann); seine Preise hängen nur von seiner Lage ab.

Hat der Haus- und Grundbesitzer eine bestimmte Summe für den Boden gezahlt, so scheint ihm die Grundrente, die er durch die Vermietung oder sonstige Nutzung seines Hauses bezieht, lediglich die Verzinsung des Ka­pitals zu sein, das er in den Kauf des Bodens gesteckt hat. Tatsächlich aber folgt der Mechanismus des Bodenprofits besonderen Gesetzmäßigkeiten, die im Folgenden dargestellt werden. Danach soll versucht werden, den ständigen Zuwachs der Mieten und der Hausbesitzerprofite zu erklären. Die Verwertung eines Hauses verursacht dem Besitzer bestimmte Kosten: Amortisation der Baukosten (d. h. Ersatz für den Verschleiß des Hauses), Steuern, Verwaltungs- und Instandhaltungskosten (vgl. unten, S. 5 7 ff.). Hinzu kommt der Profit, den er auf sein für den Hausbau eingesetztes Kapital bezieht — dieser Profit hat eine bestimmte durchschnittliche Höhe(8). Von dem für den Hausbau eingesetzten Kapital ist zu unterscheiden der Bodenpreis, dessen Verzinsung der Besitzer in Rechnung stellt. Der Bo­denpreis ist Ausdruck der Grundrente und muß gesondert untersucht wer­den. Andererseits haben die Wohnungen, die der Hausbesitzer verkauft, einen bestimmten jeweiligen Marktpreis (wir werden sehen, daß der Hausbesitzer mit einer vorgegebenen Miete kalkuliert). Die Grundrente, die er bezieht, ergibt sich aus der Differenz zwischen seinen Kosten (Kost­preis - zu dem der Bodenpreis nicht gezählt wird) plus dem Durch­schnittsprofit auf sein im Haus angelegtes Kapital (das ergibt seinen »Produktionspreis«) einerseits, dem Marktpreis der Wohnungen etc. anderer­seits - sie heißt Differentialrente. Hinzu können noch Spekulationsge­winne durch langfristig steigende Mieten kommen, die weiter unten un­tersucht werden. In kapitalisierter Form ist diese Grundrente der Boden­preis, welcher keineswegs Kapital ist, da Boden keinen Wert hat, sondern die Geldsumme, die für den Bezug einer Grundrente zu entrichten ist. Die Differentialrente ist ein Überschuß über den Durchschnittsprofit - sie ist ein Extraprofit (Extraprofite können freilich nicht nur aus Differentialrenten, sondern auch aus Monopolprofiten, Spekulationsgewinnen, kurz: aus jedem Überschuß über den Durchschnittsprofit bestehen).

Differentialrente

Die städtische Grundrente liegt insgesamt immer über der landwirtschaft­lichen Grundrente. Einerseits trägt im Umkreis von Städten der Agrar-boden immer überdurchschnittliche Agrar-Renten, da die Stadtnähe für die Bauern Einsparungen (z. B. von Transportkosten), also Extraprofite, also Rente bedeutet. Andererseits wird ein Stück Ackerboden, das direkt am Stadtrand liegt, im Preis immer über den Ackerboden-Preisen liegen, denn es kann, mit einem Haus bebaut, städtische Grundrente abwerfen. »Der hohe Bodenpreis an der Grenze des bebauten Stadtgebiets beruht auf einer Vorwegnahme (. . .) der Werte, die durch den künftigen Gang der baulichen Entwicklung der Stadt aller Voraussicht nach entstehen werden.«(9) Allein aufgrund seiner Lage kann auf diesem Stück Boden städtische Grundrente erzielt werden.

a) Lagerente

Die städtische Grundrente ist also zunächst prinzipiell Lagerente. Dies ist ihre Grundform. - Die geringste Lagerente wird sich durch die Verwer­tung eines Hauses auf einem Grundstück ergeben, das die schlechtesten Verkehrsverbindungen in der Stadt hat und in einer besonders geringge­schätzten Gegend liegt. Im Vergleich hierzu ermöglichen Grundstücke in besserer Lage je nach Nutzung höhere Grundrenten, die bedingt sind meist durch handgreifliche Vorteile (Kosteneinsparungen), bisweilen durch Prestigewert und ähnliche vermeintliche Vorzüge. In verschiedenen Lagen lassen sich also verschiedene Marktpreise (z. B. Mieten) erwirt­schaften oder auf andere Weise (z. B. durch Umsatzerhöhung) Extrapro­fite herausschlagen. Diese Extraprofite aus Lagevorteilen - die Lagerente -ergeben sich aus der ständigen Verwertung des Kapitals; die Kapitali­sten stecken sie selbst ein, wenn sie auch Grundstück und Gebäude, in dem sie wirtschaften, selbst besitzen. Mieten oder pachten sie es nur, so geht die Lagerente an den Grund- und Hausbesitzer.

Bei Industriebetrieben sind gute Verkehrsanschlüsse (z. B. Bahnanschluß, gute Bedienung durdi öffentliche Massenverkehrsmittel), gute Erschließung (z. B. für Abfallbeseitigung), Nähe zu Zuliefer- oder Abnehmerbetrieben Lagevorteile, die Kosteneinsparungen, also Extraprofite, also Lagerente ermöglichen.

Bei Banken, Handels- und Dienstleistungsbetrieben erlaubt eine günstige Lage im Stadt­zentrum oder an Verkehrsknotenpunkten überdurchschnittliche Umsätze(10), z. T. höhere Preise; also Extraprofite.

Bei Verwaltungsgebäuden der Wirtschaft hat die Lage im Geschäftsviertel gewisse Vor­eile der Werbewirksamkeit (»Prestigebauten«), einer für die Kapitalisten selbst bequemen Lage und bisweilen »Fühlungsvorteile«, die sich aus der täglichen Kooperation mit anderen Kapitalisten ergeben; ähnliches gilt für die Verwaltungen des Staats und die von allerlei Verbänden.

Bei Vermietung oder Verkauf von Wohnungen sind Lagevorteile: gute Verkehrserschließung, soziale Einschätzung des Viertels(11), Ausstattung des Viertels (mit Einkaufsmöglichkeiten, Erholungs- und Freizeiteinrichtungen etc.), allerlei Wohn­vorteile (Ruhe, saubere Luft, Aussicht etc.).

Das Zustandekommen der Lagerente (entspricht der Differentialrente I bei Marx) sei an einem Schema erläutert:
 

Schema 1 : zur Lagerente

Lage

Kost-preis

Profit-
rate

Produk-tionspreis

Lage-vorteil

Mindest-rente*

Ertrag

Rente
zus.

A schlecht

100

20%

120

__

5

125

5

B mittel

100

20%

120

+ 25%

5

155

35

C gut

100

20%

120

+ 50%

5

185

65

* landwirtschaftliche Rente

Auf Grundstücken verschiedener Lage werden gleich teure Häuser gebaut. Die Kosten (Kostpreis) für die Nutzung der Häuser (Amortisation, Betrieb und Verwaltung) sind

für die verschiedenen Kapitalisten gleich hoch, sie erhalten denselben Durchschnittsprofit als Aufschlag auf den Kostpreis (ergibt den »Produktionspreis«), doch erzielen sie ver­schieden hohe Marktpreise/Mieten für ihre Wohnung: der Hausbesitzer in A bezieht nur die Mindestrente, d. h. die landwirtschaftliche Rente (als absolutes Minimum der städtischen Grundrente), die anderen Besitzer erzielen je nach Lage höhere Preise.

b) Intensitätsrente

Auf der Basis dieser Lagerente kann noch eine weitere Rente entstehen, die sich aus der mehr oder minder intensiven Bebauung ergibt. Je mehr Stockwerke die Gebäude haben, je intensiver sie genutzt sind, d. h. je mehr Kapital auf einer Bodeneinheit angelegt wird, desto höher ist der Extraprofit im Vergleich zu weniger intensiv genutzten Gebäuden auf Grundstücken gleicher Lage, desto höher die Grundrenten - und desto höher werden auch im Durchschnitt die Bodenpreise sein. In den Flächennutzungsplänen der Städte sind die vorgeschriebenen Geschoßflächenzahlen (GFZ)(12)) in Indikator für unterschiedliche Intensitäts­renten; wunderbarerweise gestehen die Stadtverwaltungen immer in den günstigsten Lagen mit ohnehin hoher Lagerente die höchsten GFZ zu.

Schema 2: zur Intensitätsrente

Lage

Kost-preis

Profit-rate

Produk-tionspreis

Lage-vorteil

Mindest-rente

Ertrag

Rente
zus.

schlecht

100

20%

120

5

125

5

mittel

200

20%

240

+ 25%

5

305

65

gut

300

20%

360

+ 50%

5

545

185

(Das Schema entspricht bis auf unterschiedlich hohe Kapitalanlagen dem Schema »Lagerente«; die erzielten Renten sind allerdings anders gestuft).

c Monopolrente

Die Geschichte des Kapitalismus ist begleitet von einer permanenten Woh­nungsnot, die auch heute keineswegs beseitigt ist. Der Effekt dieser Woh­nungsnot ist ständige Übernachfrage. Die Ausbeutung der Wohnungsnot ermöglicht den Besitzern ständig starke Erhöhungen der Mieten - dadurch können sie Extraprofite einstreichen, Spekulationsgewinne, die weder mit Lagevorteilen noch mit der Bebauungsintensität etwas zu tun haben: sie sind lediglich der Monopolstellung der Grund- und Hausbesitzer als Klas­se geschuldet. Zur Grundbesitzerklasse zählen nur die, deren Haupteinnahmequelle Grundrenten- und Spekulationsgewinne bilden. Sie unterscheiden sich insofern von Kapitalisten wie Lohnarbeitern und haben als Grundbesitzer besondere Interessen.

In den Geschäftszentren erwirtschaften die großen Handelskapitale (Kaufhäuser etc.) durch rasche Umsätze hohe Grundrenten; durch ihre Konkurrenz werden die kleinen Handelskapitale verdrängt. Nur Luxus-gesdiäfte, die Monopolpreise erzielen, können sich neben den Kaufhäusern halten, und soweit sie auf eigenen Grundstücken wirtschaften, beziehen sie eine Monopolrente - soweit sie aber für ihren Laden Miete bezahlen, müssen sie einen Großteil ihrer Extraprofite an den Grund- und Hausbesitzer weitergeben.

Sdiließlich können zwar in den Stadtzentren die einzelnen Grundbesitzer sehr hohe Bodenpreise erzielen, doch sie erlangen nur dann Monopolprei­se, wenn Kaufhäuser oder Banken, die ihren Betrieb erweitern wollen, auf dieses Stück Boden so stark angewiesen sind, daß sie auch überhöhte, d. h. unrentierliche Preise zahlen, da ein Zweigbetrieb in anderer Lage sie nodi mehr kosten würde. Monopolpreise können Grundbesitzer in den Stadtzentren auch von Verwaltungen erhalten, die gar nicht auf eine Grundrente spekulieren, sondern sich lediglich z. B. aus Prestigegründen eine zentrale Lage wünschen. Die von solchen Verwaltungen gezahlten Bodenpreise sind »nur durch die Kauflust und Zahlungsfähigkeit der Käufer bestimmt«'(13), also ausgesprochene Monopolpreise.

Anmerkungen

2)  Engels, Zur Wohnungsfrage, S. 214. — ob Bodenspekulation den Bodenmarkt ver­bessere oder verschlechtere und dadurch Bodenpreise bestimme (z. B. bei Pohle, Ad. Weber, Damaschke, Eberstadt); ob die Grundrente durch Transportkostenein­sparung oder durch soziale Wertschätzung der Lagen bestimmt werde (Naumann, v. Wieser); ob die Grundrente die Miete erhöhe oder umgekehrt (Damaschke, P. und A. Voigt, J. Lubahn, Ad. Weber) — und vieles mehr.

3) Z.B. Adolf Damaschke, Die Bodenreform, 19. Aufl. Jena 1922, S. 60: »Das ist Bodenreformlehre: diese Grundrente ist soziales Eigentum. (. . .) Dem Einzelnen möglichst den vollen Ertrag seiner Arbeit und seines Kapitals! Aber auch der Ge­meinschaft, was der Gemeinschaft gehört! Was Allen von Gott oder von der Natur in gleicher Weise verliehen ist, und was Alle zusammen erarbeiten, das soll kein Einzelner ohne genügende Gegenleistung mit Beschlag belegen dürfen. — Das ist der Friede zwischen Sozialismus und Individualismus: die Grundrente soziales Eigen­tum, Kapital und Arbeit aber der individuellen oder freien genossenschaftlichen Betätigung gesichert!« - Nicht zufällig finden sich unter den Bodenreformern etliche Pastoren, wie J. Lu­bahn, E. Lubahn, M. Pfannschmidt.

4) Z. B. F. Lütge, Die Wohnungswirtschaft, Stuttgart 2i949; A. Spiethoff, Boden und Wohnung, Jena 1934.

5) K. Marx, Das Kapital, 3. Bd., MEW Bd. 25, Kap. 37-47.

6) Kapital 3. Bd., S. 781.

7) ebda. S. 636.

8) Auf die Problematik eines regulierenden Durchschnittsprofits kann hier nicht ein­gegangen werden.

9) L. Pohle, Die Wohnungsfrage, II. Teil: Die städtische Wohnungs- und Bodenpoli­tik, Leipzig 1910, S. 100.

10) »Sind die Bedingungen, die ihn den [Kapitalisten] zu rascherem Umschlag befähi­gen, selbst käufliche Bedingungen, z. B. Lage der Verkaufsstätte, so kann er extra Rente dafür zahlen, d. h. ein Teil seines Surplusprofits verwandelt sich in Grund­rente.« (Kapital, 3. Bd., S. 326.)

11) (...) die Wohnlagen (. . .) werden klassenweise oder gesellschaftlich eingeschätzt« (Friedrich von Wieser, Die Theorie der städtischen Grundrente, Wien und Leipzig 1909, S. 25.)

12) Geschoßflächenzahl ist das Verhältnis der Summe aller Geschoßflächen des Hauses zur Grundstücksfläche. Eine GFZ von 2,0 besagt, daß auf einem Grundstück von 1000 qm ein Haus mit 2000 qm Geschoßfläche stehen darf.

13) Kapital 3. Bd., S. 783.

Editorische Anmerkungen

Der Text ist ein Auszug aus: Rainer Neef, Die bedeutung des Grundbesitzes in den Städten, Kursbuch 27, Westberlin 1972, S.32ff.

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