Vehab Shita ist neunzig Jahre alt. Vehab Shita war Teilnehmer
des antifaschistischen Befreiungskampfes, gegen die deutschen
und italienischen Faschisten in Kosova. Heute gehört Vehab
Shita, der LANC ( Gesellschaft der antifaschistischen
Befreiungskämpfer Kosovas) an. Außerdem ist Vehab Shita, ein
bekannter Schriftsteller in Kosova. Mit ihm sprach in
Prishtina, Max Brym.
Max Brym:
Herr Shita wie wird die LANC den 9. Mai 2010 in Kosova
begehen ?
Vehap Shita:
Der 9. Mai ist der internationale Tag der Befreiung vom
Faschismus. Zudem ist es der fünfundsechzigste Jahrestag dieses
großen Ereignisses. Wir werden diesen Tag würdevoll begehen. Wir
treffen uns am 9. Mai am Grab von Fadil Hoxha, in Gjakova. Fadil
Hoxha war unser großer antifaschistischer General während des
zweiten Weltkrieges .
Max Brym:
Erzählen Sie mir etwas zum antifaschistischen
Befreiungskampf in Kosova ?
Vehap Shita:
Ab April 1939 bekämpften nur kleine Gruppen in
Albanien- hauptsächlich-in Durres und Tirana den faschistischen
Feind. Später wurde auch in Kosova klein begonnen aber Sie
wissen ja wie stark der Widerstand in Albanien sich entwickelte.
Max Brym:
In Deutschland meinen aktuell einige Autoren,
in Kosova hätte es hauptsächlich Kollaborateure in dieser Zeit
gegeben.
Vehap Shita:
Das ist kompletter Unsinn. Wir hatten in Kosova mehrere
antifaschistische Brigaden. Am Schluss kämpften 50.000 Menschen
in den antifaschistischen Brigaden. Die Kollaborateure waren
eine kleine Minderheit. Im November 1944 wurde Kosova von
unseren Brigaden befreit. Die Truppen von Generaloberst Löhr
hatten keine Chance mehr. Unsere Brigaden beteiligten sich
weiter am Kampf gegen die deutschen Faschisten, sie kämpften in
Kroatien, Slowenien bis nach Kärnten hinein an der Seite der
anderen Partisanen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Dies sind
unbestreitbare historische Fakten.
Max Brym:
Was waren wichtige Faktoren für den antifaschistischen
Befreiungskampf.?
Vehap Shita:
Besonders wichtig war die antifaschistische Konferenz von Bujan
zum Jahresende 1943. Die Konferenz gestand dem Volk in Kosova
zu, sich mit Albanien zu vereinigen wenn das Volk am
antifaschistischen Befreiungskampf teil nimmt. Dieses Recht auf
Selbstbestimmung Kosovas erkannte auch die Konferenz von Teheran
im Jahr 1943 an.
Max Brym:
Welche Bedeutung hat das Recht auf Selbstbestimmung in Kosova
für die Menschen historisch und aktuell.
Vehap Shita:
Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein internationales Recht. In
der Arbeiterbewegung vertraten historisch Lenin und Leo Trotzki,
dieses Recht entschieden. Lenin gab Finnland und den baltischen
Staaten das Recht auf Loslösung. Allerdings versuchte Lenin
speziell die Finnen mittels einer Debatte von diesem Schritt
abzuhalten. Nachdem er die Delegation nicht überzeugen konnte,
im sowjetischen Arbeiterstaat zu verbleiben, akzeptierte er das
Recht der Finnen auf Loslösung. Besonders erwähnen möchte ich
auch die Person Leo Trotzki. Trotzki schrieb zwischen 1912 und
1913 sein Buch – Die Balkankriege-. In diesem Werk geht Trotzki
konkret auf die Unterdrückung der Albaner in Kosova und
Mazedonien ein. An vielen Beispielen zeichnet er konkret die
Massaker an den Albanern, speziell durch die serbischen
Nationalisten nach. Trotzki war ein konsequenter Revolutionär,
leider setzte sich später in Russland Stalin durch. Ich glaube,
dass Trotzki eher Philosoph und Stalin eher ein Manager der
Macht war. Aber dies ist eine andere Frage.
Max Brym:
Warum wünscht und forderte das albanische Volk das Recht auf
Selbstbestimmung ?
Vehap
Shita: Nach dem 1. Weltkrieg mussten
die Albaner in Kosova und Mazedonien im Königreich der
„Serben,Kroaten und Slowenen verbleiben. Erst 1929 nannte sich
dieser Staat Jugoslawien ( Südslawen). Ein Staat aus dem die
Albaner per Definition ausgeschlossen waren. Es gab keine
albanischen Schulen, keine albanische Presse usw. Wir wurden als
Türken definiert oder als verirrte Serben mit einer anderen
Religion. Auf keiner Behörde konnte die albanische Sprache
benutzt werden. Die Ganze Zeit zwischen dem ersten und dem
zweiten Weltkrieg versuchte man unser Gebiet durch Vertreibungen
in die Türkei und durch serbische Kolonisation "albanerfreizu
machen. Die deutschen Donauschwaben hatten hingegen alle Rechte,
die uns vorenthalten wurden. Die Deutschen hatten alle Rechte
einer nationalen Minderheit.
Max Brym:
Wer protestierte damals gegen die Unterdrückung der Albaner im
bürgerlich feudalem Jugoslawien ?
Vehap Shita Nur die
sozialistische Arbeiterbewegung. Die Komintern ( Kommunistische
Internationale) verabschiedete auf ihrem 5 und 6 Weltkongress
Resolutionen zugunsten aller Völker auf dem Balkan. Die
„Kommunistische Partei Jugoslawiens“ forderte 1928 auf ihrem
illegalem Parteitag in Dresden, das Recht auf Selbstbestimmung
für die Albaner. Erst später als Tito an die Spitze der Partei
geriet veränderte sich diese Haltung.
Max Brym:
Wie zeigte sich diese Veränderung nach dem zweiten Weltkrieg
?
Vehap Shita:
Bereits im Jahr 1944 wandelte man unsere selbständige Armee in
Kosova in eine operative Einheit um. Eine operative Abteilung
wird aufgelöst, wenn die Operation vorbei ist. Im April 1945
erklärte Duschan Mugoscha in der „ Zeitung Bora“: „ Das Volk
Kosovas will sich Serbien anschließen“ Niemand äußerte im Volk
diesen „ Wunsch“. Im Sommer 1945 reiste eine Delegation nach
Belgrad, um mit Tito über die Frage Kosova zu sprechen. Die
Delegation wurde von Mehmed Hoxha geleitet, denn General Fadil
Hoxha weigerte sich nach Belgrad zu reisen. In Belgrad erklärte
Tito der Delegation: „ Ihr dürft euch mit Albanien vereinigen
aber nicht jetzt sondern später“ Als Grund nannte Tito, „
Albanien könnte den Angloamerikanern zum Opfer fallen.“ Einer
der wichtigsten Organisatoren des antifaschistischen
Befreiungskampfes Halim Spahiu ( damals Bürgermeister in
Prizren) wurde 1946 verhaftet und 1947 hingerichtet. Ich
persönlich kam 1947 für einige Zeit in Haft.Damit war ich zum
dritten mal im Gefängnis, zuerst bei den Italienern, dann bei
den Deutschen und dann in serbischer Haft.
Max Brym:
Wie ist eigentlich ihre persönliche Meinung von Fadil
Hoxha?
Vehap Shita:
1947 hatte ich wegen meiner Haft keine gute Meinung von
Fadil Hoxha. Denn er war für Inneres in Kosova zuständig.
Dennoch bleibt für mich Fadil Hoxha, der große General unseres
antifaschistischen Befreiungskampfes. Fadil Hoxha war eine
vielschichtige Persönlichkeit. Keinesfalls darf General Hoxha
aus unserem nationalen Gedächtnis verschwinden. Er war ein
großer Mann.
Max Brym:
Waren Sie Mitglied der kommunistischen Partei?
Vehap Shita:
Ja sogar zweimal von den vierziger Jahren bis 1947 und dann
wieder nach dem Sturz von Rankovic im Jahr 1966 bis 1972. Damals
wurde ich nicht ausgeschlossen sondern ich trat aus. Fatmir
Sejdiu der jetzige Präsident Kosovas war damals Leiter der
„Sozialistischen Jugend“ in Prishtina. Ich hingegen werde heute
noch von meinen Freunden im Menschenrechtsverein Kommunist
genannt.
Max Brym:
Stört Sie das?
Vehap Shita:
( grinst ) Nein nicht im geringsten.
Max Brym:
Herr Shita jetzt eine aktuelle Frage. In Deutschland gibt
es Journalisten welche Albin Kurti und die „ Bewegung für
Selbstbestimmung“ als faschistisch und nationalistisch
darstellen.
Vehap Shita:
Wieder kompletter Unsinn. Aber diesen Unsinn haben wir auch hier
immer wieder erlebt. Hasan Prishtina, welcher sich 1924 gegen
den mit serbischer Unterstützung eingesetzten späteren König
Zogu wandte wurde Faschist genannt. Selbst unser
antifaschistischer General Fadil Hoxha musste sich ende der
achtziger Jahre von serbischen Nationalisten anhören, er sei
Faschist. Die Geschichte dieser Verleumdungen ist lang. Zu Albin
Kurti möchte ich als alter Antifaschist erklären: Wenn mich
meine Kinder und Enkelkinder fragen sollten wem sie mehr
vertrauen können mir oder Albin Kurti, würde ich ohne zögern
antworten: „ Vertraut nur Albin Kurti“
Max Brym:
Wie kommen Sie zu dieser Aussage. Albin Kurti wird doch gerade
von der EULEX angeklagt ?
Vehap Shita:
Eben deshalb. Kurti ist Demokrat und Antifaschist, zudem ist er
für Selbstbestimmung. Albin Kurti hat einen vorzüglichen
Charakter. Kurti führte zusammen mit Bujar Dugolli im Jahr 1997
die Studentendemonstrationen gegen die serbische Unterdrückung
in Kosova an. Nach 1999 wurde Dugolli ein privilegierter
Minister und Albin Kurti ging neuerlich in Haft. Kurti war von
April 1999 bis Januar 2001 in serbischer Haft. Im Jahr 2007
wurde Kurti neuerlich verhaftet. Diesmal durch die UNMIK für ein
Jahr. Jetzt klagt die EULEX Kurti wegen der gleichen Sache wie
die UNMIK an. Am 10. Februar 2007 erschossen rumänische
Polizisten zwei friedliche Demonstranten anlässlich einer
Demonstration der LPV. Ausgerechnet Kurti soll für diese Untaten
fremder Polizisten verantwortlich sein. Kurti ist aus
politischen Gründen gegen die EULEX- Kurti hat Recht. Der
geplante Prozess gegen ihn hat rein politische Gründe.
Max Brym:
Herr Shita Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Vehap Shita:
Eine glückliche Welt ohne Unterdrückung und mit sozialer
Gerechtigkeit. Leider bin ich schon zu alt für Demonstrationen.
Wenn ich jung wäre- wäre ich nicht nur literarisch aktiv Ich
wäre im Kampf für Selbstbestimmung dabei.
Editorische Anmerkung
Das Interview erhielten wir von
Max Brym für diese Ausgabe.
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