Die Krise in Griechenland und die Aufgaben der Arbeiterbewegung
Resolution des Internationalen Sekretariats der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) vom 1. Mai 2010

05/10

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Wenn jemand geglaubt hatte, dass die Tage eines vom Internationalen Währungsfonds aufgedrückten Sparprogramms gezählt seien, so haben ihn die Ereignisse in Griechenland widerlegt. Das Land hat einen Schuldenberg von 300 Milliarden Euro, er ist höher als die jährliche Wirtschaftsleistung Griechenlands. Schätzungen sprechen von einer Überschuldung von 20% gegenüber dem Inlandsprodukt von 2010.

Am 27.4. stufte die in New York ansässige Bewertungsagentur Standard & Poor’s die griechische Wirtschaftskraft auf das Niveau eines „Schrottpapiers“ zurück, blockierte damit praktisch den Zugang des Staates zu privatem Kapital und löste eine Schockwelle auf den Finanzmärkten der ganzen Welt aus.

Ein großer Teil von Griechenlands Einkünften wird für den Schuldendienst an deutsche und französische Banken aufgewendet. Also „nehmen“ nicht „die Griechen unser Geld“, wie von den westlichen käuflichen Medien immer wieder behauptet wird, sondern umgekehrt: die imperialistischen Banken übernehmen Griechenland.

Nun wollen sie die arbeitende Bevölkerung des Landes auf Hungerration setzen. Griechenland sitzt in einer „Schuldenfalle“ wie die dadurch ruinierten lateinamerikanischen Länder in den 1980ern und die afrikanischen Staaten in den 1990er Jahren. Griechenland gehört jedoch der Europäischen Union und der Eurozone an.
Diese Krise und die Art, wie die größten imperialistischen Mächte sie handhaben, bedroht die gemeinsame Währung und die Stabilität der EU. Je länger sich die Verhandlungen hinzogen und so das Spekulationsfieber anheizten, desto weniger Spielraum gab es für die griechische Regierung, desto höher wurde der Druck auf die Griechen, die volle Dosis der neoliberalen Arznei, genauer gesagt: des Giftes zu schlucken.

Deutschland und Frankreich, ihre Banken und Industriekonzerne verfolgen einen doppelten Zweck, wenn sie Griechenland an den Rand des Verhungerns bringen. Zunächst wollen sie damit von den übrigen ArbeiterInnen Europas immer dramatischere Zugeständnisse erpressen und v.a. jede Gegenwehr ersticken. Zweitens demonstrieren sie den politisch und ökonomisch schwächeren europäischen Staaten, wer hier - auch ungeachtet der EU-Verträge - das Sagen hat. Die Krise dient den Banken und Konzernen nicht nur zum Erwürgen ihrer kleineren Konkurrenten und der Übernahme ihrer Märkte, sondern auch der Etablierung einer machtvollen politischen Zentralgewalt, die im Stande ist, sich mit den USA, Japan und China im Gerangel um Märkte, Rohstoffe und billige Arbeitskräfte zu messen.
2008/09 haben FührerInnen wie Obama, Brown, Merkel und Sarkozy ihre Schwindel erregenden Steuerbürgschaften für Stützungen der heimischen Banken und Autoindustrien damit gerechtfertigt, dass es notwendig sei, die große Depression der 1930er um jeden Preis zu verhindern. Nun argumentieren sie in brutalster neoliberaler Manier, dass die griechische Regierung ihren ArbeiterInnen und Kleinbauern eine Rezession von unerhörter Strenge und Dauer auferlegen müsse. Die Deutsche Bank sagt einen Einbruch des Bruttosozialprodukts um 7,5% bis 2012 sowie einen Anstieg der Arbeitslosigkeit für Griechenland von 20% voraus, d. h. eine Million zusätzlich.

Die Aprilkrise wurde von den Finanzspekulanten ausgelöst, die darauf wetteten, dass Griechenland seine Schulden nicht mehr würde abtragen können. Schon zuvor hatten die griechischen Kapitalisten, die Herrschenden der EU und der IWF das PASOK-Regime massiv unter Druck gesetzt - es war gerade ein halbes Jahr im Amt und hatte versprochen, kein Sparprogramm zu verabschieden. Die griechische Regierung gab nach und sollte mit atemberaubendem Zynismus ein „Stabilitäts- und Entwicklungsprogramm“ verkünden.

Dies sollte 10% Gehaltskürzungen bei Staatsbediensteten, eine zweijährige Verlängerung der Lebensarbeitszeit, 2% Mehrwertsteuererhöhung, 10% weniger Staatsausgaben, davon 100 Millionen allein im Bildungswesen, durchpeitschen. Die Streichung von staatlichen Zuschüssen betrifft zu 35% die nachschulische Betreuung und die Betreuungsprogramme für allein lebende ältere Menschen.

Die Einsparung von vier Milliarden im Staatshaushalt sollte eine beschwichtigende Signalwirkung auf die EU und die internationalen Märkte haben. Aber damit gaben sich weder die Spekulanten noch die Großmächte in der EU, besonders Deutschland, zufrieden. Eine Spirale von aggressiver Spekulation und Verschleppungstaktik seitens der EU bei Stützungsmaßnahmen trieb die Anleihebedingungen für Griechenland so hoch, dass es nicht mehr genügend Geld aufnehmen konnte, um die Schulden zu decken.

Eine drittelparitätische Expertenkommission aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds beschloss, Athen weit größere Kürzungen abzuverlangen. Gehälter sollen statt 10 nun um 15% gesenkt werden und dies nicht nur im öffentlichen Sektor, sondern auch in der Privatwirtschaft. Das Rentenalter soll auf 67 angehoben werden bei gleichzeitiger Reduzierung der Bezüge. Im Staatsdienst sollen noch mehr Arbeitsplätze abgebaut werden. Das allgemeine Tarifrecht soll ausgehebelt werden. Gesetze zur Begrenzung von Entlassungen in der Privatwirtschaft sollen abgeschafft werden. Die Kürzungen im Bildungsbereich werden zu größeren Schulklassen führen.

Doch auch jetzt noch treiben die europäischen Spitzenpolitiker Griechenland an den Rand des Staatsbankrotts. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy hat eine Konferenz der Chefs der Eurozone für den 10. Mai 2010 einberufen, einen Tag nach den Weichen stellenden NRW-Landtagswahlen in Deutschland und nur neun Tage vor dem Schuldentilgungs-Stichdatum für Athens Rückzahlung von neun Milliarden Euro.

Doch die griechischen ArbeiterInnen wehren sich. Transport- und HafenarbeiterInnen, LehrerInnen, MuseumswärterInnen haben gestreikt und demonstriert, als die Spitzenvertreter des Kapitals, von EU-Kommission, EZB und IWF, kamen und Kürzungen forderten. Zwei 24stündige Generalstreiks haben stattgefunden, ein dritter ist für den 5. Mai anberaumt. Daran sollen Beschäftigte aus Staatsdienst und Privatwirtschaft teilnehmen. ADEDY, die Gewerkschaft der Staatsbediensteten, und die Allgemeine Konföderation Griechischer ArbeiterInnen (GSEE) rufen 2,5 Millionen Mitglieder auf: das ist die Hälfte der gesamten griechischen Arbeiterschaft.

Größere Unruhen als im Dezember 2008 werden vorhergesagt, wenn die neuen Sparmaßnahmen in Kraft treten. Griechenland befindet sich wie Ende 2008/Anfang 09 in einer vorrevolutionären Situation. Die griechischen ArbeiterInnen können wahrhaft die Aufpfropfung des Notpakets verhindern - doch nur, wenn sie bereit sind, die Grenzen von Eintagesaktionen zu überschreiten. Der einzige Weg nach vorn liegt in einem umfassenden Generalstreik der öffentlichen und privaten Belegschaften. Sie müssen die RentnerInnen und die arme Landbevölkerung, die auch von den Kürzungen ruiniert werden, mit in den Streik hineinziehen.

Längerfristig fehlt den griechischen ArbeiterInnen aber eine Kampfeinheit in den Mobilisierungen. Die größten Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE, die der PASOK-Partei nahestehen, haben sich des öfteren geweigert, gemeinsame Sache mit der PAME-Gewerkschaft (Kampffront aller Arbeiter), die ein enges Verhältnis zur stalinistischen griechischen KP (KKE) pflegt, zu machen wie auch umgekehrt. Die ArbeiterInnen in den großen Verbänden sollten ihre Führer auffordern, mit PASOK zu brechen, die sich als Agentur des griechischen und EU-Kapitals erwiesen hat. Die ArbeiterInnen in PAME sollten einen Bruch mit der nationalistischen Politik der KKE und ihrer hartnäckigen Weigerung, zu einem umfassenden und unbefristeten Generalstreik aufzurufen, herbeiführen. Die KKE-Spitze rechtfertigt dies mit dem Hinweis auf das zu Ungunsten der Arbeiterklasse verschobene Kräfteverhältnis seit der Auflösung der Sowjetunion. Aber nur ein umfassender Generalstreik kann den Widerstand der Regierung brechen und damit auch den Plänen von EU und IWF einen Schlag versetzen. Ein Austritt aus der EU und die Wiedereinführung der Drachme wäre keinerlei Lösung. Unter den Bedingungen des Kapitalismus könnte dies sogar eine noch schlimmere Krise verursachen, einen Zusammenbruch des Handels und eine Hyperinflation und würde überdies die griechischen ArbeiterInnen von ihren Klassengeschwistern im restlichen Europa isolieren.

Die griechischen ArbeiterInnen müssen von ihren Führern gemeinsames Handeln verlangen! Aber diese haben sich schon so oft geweigert, sich zu einigen. Also muss die Basis sich auf Betriebs- und Ortsebene zusammentun. Mit dem Aufbau von lokalen und regionalen Aktionsräten kann dies erreicht werden. In ihnen sollten Abgesandte von allen Gewerkschaften, von studentischen Organisationen, aber auch von kleinbäuerlichen Vereinigungen vertreten sein.
Angesichts der Brutalität der griechischen Polizei ist es für Arbeiterschaft und Jugend erforderlich, eine mächtige Verteidigungsmiliz zu formieren. Damit kann die schon 2008 wahrnehmbare mutige Militanz der Jugend weg von der sinnlosen Taktik brennender Läden, die ihnen die unteren Mittelschichten unnötig entfremdet und den Rechten zuführt, zu einer klassengerechten Kraft geformt werden.

Aber ohne klare Ziele, ohne geplantes Handeln, vermag die Einheit allein nicht den geballten Attacken der EU/IWF, der griechischen Kapitalisten und der Regierung zu widerstehen.

Im Mittelpunkt eines wirkungsvollen Aktionsprogramms muss die Zurückweisung aller Kürzungen stehen! Alle Lohnsenkungen, alle Heraufsetzungen des Rentenalters, alle Arbeitsplatzverluste im öffentlichen wie im privaten Sektor müssen zurückgenommen werden!

Die Aktionsräte sollten die ArbeiterInnen in der Privatwirtschaft einbeziehen, indem sie bei der Rekrutierung für die Gewerkschaften und der Verfechtung von Lohnerhöhungen helfen. Sie müssen auch den Kleinbauern zur Seite stehen und nicht nur deren Kredite verteidigen, sondern deren Ausweitung und die Streichung ihrer Schulden und Hypotheken fordern.

So können sich die gesamte Klasse der Lohnabhängigen und ein großer Teil der Mittelschicht um die Streikenden scharen. Gleichzeitig können die Erwerbslosen und die Jugend durch die Forderung nach voll bezahlten Arbeitsstellen und angemessener Wohlfahrt für alle einbezogen werden. Die entschädigungslose Übernahme von Banken und großen Firmen unter Arbeiterkontrolle kann die Finanzierungsfrage beantworten.

Tausende von Basismitgliedern der größeren griechischen Arbeiterparteien KKE und SYRIZA (eine Koalition der radikalen Linken) sowie die kleineren linkeren Gruppen in ANTARSYA stehen an der vordersten Widerstandsfront. Der Druck auf die offiziellen Führer der Partei, eine Einheitsfront im Widerstand zu bilden, muss erhöht werden. Gemeinsame Aktionsräte müssen für den Generalstreik und Verteidigungsmilizen, die den revolutionären Kampf um die Macht vorbereiten sollen, gegründet werden.

Ein umfassender Generalstreik würde unmissverständlich die Frage stellen: Welche Klasse soll in Griechenland herrschen? Die militante Vorhut muss die anstehenden politischen Aufgaben anpacken, d. h. die Forderung erheben nach einer Arbeiterregierung, die unverzüglich alle Kürzungen rückgängig macht, die Banken und Konzerne verstaatlicht und der Arbeiterkontrolle unterstellt sowie einen Plan für die Wirtschaft aufstellt. Ganz wesentlich für die Verteidigung und Festigung der Macht ist die Zerschlagung des bewaffneten Unterdrückungsapparats des kapitalistischen Staates und seine Ersetzung durch Organe der bewaffneten Massen, der ArbeiterInnen und Kleinbauern sowie die entschädigungslose Enteignung des Großkapitals und der Banken.

Inmitten der internationalen kapitalistischen Krise von historischen Ausmaßen und in einem Land mit zehntausenden von revolutionären ArbeiterInnen und Jugendlichen müssen sich die Gruppen der radikalen Linken und die Basisbewegungen in den Arbeiterparteien und Gewerkschaftsverbänden zusammenschließen - um den Aufruf zum Aufbau einer neuen revolutionären antikapitalistischen Partei.

Dies kann durch die Vereinheitlichung um ein neues Aktionsprogramm vonstatten gehen, das den gegenwärtigen Widerstand mit dem Streben nach sozialistischer Revolution und einer Arbeiter- und Bauernregierung, die sich auf Aktionsräte gründet, verbindet. Sie muss in einem internationalen Netzwerk arbeiten und für die Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa eintreten. Diese Partei sollte dann als griechische Sektion einer neuen 5. Internationale angehören. Ein revolutionärer Vereinigungskongress sollte zusammentreten und ein solches revolutionäres Aktionsprogramm entwerfen, beraten und beschließen.

Die Aktionen von IWF und EU gehen nicht nur zu Lasten der griechischen ArbeiterInnen, sondern sind dazu bestimmt, den Arbeiterklassen in ganz Europa eine brutale Lektion zu erteilen: heute Griechenland, morgen Ihr! Wenn sie damit durchkommen, und die griechische Arbeiterschaft zu den barbarischen Sparprogrammen gezwungen wird, werden ähnliche Programme in ganz Europa die Runde machen.

International müssen Solidaritätsaktionen mit dem griechischen Widerstand durchgeführt werden! Der beste Weg ist, mit der Losung: „Wir wollen nicht für Eure Krise zahlen! Genug ist genug! ArbeiterInnen, erhebt Euch!“ auf die Straße zu gehen.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 483
5. Mai 2010


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