Ein notwendiger Kommentar
Ulla Jelpke und die DDR-"Auslandsaufklärung"

von Meinhard Creydt

05/10

trend
onlinezeitung

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, schickt ein „Grußwort“ an die „lieben Genossinnen und Genossen“ anlässlich der Jahrestagung der Mitarbeiter der DDR-Auslandsaufklärung (siehe Kasten).

Ihre Kritik an der „Ungleichbehandlung“ dieses Personenkreises gegenüber den „Spitzeln von BND und Verfassungsschutz“ (Ebd.) bewegt sich zunächst ganz und gar in der Ebene des Vergleichs zwischen Nachrichtendiensten verschiedener Staaten. U. Jelpke nimmt Partei für den in der Konkurrenz unterlegenen und abgewickelten Staat. Sie versäumt es, dem ungefestigten Leser darzulegen, was daran inhaltlich Bestandteil der Arbeit einer „L i n k s partei“ ist. U. Jelpke bedenkt die Arbeit des DDR-Auslandsgeheimdienstes mit dem Lob „mutiger Einsatz für den Frieden“.

Nun verhält es sich mit „dem Frieden“ so, dass er eine Abstraktion vom Inhalt des Verhältnisses zwischen den Staaten darstellt. Vom Standpunkt der Vermeidung des Krieges kann das Niederkonkurrieren des „Ostblocks“ per Rüstung von westlicher Seite ebenso als besonders nachhaltiger Beitrag zur Erhaltung des Friedens gelten. Schließlich wurde mit dem Rüstungswettlauf doch ganz friedlich die östliche Seite des atomwaffengerüsteten ‚Kalten Krieges’ schachmatt gesetzt. Eine weniger produktive und reiche Volkswirtschaft muss überproportional mehr Ressourcen aufwenden, um im Rüstungswettlauf mithalten zu können. Dies blieb nicht ohne negative Folgen für die Ökonomie.

Ulla Jelpke hat ein zweites Lob für die Leute vom DDR-Auslandsgeheimdienst parat. Ihre Gegner seien „Antikommunisten.“ Das Selbstverständnis, sich im Kampf mit den Antikommunisten zu befinden und schon i n s o f e r n auf der richtigen Seite zu stehen, dürfte den Adressaten von Jelpkes Grußbotschaft unmittelbar einleuchten. Anders bei nicht ganz so gefestigten Lesern, die sich an Heinrich Bölls Ausspruch erinnern, die größten Antikommunisten säßen in den Regierungen in Moskau und Ostberlin.

Jelpke bleibt das Argument schuldig, warum s i e Kritik an der Stasi so auffasst, als sei d a m i t z w i n g e n d „jede positive Erinnerung an sozialen Errungenschaften der DDR ebenso wie jede aktuelle Kapitalismuskritik diskreditiert.“ Die Antikommunisten, von denen Jelpke spricht, „arbeiten mit Schaum vorm Munde an der weiteren Dämonisierung der DDR und insbesondere des MfS“. Demgegenüber seien aus dem Kreise der Empfänger des Grußworts „umfangreiche nüchterne wissenschaftliche Untersuchungen und Dokumentationen zur HVA entstanden.“

U. Jelpke unterlässt es,dem Publikum konkretere Inhalte dieser „nüchternen wissenschaftlichen Untersuchungen“ mitzuteilen. Im „Schwarzbuch des Kommunismus“ (S. 879) ist von 500 Entführungen aus der Bundesrepublik und West-Berlin in die DDR die Rede. Die These, es habe sich dabei um einen „mutigen Einsatz für den Frieden“ gehandelt, bedarf zur Überzeugung ungefestigter Leser eines zusätzlichen argumentativen Aufwandes.

Junge Welt / 18.05.10 / S.8 / Grußwort an Aufklärer

Liebe Genossinnen und Genossen, auch über 20 Jahre nach der so genannten Wende wird die Stasi-Keule munter weiter geschwungen. Dabei geht es keineswegs um die Aufarbeitung der Vergangenheit, um die Suche nach der historischen Wahrheit oder der unvoreingenommenen Analyse des Scheiterns des ersten Sozialismusversuches. Vielmehr sollen jede positive Erinnerung an soziale Errungenschaften der DDR ebenso wie jede aktuelle Kapitalismuskritik diskreditiert werden.
Bezeichnend ist eine Sendung von Report Mainz zur NRW-Wahl. Tagelang hatten die Reporter die KandidatInnen der LINKEN verfolgt. Gefragt wurden diese nicht etwa, wie bei einer Landtagswahl zu erwarten, was die LINKE gegen die Massenerwerbslosigkeit zu tun gedenke und welche Rezepte sie zur aktuellen Wirtschaftskrise vorlegen können. Nein, weil in einem Papier einer Strömung innerhalb der LINKEN die DDR als ein legitimer Sozialismusversuch bezeichnet wurde, lautete die Gretchenfrage an die KandidatInnen allen Ernstes: »Wie halten Sie es mit der Stasi?« Ich bin froh, daß sich zumindest 5,6 Prozent der Wähler nicht durch solche Stimmungsmache beirren ließen.
Während Antikommunisten aller Couleur mit Schaum vorm Munde an der weiteren Dämonisierung der DDR und insbesondere des MfS arbeiten, sind in den letzten Jahren aus Euren Kreisen umfangreiche nüchterne wissenschaftliche Untersuchungen und Dokumentationen zur HVA entstanden. Man muß nicht jede Eurer Einschätzungen teilen. Aber es gilt anzuerkennen, daß wohl kaum ein anderer Geheimdienst so umfassend von seinen eigenen ehemaligen Mitarbeitern und Kundschaftern historisch aufgearbeitet wurde, wie die Auslandsaufklärung der DDR. Viele von Euch wurden für ihren mutigen Einsatz für den Frieden nach dem Ende der DDR mit Gefängnis bestraft. Die Spione des BND – eines von Altnazis aufgebauten aggressiven imperialistischen Dienstes – gingen dagegen für ihre Operationen gegen den Sozialismus straffrei aus. Diese Ungleichbehandlung ist bis heute ein himmelschreiendes Unrecht, das ein bezeichnendes Verständnis auch auf den sogenannten »demokratischen Rechtsstaat« wirft, den die Spitzel von BND und Verfassungsschutz angeblich verteidigen.
Ich erinnere an dieser Stelle an den Gewerkschafter, Journalisten und junge Welt-Autor Kurt Stand in den USA. Weil er politische Einschätzungen über die US-Gewerkschaftsbewegung in die DDR geschickt hat, wurde Kurt Stand Ende der 90er Jahre zu einer langjährigen Haftstrafe wegen angeblicher Spionage für die HVA verurteilt und befindet sich seitdem hinter Gittern. Wir dürfen Kurt Stand nicht vergessen. Er muß endlich freikommen!
Zu Eurer Jahrestagung 2010 wünsche ich Euch alles Gute und sende Euch meine besten Wünsche.

M
it solidarischen Grüßen
Ulla Jelpke

Ulla Jelpke als ehemaliger West-Linken ist Heinz Brandt (1909-1986) bekannt. Er war prominentes Gründungsmitglied des gewerkschaftlichen Komitees gegen KKWs in den 70ern (Arbeitskreis Leben) und Gründungsmitglied der Grünen Den Leser würde interessieren, wie in diesem Fall der „mutige Einsatz für den Frieden“ aussah.

Brandt wurde in West-Berlin „am 16. Juni 1961 betäubt und in die DDR entführt. Nach mehrmonatigen Verhören in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen wurde er 1962 wegen „schwerer Spionage in Tateinheit mit staatsgefährdender Propaganda und Hetze im schweren Fall“ zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Es folgten zwei Jahre Haft in der Sonderhaftanstalt Bautzen II. Eine weltweite Kampagne der IG Metall, von Linkssozialisten, Amnesty International und Bertrand Russell führte 1964 zu seiner Freilassung.“ (wikipedia)

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.