iz3w  Zeitschrift zwischen Nord und Süd aktuell bei trend

iz3w Nr. 324 (Mai / Juni 2011)

Spezial: Revolte in der arabischen Welt
Schwerpunkt: Zehn Jahre nach Genua

05/11

trend
onlinezeitung

 Zehn Jahre nach Genua

»Für viele kam er überraschend, der massenhafte Protest gegen den G-8-Gipfel in Genua. Doch das Erstaunen wich bald der Zustimmung. Nicht nur gestandene Linke, sondern vor allem bürgerliche Medien überschlugen sich geradezu in Superlativen. Euphorisch wurden die GlobalisierungsgegnerInnen als ‚erste soziale Bewegung der Postmoderne’ (SPIEGEL) und ihre Aktionen als ‚globale Revolte’ (Die Woche) bezeichnet. Fast mochte man glauben, es wehe wie im Mai ‘68 der süße Duft der Revolution durch die Straßen.«

Mit diesen Worten leiteten wir im Spätsommer 2001 das iz3w-Sonderheft »Gegenverkehr – Soziale Bewegungen im globalen Kapitalismus« ein. Seither ist viel geschehen. Der (keinesfalls immer süße) Duft der Revolte weht nun an den südlichen Gestaden des Mittelmeers, am Roten Meer und am Persischen Golf, nicht mehr in europäischen und nordamerikanischen Großstädten. Im Rückblick auf die Proteste in Genua fällt besonders stark auf, wie ruhig es geworden ist um die Globalisierungskritik. Es fehlt nicht nur die Euphorie des Sommers 2001, sondern fast jegliche mediale Resonanz.

Das überrascht umso mehr, als die so genannte Finanzkrise ab 2008 den globalisierten Kapitalismus in seinen Grundfesten erschütterte. Vieles von dem, was die ExpertInnen der Bewegung und ihrer NGOs schon Jahre zuvor prognostiziert hatten, war eingetreten. Die Krise, aber auch die hektischen Aktivitäten der Regierungen zu ihrer Vertagung überstiegen sogar die düstersten Warnungen. Einige Regierungen machten sich nun ansatzweise Forderungen der globalisierungskritischen Bewegung nach Regulierung der Finanzmärkte zueigen. Politisches Kapital konnte die Bewegung daraus allerdings nicht schlagen: Selbst Attac als größte organisierte Struktur war nicht in der Lage, Großdemonstrationen gegen die Umverteilung zugunsten der Banken zu organisieren. Ganz zu schweigen vom radikalen aktivistischen Flügel der Bewegung, der nahezu vollständig in der Versenkung verschwand.

Warum erscheint uns als Zeitpunkt für eine Bilanz der Globalisierungskritik ausgerechnet »Zehn Jahre Genua« geeignet? Zum einen war der Gipfelprotest auch aus heutiger Sicht ein zentrales Ereignis, er markierte mit den 250.000 versammelten DemonstrantInnen einen quantitativen Höhepunkt der »Bewegung der Bewegungen«. In Genua begann aber auch der langsame Niedergang der Globalisierungskritik. Zum einen übte der italienische Staat in Genua eine brutale Repression aus, was zu großer Ernüchterung führte und viele potentielle DemonstrantInnen künftig abschreckte. Zum anderen ließ die mediale Aufmerksamkeit für die GlobalisierungskritikerInnen schrittweise nach. Ein weiterer wichtiger Grund für die wachsende Defensive der Bewegung waren die Anschläge vom 11. September 2001, zu denen Teile der Bewegung sehr umstrittene Positionen entwickelten, und deren Folgen wie der »War on Terror« bloße Abwehrkämpfe als Konsequenz hatten. Spätestens in der Finanzkrise ab 2008 wurde überdeutlich, dass die Globalisierungskritik selbst auf ihrem Kerngebiet weder inhaltlich noch personell stark genug war, um ernsthaft intervenieren zu können.

Erfahrene BeobachterInnen wundert der Bedeutungsverlust der globalisierungskritischen Bewegungen(en) nicht. Das Spontane und Unorganisierte an sozialen Bewegungen ist ihre große Stärke, aber auch ihre latente Schwäche. Nahezu alle Bewegungen durchlaufen Zyklen, es gibt Höhepunkte und Talsohlen. Es ist daher auch verfrüht, die Globalisierungskritik trotz ihres momentanen Ruhestandes für tot zu erklären. Wie oft schon wurde die Anti-AKW-Bewegung historisiert, und wie quicklebendig meldet sie sich in diesen Tagen zurück.

Wenn wir also mit diesem Themenschwerpunkt eine Bilanz ziehen, dann bedeutet dies keinen Schlussstrich. Die iz3w hat die Globalisierungskritik und ihre Vorläuferbewegungen intensiv publizistisch begleitet, mit Sonderheften, Themenschwerpunkten und hunderten Artikeln. Naiv abgefeiert haben wir die Bewegung dabei aber nicht; Solidarität ohne (Selbst-)Kritik ist wertlos. Und so findet sich auch in diesem Themenschwerpunkt ein Beitrag, der den Mainstream der Bewegung scharf kritisiert – von links, versteht sich.

Es gibt vieles, was von der Bewegung bleibt, auch wenn sie möglicherweise längere Zeit nicht mehr als starke Akteurin auf sich aufmerksam machen kann. Die Bebilderung dieses Themenschwerpunktes reflektiert dies: Die verwendeten Stills sind allesamt globalisierungskritischen Dokumentarfilmen entnommen. Die meisten von ihnen wurden zu Klassikern ihres Genres. Kann gut sein, dass dies auch für einige Slogans und ökonomiekritische Argumente der Bewegung gilt.

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