Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Fundis greifen an
Katholische Fundamentalisten & Rechtsextreme mobilisieren gegen eine Kunst-Ausstellung in Avignon - und zerstören ein Kunstwerk. Kritiker sehen eine Amateur-Inquisition am Werk

05/11

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Am Sonntag, den 17. April in den Räumen der Kunstsammlung Collection Lambert, im südfranzösischen Avignon: Drei junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren bezahlen ihren Eintritt und verschwinden unter den Gewölben des historischen Gebäudes. Kurze Zeit darauf überrumpeln sie einen Wachmann und packen einen Hammer und andere Geräte - die Ermittler schwanken derzeit noch zwischen den heiβen Spuren „Eispickel“ und „Schraubenzieher“ - aus. Sodann machen sie sich ans Werk. Und zerstören zwei Kunstgegenstände, von denen eines ihr heftiges Missfallen erregt hatte. Gottungefällig sei es, hatte es bereits am Vortag (16. April) auch auf einer Demonstration von rund eintausend Menschen in Avignon getönt. Laut Augenzeugenberichten hatten auch die drei jungen Männer daran teilgenommen. 

Der Stein des Anstoβes 

Der Gegenstand in ihrer Erregung: „Gotteslästerung“ verkörperte in ihren Augen das Kunstwerk unter dem Namen Piss Christ, das von dem US-amerikanischen Kunstphotographen  Anders Serrano stammt. Der in New York lebende 60jährige Künstler mit afro-kubanische und honduranische Wurzeln hatte dieses Werk 1987 hergestellt. Presseberichte bezeichneten es jüngst als Abbild eines „mit Blut und Urin überdecktes Kreuzes“ von Jesus. In Wirklichkeit zeigt das Kunstwerk allerdings nicht ein mit diesen Stoffen beschmiertes christliches Kreuz, sondern ein in mildes rötliches und gelbes Licht getauchtes Holzkreuz mit daran hängendem Christuskörper. Ästhetisch ist es nicht so abstoβend, wie es wirken würde, wäre der Betrachter direkt mit diesen Stoffen konfrontiert.  Blut und Urin sollen lediglich durch die Farben, die entsprechende Assoziationen erwecken, suggeriert werden. Der Name des Kunstwerks, Piss Christ, ist in dieser Hinsicht jedoch eindeutig. Ebenso ist bekannt, dass der Künstler seinen eigenen Harn für die Herstellung der Farbe auf dem Foto verwendet hat.

Serrano hatte in der Vergangenheit für seine Werke bereits des Öfteren mit Stoffen wie Blut, Sperma oder auch Muttermilch experimentiert. Diese Stoffe interessierten ihn stets für die Gewinnung eines bestimmten Farbtons, nicht, um einen Anblick direkt auf die Ausgangsmaterie zu gewähren.

Dass Serrano das christliche Symbol in diesem - so gewonnen - Licht zeigt, war von seiner Seite her keineswegs despektierlich im Sinne einer bewussten Verspottung des Christuskreuzes gemeint. Vielmehr bezeichnet Serrano sich selbst als gläubig und „fasziniert“ vom katholischen Glauben. Er verbindet diesen lediglich auf eigentümliche Weise mit seinen speziellen ästhetischen Vorstellungen.

Von der Logik her muss es gar nicht als abartig erscheinen, dass Stoffe wie Blut oder Urin benutzt werden, um ein Kreuz mit daran hängendem Messias zu illustrieren. Hat doch das Christentum in seiner zweitausendjährigen Geschichte stets die Darstellung von Folter- und Tötungsinstrumenten benutzt, um dessen Leiden - das laut christlicher Lesart „zur Erlösung der Menschheit“ erfolgte - zu illustrieren. Generationen von Schülern wurden im Grundschulalter mit ausführlichen Schilderungen von Auspeitschungen und Annagelungen traktiert, um es ihnen nur ja drastisch genug vor Augen zu führen. Und wer je eine Kirche in Lateinamerika, (woher Serrano stammt) besucht hat, weiβ, dass die bildliche Darstellung „der Leiden des Jesus Christus“ auf diesem Kontinent regelmäβig noch weitaus blutrünstiger erfolgt als in Europa.

Zumindest der blutige Aspekt dürfte also gläubige Christen logischerweise nicht schockieren. Hingegen werden Exkremente wie Urin gerne wegästhetisiert. Allerdings war es im Originalgeschehen zweifellos so, dass ein Todeskandidat, der - an einem Kreuz befestigt - sich dem Erstickungstod näherte, sich vor Todeseintritt seiner Fäkalien entleerte. In verbreiteten christlichen Darstellungen wird die Tötung zwar zurecht ästhetisiert, bildet dadurch aber nicht unbedingt die Wirklichkeit dieser im Alten Rom sehr verbreiteten Tötungsart getreu ab.

Christliche Fundamentalisten haben sich aber schon des Öfteren an Serranos Kunstwerken gestoβen, weil diese in ihren Augen die Tatsache symbolisieren, dass man heute angeblich „gefahrlos über den christlichen Glauben und seine Symbole spotten“ und sie absichtlich „herabwürdigen“ können. In den USA, wo das Foto Piss Christ bei seiner Veröffentlichung in den achtziger Jahren zunächst kein negatives Aufsehen erregte - es wurde 1999 in London für 162.000 Dollar versteigert -, fanden später Kampagnen evangelikaler Christen gegen Serrano statt. Im schwedischen Lund wurden im Oktober 2007 mehrere seiner Werke in einer Galerie durch Neonazis beschädigt oder zerstört. Die Rechtsextremen, die ebenfalls gegen Serrano hetzen, berufen sich dabei sowohl auf eine christlich-abendländische als auf eine naturalistische Ästhetik, die durch den Künstler verletzt würden. 

Faschisten & religiöse Reaktionäre: eine unangenehme Mischung 

Aus einer Mischung aus Rechtsextremen und fanatischen Katholiken bestand auch jene kleine Menschenmenge, die in den letzten Wochen gegen Serranos Werke in Avignon mobilisiert werden konnte. An der Demonstration vom 16. April, die unter dem Motto „Die Ehre Christus’ verpflichtet uns dazu: Alle nach Avignon!“ stand, nahmen Kräfte aus beiden Richtungen - deren Ideen sich manchen Gruppen auch vermengen - teil.

Im Rahmen einer Ausstellung werden in Avignon seit dem 12. Dezember 2010 und noch in den Mai dieses Jahres hinein (bis zum 08. Mai) Kunstwerke, die auf die eine oder andere Weise mit religiösen „Wundern“ zu tun haben, gezeigt. Der Titel der Ausstellung lautet Je crois aux miracles („Ich glaube an Wunder“).

Die meisten der insgesamt 350 Ausstellungsgegenstände haben auch für Rechtskatholiken oder Fundamentalisten keinen anstöβigen Charakter. Wie etwa ein Foto desselben Künstler Anders Serrano, das die Hände einer katholischen Schwester aus der Pariser Kirche Sainte-Clotilde beim Gebet zeigt. Es ist ebenfalls durch die Kunstvandalen vom 17. April 10 mit Hammerschlägen beschädigt worden.

Nicht allein katholische Ultrafanatiker und Faschisten ergriffen gegen das in ihren Augen anstöβige Kunstwerk (Piss Christ) Position. Auch der Bischof von Avignon, Jean-Pierre Cattenoz, hatte die Entfernung dieses Ausstellungsgegenstands gefordert, da das Foto „widerlich“ sei, und begründete dies mit den Worten: „Es beschmutzt das Bild von Christus am Kreuz, Herz-/Kernstück des christlichen Glaubens“. (1) 

Rechtsradikal-katholisches „Institut“ 

Den Aufruf zu der Demonstration vom Sonnabend, den 16. April hatte eine Gruppe namens Institut Civitas lanciert, das der katholisch-fundamentalistischen Strömungen des 1988 von Rom abgefallenen - und inzwischen verstorbenen - Ex-Bischofs Marcel Lefebvre nahe steht. In den letzten Wochen ist diese rechtsextrem-katholische Gruppierung allgemein verstärkt aktiv geworden. Im 18. Pariser Bezirk etwa wurden in den letzten Tagen (Anfang Mai) Aufkleber dieses Institut Civitas verklebt, auf denen zu einer rechtsradikal-nationalkatholischen Kundgebung „für Jeanne d’Arc“ am Nachmittag des o8. Mai aufgerufen wird. Der aktivistische Hardcoreflügel der extremen Rechten feiert die „Jungfrau von Orléans“ alljährlich in der zweiten Maiwoche, während die parlamentarische Variante der extremen Rechten in Gestalt des Front National (FN) jährlich am o1. Mai „zu Ehren von Jeanne d’Arc“ aufmarschiert.

Die Lefebvristen, zu denen auch die seit der Auschwitz-Leugnung ihres „Bischofs“ Roger Williamsen vor zwei Jahren berühmten Piusbrüder zählen, warfen der katholischen Amtskirche jahrelang „marxistischen und subversiven Einfluss“ vor. Sie stieβen sich an der Abschaffung des Lateinischen als Kirchensprache ebenso wie an Modernisierungsbestrebungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der seitdem proklamierten theologischen Aussöhnung mit dem Judentum. Seit 2006 hat der neue Papst Benedikt XVI. ihre Anhänger allerdings wieder an die Amtskirche angebunden, und in Bordeaux eröffnete der Kirchenapparat ein neues kircheneigenes „Institut des Guten Hirten“, das als Auffangbecken für sie dient.

Neben dem Institut Civitas riefen auch Webpublikationen wie die ähnlich orientierte Webseite e-Deo oder die „katholische Laienpublikation“ Le Salon beige an der Demonstration in Avignon teil. Letztere mischt sich auch direkt aktiv in die Politik ein und beteiligte sich am innerparteilichen Wahlkampf beim rechtsextremen Front National (FN) im zweiten Halbjahr 2010, bei dem man Bruno Gollnisch als Kandidaten für den Parteivorsitz gegen die „Modernisierin“ Marine Le Pen unterstützte. Auch Anhänger des FN erschienen zu der Demo in Avignon. Ebenso Marie-Christine Bompard, die rechtsextreme Bürgermeister des Nachbarstädtchens Bollène. Sie gehörte, ebenso wie ihr Ehemann Jacques - Stadtoberhaupt von Orange - früher dem FN. Jetzt führt Jacques Bompard eine rechtsextreme Splitterpartei an, die Ligue du Sud.

Doch es blieb nicht bei der Demonstration. 80.000 Menschen haben eine Petition des Instituts Civitas, die in Reaktion auf die vermeintlich frevlerhafte Ausstellung eine „Rechristianisierung Frankreich“ fordert, unterzeichnet. Und die Leitung der Ausstellung in der Kunstsammlung Collection Lambert hat den Eingang von über 30.000 Protest-E-Mails registriert. Begleitet werden die Nachrichten mitunter auch von Morddrohungen. In einem Falle wurden Bilder eines brennenden Scheiterhaufens zugeschickt.

Die Direktion der Sammlung unter Eric Mézil gab jedoch nicht nach, und lieβ schon am auf die Attacke folgenden Dienstag, dem 18. April, die Ausstellung wieder eröffnen. Die beiden durch Hammerschläge beschädigten Kunstwerke bleiben so, wie sie infolge des Angriffs jetzt aussehen, ausgestellt.  

Regierungspolitik, unter dem Deckmäntelchen des ausschlieβlich anti-muslimischen „Laizismus“, fördert katholische Reaktionäre 

Mézil sieht den Druck auf die Aussteller seit März dieses Jahres wachsen. In jenem Monat setzte Präsident Nicolas Sarkozy - der seit längerem mit dem französischen Laizimus hadert - neue Symbole. Am o3. März 11 besuchte er den Wallfahrort Puy-en-Velay in der Auvergne, von wo dereinst mehrere Kreuzzüge loszogen und wo - als letzter französischer Staatschef vor ihm - zuletzt Philippe Pétain seine öffentliche Aufwartung gemacht hatte. Zwei Wochen später nannte Sarkozys Exberater und nunmehriger Innenminister Claude Guéant den Einsatz seines Präsidenten für die Intervention in Libyen öffentlich einen „Kreuzzug“ (croisade). Die Wortwahl war nicht zufällig.

Zwar fand am o5. April 11 ein Seminar der Regierungspartei UMP zum Thema „Laizismus“ statt. Dort ging es aber ausschlieβlich um den „Platz des Islam“ in Frankreich und, dahinter stehend, um den Umgang mit den Fremden sowie ihre notwendige Anpassung an eine abendländische Leitkultur. Das Seminar, das aufgrund seiner ausländerpolitischen und ausgrenzenden Stoβrichtung heftig umstritten blieb - es wurde durch namhafte Regierungspolitiker und sogar durch den relativ moderaten Premierminister François Fillon explizit boykottiert -, gab vielen Rechten ein ideologisches Signal.

Ihnen kommt es einerseits zupass, dass so viel von Leitkultur und christlichen Werten die Rede ist. Andererseits sind sie neidisch auf den Islam, weil von ihm derart viel geredet würde, was sie als angebliche Bevorzugung wahrnehmen.

Im Namen rechtsauβen stehender Katholiken, die mit ähnlichen Argumenten seit langen Jahren gegen eine angebliche Diskriminierung ihres Glaubens zugunsten von „Fremdgläubigen“ agitieren, , erstattete ihre Lobbyorganisation AGRIF gegen die Kunstwerke von Avignon Strafanzeige. AGRIF ist die „Allgemeine Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt der französischen Identität“, die im Umfeld des FN entstand und seit Jahren auch gerichtlich gegen „antichristlichen und antifranzösischen Rassismus“ streitet. Vergangene Woche wurde ihre Eilklage wegen „Diskriminierung von Katholiken“ durch die Ausstellung jedoch abgeschmettert. Und die Vereinigung muss den Ausstellern jetzt 8.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen „grob missbräuchlicher Klage“ zahlen.

 

Anmerkungen

1) Cattenoz ist in Avignon innerhalb seiner Gemeinde in den letzten Jahren aufgrund seiner autoritären Methoden höchst umstritten gewesen. Zum Teil allerdings auch, weil er die Gemeinde für Christen aus anderen Ländern etwa in Osteuropa mit, aus Sicht mancher ihrer Gläubigen, „eigentümlichen“ Glaubenspraktiken geöffnet hatte. In den Jahren 2009/10 hatte es sogar Demonstrationen von praktizierenden Katholiken gegen ihren Bischof in Avignon gegeben.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.