Repression & Widerstand unter Hartz IV

Was so geschah...
Hartz IV im April 2011


von Anne Seeck

05/11

trend
onlinezeitung

Zahlen

In Berlin ist die Arbeitslosigkeit leicht gesunken. Es waren im April 238.255 Arbeitslose gemeldet, das waren 2.315 weniger als im Vormonat und 1.347 weniger als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote lag mit 13,9 Prozent um 0,1 Prozentpunkte unter der des Vormonats und um 0,3 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert.

Jede vierte Familie in Deutschland fällt nach dem dritten Reichtums- und Armutsbericht 2008 der Bundesregierung unter die Armutsgrenze. Jeder achte Bundesbürger ist arm - hat also weniger als 781 Euro netto im Monat.

Antragsfrist verlängert

Die Antragsfrist für rückwirkende Leistungen aus dem Bildungspaket für arme Familien wird bis zum 30. Juni verlängert. Die Kommunen würden die betroffenen Eltern anschreiben und dabei konkret auch die Ämter benennen, bei denen sie Bildungshilfen für ihre Kinder beantragen können. Es geht um insgesamt 2,5 Millionen Kinder von Langzeitarbeitslosen mit Hartz-IV-Leistungen, Geringverdienern mit Kinderzuschlag und Wohngeldempfängern. Auch sollten Schulen und Kitas direkt auf die Eltern zugehen. Die Regierung reagiert damit auf den schleppenden Start des Bildungspakets. 

Hartz IV ist menschenunwürdig

Heinrich Alt, seit 2002 eines von drei Vorstandsmitgliedern der Bundesagentur für Arbeit (BA), sprach am 29.4. mit dem Tagesspiegel. Für Alt hat sich Hartz IV gelohnt: „Früher wurden die Menschen alimentiert, jetzt arbeiten wir mit ihnen an ihren Problemen, wir aktivieren sie.“ Beim Regelsatz muß auch er zugegeben, dass man davon nicht menschenwürdig leben kann: „Nur Lebenskünstler können auf Dauer von 364 Euro im Monat leben. Als Überbrückung ist das vertretbar, aber auf lange Sicht ist Transferbezug menschenunwürdig.“

Flop 

Die Bürgerarbeit erwies sich bisher als kaum erfolgreich, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete - auch wegen der Ein-Euro-Jobs. 34.000 Jobs seien geplant gewesen, Ende März habe es erst knapp unter 1400 Beschäftigte dieser Art gegeben. Wegen finanzieller Bedenken hätten viele Kommunen auf den Einsatz der Bürgerarbeiter verzichtet. 

Pauschale gekürzt  

Nach einem Bericht der "Financial Times Deutschland" sollen die Träger, die Ein-Euro-Jobber beschäftigen, nur noch eine Pauschale von 150 statt derzeit maximal 500 Euro für deren sozialpädagogische Betreuung erhalten. Das gehe aus dem Entwurf für ein Gesetz zur Neuausrichtung der Arbeitsmarktinstrumente hervor. Damit wären diese Jobs für Arbeitsgeber kaum noch interessant.

Hartz IV Urteil: Rechtswidriger Ein-Euro-Job verursacht Tariflohn

Immer wieder werden Hartz IV Betroffene in sogenannte Ein-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten, AGH) gedrängt, obwohl der Arbeitgeber eigentlich eine reguläre Arbeitsstelle schaffen müsste. Nun hat das Bundessozialgericht in Kassel zu mindestens in einem Fall dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben. Wird ein Arbeitslosengeld II Bezieher durch das Jobcenter in einen Ein-Euro-Job vermittelt, der rechtswidrig, also im Sinne des Gesetzgebers nicht „zusätzlich“ ist, hat der Betroffene einen Anspruch auf einen regulären tarifrechtlichen Lohn. Allerdings wird der Lohn dann wieder als Einkommen angerechnet.
 

Hartz IV- Bezieher als Zivis 

CDU-Politiker lassen prüfen, ob Empfänger von Hartz IV-Leistungen zu gemeinnützigem Dienst an Stelle der bisherigen Zivildienstleistenden herangezogen werden können. Die CDU-Sozialexperten Carsten Linnemann und Peter Tauber haben nach Informationen der "Bild"-Zeitung bereits den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beauftragt, die rechtlichen Grundlagen für eine ersatzweise Heranziehung von Hartz IV-Beziehern zu prüfen. Der CDU-Politiker Linnemann sagte: "Es darf keine Denkverbote geben. Hartz IV-Beziehern sollte zugemutet werden können, auch in Alten-, Pflegeheimen und Krankenhäusern zu arbeiten, um mögliche personelle Engpässe zu überbrücken." 

Einsparungen bei der Arbeitsmarktpolitik 

Die Zahl der arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente sollen von derzeit 42 auf 31 verringert werden. Im Mai soll das Kabinett die konkreten Änderungen beschließen. Im ersten Jahr sollen dadurch 2,5 Milliarden Euro gespart werden, in den folgenden Jahren drei Milliarden.

Die geplanten Maßnahmen sollen „als Feigenblatt für die drastischen Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik herhalten, obwohl der Reform eine halbwegs aktuelle wissenschaftliche Grundlage fehlt“, kritisiert die arbeitsmarktpolitische Sprecher der Fraktion der Linkspartei, Sabine Zimmermann. „Die Instrumentenreform ist somit nichts anderes als Willkürpolitik der Bundesregierung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Erwerbslosen. Deren Rechtsansprüche werden abgebaut, um Einsparungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik von 20 Milliarden Euro bis 2014 umzusetzen.“ 

Tod durch Arbeit  

„Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sterben weltweit jährlich 2,3 Millionen Menschen bei Arbeitsunfällen oder durch Berufskrankheiten. Anlässlich des Welttages für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (Workers Memorial Day) am 28. April haben Gewerkschaften weltweit auf mangelnden Arbeitsschutz hingewiesen. Insgesamt verunglücken laut ILO in ihren 183 Mitgliedsländern im Jahr etwa 337 Millionen Beschäftigte während der Arbeit.... Auch die psychischen Erkrankekungen nehmen zu und dürften »von Arbeitgebern und Politik nicht länger tabuisiert werden«, erklärte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied. Allein die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen sind im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent gestiegen, seit 1999 beträgt der Anstieg 80 Prozent.“ (ND 29.4.2011)  

Bürgerarbeiter wie Leiharbeiter bezahlt 

„Die Billiglöhner können gemäß einem Beschluß des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) noch mieser bezahlt werden können als ursprünglich vorgesehen. Weil die Tätigkeiten als Leiharbeit zu entlohnen wären, sei ein erheblicher Zuwachs zu erwarten, glaubt man bei der BA. Die auf Druck der kommunalen Arbeitgeberverbände im Herbst 2010 vom BMAS getroffene Neuregelung sieht vor, die von den Kommunen einzurichtenden Stellen sogenannten Beschäftigungsgesellschaften zuzuordnen, für die der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) keine Geltung hat. Diese verleihen dann die fraglichen Beschäftigten zu schlechteren Konditionen an die Gemeinden, die damit fein raus sind und die Betroffenen faktisch zum Nulltarif ausbeuten können.
Genau dieser Kniff macht die Jobs erst richtig attraktiv. Anders als bei einer Anlehnung von »Bürgerarbeit« an den TvöD müssen die Kommunen bei der Leiharbeitsvariante die Bundeszuschüsse nicht mehr aus eigener Kasse aufstocken. Der Bund hat für das Programm 1,3 Milliarden Euro mobilisiert – aus dem eigenen Haushalt und dem Europäischen Sozialfonds. Pro Stelle beläuft sich die Bundesförderung auf 720 Euro bei 20 und 1080 Euro bei 30 Stunden Arbeit. Für die »Anlehnung« an den TvöD hätten die Kommunen 200 bis 300 Euro oben drauflegen müssen. Diese entfallen komplett, sobald von Beschäftigungsgesellschaften ausgeliehen wird, die ihre Beschäftigten mit Hungerlöhnen abspeisen.“ (JW 16.4.2011)  

Zwangsumzüge 

Die Berliner Jobcenter forderten 2009 in 8.770 Fällen Erwerbslose zur Senkung ihrer Mietkosten auf. In 3.917 Fällen wurde eine Senkung der Kosten erreicht, in 428 Fällen durch einen Wohnungswechsel. In den übrigen Fällen kommen die Erwerbslosen durch Einsparungen an anderer Stelle oder durch Untervermietung für die zusätzlichen Mietkosten auf. 

Bildhetze 

Am 18. April hetzte die Bild gegen Sanktionierte:

„2010 wurden insgesamt 828 708-mal Sanktionen gegen Stütze-Empfänger verhängt – 14 % mehr als im Jahr zuvor. Trauriger Rekord! Im Schnitt wurde jedem Betroffenen die Stütze um 114,31 Euro im Monat gekürzt – zehn Euro mehr als 2009. Ebenfalls Rekord!

• Meldeversäumnisse: In 498 504 Fällen wurden Hartz-IV-Empfänger bestraft, weil sie noch nicht einmal zu Terminen bei der Arbeitsagentur oder ihrer zuständigen Arge gekommen sind. Mit der Terminvergabe wollen die BA-Mitarbeiter prüfen, ob die Stütze-Empfänger wirklich an Arbeit interessiert sind und ob sie arbeitsfähig sind.
• Pflichtversäumnisse: 142 829 Sanktionen wurden wegen Verletzung der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung verhängt. Betroffen sind z. B. Hartz-IV-Empfänger, die keine Bewerbungen schreiben, obwohl sie sich dazu verpflichtet haben.
• Arbeitsverweigerung: 102 631 Betroffenen nahmen eine angebotene Stelle, eine Ausbildung oder einen 1-Euro-Job nicht an – angeblich unzumutbar!

• Abbrecher: 20 171 Stütze-Empfänger brachen eine Eingliederungsmaßnahme ab, kamen z. B. einfach nicht mehr zu einem Fortbildungskurs.
• Verprasser: 389 Stütze-Empfänger wurden bestraft, weil sie ihr Privatvermögen verprasst haben und deshalb mehr Hartz IV brauchten. Arbeitslose sind verpflichtet, ihr Privatvermögen zuerst für den normalen Lebensunterhalt aufzubrauchen, bevor sie Hartz IV erhalten können.“ 

Bei www.gegen-hartz.de  gefunden:  

Bildzeitung: Mit Lügen gegen Hartz IV Bezieher 

25.04.2011 / Am Osterwochenende veröffentlichte die Zeitung mit den vier großen Buchstaben einen Artikel mit der Überschrift: "Hartz-IV-Schande: So dreist sind Stütze-Empfänger" und stellte fünf vermeintliche Hartz IV Bezieher vor, die durch das Jobcenter angeblich sanktioniert wurden. Wir haben uns die Darstellungen der Zeitung genauer angeschaut und zeigen auf, dass vermutlich alle dargelegten Fälle erlogen sind, um Arbeitslosengeld II Beziehende zu diskriminieren.

Zitat: Der arbeitslose Georg M. (22) aus Hamburg-Lurup wird zum Gespräch ins Jobcenter beordert, bleibt aber ohne Entschuldigung fern. Ihm wird Hartz IV für drei Monate komplett gestrichen. 

Was die BILD verschweigt: Lt. § 31 SGB II beträgt eine Sanktion wegen Nichtmeldung lediglich 10%, es gibt keine Rechtsgrundlage für eine Komplettsanktion, auch nicht bei mehrmaliger Verletzung der Meldepflicht. Entweder lügt die BILD, oder die Sanktion war rechtswidrig. 

Zitat: Gerd H. (27), Hartz-IV-Empfänger aus Kassel zieht aus seiner Wohnung zunächst zu einem Freund, dann in eine andere Stadt, ohne die Behörden vom Umzug zu informieren. Folge: Mietzahlungen und Hartz-IV-Regelsatz werden rückwirkend vom Amt zurückgefordert, weil der Mann seiner Auskunftspflicht nicht nachkam. 

Was die BILD verschweigt: Hierbei handelt es sich klar erkennbar um keine Sanktion, sondern die Rückforderung einer Überzahlung wegen Wechsel der Zuständigkeit durch den Umzug. Hier lügt die BILD offensichtlich. 

Zitat: Aaron B. (23) aus Berlin bekommt Arbeitslosengeld II. Die Arbeitsagentur vermittelt ihm einen 1,50-Euro-Job als Möbelpacker, doch Aaron bricht ab. Strafe: 30 Prozent weniger Stütze, bis er wieder arbeitswillig ist. 

Was die BILD verschweigt: Ein 1,50-Euro-Job als Möbelpacker verstößt klar erkennbar gegen die gesetzlichen Vorschriften für 1€ Jobs, wonach ein 1€-Job keinesfalls auf dem 1. Arbeitsmarkt angesiedelt sein darf. Ein Job als Möbelpacker ist klar erkennbar unzweifelhaft eine Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt, die gegen Arbeitslohn als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wird. Dieser 1,50-Euro-Job als Möbelpacker war also klar rechtswidrig, es hätte diesen 1,50-Euro-Job gar nicht geben dürfen. Damit war der Abbruch der Maßnahme rechtlich gerechtfertigt und die Sanktion ist rechtswidrig. Außerdem steht Aaron für die Zeit, in der er als Möbelpacker gearbeitet hat, sogar eine Bezahlung nach Tariflohn zu, wie das BSG vor wenigen Tagen urteilte (B 14 AS 98/10). Aaron war also keinesfalls arbeitsunwillig, sondern hat nur einen rechtswidrigen 1,50-Euro-Job als Möbelpacker verweigert. Hier lügt die BILD also.

Zitat: Nina J. (48), arbeitslose Sekretärin aus Hamburg, lehnt eine Arbeit als Putzfrau ab. Ihr wird Hartz IV für drei Monate um 30 Prozent gekürzt. Danach nimmt sie den Job an. Sonst wären ihr weitere 30 Prozent gekürzt worden.

Was die BILD verschweigt: Wegen der Weigerung der Annahme eines konkreten Jobs kann man nur einmal (pro Job) sanktioniert werden. Hier lügt die BILD, denn eine zweite Sanktion für ein und das selbe Jobangebot ist unzulässig und wäre absolut rechtswidrig.

Zitat: Friedrich S. (41) aus Herford ist arbeitsloser Journalist und Hartz-IV-Empfänger. Stellenangebote des Jobcenters „vergisst“ er regelmäßig. Folge: Das Amt kürzt dem Alleinerziehenden für drei Monate den Regelsatz um 312 Euro.

Was die BILD verschweigt: Eine Sanktion in Höhe von 312€ aufgrund der genannten Pflichtverletzungen ist rechnerisch und rechtlich unmöglich. Die erste Sanktionsstufe beträgt bei solchen Pflichtverletzungen 30% (hier = 108€, seit 01.04.2011: 109€), die zweite 60% (hier = 216€, seit 01.04.2011: 218€). Bei der dritten Sanktionsstufe entfällt das ALG II (Regelsatz und Unterkunftskosten) komplett. Hier lügt die BILD, oder die Sanktion war rechtswidrig. 

Fazit:

Von den angeblichen 5 Sanktionen ist eine tatsächlich gar keine und mindestens 3 von den 4 Sanktionen sind unzulässig oder erlogen. Die einzige Schande, die hier vorliegt, ist die vermutlich absichtliche und vorsätzliche sowie hemmungslose Falschinformation der BILD-Leser und die damit bezweckte Hetze gegen ALG II-Empfänger. Denn lediglich eine Einzige der genannten Sanktionen (Nr. 4 der obigen Aufzählung) ist nach den von der BILD dazu genannten Fakten rechtlich zulässig gewesen. (fm)

Eine Petition, die beim Bundestag einging 

„Der Bundestag möge beschließen, dass jeder Arbeitsfähige der Grundsicherung bezieht an gesetzlichen Arbeitstagen gemeinnützige Arbeit verrichten muss, die einem normalen Arbeitstag entspricht. Bei Personen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, tritt an Stelle der Arbeitspflicht der Besuch von Sprachkursen. Unpünktlichkeit und Nichtteilnahme müssen mit Abzug beim Arbeitslosengeld II geahndet werden...“ 

Heraus zum 2. Mai!!! - 2. Mai Internationaler Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen.

13:00 Demo Senefelder Platz

Parteien von Links bis Rechts wollen die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber eigentlich werden die Arbeitslosen bekämpft. Weniger sollen sie haben, für unbezahlte Arbeit zur Verfügung stehen. Und wer Arbeit hat, der soll natürlich auch mit weniger auskommen. Alle haben das gleiche Problem: zu geringes Einkommen. Trotzdem versucht man die Menschen zu spalten, in Arbeitende und Arbeitslose. Und die Arbeitslosen in Arbeitswillige und Arbeitsscheue. Als ob nicht alle die gleichen Probleme und Bedürfnisse hätten.
Immer weniger Menschen erledigen immer mehr Arbeit. Es gibt keinen Mangel. Aber es gibt Armut. Was für ein Skandal!
Veraltete Arbeitsethik: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Jeder Mensch hat das Recht auf Essen! Arbeit entscheidet nicht über seine Existenzberechtigung.

Gegen den Zwang zu Lohnarbeit!
Gegen sinnlose Arbeit!
Leben ist kein Lohn!
Gegen die Diskriminierung Arbeitsloser

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir  von der Autorin.