Bin Laden ist tot – der US-Krieg geht weiter

von Martin Suchanek

05/11

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„Yes we can“, frohlockte Barak Obama, als er der Welt verkündete, dass der zum US-Staatsfeind Nr. 1 hochstilisierte Osama Bin Laden nunmehr tot sei.

Ursprünglich hieß es, dass ihn US-Nachrichtendienstler in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Geheimdienst in der Nähe von Islamabad ausgekundschaftet hätten. Spätere Meldungen erklärten, dass die USA ohne Konsultation mit ihrem pakistanischen Verbündeten gehandelt hätten.

Auch wenn die Wahrheit darüber wohl lange nicht ans Licht kommen wird, so spricht es doch Bände über das Verhältnis der USA zu ihrem Verbündeten Pakistan und zur Achtung von dessen „Souveränität“.

In jedem Fall ist klar, dass ein US-Spezialkommando Bin Laden zur Strecke gebracht hat.

In seiner Ansprache hat Obama darauf hingewiesen, dass er Bin Laden festnehmen und  vor ein US-Gericht bringen wollte. Der Tot des „Staatsfeinds Nr. 1“ tun dem Jubel der US-Adminstration aber keinen Abbruch, ja bietet sogar den Vorteil, dass einige Fragen nicht mehr zur Sprache kommen müssen. Wer sollte Ben Laden den Prozess machen können? Die USA, die das offenkundig als ihr „natürliches Recht“ betrachteten, ein internationaler Gerichtshof oder ein anderer Staat, der Bin Laden verfolgte? Hätte ein öffentlicher Prozess nicht auch die Verwicklung des CIA in den Aufstieg des ehemaligen US-Helfers im Afghanistan und Geschäftsverbindungen der Osama-Familien mit US-Konzernen zur Sprachen gebracht? 

Ein Sieg der Gerechtigkeit? 

Barak Obama verkündet nicht nur einem „großen Sieg für Amerika“, sondern auch für „die Gerechtigkeit“. Schließlich wäre Bin Laden „kein islamistischer Führer, sondern ein Massenmörder“ gewesen.

Deutschlands Außenminister Westerwelle erklärt die Erschießung Bin Ladens zu einer Sternstunde der „wehrhaften Demokratie“.

Der britische Regierungschef Cameron erklärt gar: „Osama Bin Laden war verantwortlich für die schlimmsten terroristischen Gräueltaten, die die Welt gesehen hat - für 9/11 und für so viele Anschläge, die Tausende Menschenleben gekostet haben, viele davon britische.”

Verglichen mit den Gräueltaten eines Bin Laden verblassen offenkundig Jahrhunderte Kolonialismus, Imperialismus, Weltkriege und Völkermord.

Zweifellos war Osama Bin Laden ein Erz-Reaktionär und Islamist, der das Mittel des individuellen Terrors gegen ZivilistInnen wählte, dessen Methoden im Kampf von jedem Kommunisten, von jedem fortschrittlichen Menschen verurteilt werden mussten. Sein „Anti-Imperialismus“ war immer untrennbar mit reaktionären politischen und sozialen Zielen verbunden – der Errichtung einer Theokratie und eines brutalen unterdrückerischen Regimes über die eigene Bevölkerung, die Arbeiterklasse, die Frauen, die Jugend. Sein „Anti-Imperialismus“ war untertrennbar mit reaktionären Kampfmethoden, mit terroristischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung im Westen wie auf „glaubensfeindliche“ Muslime verbunden. Der Kampf der Massen für ihre Befreiung spielte für ihn nie ein Rolle, ja war seiner ganzen, im Grund elitären politischen Konzeption diametral entgegengesetzt.

Und schließlich war sein „Anti-Imperialismus“ letztlich nie gegen das imperialistische Weltsystem, also gegen dessen ökonomische und politische Wurzeln gerichtet. Er zielte vielmehr auf die Errichtung eines höheren Anteils am Reichtum und am politischen Einfluss der herrschenden Klassen in der „islamischen Welt“. Der sunnitische Islamismus war ideologischer Ausdruck dieser Bestrebungen, eine Rechtfertigungsideologie, die nur notdürftig die Skrupellosigkeit der herrschenden Klassen und der oberen Mittelschichten widerspiegeln, die für ihre „Kampfziele“ den Tod tausender Lohnabhängiger billigend in Kauf nehmen. 

Die größten Terroristen sitzen anderswo 

Weltweit betrachtet waren Bin Laden und Al Kaida jedoch nur kleine Lichter am Firmament der globalen Reaktion. Genau darin besteht die Verlogenheit der bürgerlichen Medien, die den Tod Bin Ladens als Sieg der Menschheit bezeichnen. Die größten Terroristen sitzen nicht in geheimen „Terrorcamps“ oder in kleinen Verschwörergruppen.

Sie sitzen in Washington, London, Moskau, Paris oder Berlin an den Schalthebeln der Macht in den großen imperialistischen Ländern. Sie sind es, die ein System  aufrechterhalten und verteidigen, das täglich Millionen zum Hungern zwingt. Sie sind es, die im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ den Irak um Jahrzehnte zurückgebombt haben. Sie sind es, die jetzt die Ölvorkommen u.a. Reichtümer des Landes unter sich aufteilen. Sie sind es, die weiter Krieg in Afghanistan führen und das Land besetzt halten. Sie haben den Krieg auf Pakistan ausgeweitet, wo die US-Militärs regelmäßige Angriffe gegen die Zivilbevölkerung führen.

Dieselben Kräfte nutzen den Volksaufstand in Libyen, um durch militärische und diplomatische Intervention das Land unter ihre Kontrolle zu bringen – und zugleich dem Aufstand seine Spitze zu nehmen.

Sie geben ihren Verbündeten Saudi Arabien und Israel freie Hand, wenn es um die Unterdrückung eines Aufstands in Bahrain oder das Aushungern der Bevölkerung Gazas geht.

Kurzum, sie sind die wahren Terroristen der Welt. Doch von ihrem Standpunkt aus betrachtet, sind nicht bloß die Bin Ladens „Terroristen“. Für die Machthaber der imperialistischen Welt und ihre Lohnschreiber gelten alle, die sich gegen die „Segnungen“ ihrer Weltordnung zu Wehr setzen, als potentielle „Terroristen“ – seines es DemonstrantInnen, die die bahrainische Monarchie stürzen wollen, seien es PalästinenserInnen, die in demokratischer Wahl die „falsche“ Regierung wählen, seien es AfghanInnen, die gegen die imperialistische Besatzung ihres Landes und deren Marionettenregierung bewaffnet Widerstand leisten. 

Bin Laden ist tot – der „Krieg gegen den Terror“ geht weiter 

Daher findet sich in allen Reden der politischen Führer der westlichen Welt und ihrer Verbündeten neben der Betonung des geradezu „historischen Charakters“ des Todes von Bin Laden immer auch eine zweite Botschaft: Der „Krieg gegen den Terrorismus“ muss unbedingt fortgesetzt werden.

Jetzt würden Al Kaida und andere „Terrorzellen“ erst recht gefährlich, weil sie ihren Anführer rächen wollten und besonders „unbesonnene“ Unternehmungen planten.

Die deutsche Regierung spricht schon von einer Erhöhung der „Sicherheitsstufe“ und der Notwendigkeit, die Überwachung von „Terroristen“ zu verschärfen. Es geht also darum, dass auch nach Bin Ladens Tod die „Anti-Terrorgesetze“ nicht aufgehoben, sondern weiter verschärft werden. Die Einschränkung oder gar Aushebelung grundlegender demokratischer Rechte soll also fortgesetzt werden.

Zweitens muss die Öffentlichkeit darauf eingeschworen werden, dass die Kriege und Interventionen, die seit 2001 im Namen des Kampfes gegen den „Terror“ geführt werden, weiter notwendig sind. Bin Laden ist zwar tot, aber schließlich gebe es noch weitere, vielleicht sogar noch gefährlichere „Terrorzellen“ – und diese könnten sich ja in vom Imperialismus besetzte Länder „zurückziehen“, sobald die NATO, die USA oder deutsche Truppen von dort abziehen. In den Worten von Außenminister Westerwelle:

“Wir sind nicht in Afghanistan gewesen, um einen Mann zu bekämpfen, sondern wir sind in Afghanistan, weil wir verhindern wollen, dass Afghanistan wieder ein Rückzugsgebiet für den Terrorismus auf der ganzen Welt wird.”

Damit lassen sich imperialistischer Krieg und Besatzung in jedem beliebigen Land - schließlich kann ja jeder Flecken der Erde zu einem “Rückzugsgebiet” werden - je nach außenpolitischem Gusto rechtfertigen. Und auf diese Rechtfertigung, die jeder imperialistischen Macht als Vorwand für “präventive” Interventionen dient und dienen kann, will natürlich weder Obama, noch Cameron, weder Sarkozy, noch Merkel oder Putin verzichten. 

Wer bringt die Bin Ladens hervor? 

In Wirklichkeit führten die imperialistische Plünderung und der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den kapitalistischen Großmächten einschließlich der schwindenden Möglichkeiten, die Mittelschichten, ja selbst Teile der Eliten der von ihnen beherrschten Länder materiell in ihr Herrschaftssystem einzubinden, zum Anwachsen islamistischer, anti-westlicher Strömungen bis hin zu terroristischen Organisationen wie Al Kaida. Da diese Bedingungen weiter bestehen, ist der Nährboden für solche Gruppierungen weiter vorhanden.

Aber es gibt auch eine andere Bedingungen, die dazu geführt haben, dass sogar Teile der ArbeiterInnen und Bauern in den islamistischen Ländern ihre Hoffnungen nicht nur in islamische und islamistische Bewegungen, sondern auch in „heldenhafte“ einzelne AttentäterInnen setzten, welche die imperialistischen Beherrscher ihre Ländern wenigstens in Angst und Schrecken versetzen könnten.

Der Weg von Islamismus und Terrorismus wurde durch Niederlagen und die drauf folgende Demoralisierung beebnet, die selbst durch das politische Versagen von Stalinismus und Nationalismus verursacht wurden.

Doch diese „Popularität“ war und ist eine Popularität der Passivität, der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der Unterdrückten, die für sich keine Möglichkeiten zum gemeinsamen Befreiungskampf sehen. Diese Wirkung geht geschichtlich immer mit den Methoden des „individuellen Terrorismus“ einher, selbst wenn sie dazu gedacht sein sollen, die Aktivität der Massen anzustacheln. Der reaktionäre Klassencharakter von Al Kaida, Bin Laden und ihrer Schule des individuellen Terrorismus zeigt sich freilich auch darin, dass sie den Massen nie eine aktive oder gar selbständige Rolle zudachten.

Umgekehrt läutet die Geschichte den Niedergang solcher Organisation ein, wenn sich die Massen erheben und beginnen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Obama Bin Laden wurde zu einem Zeitpunkt getötet, als sein politische Zenit längst überschritten war. Die Bedrohung durch den „islamistischen Terrorismus“ – ohnedies immer eine Rechtfertigungslüge der westlichen Ausbeuter – ist längst der viel grundlegenderen und für den Imperialismus tausend Mal gefährlicheren Drohung durch die demokratische und soziale Revolution gewichen.

Die Revolutionen in Nordafrika und im Nahen Osten zeigen die wirkliche Alternative zu allen Schattierungen des Islamismus und individuellen Terrorismus – die Mobilisierung der ArbeiterInnen und Bauern, der städtischen Armut, der Jugend, der Frauen über alle religiösen Grenzen hinweg.

Diese Bewegung stellt die wirkliche Gefahr dar für die Despoten und für die imperialistische Ordnung in der gesamten Region, ja in der gesamten Welt. Sie kann nicht nur reaktionären Islamisten vom Schlage Al Kaidas den Boden entziehen, sondern auch der imperialistischen Unterdrückung und kapitalistischen Ausbeutung – und damit zu einem Fanal werden für die sozialistische Weltrevolution.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 552
2. Mail 2011


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