Das Theaterpublikum
sitzt auf Bänken und Stühlen um einen Pfeiler .Plötzlich sind
drin Stimmen zu vernehmen und gleich darauf, senkt sic h an
einer Seite eine Wand des Pfeilers. Dort laufen Schauspieler
Anna Schmidt und Martin Clausen kreuz und quer durch den Raum.
Schmidt beginnt die Geschichte als Tochter eines kommunistischen
Arbeiters zu erzählen, der beim Aufbau der Sowjetunion will,
und der großen Säuberung unter Stalin erschossen wird. Andere
Verwandte, die in Spanien gegen den Faschismus kämpften, werden
von französischen Polizisten an die Gestapo ausgeliefert. Eine
kommunistische Familiengeschichte, wie sie gar nicht so selten
im letzten Jahrhundert war, erzählt Schmidt. Ihre Figur
verbringt ihre Kindheit in einem Heim der Roten Hilfein der
Sowjetunion, kehrt nach der Niederlage des NS nach
Ostdeutschland zurück, erlebt Stalins Tod als Studentin in
Moskau, hofft auf eine Erneuerung des Sozialismus nachdem 1956
über die Verbrechen des Stalinismus gesprochen wird. Sie lebt in
der DDR, ist Mitglied der SED, wird in ihrem Haus zur Leiterin
des Hausverwaltungskomitees gewählt, weil sie auch bei
Nichtkommunisten geschätzt wird. In dieser Funktion setzt sie
sich dafür ein, dass die Hausgemeinschaft zwei Waschmaschinen
anschafft. Dabei geht es alles ganz basisdemokratisch zu und
jeder Mieter wird vorher nach seiner Meinung gefragt. Auch diese
Art von Selbstverwaltung auf unterer Ebene gehörte zur DDR, nur
wird sie heute meist verschwiegen, weil sie nicht zum
vorgefertigten DDR-Bild passt.
Die Verfolger und die Verfolgten
blieben gleich
Martin Clausen spielt
den westdeutschen Kommunisten, der aus der HitIerjugend in seine
kriegszerstörte Heimatstadt Ludwigsburg zurückkommt und im
Betrieb zufällig auf die kommunistische Betriebsgruppe trifft.
Er beginnt sich für sie zu interessieren und nach dem
Deutschlandtreffen der FDJ wird er auch Parteimitglied. Damals
hatte die Kommunistenverfolgung in Westdeutschland schon
begonnen, In dem Theaterstück wird an das Verbot einer
Volksbefragung zur Wiederbewaffnung erinnert, an zerschlagene
Demonstrationen, an den jungen Philipp Müller, der 1952 bei
einer Antimilitarismusdemonstraton von KPD und FDJ in Essen
erschossen wird. Kommunisten wandert wieder in die westdeutschen
Gefängnisse und nicht wenige, der Polizisten, die sie verhaften,
hatten eine steile NS-Karriere hinter sich und auch dort schon
Linke verfolgt.
Auch dies ist eine
kommunistische Familiengeschichte in Deutschland im letzten
Jahrhundert. Stellenweise erinnern die Dialoge an das
Monumentalwerk von Peter Weiss „Ästhetik des Widerstands“ und
Bini Adamczaks beeindruckende Trauerarbeit einer
Kommunistin „Gestern morgen“. Sparsam wird einige Mal auch mit
kurzen Videofilmen gearbeitet, so bei dem informativen Exkurs in
die linke Architekturgeschichte. Am stärksten ist das
Theaterstück dort, wo es um diese kommunistische
Familiengeschichte geht.
Vierte Welt im
Herzen Kreuzbergs
An einigen Stellen droht
sich der Dialog in Allgemeinplätzen zu verlieren, so wenn die
weibliche Figur lamentiert, dass bei Marx die Diktatur schon
angelegt war und dafür ausgerechnet das Schwarzbuch
Kommunismus herhalten muss. Doch diese Abirrungen sind selten
und können am Gesamturteil nichts ändern: das Theaterstück
ist zu empfehlen. Dazu trägt neben dem Thema und der Leistung
der Schauspieler nicht zuletzt auch der Aufführungsort bei.
Der Theaterraum Viertel Welt ist ein zwischengenutztes
Ladenlokal in der ersten Etage Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ),
direkt am Kottbusser Tor. Durch die
großen Fenster kann man das Kreuzberger Leben betrachten und
manchmal ist das Stimmenwirrwarr draußen lauter als die Dialoge
der Schauspieler. Einen besseren Ort und eine bessere Zeit für
das Gespräch der beiden alten Kommunisten dürfte es kaum geben.
Editorische Anmerkungen
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