Filmrezension: Eine kommunistische Familiengeschichte

von Peter Nowak

05/11

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Das Theaterpublikum sitzt auf Bänken und Stühlen um einen Pfeiler .Plötzlich sind  drin Stimmen zu vernehmen und gleich darauf, senkt sic h an einer Seite eine Wand des Pfeilers. Dort laufen Schauspieler   Anna Schmidt und Martin Clausen kreuz und quer durch den Raum. Schmidt beginnt die Geschichte als Tochter eines kommunistischen Arbeiters zu erzählen, der beim Aufbau der Sowjetunion will, und  der großen Säuberung unter Stalin erschossen wird. Andere Verwandte, die in Spanien gegen den Faschismus kämpften, werden von französischen Polizisten an die Gestapo ausgeliefert. Eine kommunistische Familiengeschichte, wie sie gar nicht so selten im letzten Jahrhundert war, erzählt Schmidt. Ihre Figur verbringt ihre Kindheit in einem Heim der Roten Hilfein    der Sowjetunion, kehrt nach der Niederlage  des NS nach Ostdeutschland  zurück, erlebt  Stalins Tod als Studentin in  Moskau, hofft auf eine Erneuerung des Sozialismus nachdem 1956 über die Verbrechen des Stalinismus gesprochen wird. Sie lebt in der DDR,  ist Mitglied der SED, wird in ihrem Haus zur Leiterin des Hausverwaltungskomitees gewählt,  weil sie auch bei Nichtkommunisten geschätzt wird.  In dieser Funktion setzt sie sich dafür ein, dass die Hausgemeinschaft zwei Waschmaschinen anschafft. Dabei geht es alles ganz basisdemokratisch zu und jeder Mieter wird vorher nach seiner Meinung gefragt. Auch diese Art von Selbstverwaltung auf unterer Ebene gehörte zur DDR, nur  wird sie heute meist verschwiegen, weil sie nicht zum vorgefertigten DDR-Bild passt.

Die Verfolger und die Verfolgten blieben gleich 

Martin Clausen spielt den westdeutschen Kommunisten, der aus der HitIerjugend in seine kriegszerstörte Heimatstadt Ludwigsburg zurückkommt und im Betrieb zufällig auf die kommunistische Betriebsgruppe trifft. Er beginnt sich für sie zu interessieren und nach dem Deutschlandtreffen der FDJ wird er auch Parteimitglied. Damals hatte die Kommunistenverfolgung in Westdeutschland schon begonnen, In dem Theaterstück wird an das Verbot einer Volksbefragung zur Wiederbewaffnung erinnert, an zerschlagene Demonstrationen, an den jungen Philipp Müller, der 1952 bei einer Antimilitarismusdemonstraton von KPD und FDJ in Essen erschossen wird. Kommunisten wandert wieder in die westdeutschen Gefängnisse und nicht wenige, der Polizisten, die sie verhaften, hatten eine steile NS-Karriere hinter sich und auch dort schon Linke verfolgt.       

 Auch dies ist eine kommunistische Familiengeschichte in Deutschland im letzten Jahrhundert. Stellenweise erinnern die Dialoge an das Monumentalwerk von  Peter Weiss  „Ästhetik des Widerstands“ und Bini Adamczaks    beeindruckende Trauerarbeit  einer Kommunistin  „Gestern morgen“.  Sparsam wird einige Mal auch mit kurzen Videofilmen gearbeitet, so bei dem informativen Exkurs in die linke Architekturgeschichte.  Am stärksten ist das Theaterstück dort, wo es um diese kommunistische   Familiengeschichte geht. 

Vierte Welt im Herzen  Kreuzbergs

An einigen Stellen droht sich der Dialog in Allgemeinplätzen zu verlieren, so wenn die weibliche Figur  lamentiert, dass bei Marx die Diktatur schon angelegt war und dafür ausgerechnet das Schwarzbuch Kommunismus herhalten muss.  Doch diese Abirrungen sind selten und können am Gesamturteil nichts ändern: das Theaterstück ist zu empfehlen.  Dazu trägt neben dem Thema und der Leistung der Schauspieler  nicht zuletzt auch der  Aufführungsort bei.  Der Theaterraum Viertel Welt ist ein zwischengenutztes Ladenlokal in der ersten Etage Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ), direkt am Kottbusser Tor. Durch die großen Fenster  kann man das Kreuzberger Leben betrachten und manchmal ist das  Stimmenwirrwarr draußen lauter als die Dialoge der Schauspieler.  Einen besseren Ort und eine bessere Zeit für das Gespräch der beiden alten Kommunisten dürfte es kaum geben.

Editorische Anmerkungen

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