Nazis in permanenter Notwehr
J. Fülberths Buch »… wird mit Brachialgewalt durchgefochten«

besprochen von
Peter Nowak

05/11

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onlinezeitung

Die Silvesterfeier des sozialdemokratischen Sängerbundes im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg endete am 1.Januar 1931 in einem Blutbad. NS-Anhänger eins nahen SA-Sturmlokals überfielen ihre politischen Kontrahenten und erschossen zwei junge Männer. Die Bluttat hatte damals große Empörung bei NS-Gegnern ausgelöst. Es kam zu einer spontanen Einheitsfront von unten, als Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam das Sturmlokal belagerten, von dem Überfall ausgegangen war. Der Berliner Politikwissenschaftler hat diesen heute fast vergessenen Fall in seinen kürzlich im Papy Rossa Verlag erschienenen Buch „wird mit Brachialgewalt durchgefochten“ wieder bekannt gemacht. Insgesamt 18 gewaltsame politische Konflikte in Berlin im Zeitraum zwischen 1929 und 1933 hat er dort untersucht. Neben einer kurzen Darstellung in der er Hintergründe untersucht er auch das Presseecho, die politischen und vor allem die juristischen Folgen. Dabei hat er überzeugend den auch noch heute nachwirkenden Geschichtsmythos widerlegt, dass die Weimarer Republik an den Gewalttaten rechter und linker Extremisten untergegangen sei.

Er zeigt auf, dass die NS-Bewegung vor allem in den roten Arbeitervierteln mit ihren Terror Angst und Schrecken verbreiten wollte. Die Errichtung von Sturmlokalen an zentralen Orten war ein wichtiger Teil dieser Strategie. Dagegen wehrten sich antifaschistische Jugendgruppen, die oft eher lose mit der kommunistischen Bewegung verbunden waren und durchaus Symbole und Aktionen wählten, die auch heute noch in de Antifabewegung bekannt sind. Dazu gehört die Bekanntmachung von NS-Lokalen und die Forderung nach deren Schließung oder das Outing von Nazis im Stadtteil. Manche der Gruppen trugen Namen wie Lustig Blut oder „Wo wir Nazis sehen, da jibs Kleinholz“. Ihre Politisierung war sehr unterschiedlich. Während manche der lose organisierten Nazigegner bei der Polizei Aussagen machten, wenn sie angeklagt wurden, haben sich andere Jungantifaschisten politisch verteidigt. „Wenn sich junge Antifaschisten gegen Nationalsozialisten, um ihr Leben zu schützen, so sind sie noch lange keine Terrorbanden“, erklärt ein Angeklagter Jungkommunist im Juli 1932.

Fülberth zeigt auf, dass linke Angeklagte meist mit hohen Haftstrafen belegt wurden, während NS-Tätern fast immer Notwehr zugebilligt wurde. So wurde der NS-Standartenführer Georg Kuntze, der den jungen Kommunisten und NS-Standartenführer Ernst Nathan, der ihn im März 1931 wegen seiner SA – Uniform zur Rede stellten wollte, mit einem Bauchschuss tötete, wegen Verletzung des Waffengesetzes zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Weil Kuntze „permanent in Angst und Schrecken“ vor Überfällen der Kommunisten lebte, habe er in Notwehr überreagiert, erklärte der Richter zur Begründung. Nachdem im Januar 1932 ein SA-Trupp eine als links bekannte Laubenkolonie im Wedding überfallen hatte und dabei ein Linker und ein Rechter getötet wurden, ermittelte die Justiz hauptsächlich gegen die Laubenbewohner. Während die Nazis nach 88 Prozesstagen in einem Verfahren, das von einer großen Kampagne der Roten Hilfe begleitet und von linken Anwälten geführt worden, aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden, mussten zwei Laubenbewohner 6 Monate in Haft, weil sie Fahrräder der Nazis an sich genommen hatten.

Fast alle Richter konnten auch im Nationalsozialismus weiter Recht sprechen und fast alle NS-Täter setzten ihre Arbeit im NS-System fort. Einen Großteil der linken Angeklagten, deren weitere Biographie der Autor recherchieren konnte, erwartete nach 1933 erneute Verfolgung und KZ-Haft und einige, die sich weiter am antifaschistischen Widerstand beteiligt hatten, starben in Plötzensee unter dem Fallbeil.
 

Johannes Fülberth
»… wird mit Brachialgewalt durchgefochten« 
Bewaffnete Konflikte mit Todesfolge vor Gericht
Berlin 1929 bis 1932/1933

Köln 2011, Papy Rossa-Verlag
154 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-89438-462-3