Auch Merkel kann mal recht haben. Die
Freude über Bin Ladens Ende solle eigentlich bei allen Menschen
eine Selbstverständlichkeit sein, die noch für eine
emanzipatorische Welt kämpfen. Menschen, die sich darüber
freuen, wenn irgendwelchen Lokalfaschisten das Handwerk gelegt
wird, müssten eigentlich erkennen, dass Bin der Kopf einer
Gruppe war, die sich zu einer globalen faschistischen Politik
bekannte. Ich will dabei gar nicht spekulieren, welche Rolle Bin
Laden bei Al Quaida spielte und ob er persönlich über alle
Aktionen der Islamisten informiert war. Ich nehme mir die Videos
zur Grundlage, auf denen Bin Laden die Al Quaida-Politik
weltweit verteidigte. Ich glaube nicht daran, dass diese Videos
das Produkt einer amerikanischen Verschwörung sind und die
islamistische Communite übrigens auch nicht, sonst wären dort
nicht Bin Ladens Reden so beliebt gewesen. Wenn ich nun diese
Erklärungen zur Grundlage nehme, hat sich Bin Laden für eine
Gruppe eingesetzt, die in sämtlichen Punkten gegen die
Emanzipation steht. Frauenrechte, Behandlung von Minderheiten,
von Linken, der blindwütige Terror gegen alle, die gerade zum
falschen Zeit am falschen Ort waren, in New York, aber auch in
den U-Bahnen von London und Madrid sind Kennzeichen der
strukturell faschistischen Bewegung. Und trotzdem hat man in
Deutschland manchmal den Eindruck, manche sich links nennend
Menschen sehen in Bin Laden einen Nachfolger von Che Guevara. Da
wird in höchsten Tönen sein Tod betrauert und alle
Menschenrechtsparagraphen aufgezählt, die im nicht gewährt
worden sind. Höhepunkt dieser Heuchelei ist die Anzeige, die der
Hamburger Richter Lutz Uthmann gegen Merkel gestellt hat, weil
sie sich über Bin Ladens Tod freut. Manche werden diesen
furchtbaren Richter noch für einen fortschrittlichen Menschen
halten und er sich selber vielleicht auch.
Furchtbarer Richter tritt in Aktion
Wegen öffentlicher Billigung eines
vorsätzlichen Tötungsdelikts, strafbar gemäß Paragraf 140 des
Strafgesetzbuches (StGB) hat Uthmann Merkel angezeigt und ihre
Äußerung über die Freude vom Tod Bin Ladens "als abseits aller
Werte" bezeichnet. Dass trifft aber eher auf Uthmann und viele
andere zu, die sich in den letzten Tagen so vehement als Bin
Ladens Anwälte aufgetreten sind. Man kann durchaus bedauern,
dass es nicht gelungen ist, ihm den Prozess zu machen.
Schließlich hat das Eichmann-Verfahren gezeigt, dass hier
wichtige Impulse für den Kampf gegen NS-Faschismus und
Antisemitismus und die Demontage der NS-Ideologie geleistet
wurde. Aber ich kenne die genauen Umstände der Aktion gegen Bin
Laden nicht und weiß daher nicht, wie realistisch eine
Verhaftung gewesen wäre. Denen, die jetzt Bin Ladens Tod
bedauern, geht es auch größtenteils nicht darum, dass sie
bedauern, dass ein Prozess nicht weitere Aufklärung über den
Islamismus hätte liefern können. Sie sind schlicht sauer, dass
die USA sich eines ihrer Todfeinde erwehren konnte und
vergessen, dass es sich um einen Todfeind von emanzipatorischen
und linken Bewegungen weltweit handelte. Natürlich kann man
davon träumen, ein kommunistisches Guerillakommando nimmt Bin
Laden ins Visier. Realistisch wäre es wohl eher so gewesen, dass
manche real existierende Kommunisten eher Bin Laden geschützt
als beseitigt hätte. Auch der Ablauf der Aktion kann, zumindest
von den Resultaten her, kaum Gegenstand linker Kritik sein. Es
wurde gerade kein Massaker angerichtet mit vielen unbeteiligten
Toten.
Erinnerung an deutschen Herbst
Wenn man sich die bundesdeutsche
„Terrorfahndung“ in den 70er Jahren mit den vielen
Kollataralschäden anguckt, muss sich eher über darüber wundern,
wie glimpflich doch die Aktion in Pakistan ablief. Hier wird
auch die deutsche Heuchelei der letzten Tage besonders deutlich.
Im deutschen Herbst wünschen nicht nur Aktivbürger sondern auch
amtierende Politiker aller staatstragenden Parteien den
RAF-Mitgliedern und was sie dafür hielten den Tod. Wer daran
erinnerte, dass auch Stadtguerillamitglieder Menschenrechte
haben, war bald selber als Sympathisant verschrien. Im
Unterschied zu Al Quaida propagierte die RAF nicht Anschläge in
U-Bahnen und hatte auch nicht den Tod Tausender Menschen
verschuldet. Heute, wo sich die RAF längst aufgelöst hat, gibt
es immer noch Gruppen, die den Volkszorn erzeugen. Man brauche
nur die Reaktionen verfolgen, die es in einigen Gegenden gab,
wenn bekannt wird, dass ehemalige Strafgefangene nach Verbüßung
ihrer Strafe dorthin ziehen wollen. Es ist nicht bekannt, dass
Richter hier Anzeigen erstattet haben, wenn Äußerungen gefallen
sind, die den Tod von Menschen rechtfertigen. Da braucht es
schon Typen vom Kaliber Bin Ladens, um das nur schlecht getarnte
Ressentiment herauszukitzeln. Und das geht dann durch als
liberal und gutmenschlich. In Wirklichkeit trauern manche nur,
dass die USA einen Feind verloren hat.