Dominique Strauss-Kahn: Der Retter stürzt ab

von Bernard Schmid

05/11

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Von hoch oben stürzte er ab. Viele Beobachter sahen die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich in nunmehr elf Monaten schon als quasi gelaufen an und meinten, der Gewinner stehe schon fest - bis zu Anfang dieser Woche. 

Überwältigend erschienen ihnen bis dahin die Wahlchancen des wirtschaftsliberalen Sozialdemokraten Dominique Strauss-Kahn, der in den Umfragen tatsächlich anführte. Dabei war „DSK“, wie er in Frankreich seit längerem nur noch genannt wurde, jedoch seit Jahren die Sphinx der französischen Innenpolitik: Er äuberte sich nicht zu landesspezifischen Fragen, unter Berufung auf die Pflicht zur politischen Zurückhaltung, die ihm als internationalem hohem Beamten auferlegt sei. Würde er sich zu präzisen politischen Fragen äubern oder gar erkennbare Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur in Frankreich erkennen lassen, so argumentierten seine Unterstützer, verlöre er seinen Job als Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, den er seit Herbst 2007 innehatte. 

Je lauter er schwieg, desto populärer wurde er. Denn vielfach wurde er in der Medien als der wunderbare Retter präsentiert, der, wenn das Schweigegelübde erst einmal gebrochen und die Rückkehr nach Frankreich eingeleitet sei, die Wirtschaftskrise lösen und alles wieder gut werden lasse. „Sozial“ und „ein solide wirtschaftender Finanzmanager“ zugleich, mit seinen grauen Haaren scheinbar schon mit den Symbolen der Altersweisheit ausgestattet, sollte der 62jährige die Mischung aus Linderung der sozialen Not, Schuldenabbau und kapitalistischem Wachstum hinbekommen. 

Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus. Vielfach war „DSK“ als ordinärer Lobbyist einschlägiger Wirtschaftskreise tätig gewesen. Etwa 1993, als er den Cercle de l’industrie gegründet, einen Lobbyistenclub der französischen Wirtschaft bei den EU-Institutionen in Brüssel. Damals war er Oppositionspolitiker. Als 1997 die französische Sozialdemokratie an die Regierung zurückkam, wurde er Wirtschafts- und Finanzminister. Doch im November 1999 musste er vom Amt zurücktreten, weil er bis über beide Ohren in eine Affäre verwickelt war, welche die Selbstbedienung sozialdemokratischer Funktionäre bei einer Krankenkasse mit Rüstungsexportlobbyismus vermengte. Zwei Jahre später wurde er jedoch vom Vorwurf strafbaren Verhaltens freigesprochen.  

Am 28. Juni 11 hätte Strauss-Kahn nun verkünden sollen, ob er definitiv zur französischen Wahl kandieren würde oder nicht - auf die Gefahr hin, beim IWF gekündigt zu werden.  Auf diese Weise hätte er von seiner Wolke heruntersteigen müssen. Nun ist es noch schneller gegangen, denn er ist von ihr abgestürzt.

 „Vergewaltigungsversuch“, „sexuellen Nötigung“, „Freiheitsberaubung“ lauten die Vorwürfe, aufgrund derer DSK am Wochenende am John F. Kennedy-Airport in New York festgenommen wurde und die durch eine 32jährige Hotelangestellte – die aus Westafrika stammende Nafissatou Diallo - gegen ihn erhoben werden. Niemand, der o. die sich in der französischen Politikerszene auskennt, war wirklich überrascht über die Nachricht: DSK eilte seit Jahren ein Ruf als „Sexbesessener“, der in dieser Hinsicht kaum Rücksicht auf Verluste nimmt, voraus. Sicherlich hat die Ausübung von Macht an „hoher Stelle“ in den letzten dreieinhalb Jahren (beim IWF) dabei keinen bessernden oder mildernden Einfluss auf ihn genommen.

Nachzulesen war es sogar ziemlich deutlich in dem 2006 in Frankreich publizierten Buch ,Sexus politicus’, was dennoch nicht dazu führte, dass  die Medien den Mantel des Schweigens – welcher gegenüber der Öffentlichkeit, nicht jedoch innerhalb des journalistischen Milieus darüber gebreitet blieb – von den Umtrieben des DSK genommen und gelüftet hätten. Nur wurden solche störenden „Details“ aus dem Leben eines prominenten, ja führenden Politikers bislang in Frankreich – völlig anders als in den USA – im Namen der „Staatsräson“ durch Politikerkollegen, aber eben auch durch die Justiz total unter dem Deckel gehalten. Erst jetzt erfuhr die breite Öffentlichkeit, dass bereits seit dem Jahr 2002 in Frankreich der Vorwurf eines Vergewaltigungsversuchs an einer jungen (inzwischen 30jährigen) Schriftstellerin gegen DSK im Raum hing. Nunmehr erwägt die junge Dame, doch noch ihre Strafanzeige zu erstatten, die sie bis dahin zurückhielt. 

Sollte Strauss-Kahn nicht schnell durch die US-Justiz weißgewaschen werden, und danach sieht es derzeit nicht aus, dürfte seine Karriere ein jähres Ende finden. Am kommenden Freitag, den 20 .Mai entscheidet ein Geschworenengericht darüber, ob er bis zu einem Prozess in Untersuchungshaft bleibt oder nicht.  

Ausführlicheres folgt.

Editorische Anmerkungen

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