Von hoch oben
stürzte er ab. Viele Beobachter sahen die nächste
Präsidentschaftswahl in Frankreich in nunmehr elf Monaten
schon als quasi gelaufen an und meinten, der Gewinner stehe
schon fest - bis zu Anfang dieser Woche.
Überwältigend erschienen
ihnen bis dahin die Wahlchancen des wirtschaftsliberalen
Sozialdemokraten Dominique Strauss-Kahn, der in den Umfragen
tatsächlich anführte. Dabei war „DSK“, wie er in Frankreich seit
längerem nur noch genannt wurde, jedoch seit Jahren die Sphinx
der französischen Innenpolitik: Er äuberte
sich nicht zu landesspezifischen Fragen, unter Berufung auf die
Pflicht zur politischen Zurückhaltung, die ihm als
internationalem hohem Beamten auferlegt sei. Würde er sich zu
präzisen politischen Fragen äubern
oder gar erkennbare Ambitionen auf eine
Präsidentschaftskandidatur in Frankreich erkennen lassen, so
argumentierten seine Unterstützer, verlöre er seinen Job als
Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) in
Washington, den er seit Herbst 2007 innehatte.
Je lauter er schwieg,
desto populärer wurde er. Denn vielfach wurde er in der Medien
als der wunderbare Retter präsentiert, der, wenn das
Schweigegelübde erst einmal gebrochen und die Rückkehr nach
Frankreich eingeleitet sei, die Wirtschaftskrise lösen und alles
wieder gut werden lasse. „Sozial“ und „ein solide
wirtschaftender Finanzmanager“ zugleich, mit seinen grauen
Haaren scheinbar schon mit den Symbolen der Altersweisheit
ausgestattet, sollte der 62jährige die Mischung aus Linderung
der sozialen Not, Schuldenabbau und kapitalistischem Wachstum
hinbekommen.
Die Wirklichkeit sah
natürlich anders aus. Vielfach war „DSK“ als ordinärer Lobbyist
einschlägiger Wirtschaftskreise tätig gewesen. Etwa 1993, als er
den Cercle de l’industrie gegründet, einen
Lobbyistenclub der französischen Wirtschaft bei den
EU-Institutionen in Brüssel. Damals war er Oppositionspolitiker.
Als 1997 die französische Sozialdemokratie an die Regierung
zurückkam, wurde er Wirtschafts- und Finanzminister. Doch im
November 1999 musste er vom Amt zurücktreten, weil er bis über
beide Ohren in eine Affäre verwickelt war, welche die
Selbstbedienung sozialdemokratischer Funktionäre bei einer
Krankenkasse mit Rüstungsexportlobbyismus vermengte. Zwei Jahre
später wurde er jedoch vom Vorwurf strafbaren Verhaltens
freigesprochen.
Am 28. Juni 11 hätte
Strauss-Kahn nun verkünden sollen, ob er definitiv zur
französischen Wahl kandieren würde oder nicht - auf die Gefahr
hin, beim IWF gekündigt zu werden. Auf diese Weise hätte er von
seiner Wolke heruntersteigen müssen. Nun ist es noch schneller
gegangen, denn er ist von ihr abgestürzt.
„Vergewaltigungsversuch“, „sexuellen Nötigung“,
„Freiheitsberaubung“ lauten die Vorwürfe, aufgrund derer DSK am
Wochenende am John F. Kennedy-Airport in New York festgenommen
wurde und die durch eine 32jährige Hotelangestellte – die aus
Westafrika stammende Nafissatou Diallo - gegen ihn erhoben
werden. Niemand, der o. die sich in der französischen
Politikerszene auskennt, war wirklich überrascht über die
Nachricht: DSK eilte seit Jahren ein Ruf als „Sexbesessener“,
der in dieser Hinsicht kaum Rücksicht auf Verluste nimmt,
voraus. Sicherlich hat die Ausübung von Macht an „hoher Stelle“
in den letzten dreieinhalb Jahren (beim IWF) dabei keinen
bessernden oder mildernden Einfluss auf ihn genommen.
Nachzulesen war es sogar
ziemlich deutlich in dem 2006 in Frankreich publizierten Buch
,Sexus politicus’, was dennoch nicht dazu führte,
dass die Medien den Mantel des Schweigens – welcher gegenüber
der Öffentlichkeit, nicht jedoch innerhalb des journalistischen
Milieus darüber gebreitet blieb – von den Umtrieben des DSK
genommen und gelüftet hätten. Nur wurden solche störenden
„Details“ aus dem Leben eines prominenten, ja führenden
Politikers bislang in Frankreich – völlig anders als in den USA
– im Namen der „Staatsräson“ durch Politikerkollegen, aber eben
auch durch die Justiz total unter dem Deckel gehalten. Erst
jetzt erfuhr die breite Öffentlichkeit, dass bereits seit dem
Jahr 2002 in Frankreich der Vorwurf eines
Vergewaltigungsversuchs an einer jungen (inzwischen 30jährigen)
Schriftstellerin gegen DSK im Raum hing. Nunmehr erwägt die
junge Dame, doch noch ihre Strafanzeige zu erstatten, die sie
bis dahin zurückhielt.
Sollte Strauss-Kahn
nicht schnell durch die US-Justiz weißgewaschen
werden, und danach sieht es derzeit nicht aus, dürfte seine
Karriere ein jähres Ende finden. Am kommenden Freitag, den 20
.Mai entscheidet ein Geschworenengericht darüber, ob er bis zu
einem Prozess in Untersuchungshaft bleibt oder nicht.
Ausführlicheres folgt.
Editorische Anmerkungen
Wir erhielten den Artikel vom Autor.