Der Fetischcharakter der
Ware und des Geldes (1)
Das Wort "Fetisch" stammt
aus der Ethnologie, der Wissenschaft, die sich mit der
Erforschung des Lebens primitiver Völker beschäftigt.
Diese Forschungen zeigen, daß die primitiven Völker
noch kein Bewußtsein von ihren gesellschaftlichen und
natürlichen Lebensbedingungen haben. Da sie z.B. eine
gute Ernte nicht als Resultat ihrer eigenen Arbeit,
d.h. der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur
begriffen, glaubten sie an das Wirken übermenschlicher
Kräfte. Diese primitiven Völker meinten, die
unbegriffenen Mächte der Natur dadurch beeinflussen zu
können, daß sie ihre eigenen gesellschaftlichen
Produkte als Götzen anbeteten. Die Resultate ihrer
eigenen Tätigkeit bekamen so magische Kräfte
zugeschrieben. Im Bewußtsein dieser Menschen erhielten
so die leblosen Dinge menschliche oder übermenschliche
Fähigkeiten und wurden zum Fetisch.
Den Mechanismus, daß die
von den Menschen gemachten Produkte übernatürliche
Fähigkeiten anzunehmen scheinen, findet Marx in der
Waren produzierenden Gesellschaft wieder. Hier bilden
die Naturkräfte kein Geheimnis mehr. Trotzdem erhalten
in der Waren produzierenden Gesellschaft die
Arbeitsprodukte einen Fetischcharakter. Um diesen
Fetischcharakter der Ware zu begreifen, müssen wir uns
die spezifisch gesellschaftliche Form der Waren
produzierenden Gesellschaft nochmals verdeutlichen.
Grundlage allen
menschlichen Zusammenlebens ist die Notwendigkeit der
arbeitsteiligen Produktion und der daraus folgenden
Verteilungsform der Produkte. In welcher Weise
produziert wird und in welcher Form die hergestellten
Produkte verteilt werden, unterscheidet die
verschiedenen Gesellschaftsformen. Bevor wir den
Fetischcharakter der Ware aus der spezifisch
gesellschaftlichen Form der Produktion ableiten, wollen
wir zur Illustration andere Gesellschaftsformen mit der
Waren produzierenden Gesellschaft vergleichen.
Betrachten wir zunächst
das gesellschaftliche Verhältnis zwischen dem
mittelalterlichen Fronherrn und dem Leibeigenen. Hier
bilden die persönlichen Ab-hängigkeifsverhältnisse die
geselIschaftliche Grundlage. Die Abhängigkeit des
Leibeigenen vom Grundherrn hat zur Folge, daß der
Leibeigene ein bestimmtes Quantum Arbeit im Dienst
seines Herrn verausgaben muß. Erarbeitet drei Tage in
der Woche auf dem Acker des Fronherrn und die
restlichen Tage auf seinem eigenen Acker für sich und
seine Familie. Die gesellschaftlichen
Produktionsverhältnisse sind hier für die Menschen
durchschaubar, weil ihre Abhängigkeit voneinander als
persönliche Abhängigkeit offen zu Tage tritt.
Ein anderes Beispiel
bildet die selbständige Bauernfamilie, die nur für den
eigenen Bedarf produziert. Die notwendigen Arbeiten
verteilen sich auf die Familienmitglieder, wodurch die
individuellen Arbeitskräfte als gemeinsame Arbeitskraft
der Familie wirken. Obwohl zwischen den
Familienmitgliedern Arbeitsteilung herrscht, werden die
Arbeitsprodukte nicht zu Waren. Jedes Familienmitglied
erhält einen Anteil der von der Familie produzierten
Lebensmittel . Die gesellschaftlichen Beziehungen
bleiben auch hier für alle Beteiligten durchsichtig.
Die individuelle Arbeit ist unmittelbar Teil der
gesellschaftlichen Arbeit. Produktion und Verteilung
der Produkte bilden für niemand ein Geheimnis.
In der Waren
produzierenden Gesellschaft, in der nicht nur
arbeitsteilige Produktion herrscht, sondern
Privatbesitz an den Produktionsmitteln hinzukommt,
fällt die in der Bauemfamilie unmittelbare Einheit von
individueller und gesellschaftlicher Arbeit
auseinander. Der Privatbesitz an Produktionsmitteln
bewirkt, daß jeder Warenproduzent isoliert von den
anderen produziert. So weiß der einzelne Produzent
nicht, was, wieviel und in welcher Zeitdauer die
anderen Produzenten in der Gesellschaft produziert
haben. Indem die Privatproduzenten ihre
verschiedenartigen Produkte miteinander austauschen,
stellt sich heraus, ob ihre Privatarbeif Teil der
Gesamtarbeit der Gesellschaft ist: Erst wenn der
Austausch gelungen ist, zeigt sich, daß die konkrete
Privatarbeif Teil der für die Gesellschaft notwendigen
und nützlichen Gesamfarbeif ist. Die Warenproduzenten
kennen diesen gesellschaftlichen Zusammenhang zwar
nicht, aber sie sind ihm unterworfen und müssen
dementsprechend handeln.
Schon in der einfachen
Wertform, wo sich die Waren noch nicht gegen Geld
austauschen, sondern eine spezifische Ware sich in
Beziehung zu einer anderen spezifischen Ware befindet,
tritt der Fetischcharakter der Ware hervor. In der
Gleichung 2 Stühle = 1 Mantel stehen sich zunächst nur
zwei Gebrauchswerte gegenüber, die aber durch ihre
besondere Beziehung in der Gleichung verschiedene
Funktionen übernehmen. Der Mantel übernimmt durch seine
Stellung in der Gleichung die Funktion, den Wert der 2
Stühle auszudrücken. Im realen Austausch stehen sich
nur Gebrauchswerte gegenüber. Der Wert einer Ware kann
deshalb im Austausch auch nur in einem Gebrauchswert
ausgedrückt werden. Soll in der Gleichung der Wert der
Stühle ausgedrückt werden, so wird ihnen der Mantel
gegenübergestellt. Die Frage: "Was sind zwei Stühle
wert" wird beantwortet mit: "Sie sind einen Mantel
wert". Hier drückt also ein bestimmtes Quantum eines
besonderen Gebrauchswerts den Wert der Stühle aus. Dies
kann der Gebrauchswert Mantel nur, weil Stühle und
Mantel beide gesellschaftliche Arbeit enthalten, was
aber an beiden nicht sichtbar ist. Der Gebrauchswert
Mantel scheint vielmehr aufgrund seiner natürlichen
Eigenschaften als Gebrauchswert austauschbar zu sein.
Für die beteiligten Warenbesitzer scheinen die Waren
sich also aufgrund irgendwelcher geheimnisvoller
Natureigenschaften auszutauschen. Die Produkte
der menschlichen Arbeit erhalten so scheinbar ein
Eigenleben. Diesen Zustand, daß die Dinge, die die
Menschen selbst geschaffen haben, eine Eigenbewegung
entwickeln und Macht über die Menschen gewinnen, nennt
Marx den Fetischcharakter der Ware.
Dieser Fetischcharakter
verstärkt sich noch, wenn nicht mehr zwei Stühle direkt
gegen einen Mantel ausgetauscht werden, sondern wenn es
zur gesellschaftlichen Gewohnheit geworden ist, die
Waren gegen Geld (Goldgeld oder Papiergeld)
auszutauschen. Ein bestimmtes Edelmetall oder bloß
bedruckte Papierzettel scheinen nun die magischen
Fähigkeiten zu haben, alle Waren kaufen zu können. Und
zwar scheinen sie diese Fähigkeiten gerade als
Gebrauchswerte zu haben, als einfaches Stück Metall und
bloßer Fetzen Papier.
Die Warenproduzenten
erkennen jetzt überhaupt nicht mehr, daß das Geld nur
die allgemeine Ware, das allgemeine Äquivalent ist,
also der Ausdruck von abstrakt-menschlicher Arbeit. Es
ist völlig verdeckt, daß das Kaufen und Verkaufen mit
Hilfe von Geld nichts anderes ist, als das besondere
gesellschaftliche Verhältnis der vereinzelten
Warenproduzenten zueinander: Weil die Warenproduzenten
nicht gemeinsam produzieren, müssen sie alle
miteinander konkurrierend hinter dem Geld herlaufen.
So sind sie zwar scheinbar voneinander unabhängig, aber
allesamt abhängig vom Geld. Das Geld beherrscht als
Fetisch die ganze Gesellschaft: "Gold und Geld regiert
die Welt".
Als Privatbesitzer von
Produktionsmitteln plant jeder Warenproduzent nur für
sich selbst, und muß daher für einen ungeplanten,
anonymen Markt produzieren. Da die Menschen ihre
Produktion nicht gemeinsam und bewußt planen, tritt
ihnen ihr eigenes Produkt als fremde Macht auf dem
Markt gegenüber. Der Austauschprozeß erscheint als ein
Prozeß zwischen den Waren, als Beziehung zwischen
bloßen Dingen. Die Beziehung der Waren zueinander oder
später zum Geld drückt also das Verhältnis der Menschen
zueinander aus. Die gegenseitige Abhängigkeit der
Warenproduzenten ist versteckt hinter dem Austausch der
Waren. Es ist kein persönliches, durchschaubares
Abhängigkeitsverhältnis wie zwischen dem Leibeigenen
und dem Fronherrn. Die scheinbare Unabhängigkeit der
Privatproduzenten erweist sich vielmehr als
Abhängigkeit vom Warentausch, also von den Gesetzen
des Markts.
Die Tatsache, daß die
gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen
die Form einer Beziehung von Sachen annehmen, gilt
nicht nur innerhalb der einfachen Warenproduktion,
sondern findet sich auch in der kapitalistischen
Warenproduktion wieder. In der kapitalistischen
Warenproduktion, wo der Kapitalist das Eigentum an den
Produktionsmitteln hat und der Arbeiter lediglich seine
Arbeitskraft besitzt, muß der Fetischcharakter der Ware
und des Geldes sich in weiter entwickelter Form zeigen.
Erst in einer Vereinigung
frei vergesellschafteter Produzenten verschwindet der
Fetischcharakter der Ware, - nämlich erst mit der
Uberwindung der Waren produzierenden Gesellschaft
selbst. Die Menschen treten sich dann nicht mehr
als Austauschende gegenüber, sondern planen
gemeinsam die Produktion:
"Innerhalb der
genossenschaftlichen, auf Gemeingut an
Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen
die Produzenten ihre Produkte nicht aus: ebensowenig
erscheint hier die auf die Produkte verwandte Arbeit
als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen
besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im
Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die
individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg,
sondern unmittelbar als Bestandteil der
Gesamtarbeit existieren." (Marx: Kritik des Gothaer
Programms, MEW 19 S.19-20)
Der Fetischcharakter
des Kapitals(2)
1. Bereits bei der
Analyse der einfachsten Elemente der kapitalistischen
Warenproduktion zeigte sich, daß in dieser
Gesellschaft die Produkte der Menschen Macht über die
Produzenten selbst gewinnen (Fetischcharakter der Ware
und des Geldes). Wir sahen im ersten Abschnitt, daß die
privaten Warenproduzenten frei und selbständig, d.h.
isoliert voneinander produzieren und dadurch allesamt
abhängig werden vom Markt. Auf dem Markt treffen alle
isoliert voneinander produzierten Waren zusammen und
erst hier entscheidet sich für den einzelnen
Produzenten, ob er den individuellen Wert seiner Ware
realisieren kann oder nicht, also ob sich der
individuelle Wert auch als gesellschaftlicher
Durchschnittswert bewährt. Die isolierten
Privatproduzenten stehen also der Warensammlung auf dem
Markt hilflos gegenüber. Ihre eigenen Produkte, die
Waren, gewinnen Macht über sie.
Der Austauschprozeß
erscheint als ein Vorgang zwischen Waren, wobei die
Produzenten als bloße Anhängsel ihrer Produkte
auftreten. Die gesellschaftlichen Beziehungen der
Menschen zueinander sind also in der Waren
produzierenden Gesellschaft nichts anderes als die
Beziehungen zwischen den Sachen, den Waren. Die
Menschen erkennen diesen Fetischcharakter nicht, d.h.
sie erkennen nicht, daß die Macht, von der sie abhängig
sind, das Resultat ihrer eigenen Arbeit ist. Darum sind
sie sich auch nicht bewußt, daß die Gesellschaft, in
der sie leben, keine naturgegebene, sondern eine
veränderbare Gesellschaft ist.
Das gesellschaftliche
Verhältnis, in dem die Waren als handelnde Lebewesen
und ihre Produzenten als bloße Anhängsel erscheinen,
zeigt sich z.B. an Ausdrücken wie: "Die Ware verkauft
sich gut", "Die Ware geht nicht". Diese Verkehrung von
Mensch und Produkt, wo das Produkt handelt und der
Mensch nur lebendiges Anhängsel ist, erkennt man nur,
wenn man begreift, daß Produkte oder Gebrauchswerte
nur in einer bestimmten Gesellschaftsform zu Waren
werden und daß diese Gesellschaftsform nicht die einzig
mögliche ist. Das erkennen die bürgerlichen
Wissenschaftler nicht, sondern loben vielmehr die
"Freiheit" der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft,
die darin bestehen soll, daß eben nicht die Menschen
die Macht ausüben, sondern nur die anonymen Waren auf
dem Markt. "In einer Wettbewerbswirtschaft ist jeder
von allen, aber keiner von einem bestimmten anderen
abhängig. Der Wettbewerb kann uns nicht freimachen von
der Furcht vor Schicksalsschlägen, vor
Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger, aber er macht frei
von der Furcht vor der Macht der Menschen. Der
Wettbewerb ist umso reiner, je unpersönlicher die
Beziehungen wirtschaftlicher Art zwischen Menschen
sind, so daß der Gegner des einzelnen nicht ein
benennbarer einzelner ist, sondern der Markt" (Andreas
Paulsen, Allgem. Volkswirtschaftslehre I, Berlin 1968,
S. 44).
Wie stellt sich nun diese
Verkehrung von Mensch und Produkt in der voll
entwickelten kapitalistischen Gesellschaft dar?
Betrachten wir den
kapitalistischen Produktionsprozeß; so besteht der
konkrete Arbeitsprozeß darin, daß der Arbeiter die
Produktionsmittel zweckbestimmt anwendet und
verbraucht. Daran ist nichts Geheimnisvolles. Aber der
Produktionsprozeß ist zugleich Verwertungsprozeß und
darum ist der Arbeitsprozeß nur Mittel zur Verwertung
des Kapitals. Der Kapitalist, das Kapital in Person,
läßt den Arbeiter nicht arbeiten, um ganz bestimmte
Gebrauchswerte herzustellen, sondern damit er Wert und
Mehrwert produziert. Wir haben bereits gesehen, daß den
Kapifalisten nicht interessiert, was für Produkte er
herstellen läßt. Hauptsache ist, daß er am Ende mehr
Geld herausbekommt. Der Arbeitsprozeß ist also nur
Mittel zum Verwertungsprozeß, in welchem nicht der
Arbeiter die Produktionsmittel, sondern das Kapital den
Lohnarbeiter anwendet und verbraucht. Der
kapitalistische Produktionsprozeß macht den Arbeiter
also zu einer Sache, die zur Produktion notwendig ist,
zu einem bloßen "Produktionsfaktor".
Wenn ein Arbeiter seine
Arbeitskraft verkauft, so sagte man früher: "Er
verdingt sich". Das heißt nichts anderes, als daß
er sich eben zu einem Ding, einer Sache machen muß, um
in dieser Gesellschaft leben zu können.
Während der Arbeiter als
bloß sachlicher Produktionsfaktor behandelt wird, der
neben anderen Faktoren vom Kapitalisten angewandt wird,
erscheint andererseits der Kapitalist als der
eigentliche Produzent. Man sagt: "Krupp baut in Essen
ein neues Werk" und "Siemens produziert Elektrogeräte",
- statt zu sagen, daß die
Arbeiter von Krupp und Siemens das und das bauen
bzw. produzieren. ) Ebenso wird z.B. mit dem Wort
"Textilproduzent" ein. Kapitalist bezeichnet, der
eine Textilfabrik besitzt, nicht aber sind damit
die Arbeiter gemeint, die in dieser Fabrik wirklich
produzieren. Weil Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß
nur zwei Seiten desselben Produktionsprozesses sind,
kann die Anwendung des Arbeiters zur Verwertung des
Kapitals nur geschehen, wenn das Kapital
Produktionsmittel ankauft, die für den jeweiligen
Arbeitsprozeß nötig sind. Diese Produktionsmittel
treten dem Arbeiter im Produktionsprozeß als
Ausbeutungsmittel gegenüber. |
In
seinem Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters" hat
Bertolt Brecht diesen Fetischismus
folgendermaßen dargestellt:
Wer baute das
siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen
von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken
herbeigeschleppt?
Der junge Alexander
eroberte Indien. Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens
einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien
weinte, als seine Flotte
untergegangen war. Weinte
sonst niemand?
Friedrich der Zweite
siegte im Siebenjährigen Krieg.
Wer siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.
Wer kocht den
Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein
großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte.
So viele Fragen.
|
|
Darum scheint es so,
als ob die Produktionsmittel als Gebrauchswerte die
natürliche Eigenschaft hätten, Kapital zu sein.
Sie sind aber nur Kapital, weil sie sich im
Privatbesitz der Kapitalisten befinden und der Arbeiter
ihnen als Lohnarbeiter gegenübertreten muß.
Hier zeigt sich, wie
wichtig es ist, den Arbeitsprozeß im allgemeinen von
seiner spezifisch kapitalistischen Form zu
unterscheiden. Denn wenn wir erkannt haben, was zum
Arbeitsprozeß überhaupt gehört, können wir
feststellen, was die besonderen Formen des
kapitalistischen Arbeitsprozesses ausmacht und daß
diese Besonderheiten nicht naturgegeben sind. Arbeit
ist immer zur Lebenserhaltung notwendig, und für jede
Arbeit braucht der Mensch Produktionsmittel. Aber die
kapitalistische Form der Arbeit als Lohnarbeit und die
Form der Produktionsmittel als Kapital sind nur in
dieser Gesellschaft notwendig, sind also nicht ewig,
sondern veränderbar.
2. Den beiden Seiten des
kapitalistischen Produktionsprozesses entsprechen die
beiden Seiten der Arbeit, konkrete und abstrakte
Arbeit. An der konkreten Arbeit ist nichts
Geheimnisvolles. Erst die wertbildende abstrakte Arbeit
führt dazu, daß die Produkte seiner eigenen Arbeit dem
Arbeiter feindlich gegenübertrefen. Was heißt das? Wenn
der Arbeiter durch seine Arbeit Werf und Mehrwert
schafft, so ist dieser Wert ihm selbst fremd, er gehört
ihm nicht. Der geschaffene Wert berührt ihn persönlich
nur, soweit er ihm als Arbeitslohn zufällt. Aber der
von ihm geschaffene Mehrwert wird vom Kapitalisten
benutzt, um durch neue Maschinen den Arbeiter besser
ausbeuten zu können. Der vom Arbeiter geschaffene
Mehrwert steht ihm also nicht nur fremd, sondern auch
feindlich gegenüber. Sein eigenes Produkt wird zu einem
Mittel seiner Unterdrückung.
Das Kapitalverhältnis
zwingt den Arbeiter dazu, mit allem, 'was er
produziert, seine eigene Ausbeutung zu verschärfen. Der
Arbeiter ist seinen Produkten hilflos ausgeliefert.
Seine eigenen Produkte, die ihm als fremde Macht, als
Kapital gegenübertreten, erscheinen als die handelnden
Subjekte, als die Unterdrücker und Ausbeuter.
"Aller kapitalistischen
Produktion, soweit sie nicht nur Arbeitsprozeß, sondern
zugleich Verwertungsprozeß des Kapitals, ist es
gemeinsam, daß nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung,
sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter
anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhält diese
Verkehrung technisch handgreifliche Wirklichkeit. Durch
seine Verwandlung in einen Automaten tritt das
Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem
Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche
die lebendige Arbeitskraft beherrscht
wrid aussaugt" (MEW 23/446).
Es liegt also nicht an
den Produkten oder den Maschinen selbst, wenn der
Arbeiter seine eigene Ausbeutung produziert, sondern am
Kapitalverhältnis, denn wenn die Arbeiter ihre
Produktion selbst regeln würden, würden dieselben
Maschinen, mit denen sie vorher ausgebeutet wurden,
ihnen die Arbeit erleichtern und verkürzen.
3; Wie die Produkte
des Arbeiters als Kapital auftreten, so erscheinen
auch alle Kräfte, die aus der Arbeit selbst
entspringen, als Produktivkräfte des Kapitals.
Durch Kooperation und Teilung der Arbeit wird eine
Steigerung der Produktivkraft erreicht, und
gleichzeitig können die Produktionsmittel effektiver
vernutzt werden. Diese Vorteile entspringen aus der
gemeinsamen Arbelt vieler Arbeiter. Da auch diese
Organisation der Arbeit historisch erst im
Kapitalismus, unter dem Kapitalverhältnis, vollendet
durchgeführt wurde, sieht es so aus, als ob die
Vorteile gemeinsamer Arbeit aus dem Kapital und nicht
aus dem Charakter der Arbeit entstehen. Dieser Schein
wird dadurch verstärkt, daß die Art der Zusammenarbeit
nicht von den Arbeitern selbst, sondern vom
Kapitalisten organisiert wird. Die Vorteile dieser
Arbeitsorganisation hat nur der Kapitalist. Für den
Arbeiter wirkt sie sich im Kapitalismus sogar negativ
aus. Das wird deutlich, wenn der Kapitalist z.B.
alle Produktionsmittel "spart", die das Leben und die
Gesundheit des Arbeiters schützen und ihm die Arbeit
angenehmer und menschlicher gestalten könnten. Erst
wenn sich der kooperative Arbeitsprozeß unabhängig vom
Kapitalismus vollzieht, kann er dem Arbeifer Vorteile
bringen, indem die Arbeit erleichtert und die
Arbeitszeit verkürzt wird. Solange das Kapital
Verhältnis besteht, bleibt der Fetischcharakter
bestehen, der Schein, der die wahren Zusammenhänge
verdeckt und verkehrt. Denn so wie Kooperation,
Arbeitsteilung und Maschinerie vom Kapital angewandt
werden, führen sie zur Verstümmelung der Arbeitskraft
des einzelnen Arbeiters, der zum Teilarbeiter wird und
nur noch im Zusammenhang einer bestimmten
kapitalistischen Organisation der Arbeit funktioniert.
Er ist dem Kapital völlig ausgeliefert, und es scheint
so, als ob er ohne das Kapital überhaupt nicht mehr
existieren kann.
Die kapitalistische
Organisation der Arbeit führt, wie in der Analyse der
Arbeitsteilung deutlich wurde, zur Trennung von Hand-
und Kopfarbeit. Der Kapitalist und seine
wissenschaftlichen Handlanger planen und organisieren,
der Arbeiter muß nur das ausführen, was die anderen
sich ausgedacht haben. Dies verschärft sich mit der
weiteren Entwicklung des Kapitalismus, so daß es heute
den meisten Menschen als selbstverständlich erscheint,
daß es Leute gibt, die nur mit ihren Händen, und
andere, die nur mit ihrem Kopf arbeiten. Im konkreten
Arbeitsprozeß gehören aber planendes Denken und
praktische Ausführung zusammen. Im Kapitalismus werden
diese beiden Seiten zum feindlichen Gegensatz
wenn die Kopfarbeit (Wissenschaft) zur
Konstruktion von Maschinen beiträgt, die wieder zur
Ausbeutung des Arbeiters dienen. So erscheint die
Wissenschaft als Handlanger des Kapitals bzw. als dem
Kapital eigene Kraft. Dies ist aber keine
Natureigenschaft der Wissenschaft, denn wenn die
Arbeiter ihre Produktion selbst regeln, können sie die
Wissenschaft auch so einsetzen, daß sie ihnen nützt.
Die gesellschaftlichen
Produktivkräfte der Arbeit, also die Produktivkräfte
der gemeinsamen Arbeit, die sich durch Kooperation,
Teilung der Arbeit, Maschinerie und Anwendung der
Naturwissenschaft und Technik entwickeln, erscheinen
als Produktivkräfte des Kapitals. Jede Fortentwicklung
der Produktivkräfte ist Resultat der gemeinsamen Arbeit
der Arbeiter, bessere Maschinerie ist Produkt der
Arbeiter, aber die Steiqeruna der Produktivkräfte nützt
im Kapitalismus nicht den Arbeitern, sondern sie bringt
nur den Kapitalisten Vorteile als Mittel zur Produktion
von größerem relativen Mehrwert. Die Produktivkräfte
seiner eigenen Arbeit treten also dem Arbeiter fremd
und feindlich gegenüber und werden vom Kapital zur
Verstärkung der Ausbeutung benutzt. Wenn z.B. ein
gutgläubiger Arbeiter in seinem Betrieb
Verbesserungsvorschläge macht, so hat er selbst schuld,
würde man sagen. Denn eine "Verbesserung" der
Produktivität des Betriebes würde für diesen Arbeiter
und alle Kollegen nur eine gesteigerte Ausbeutung
bedeuten. Der Erfinder besserer Produktionsmethoden
wird eine kleine Prämie erhalten, aber insgesamt
gesehen kann der Kapitalist dadurch mehr Mehrwert aus
den Arbeitern herauspressen.
4. Wir haben gesehen, daß
der Fetischcharakter des Kapitals sich darstellt als
Versachlichung der Personen und Personifizierung der
Sachen: Das Verhältnis zwischen Kapitalisten- und
Arbeiterklasse nimmt im kapitalistischen Produktions-prozeß
die Form an, daß die Arbeiter als passive Objekte der
Ausbeutung erscheinen und daß die von ihnen
geschaffenen Produktionsmittel zu Ausbeutungsmitteln
werden, weil sie Privatbesitz der Kapitalisten
sind. Deshalb hat sich historisch der Kampf der
Arbeiter zunächst gegen die Maschinen gerichtet und
noch nicht gegen das dahinter versteckte
Ausbeutungsverhältnis. Indem die Arbeiter die
Produktionsmittel zerstörten, ließen sie sich selbst
von dem Fetischcharakter der kapitalistischen
Produktion blenden. Denn, daß die Maschinen dem
Arbeiter als lebendige Ausbeutungsmittel erscheinen,
liegt nicht an den Maschinen selbst, sondern daran, daß
sie kapitalistisch angewandt werden.
Allerdings kann man die
Maschinen nicht von dem dahinter verborgenen
Ausbeutungsverhältnis trennen und dann argumentieren:
"An sich", d.h. losgelöst vom Kapital Verhältnis
betrachtet, wären die Maschinen, so wie sie heute sind,
für die Bedürfnisse einer sozialistischen Gesellschaft
schon brauchbar. Schon in der Konstruktion einer
kapitalistischen Maschine zeigt sich, daß sie selbst
einen Doppelcharakter hat, daß sie nicht nur für den
Arbeitsprozeß, sondern auch für den Verwertungsprozeß
gebaut ist und daher ouf den Arbeiter nicht viel
Rücksicht genommen wird (mangelhafte Schutzvorrichtung
gegen Unfälle, Lärm, Schmutz, Abgase usw.). Erst im
Sozialismus werden die Maschinen zugleich mit ihrer
Funktion, die Arbeit zu erleichtern und die Arbeitszeit
zu verkürzen, auch ihre Gestalt ändern. Sie treten dann
dem Arbeiter nicht mehr als Aussauger von Mehrwert
gegenüber.
Der Fetischcharakter des
Lohnes oder die Verwandlung des Werts der Arbeitskraft
in den Preis für geleistete Arbeit(3)
Wir haben in den
Abschnitten über den Fetischcharakter der Ware, des
Geldes und des Kapitals (vgl. Abschnitt 1, Punkt 6 und
Abschnitt 5, Punkt 9) gesehen, daß sich die wirklichen
gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Personen
und zwischen Arbeiter- und Kapitalistenklasse in einer
schwer durchschaubaren, verkehrten Form darstellen: Das
gesellschaftliche Verhältnis von Menschen, die zwar
unabhängig voneinander aber doch füreinander bestimmte
Waren herstellen, erscheint als ein Verhältnis zwischen
Waren bzw. zwischen Waren und Geld. Das
Ausbeutungsverhältnis zwischen Arbeiter- und
Kapitalistenklasse nimmt die Form an, daß die Arbeiter
als Objekte den Arbeitsmitteln unterworfen sind, statt
sie selbstbewußt anwenden zu können, und daß die
schöpferischen, produktiven Kräfte der Arbeiterklasse
als Produktivkräfte eines Dings, des Kapitals,
erscheinen. Wir hatten diese Verkehrungen als
Fetischcharakter der Ware, des Geldes und des Kapitals
bezeichnet. Eine solche Verkehrung zeigt sich auch beim
Arbeitslohn, also beim Austausch zwischen Kapitalisten-
und Arbeiterklasse. Auch hier wirkt die Verkehrung
wieder so, daß sie genau das Gegenteil von dem zeigt,
was wirklich der Fall ist. Wir bezeichnen dies als
Fetischcharakter des Lohns.
Unsere bisherige
Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise hat
gezeigt, daß die Ausbeutung der Arbeiter die Grundlage
des Kapitalismus ist. Aber wenn sich diese Ausbeutung
tagtäglich in jedem kapitalistischen Betrieb vollzieht,
warum ist sie dann nicht sichtbar? Warum durchschauen
die Arbeiter nicht, daß ihr Arbeitsprozeß zugleich
Verwertungsprozeß des Kapitals ist und daß das Kapital
seinem Wesen nach nichts anderes ist als "Kommando über
unbezahlte Arbeit" (MEW 23/556).
Wir kommen mit dieser
Frage auf das zurück, wovon wir ganz zu Anfang in der
Einleitung ausgegangen sind (vgl. S. 1), nämlich auf
die in die Augen springende Tatsache, daß der Arbeiter
für jede geleistete Arbeitsstunde einen entsprechenden
Stundenlohn erhält, bzw. den entsprechenden Lohnsatz
für jedes angefertigte Stück. Es erscheint also alle
vom Arbeiter geleistete Arbeit als bezahlte Arbeit -und
dennoch wird er ausgebeutet. Und genau darin besteht
der Fetischcharakter des Lohns: Durch die Form des
Lohns wird die Ausbeutung des Arbeiters unsichtbar
gemacht. Wir müssen hier fragen, wie dieser falsche
Schein zustande kommt.
Kapitalist und Arbeiter
begegnen sich zunächst beim Abschluß des
Arbeitsvertrages und erscheinen dabei als völlig
gleichberechtigte Partner. Marx schreibt: "Der
Austausch zwischen Kapital und Arbeit stellt sich der
Wahrnehmung zunächst ganz in derselben Art dar, wie der
Kauf und Verkauf aller anderen Waren. Der Käufer gibt
eine gewisse Geldsumme, der Verkäufer einen vom Geld
verschiedenen Artikel" (565). Daß die Ware Arbeitskraft
den besonderen Gebrauchswert hat, Quelle von Wert und
Mehrwert zu sein, bleibt also bei diesem Austausch in
der Zirkulationssphäre unberücksichtigt. Und dies muß
dort auch unberücksichtigt bleiben, denn bei diesem
Austausch mit dem Kapital leistet der Arbeiter noch
keine Arbeit. Auch tritt nicht bereits geleistete
Arbeit (in Form von Produkten) auf den Markt, sondern
der lebendige Arbeiter selbst. "Was dem Geldbesitzer
auf dem Warenmarkt direkt gegenübertritt, ist in der
Tat nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was
letzterer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald
seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits
aufgehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm
verkauft werden" (MEW 23 / 559).
Es gibt
Gesellschaftsordnungen, in denen der Zwang, Mehrarbeit
leisten zu müssen, unmittelbar ins Auge fällt. Ein
Fronbauer, der nur drei Tage in der Woche sein eigenes
Feld bestellen darf, die anderen drei Tage aber auf dem
Acker seines Feudalherrn arbeiten muß, weiß genau, wann
er für sich und wann er für seinen Unterdrücker
arbeitet. Seine Mehrarbeit ist räumlich und zeitlich
von seiner notwendigen Arbeit getrennt.
Anders der Lohnarbeiter:
In der Zirkulationssphäre wird er als Ware eingekauft.
Beim Austausch stehen sich zwei Waren gegenüber, die
gleich große Werte darstellen. Ihre
Wertgegenständlichkeit tritt aber nicht unmittelbar
zutage, sondern der Wert der einen Ware (2 Stühle) kann
sich nur im Gebrauchswert einer anderen Ware (1 Mantel)
darstellen. Obwohl keine der beiden Waren ihren
Doppelcharakter, zugleich Wert und Gebrauchswert zu
sein, verliert, sieht es im Austausch so aus, als ob
auf der einen Seite nur noch der Gebrauchswert, auf
der anderen nur noch der dingliche Repräsentant des
Wertes steht: Beim Kauf und Verkauf also auf der einen
Seite ein Gebrauchswert und auf der anderen Seite das
Geld.
Beim Kauf und Verkauf der
Arbeitskraft geschieht nichts anderes. Als Kaufobjekt
erscheint dem Arbeiter und dem Kapitalisten der
Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit. Das Geld,
das der Arbeiter als Arbeitslohn erhält, erscheint als
Wert der Arbeit. Wenn man sagt, daß der Arbeiter seine
Arbeit für 800 DM monatlich verkauft, dann scheint es
so, als ob der Arbeiter einen Monat arbeiten muß, um
die 800 DM zu produzieren: Für einen Monat Arbeit
bekommt er 800 DM Lohn. Diese 800 DM erscheinen hier
als Wert für den Gebrauchswert der Arbeitskraft,
die ganze während eines Monats geleistete Arbeit.
Beim Austausch zwischen Arbeiter und Kapitalist bleibt
so verdeckt, daß der Arbeiter nicht seine Arbeit
verkauft sondern seine Arbeitskraft.
Da die menschliche
Arbeitskraft auf dem Markt als Ware, als bloßes gegen
Geld zu habendes Ding, gekauft wird und da sie im
kapitalistischen Produktionsprozeß neben anderen ebenso
gekauften Waren (den Produktionsmitteln) fungiert, - so
gilt sie auch im Produktionsprozeß nicht als besondere,
Wert schaffende Kraft, sondern nur als ein
Produktionsfaktor unter anderen. Für den Kapitalisten
bedeuten sämtliche Produktionsfaktoren bloße Kosten,
die er pro Tag, Woche, Monat berechnen muß. Ein Arbeiter
kostet ihn dann pro Tag z.B. 40 DM. Der Kapitalist
zahlt also für 8 Stunden Arbeit 40 DM.
Indem so der Tageswert
der Arbeitskraft auf die täglich geleistete Arbeit
bezogen wird, wird er jedoch mit dem täglichen
Wertprodukt (v + m) gleichgesetzt. So erscheint alle
Arbeit als bezahlt und der Unterschied zwischen dem
Wert der Arbeitskraft und ihrem Gebrauchswert wird
unsichtbar. Die Arbeitskraft scheint als konstante
Wertgröße in den Produktionsprozeß einzugehen und im
Produktionsprozeß auch als solche konstante Größe zu
wirken. Das Produkt des Arbeiters scheint ihm voll und
ganz als Lohn zuzufließen. So ist der spezifische
Charakter des Kapital Verhältnisses versteckt, "nämlich
der Austausch des variablen Kapitals mit der lebendigen
Arbeitskraft und der entsprechende Ausschluß des
Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche
Schein eines Partnerschaftsverhältnisses, worin
Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach dem Verhältnis
seiner verschiedenen Bildungsfaktoren teilen" (MEW
23 / 555).
Wie verwandelt sich nun
der dem Arbeiter gezahlte Wert seiner Arbeitskraft
praktisch in den Arbeitslohn, in den Preis für
geleistete Arbeit?
Wenn z.B. 40 DM das
Wertprodukt von 4 Arbeitsstunden sind und wenn zur
Herstellung der täglich notwendigen Lebensmittel eines
Arbeiters 4 Arbeitsstunden nötig sind, so sind die 40
DM der Tageswert der Arbeitskraft. Dieser Tageswert
verteilt sich nun auf die Arbeitsstunden, die der
Arbeiter täglich zu arbeiten hat (unabhängig davon,
wieviel Neuwert er in dieser Zeit schafft). Beträgt der
Arbeitstag 8 Stunden, so ergibt sich 40 : 8, also ein
Lohn von 5 DM pro Stunde. So erscheinen die 40 DM,
worin sich der bezahlte Teil des Arbeitstages (also 4
Std.) darstellt, als Preis für die gesamte Arbeit von 8
Stunden. Marx schreibt: "Die Form des Arbeitslohns
löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstages in
notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und
unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint also als
bezahlte Arbeit" (MEW 23/ 562).
Dieser falsche Schein
wird noch durch die Tatsache verstärkt, daß der
Arbeiter seinen Lohn nicht schon beim Abschluß des
Arbeitsvertrages erhält, sondern erst nach geleisteter
Arbeit. Wie bei den meisten bloß auf bestimmte Zeit
gemieteten und nicht endgültig gekauften Waren wird
auch bei der Arbeitskraft der Preis erst gezahlt, wenn
ihr Gebrauchswert bereits vernutzt worden ist.
Der Fetischcharakter des
Lohns hat wichtige Folgen. Marx schreibt:
"Man begreift die
entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und
Preis der Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohns
oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser
Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis
unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn
alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie der
Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen
Produktionsweise und alle ihre Freiheitsillusionen" (MEW
23 / 562).
Der Arbeiter nämlich
glaubt, einen "gerechten"Lohn zu bekommen, und der
Kapitalist meint, einen solchen "gerechten" Lohn auch
zu zahlen. Die Ausbeutung wird so für beide Klassen
unsichtbar. Deshalb kann sich der Kapitalist seinen
Gewinn nur aus dem Verkauf der Waren über ihrem Wert
erklären. Und deshalb meint der Arbeiter, daß die Höhe
seines Lohns von der Menge der geleisteten Arbeit
abhängt.
Dem Kapitalisten kann es
allerdings gleichgültig sein, woher sein Gewinn
wirklich stammt. Die Gesetzmäßigkeiten der
Zirkulationssphäre arbeiten für ihn, obwohl sie das
Bewußtsein beider Klassen vernebeln. Der Arbeiter
dagegen muß diesen fetischistischen Schein des Lohns
durchbrechen, wenn er sich über seine Situation
Klarheit verschaffen will.
Editorische Hinweise
Der Text
wurde entnommen aus: Autorenkollektiv
Marx-Arbeitsgruppe Historiker, Schulungstext zur Kritik
der Politischen Ökonomie "Das Kapital" Band I,
Westberlin 1971, 3. Auflage, Teil 1) S.21-24; Teil 2)
66-71 S.; Teil 3) S.108-111
|