Spaltung der früheren Tuareg-Rebellen im Norden Malis
Aktuelles soziales & politisches Geschehen in dem westafrikanischen Land

von Bernard Schmid

05/2016

trend
onlinezeitung

STAND: 05.05.2016

Die Stadt Kidal, im äußersten Nordosten, bleibt auf den ersten Blick am Pulverfass. Am vorletzten Montag, den 18. April 16 starb hier mindestens ein Demonstrant, manche Quellen sprechen von zwei, bei Auseinandersetzungen mit der UN-Truppe „zur Stabilisierung Malis“ MINUSMA. Die französische Nachrichtenagentur AFP erwähnte eine „Demonstration gegen die Präsenz ausländischer Streitkräfte“, der internationale Rundfunksender RFI sprach sinngemäß von einer antifranzösischen Demonstration. Die algerische Zeitung Le Temps wiederum schrieb von einem „Gemetzel“, und behauptete: „Die MINUSMA schießt auf die Bevölkerung.“

Was war passiert? Protestierende, unter ihnen Frauen, hatten auf das Gelände des Flughafens vorzudringen versucht, auf dem sowohl die UN-Truppe als auch die französische Streitmacht der „Operation Barkhane“ – mit einer Zentrale in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena, die für die gesamte westliche Sahelzone zuständig ist – stationiert sind. Daraufhin war das Feuer eröffnet worden. Mindest eine namentlich identifizierte Person, Ibrahim Ag Baba Ahmed, kam dabei zu Tode.

Und dennoch trügt der Eindruck, hier sei so etwas wie ein Volksaufstand gegen die internationalen oder französischen Truppen im Entstehen gewesen. Dies war mitnichten der Fall. Demonstriert hat an jenem 18. April 16 viel mehr eine ganz bestimmte politisch-ideologische Strömung, die der Unterstützer der bewaffnet agierenden jihadistischen Gruppierung Ansar Dine (ungefähr: Anhänger oder Partisanen der Religion). Und diese hatten ein ganz spezifisches Anliegen: Sie wollten die Freilassung von acht Personen erreichen, die zuvor durch die französische Barkhane-Truppe festgenommen worden waren, und zwar im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung infolge eines Attentats vom 12. April. Bei ihm waren drei französische Soldaten bei der Explosion einer Mine, die sechzig Kilo Sprengstoff enthielt, getötet worden. Die Verhaftungen erfolgten noch am selben Tag. Ansar Ed-Din entführte kurz darauf drei Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes. Letztere wurden inzwischen freigelassen, nachdem die französische Barkhane-Truppe ihrerseits am 20. April 16 den Festgenommenen Ghya Ag Intawa auf freien Fuß setzte.

Nicht alle Mitglieder der örtlichen Bevölkerung, die durch die Unterstützer von Ansar Dine mobilisiert werden konnten, teilten jedoch dieses Anliegen. Örtliche Frauen campierten auch Tage später noch aus Protest an dem, weitgehend militärisch genutzten, Flughafen, der bei den Protesten vom 18. April d.J. teilweise erstürmt worden war. Was sie jedoch gegenüber der Zeitung Le Sahelien als Beweggründe angaben, hatte wenig mit den Motiven von Ansar Dine zu tun. In dem Artikel, der am vorigen Mittwoch, den 27. April 16 erschien, geben sie lediglich zu Protokoll, sie forderten eine räumliche Verlegung des Flughafens. Denn der Lärm beim Starten und Landen der Militärflugzeuge lasse ihre Häuser erzittern, vertreibe das Vieh, und der aufgewirbelte Staub sei für Krankheiten verantwortlich. Andere Ziele nennen sie nicht. Offensichtlich hatte Ansar Dine für ihre eigenen Zwecke Bevölkerungsteile einspannen können, die ganz andere Forderungen und Motive hatten.

Der Zwischenfall belegt aber auch die tiefe Spaltung innerhalb des Lagers der bisherigen Rebellen in Nord-Mali einerseits, und die Annäherung einer ihrer Fraktionen an die Jihadisten zum Anderen. Unter den Festgenommenen wegen der Minenexplosion vom 12. April dieses Jahres zählen auch zwei hochrangige frühere Kombattanten des MNLA, also der separatischen und von Tuareg getragenen „Befreiungsbewegung für Azawad“, M’barek Ag Mossa und Ahmed Ag Barka. Der MNLA ist die wichtigste Organisation der „Koordination der Bewegungen von Azawad“ (CMA) in Nordmali, die den Vertragspartner der Zentralregierung im Rahmen des im Juni 2015 feierlich unterzeichneten Friedensabkommens bildet. Zuvor kämpfte sie für eine Abspaltung des in den Berbersprachen der Tuareg als „Azawad“ bezeichneten Nordens von Mali.

Doch der MNLA hat sich darüber aufgespaltet. Einer seiner Flügel hielt vom 07. bis 09. April 16 einen Kongress in Kidal ab, einer Stadt, die nach wie vor von ehemaligen Rebellen aus den Reihen von MNLA und CMA kontrolliert wird und über die die Zentralregierung in Bamako nach dem Krieg von 2012/13 die Kontrolle nicht wieder erlangte. Bei dem Kongress wurde auch ein Grußwort des Anführers von Ansar Dine, des jihadistischen Warlords – und früheren Konsuls in Saudi-Arabien - Iyad Ag Ghali, verlesen. Darin proklamierte er: „Wie bekämpfen nicht den MNLA. Wir bekämpfen einen Teil des MNLA, der Frankreich und Barkhane unterstützt. Frankreich ist unser Feind, der Feind des Volkes von Azawad, weil es 1960 den malischen Staat über uns gebracht hat“, also im Jahr der Unabhängigkeit Malis.

Der Bruch zwischen einem mit dem Zentralstaat kooperierenden und einem anderen Teil der früheren Tuareg-Rebellen ist damit endgültig vollzogen. Denn die Mehrheit unter ihnen und die Strukturen der CMA lassen sich nach wie vor auf den Friedensprozess mit der Zentralregierung ein. Daran finden sie auch mehr denn je ein Interesse, denn am 31. März dieses Jahres verabschiedete das Nationalparlament Malis nun einen Gesetzentwurf, der eine wichtige Konsequenz aus den Vereinbarungen mit den Ex-Rebellen bildet. Er sieht die Bildung zweier neuer Gebietskörperschaften vor, der neu geschaffenen nördlichen Regionen Ménaka und Taoudéni, und die Einsetzung von autorités intérimaires genannten regionalen Übergangsregierungen. An ihnen sollen Repräsentanten der Ex-Rebellen beteiligt werden.

Da sich hier nun Aussichten auf Posten und auf die Verteilung von Staats- und Entwicklungsgeldern an die je eigene Klientel bilden, sind viele Anführer und Kader der ehemaligen Rebellenbewegung daran brennend interessiert. Auch auf die Gefahr hin, dass schon bald bürokratische Wasserköpfe in den Regionen entstehen. Derzeit findet das Entwaffnungsverfahren, das für frühere Rebellen eingeleitet wurde, rege Beteiligung. Um an ihm teilnehmen zu können – auch wenn man gar keine Waffe besaß oder aber diese nicht abgeben möchte -, hat ein reger Handel mit Kalaschnikows eingesetzt., um diese im Anschluss abliefern zu können Die Zeitung L’Indicateur du Renouveau spricht von Kaufpreisen zwischen umgerechnet 500 und 900 Euro. Zugleich ist die malische Presse gefüllt von Berichten über Waffendiebstähle bei der Armee, deren Hierarchie ermittelt.

Dem malischen Staat seinerseits ist daran gelegen, die vormaligen Rebellen in einen solchen Prozess einzubinden, um auf internationaler Ebene den Eindruck von Stabilität vermitteln zu können. Vergangene Woche nahm der malische Staat zum ersten Mal Kredite über Staatsanleihen auf den Finanzmärkten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS auf. Und als erster afrikanischer Staat schloss er am 15. April 16, im Rahmen des im Oktober 2015 bei einem Gipfel auf Malta gestarteten „La Valetta-Prozesses“, ein Abkommen mit der EU zur Migrationskontrolle und zur Rücknahme unerwünschter Migranten.

Drei Tage zuvor wurde Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta (IBK) am 12. April in Paris an einem Tumor im Halsbereich operiert. Seine anderthalb Wochen dauernde Abwesenheit aus seinem Land legte dort die innenpolitischen Konflikte für ein paar Tage relativ still. Doch nun brechen sie wieder voll auf. Die Gewerkschaften setzen die Regierung unter Druck, die Privatschulen – die sich in den letzten Jahren wegen schlechter Zustände im kostenlosen öffentlichen Schulwesen ausbreiteten – sind infolge von Streiks geschlossen. Auch unter den Bankangestellten rumort es. In mehreren Dörfern erhebt sich die Bevölkerung gegen Land grabbing durch Investoren und Bodenspekulation, die ihnen die Lebensgrundlagen zu entziehen droht. In den Dörfern Sahou und Sanamadougou, die seit dem Jahr 2010 gegen solchen Bodenraub kämpfen, fanden Feldbesetzungen statt. Auch anderswo in ländlichen Zonen beginnen ähnliche Konflikte, wie zuletzt in Marakakoungo.

Bei all dem versucht der malische Staat, zumindest den bisherigen Großkonflikt im Norden stillzulegen.

Editorischer Hinweis

Diesen Text erhielten wir vom Autor für die Ausgabe.