Damit hätte niemand gerechnet: Auch nach anderthalb
Monaten „wacht“ die am 31. März begonnene
Platzbesetzung (Nuit debout) immer noch
durch die französische „Nacht“. Wo sich am Anfang
noch das pure – sich seiner z.T. selbst nicht
bewusste – demokratische Aufbegehren manifestierte,
hat sich inzwischen ein Prozess entwickelt, in dem um
konkrete ökologische, antikapitalistische,
feministische, postkoloniale... Inhalte gerungen
wird.
Als
Schritt nach vorne gegenüber vorangegangenen
Bewegungen erschöpft sich Nuit debout
nicht mehr in der Besetzung des Platz „als solchen“,
gibt ihn sogar stundenweise auf (und kehrt doch
dorthin zurück), sondern hat ein strategisches
Verhältnis zu dem von ihr geschaffenen demokratischen
Raum. Es entsteht Kollektivität, die Vereinzelung
aufhebt und nicht mit einem vorstrukturierten
Politikbetrieb vergleichbar ist, sondern darüber
hinaus Grenzen überwindet. Das Neue dieser Nächte ist
nie weit. In der Verdichtung, aus der Ablehnung der
bestehenden Verhältnisse und dem Vertrauen zu den
Anderen, entwickelt sich eine gemeinsame
Suchbewegung.
Dieser Prozess ist
nicht frei von Widersprüchen. Wo er Menschen zum
ersten Mal mit kollektiven demokratischen Prozessen
in Berührung bringt, bietet er zugleich eine Bühne
zur Reproduktion des immer Gleichen. Das Elend und
die verrohte Subjektivität der Mehrheitsgesellschaft
schlagen auf den Platz durch; nicht wegen, sondern
trotz des Neuen, das entsteht. Die Widersprüche und
Fehler bedeuten nicht das Scheitern der Bewegung,
sondern stellen sie vielmehr vor die Herausforderung,
andere (und auch bessere) Antworten zur Veränderung
der Gesellschaft zu finden.
Für
eine Strategie der Bündelung der Kämpfe (#Convergence
des luttes) muss die Bewegung den konkreten
gewerkschaftlichen Kampf mit einem radikal-utopischen
Horizont verbinden. Nur in dieser doppelten Bewegung
zwischen konkretem antikapitalistischem Kampf – der
Auseinandersetzung mit den französischen
Kräfteverhältnissen – und dem Ringen um ein ganz
Anderes, kann sich der Geist von Nuitdebout
konkretisieren.
Gegenüber der nationalen Engführung der
Gewerkschaften eröffnet sich mit dem internationalen
Ratschlag vom Wochenende des 07. und 08. Mai eine
neue strategische Dimension, die der
„Synchronisierung der Kampfzeiten“. Der globale
Aktionstag am 15. Mai, #GlobalNuitDebout,
erlaubt den Einstieg in eine Auseinandersetzung auf
europäischer Ebene, der gegenüber der Standortlogik
der Herrschenden einer Verwirklichung internationale
Solidarität vorgreift. Es ist Zeit, dass die
Unterdrückten sich endlich so global zu organisieren
beginnen wie die Herrschenden und eine
(Gleich)Zeitlichkeit der Aktion auf der Höhe des
neoliberalen Herrschaftsprojekts entwickeln!
Editorische Hinweise
Den Artikel
erhielten wir von denAutoren für diese Ausgabe.
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