Quelle: Libertad!-Texte & Materialien 

Situation von politischen 
Gefangenen in der BRD

Aus einer Hausarbeit über die historische Entwicklung und gesellschaftliche Funktion des Rechts

von S.N. (Frankfurt)

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1. Vorwort

Der vorliegende Text ist eine Überarbeitung einer Hausarbeit, die im Frühjahr 1999 für ein Recht-Seminar im Fachbereich Sozialarbeit der Fachhochschule Frankfurt am Main verfasst wurde. Darin werden behandelt - leider nur bruchstückhaft - zum einen Gesetze, die vor 20 bis 30 Jahren gegen eine linke, außerparlamentarische Opposition entstanden sind, und zum anderen deren Umsetzung vor allem gegen Gefangene aus dem radikalen linken Widerstand und der RAF. Anhand diesen Beispielen wird in der Hausarbeit anschaulich gemacht, dass Recht und Gesetz zur Absicherung der herrschenden Interessen eingesetzt werden.


2. Situation von Gefangenen aus der RAF

"Ein Brief Ulrike Meinhofs aus dem Toten Trakt
Aus der Zeit: 16.6.72 bis 9.2.73:
das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müßte eigentlich zerreißen, abplatzen) -
das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt,
das Gefühl, das Gehirn schrumpelte einem allmählich zusammen, wie Backobst z.B.
das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, man würde ferngesteuert -
das Gefühl, die Assoziationen würden einem weggehackt -
das Gefühl, man pißte sich die Seele aus dem Leib, als wenn man das Wasser nicht halten kann -
das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zelle fährt; nachmittags, wenn die Sonne reinscheint, bleibt sie plötzlich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen.
Man kann nicht klären, ob man vor Fieber oder vor Kälte zittert -
man kann nicht klären, warum man zittert -
man friert.
Um in normaler Lautstärke zu sprechen, Anstrengungen, wie für lautes Sprechen, fast Brüllen -
das Gefühl, man verstummt -
man kann die Bedeutung von Worten nicht mehr identifizieren, nur noch raten -
der Gebrauch von Zisch-Lauten - s, ß, tz, z, sch - ist absolut unerträglich -
Wärter, Besuch, Hof erscheint einem wie aus Zelluloid -
Kopfschmerzen -
flashs -
Satzbau, Grammatik, Syntax - nicht mehr zu kontrollieren. Beim Schreiben: zwei Zeilen - man kann am Ende der zweiten Zeile den Anfang der ersten nicht behalten -
Das Gefühl, innerlich auszubrennen -
das Gefühl, wenn man sagen würde, was los ist, wenn man das rauslassen würde, das wäre, wie dem anderen kochendes Wasser ins Gesicht zischen, wie z.B. kochendes Tankwasser, das den lebenslänglich verbrüht, entstellt -
Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewusstsein, dass man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war -
Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: einen Moment auftauen, erholen - hält auch für paar Stunden an -
Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt -
das Gefühl, sich in einem Verzerrspiegelraum zu befinden -
torkeln -
Hinterher: fürchterliche Euphorie, dass man was hört - über den akustischen Tag-Nacht-Unterschied -
das Gefühl, dass jetzt die Zeit abfließt, das Gehirn sich wieder ausdehnt, das Rückenmark wieder runtersackt - über Wochen.
Das Gefühl, es sei einem die Haut abgezogen worden."
(GNN, 1993, S. 41)

2.1. Entstehung bewaffnet kämpfender Gruppen in Westeuropa und der BRD
Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Westdeutschland war geprägt von der Politik Adenauers, hart gegen den Osten aufzutreten und die Opposition im eigenen Lande zu unterdrücken. So wurde 1956 die damals etwa 70.000 Mitglieder zählende KPD verboten. Ebenso konnte der Aufbau der Bundeswehr und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht verhindert werden, obwohl Proteste gegen die Wiederbewaffnung der BRD und die Kampagne "Kampf dem Atomtod" in den 50ern und beginnenden 60er Jahren 100.000e auf die Straßen mobilisierte. 1966 wurde die CDU/FDP-Regierung von einer großen Koalition abgelöst, in der die SPD ihre erste Regierungsbeteiligung hatte. Wesentliche Veränderungen brachte die neue Regierung unter dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger jedoch nicht mit sich. Im Gegenteil: Innerhalb des Parlaments existierte keine Opposition mehr. Jenseits parlamentarischer Strukturen auf den Straßen und in den Städten der BRD tat sich allerdings einiges. Das herrschende repressive Gesellschaftsgefüge wurde durch die aufkeimende Protestbewegung aufgebrochen. Viele politisierten sich in Auseinandersetzungen mit dem und im Widerstand gegen den imperialistischen Vietnamkrieg der USA, an dem auch die BRD nicht unerheblich beteiligt war. Die BRD bot ökonomische, politische und logistische Unterstützung für diesen Aggressionskrieg und Völkermord. Beispielsweise war das IG-Farben-Haus in Frankfurt am Main Schaltstelle zwischen den politischen Entscheidungsträgern in Washington und Paris und den militärischen Kommandostellen in Vietnam.
Im Rahmen der Entkolonialisierungen entstanden weltweit Befreiungsbewegungen, die Rebellionen und Revolutionen vorantrieben und dem imperialistischen Staatensystem Grenzen aufzeigten, so dass sich zusammen mit dem real-existierenden Sozialismus eine globale Alternative zum Kapitalismus abzuzeichnen schien. Auch in den Metropolen schien die Revolution greifbar nahe. Im Zuge dieser weltweiten Aufbruchstimmung wurde in den Kämpfen um Befreiung und Selbstbestimmung in Westeuropa auch immer klarer eine Systemkritik formuliert.
Anfang der 70er entstanden in der BRD im Zuge der Studierendenbewegung u.a. die Rote Armee Fraktion (RAF) und die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen 1973 und die Rote Zora (RZ) 1975. Ihre Solidarität mit den Befreiungsbewegungen im Trikont (die drei Kontinente Asien, Afrika, Lateinamerika) ließen sie praktisch werden, indem sie deren Kampf in die Metropolen trugen und ihn dort bewaffnet führten. Sie machten dem Staat das Gewaltmonopol streitig, was dieser zum Anlass nahm, die Einführung spezieller Rechtstatbestände zu rechtfertigen. Einige davon finden, exemplarisch an den Gefangenen der RAF dargelegt (es gab neben ihnen Hunderte von Gefangenen aus dem radikalen linken Widerstand), im folgenden Erwähnung.
Die Zeit war geprägt von einer Entfesselung des Staatsapparats, von Maschinenpistolen an jeder Straßenecke, totaler Fahndung, Sondergesetzen, außergesetzlichen Handlungen, wissenschaftlich erforschten und gegen die Gefangenen angewandten Haftbedingungen und von unter staatlicher Verfügungsgewalt in den Knästen ums Leben gekommenen Gefangenen. Dies meinte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1975, als er in einer Regierungserklärung kund tat, im Kampf gegen die RAF "bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und geboten ist." (GNN, 1993, S. 54)

2.2. Gesetzesverschärfungen Anfang der 70er
1971 brachte die Bundesregierung einen Antrag für ein Bundesmeldegesetz ein, das die lückenlose Erfassung von Personendaten und deren Verfügbarkeit für alle staatlichen Behörden ermöglichen soll. In Kraft traten das 11. und 12. Strafrechtsänderungsgesetz, mit denen die Strafen für Flugzeugentführung und Geiselnahme verschärft wurden. Im darauffolgenden Jahr fassten die Regierungschefs des Bundes (Willy Brandt, SPD) und der Länder den "Extremistenbeschluss" oder "Radikalenerlass", nach dem nur noch in ein Beamtenverhältnis berufen werden darf, wer die Gewähr bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt. Das Bundeskriminalamt, die Bereitschaftspolizei der Länder, der Bundesgrenzschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz wurden erheblich ausgebaut und deren Rechte durch die Verabschiedung und Veröffentlichung des Verfassungsschutzgesetzes und des Bundesgrenzschutzgesetzes erheblich ausgedehnt. 1972 wurde der BGS-Sonderverband GSG 9 von Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) aufgestellt. Der §6 des neuen BKA-Gesetzes von 1973 stellt fest: "Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit [...], der Freiheit der Person [...], der Freizügigkeit [...], der Unverletzlichkeit der Wohnung [...] werden nach Maßgabe dieser Vorschrift eingeschränkt." 1974 wurde die Höchstzahl der Wahlverteidiger auf drei, das Verbot für Anwält/inn/en mehrere Klient/inn/en in ein und demselben Verfahren zu verteidigen und die Erlaubnis die Hauptverhandlung ohne Angeklagte durchzuführen im Strafrecht festgeschrieben und im Stammheimer Verfahren gegen Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe praktiziert (GNN, 1993, S.14f., 30, 46 u. 51). Obwohl medizinische Sachverständige deren Verhandlungsunfähigkeit aufgrund der jahrelangen Isolation feststellten, wurde das Verfahren weitergeführt, weil - so der BGH - die Gefangenen aus der RAF aufgrund ihrer "besonderen Gefährlichkeit" an ihrer Isolation selbst schuld seien (Bakker Schut, 1995, S.41f.).

2.3. Todeschußfahndung
Im Februar 1971 wurde bei der versuchten Festnahme zweier mutmaßlicher Mitglieder der RAF auf sie geschossen. Im gleichen Jahr wurden während Fahndungen Petra Schelm in Hamburg und Georg von Rauch in West-Berlin erschossen. Georg von Rauch stand dabei unbewaffnet und mit erhobenen Händen an einer Wand. Die Ermittlungsverfahren gegen die Schützen wurden eingestellt. 1976 beschloss die Innenministerkonferenz einen Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz, das u.a. den polizeilichen Todesschuss legalisiert. Von 1971 bis 1978 sind insgesamt 16 Tote durch polizeiliche Todesschüsse im Zusammenhang mit der sogenannten Terroristenjagd dokumentiert (GNN, 1993, S. 5, 13f.). Bis zur Ermordung von Wolfgang Grams in Bad Kleinen gab es noch zahlreiche weitere Menschen, die der Todesschussfahndung zum Opfer fielen.

2.4. Gesetze gegen Gefangene aus der RAF
2.4.1. §§129/129a StGB
Die §§129 und 129a StGB tragen die redaktionelle Überschrift "Bildung krimineller ..." und "... terroristischer Vereinigungen" und stellen Gründung, Mitgliedschaft in, seit den 70ern auch Werbung für und Unterstützung einer solchen unter Strafe. Diese Paragraphen gehören zum politischen Strafrecht, d.h. sie sind auf politisch motiviertes Handeln anwendbar. Es ist zugleich ein Kollektivstrafrecht, d.h. ein "Mitglied" kann für sämtliche Straftaten seiner "Vereinigung" belangt werden. Auch wenn keine Tat konkret nachgewiesen wird, kann der/die Angeklagte als mehrfache/r Mörder/in verurteilt werden. Sie dienen der Ausschaltung innenpolitischer Gegner/innen mit justizförmigen Mitteln. Der §129 wurde und wird nahezu ausschließlich gegen links, in der BRD bis Mitte der 60er hauptsächlich gegen die KPD eingesetzt. Der §129a war Teil des von Bundestag und -rat 1976 verabschiedeten "Anti-Terror-Gesetzes". Dieses unter "Lex RAF" in die Geschichte eingegangene Gesetz erhält Änderungen des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes, das die Überwachung des Schriftverkehrs zwischen Verteidiger/inne/n und politischen Gefangenen erlaubt.

Die Rechtsauslegung der §§129/129a durch den BGH leistete ihren eigenständigen Beitrag, um die mehrfache Funktion dieser Paragraphen wirksam werden zu lassen: "Zum 1. als Instrument strafprozessualer Beweisvereinfachung dort, wo den Gerichten der Nachweis einer konkreten individuellen Beteiligung an einzelnen Delikten nicht gelingt, also eine Verurteilung nach herkömmlichen Recht nicht möglich wäre. Zum 2. als Grundlage für die Haft in der Haft, also jene berüchtigten »isolierenden Haftgründe«, wie der BGH die Isolierhaft bezeichnet [...]. Zum 3. als Ermittlungsparagraph, der der Polizei auf Grundlage der mit dem §129a verquickten strafprozessualen Sonderermittlungsbefugnisse ein schier unbegrenztes Arsenal an Ausforschungsmöglichkeiten in die Hand gibt. Zum 4. als Instrument der Repression im Vorfeld der gerichtlichen Verurteilung [...]." (ID-Archiv, 1991, S. 21)

2.4.2. Kontaktsperre
Einen Tag nach der Entführung des Alt-Nazis, ehemaligen NSDAP-Mitglieds und damaligen Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Hans-Martin Schleyer, durch die RAF am 05.09.1977 wurde gegen alle aufgrund der §§129 und 129a verfolgten Gefangenen eine Kontaktsperre verhängt. Diese schnitt jeglichen Kontakt untereinander und zur Außenwelt ab - ausgenommen der zu den staatlichen Behörden, denen die Gefangenen um so schutzloser ausgeliefert waren. Entscheidungen von Gerichten, dass die Verteidiger/innen von der Besuchsüberwachung auszunehmen seien, wurden missachtet. Die Bundesregierung berief sich bei der Zwangsmaßnahme der Kontaktsperre, für die es keine Rechtsgrundlage gab, auf den "übergesetzlichen Notstand". Am 29.09.1977 wurde das Kontaktsperregesetz (§§31ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz) in zweiter und dritter Lesung durch den Bundestag in bisher nie Dasein Tempo beschlossen. Mit dem Inkraft treten erhielt der illegale Zustand, in dem die politischen Gefangenen gehalten werden, eine Gesetzesgrundlage (GNN, 1993, S. 96).

2.4.3. Einschränkung von Verteidigungsrechten
In Verfahren nach §129a StGB kontrolliert ein/e Richter/in die Korrespondenz zwischen Verteidiger/innen und Gefangenen (§148 Abs.2 StPO). Diese/r hält die Post zurück, wenn sie/er der Auffassung ist, sie diene nicht dem Zweck der Verteidigung. Dadurch und durch Durchsuchungen in Zellen und Kanzleien mit einhergehenden Beschlagnahmungen von Prozessunterlagen kann sich Polizei und Staatsanwaltschaft einen Einblick in das Verteidigungskonzept verschaffen. Auch der mündliche Verkehr wird massiv kontrolliert und akustisch überwacht. Der baden-württembergische Innenminister räumte im März 1977 öffentlich ein, dass in zwei "Ausnahmesituationen" im Stammheimer Knast Gespräche zwischen Gefangenen aus der RAF und ihren Verteidigern heimlich auf Tonband aufgenommen worden sind.
Neben der 1974 erfolgten Einschränkung des Erklärungsrechts des Gefangenen in der Hauptverhandlung (Streichung des §271a StPO) wird auch das Recht von Verteidiger/innen, Erklärungen abzugeben, beschnitten, indem (justiz-)kritische Äußerungen mit Ehrengerichtsverfahren beantwortet werden. Verteidiger wurden aus Verfahren ausgeschlossen, u.a. mit der Begründung, sie hätten eine "kriminelle" bzw. "terroristische Vereinigung", nämlich die Gefangenen aus der RAF, "unterstützt". Mit ähnlicher Begründung wurden vier Verteidiger verhaftet und zu Knast und Berufsverbot verurteilt. Ziele dieser Eingriffe in das Verteidigungsrecht sind erstens die Isolation der politischen Gefangenen zu verschärfen, diese werden einer der wenigen ihnen verbliebenen Kommunikationsmöglichkeiten beraubt; zweitens eine politische Verteidigung zu verhindern und drittens zu verhindern, dass die staatlichen Maßnahmen gegen die Gefangenen an die Öffentlichkeit gelangen (Bakker Schut, 1995, S. 137ff.).

2.4.4. Kronzeugenregelung
1994/95 gab es weitere Prozesse gegen Gefangene aus der RAF aufgrund von Kronzeugenaussagen. Die "Kronzeugenregelung" in §129a-Verfahren wurde seit den 70ern massiv gefordert, scheiterte noch parlamentarisch im ersten Anlauf 1986, ist aber seit Juni 1989 bis heute in Kraft, obwohl sie ursprünglich nur bis 1992 gelten sollte. Sie erlaubt erhebliche Strafmilderungen für Beschuldigte, vorausgesetzt, dass er/sie durch Aussagen andere schwer belastet (ID-Archiv, 1991, S.185). In diesen Kronzeugenprozessen kauften sich viele derjenigen frei, die in den 80ern den bewaffneten Kampf aufgaben und von der DDR aufgenommen wurden. Deren Aussagen führten zu erneuten Verurteilungen von Gefangenen aus der RAF. Die vehemente Durchführung dieser Prozesse und der Verurteilungswille belegen, dass die staatliche Vernichtungsstrategie bis heute besteht.

2.5. Sonderhaftbedingungen
Die Gefangenen aus der RAF haben jahrzehntelange Sonderhaftbedingungen hinter sich. Eigens für sie wurden Hochsicherheitstrakte errichtet und besondere Haftstatute auf dem Weg der Verfügung durch Anstaltsleiter oder Richter erlassen, die ab dem ersten Tag der Haft gelten. Darin waren und z.T. sind immer noch u.a. tägliche Zellenkontrollen und Leibesvisitation, eine Beobachtung rund um die Uhr, das Tragen von Anstaltskleidung, das Fesseln bei Bewegungen im Freien, Einschränkungen und Überwachung des Briefverkehrs und der Besuche oder die Trennscheibe bei Besuchen festgeschrieben, sowie die Totale Isolation nach innen und außen. Soziale Isolation und sensorische Deprivation zielen auf das Aushungern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tast-Organe, was zu lebensbedrohlichen Zuständen führt. Die Haftbedingungen widersprechen Prinzipien der UN-Menschenrechtskommission, und amnesty international bezeichnete sie wiederholt als Folter. Bei der Vollstreckung wirkten Ärzt/innen und Psychiater/innen mit, insbesondere bei Trinkwasserentzug und Zwangsernährung während Hungerstreiks. Letztere führte 1974 bzw. 1981 zum Tod der Gefangenen Holger Meins bzw. Sigurd Debus. In zahlreichen Hungerstreiks wurde die Aufhebung der Totalen Isolation erkämpft, aber durch architektonische Abschottungsmöglichkeiten oder Unterbringung in Kurzstrafenknästen ist es für die Gefangenen weiterhin unmöglich, einen längerfristigen Austausch zu pflegen, schon gar nicht mit gefangenen Genoss/inn/en.

Die Sonderhaftbedingungen, insbesondere die Isolation, führen zu Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Einschränkung der Leistungsfähigkeit, chronischem Schnupfen, chronische Bronchitis und Beeinträchtigungen der psychischen Funktionen. Sie sind selbstverständlich nicht spurlos an den Gefangenen vorübergegangen, sie haben verheerende psychische und physische Auswirkungen und zu irreparablen gesundheitlichen Schäden geführt. Im Gegensatz zur BRD haben andere Staaten (z.B. Uruguay) Sonderhaftbedingungen doppelt bzw. dreifach auf die Haftzeit angerechnet und die Gefangenen entlassen.
Ende der 70er wurde in mehreren medizinischen Gutachten die Haftunfähigkeit des Gefangenen Günter Sonnenberg festgestellt, dennoch wurde er nicht freigelassen, sondern 1979, knapp zwei Jahre nach seiner Verhaftung, sogar zu lebenslänglichem Knast verurteilt. Entlassungen wegen Haftunfähigkeit aufgrund der Sonderhaftbedingungen gibt es in der BRD nur dann, wenn in den Augen der Verantwortlichen der Körper der/des Gefangenen ausreichend genug zerstört ist. Zweck der Sonderhaftbedingunen ist erstens die politische Identität der Gefangenen zu zerstören. Sie sollen vor die Alternative gestellt werden, entweder "abzuschwören" - und dann in den Normalvollzug integriert zu werden - oder aber der Isolation und damit physischer und psychischer Zerstörung unterworfen zu sein. Zweiter Zweck ist die Aussageerpressung und dritter schließlich die Gefangenen zu quälen, Rache zu üben, sie die volle Gewalt des Staates spüren zu lassen (Bakker Schut, 1995, S. 47ff.).

3. Nachwort

Betrachtet man sich die beschriebenen Gesetzesänderungen und -verschärfungen und ihre Begründungen gewinnt man den Eindruck, dass diese notwendig waren um die Sicherheit und Stabilität des Staates BRD zu gewährleisten. Die RAF zeigte, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung und der bürgerliche Staat als ein Teil davon angreif- und verletzbar sind, dass dessen Bestreben, alle Objekte zu schützen, gleichzeitig überall zu sein, dazu führt, dass er nicht immer stark genug sein kann. Zur Absicherung der herrschenden Interessen war und ist es offenbar notwendig (Grund-)Rechte abzuschaffen oder einzuschränken, Gesetze zu verschärfen und neue einzuführen. Gesetzesverschärfungen waren und sind nichts einmaliges in der BRD. Es wurde und wird immer ein Anlass gefunden, notfalls konstruiert, um - wie geschehen - den Notstand Normalität werden zu lassen. In den 50ern war es der angeblich moskau-gesteuerte Widerstand gegen die Wiederbewaffnung der BRD, später die RAF, heutzutage sind es "Asylbetrüger", "kriminelle Ausländer" und die "organisierte Kriminalität".

Über 20 Jahre nachdem sich Gruppen und Einzelpersonen in Initiativen und Aktionen für die Gefangenen der RAF und gegen die Sonderhaftbedingungen eingesetzt haben, sitzen heute immer noch Gefangene aus der RAF in deutschen Knästen, weil sie ihre politische Geschichte und ihre politischen Überzeugungen verteidigen. Diese Gefangenen sind lebende Zeugen der skizzierten Seite der BRD-Geschichte, sie sind Zeugen einer Bloßlegung des Staatsapparats, der große Teile dieser Geschichte aus der öffentlichen Erinnerung, im inneren wie international - auch zur Durchsetzung heutiger Politik im Weltmaßstab -, vergessen lassen, streichen oder umschreiben will, indem er die, die davon Zeugnis geben, als pathologische Fälle ausgrenzt. Die Gefangenen aus der RAF begannen einen Kampf für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus, für eine Gesellschaft, befreit von ökonomischer Ausbeutung und politischer Unterdrückung, für eine Gesellschaft ohne Gewalt, für eine Gesellschaft die keine Knäste mehr benötigt. Den Kampf um Befreiung zu führen ist heute nicht weniger notwendig; zur Neubestimmung revolutionärer Politik sind auch die Gefangenen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen, außerhalb der Knäste nötig. Nur die Freiheit für die Gefangenen aus der RAF setzt den jahrzehntelangen Sonderhaftbedingungen ein Ende.
Sechs Gefangene aus der RAF sind noch im Knast. Sie müssen alle raus. Bedingungslos und sofort. Freiheit für Rolf Heißler (im Knast seit 1979, davor weitere 3 Jahre), Brigitte Mohnhaupt (in Knast seit 1982, davor weitere 4 Jahre), Rolf-Clemens Wagner (im Knast seit 1979), Christian Klar (im Knast seit 1982), Eva Haule (im Knast seit 1986), Birgit Hogefeld (im Knast seit 1993).


4. Literatur

Bakker Schut, Pieter u.a. (Hg.). (1995). Todesschüsse. Isolationshaft. Eingriffe ins Verteidigungsrechts. Berlin: Verlag Rote Säge
GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung. (1993). Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte. Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF). Köln: GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte m.b.H.
ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (Hg.). (1991). Aufruhr. Widerstand gegen Repression und §129a. Amsterdam/Berlin: Edition ID-Archiv

Stand 16/01/2000