Quelle: cultrast
Mitläuferinnen

Dirk Burchard im Juni 2000

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Anfang der 80er Jahre war ich jung. Es herrschte Aufbruchstimmung in WestDeutschland. Die 70er Jahre mit der Weltwirtschaftskrise waren vorüber. Der mit dem Feindbild RAF aufgebauschte Polizeistaat hatte keinen Rückhalt in der Bevölkerung gefunden, sondern vielmehr eine Friedens- und eine AntiAtomkraftbewegung sowie die Gründung der Partei DieGRÜNEN provoziert. Aus Großbritannien kam großartige Popmusik, und in Deutschland entwickelte sich die "Neue Deutsche Welle". Das hätte von mir aus ewig so weitergehen können.

Aber die im Wort- und nicht im F.D.P.-Sinne liberalen Reformen der 70er Jahre - insbesondere im Bildungswesen - zeigten ihre Auswirkungen in einem gigantischen Wirtschaftsaufschwung. Und den umzuverteilen traten Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher an. Noch blieb es ein Phänomen der 80er Jahre, daß diese Regierung und ihre asoziale Politik allgemein als vorübergehender Ausnahmezustand anerkannt blieben. In den 90ern wurde das anders. Mit der Wiedervereinigung wurden 16 Millionen DDR-Bürger zu Bundesbürgern, die 40 Jahre lang mit Bauernschläue ihrer sozialistischen Führungselite die Pfründe der Entmachtung des Bürgertums abgerungen und die in Erich Honecker einen Führer gefunden hatten, der solche Unterwerfungsgesten mit Bananenkontingenten belohnt hat. War es im Westen bisher durch alltägliche Überzeugungsarbeit noch möglich, Distanz zum KohlRegime zu wahren, brach in den 90er Jahren auch diese Sicherheit zusammen. Vermengt mit hemmungslos opportunistischen Ostdeutschen formte sich das gesamtdeutsche Mitläufertum zum Mob.

Seit der Jahrtausendwende wird dieses Phänomen abgewickelt. Überflüssig zu erwähnen, daß zwischenzeitlich Gerhard Schröder die asoziale Politik seines Vorgängers fortsetzt, erstmals einen Angriffskrieg geführt und diesen als humanitären Hilfseinsatz hingestellt hat. Viel interessanter war der sogenannte Spendenskandal, mit dem sich der Mob als von Helmut Kohl belogen aufspielte, als seien von diesem Mann jemals seriöse Machenschaften zu erwarten gewesen und als würde diese Aufregung heute zu sachgerechter Argumentation bei tagespolitischen Themen führen. Aber Deutsche in Ost und West hatten sich schon einmal erfolgreich als verführt von einem schwachsinnigen Österreicher ausgegeben, der sich vorher angestrengt hatte, des Volkes Ideale zu kreischen, diese völkisch zu formulieren und auszumerzen, was diesem Gemeinschaftsbild nicht entsprach. Kennzeichnend für die heutige Opferdarstellung bleibt vermutlich ebenso wie im Nachkriegsdeutschland, daß der Mob die Opferrolle vereinnahmt und die tatsächlichen Opfer um ihre Rehabilitation bringt.

Mit Heike und Sabine (Namen geändert!) sind mir nun kürzlich zwei aufschlußreiche MitläuferinnenPersönlichkeiten begegnet, die ich gern vorstellen möchte. Das Arbeitsamt Hamburg hatte mir ein Bewerbungstraining bewilligt, mich für den Arbeitsmarkt kompatibel zu machen, hübsche Bewerbungsmappen zu basteln und mich in Selbstdarstellung für Bewerbungsgespräche zu trainieren. Dort begegneten mir Sabine und Heike.

Heike ist Journalistin und hat wohl so einige Reportagen fabriziert, die sie heute nicht mehr machen würde, wie sie schonmal zugibt. Sie ist gesellig, kokett und gibt sich offen und herzlich. Sie hört sich gern Probleme anderer an und mag es nicht, wenn man sie umgekehrt nach persönlichen Themen fragt. Sie erstellt Bewerbungsanschreiben voller schlichter Tugenden, preist ihre selbstverständliche Bereitschaft zu Schicht- und Wochenendarbeit und will sich sogar für die EXPO in Hannover interessieren, deren Chefin Birgit Breuel ihr keinen Anlaß zu Zweifeln gibt. Aber sie läßt sich immerhin noch überreden, bei Sat1 keine Gehaltsforderung unter Tarifvertrag zu stellen. Richtig böse kann Heike jedoch werden, wenn andere sich nicht so anpassungswillig ankuscheln, wenn sie ihre Extrawurst braten und sogar noch individuell sein wollen. Dann wird Heike keifig und geißelt solche Selbstdarstellungen mit "Ich habe das Gefühl, du willst einfach so geliebt werden, wie du bist", denn jeder hat sich gefälligst den Erfordernissen des Marktes anzupassen. Ich selbst hatte ihr einmal geraten, sich mit ihren journalistischen Fähigkeiten ein eigenes Projekt zu suchen und dranzubleiben. Ich dachte dabei an Reportagen, wie sie gelegentlich zu abendfüllenden Kinofilmen zusammengeschnitten werden. Heute fürchte ich, ihr Projekt würde die Portraitierung von Opfern des KohlRegimes, und dann würde sie wahrscheinlich viele Preise bekommen, weil sie so einfühlsam deren unterdrückten Persönlichkeiten zur Entfaltung verhilft.

Sabine ist Kauffrau und Fremdsprachenkorrespondentin. Sie interessiert sich für alles, sogar für Themen, an denen ich lange gearbeitet habe, trotzdem sie seit 1982 nicht opportun sind. Mit ihrem lautstark bekundeten Interesse besetzt sie diese Themen öffentlich. Dies ist ihre Einladung, sich intellektuell anzapfen zu lassen. Man kann mit Sabine dann lebhafte Diskussionen führen, in denen sie oftmals die Standpunkte des reaktionären Mainstreams einnimmt und sich überzeugen läßt, warum dies fatal ist. Dann gibt sie sich erobert und lacht, ob man denn mit einer Mitläuferin wie ihr noch einen Kaffee trinken würde. Jedoch bedarf es einer Opferrolle, damit das Schmarotzen an der geistigen Arbeit anderer ohne tatsächlichen Austausch einseitig bleiben kann. Nur so erheischt man Nachsicht und bereitwillige Versorgung mit Informationen. Und da besitzt Sabine ein beachtliches Repertoire, wie sie ständig interessierte Aufmerksamkeit zeigt, zwischendurch im Fahrstuhl äußert "Manchmal möchte ich tot umfallen" und alle Störeinflüsse "defokussiert", wie ein häufig von ihr benutzter Begriff lautet.

Am Samstag löste sich dieses Wechselbad mit ihrem freudig bekundetem Interesse auf, und ich selbst wurde defokussiert, weil vermutlich intellektuell für ihre Bedürfnisse abgegrast. Sabine rief mich an, und ich freute mich noch. Sie meinte aber sogleich, daß es gar nichts zu freuen gäbe, weil sie mir etwas weniger nettes mitzuteilen hätte. Gegen sie würde nämlich derzeit eine "Rufmordkampagne" laufen, weswegen sie mit neuen Kontakten sehr vorsichtig wäre. Da wollte sie lange überlegt haben und zu dem Standpunkt gekommen sein, daß ich für sie eher nicht vertrauenswürdig sei. Aber sie hätte keine Probleme damit, mir auf der Straße zu begegnen. Und damit war das Gespräch für sie beendet.

Bei Dorothy Parker gibt es manchmal eine höhere Gerechtigkeit, welche die Peiniger ihre eigene Niedertracht reproduzieren läßt, und so gibt es auch bei Sabine einen kleinen Trost, und das ist die Geschichte von Mitläuferinnen unter sich. In Magdeburg hatte ich einmal einen Artikel über StasiDenunzianten gelesen, die plötzlich nach vielen Jahren von den Erinnerungen an ihr eigenes Tun heimgesucht werden, und solch ein Sühnebedürfnis hat sich vor kurzer Zeit mal bei Sabine geregt. Heike hatte anläßlich ihres Geburtstags eingeladen. Und Sabine hat dann auf Heikes Anrufbeantworter gesprochen, daß sie nicht käme, auch nicht weiter zum ArbeitslosenSeminar, weil es für sie keinen Start mehr gäbe. Heike hat daraufhin Selbstmordabsicht vermutet und die Polizei informiert. Ich hatte Sabine sogleich angerufen und erfahren, daß diese entschieden hätte, ins Kloster zu gehen. Und vermutlich wird sie das demnächst doch noch tun. Was die Polizei mit der vermeintlichen Selbstmöderin gemacht hat, die doch nur ins Kloster wollte, ist nicht bekannt.

Was ich an dieser Geschichte traurig finde, ist daß beiden Frauen ihr Mitläufertum nicht mal etwas genützt hat. Und auch mir wird es nichts nützen, daß ich in den letzten zehn Jahren konsequent meine individuellen und nicht angepaßten Standpunkte entwickelt und vertreten habe, weil die Entsolidarisierung der KohlÄra fortwirkt...

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