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Krise der Rechtsextremen in Frankreich

Von Francis Dubois

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Zu Beginn des Jahres 1999 spaltete sich die französische rechtsextreme Organisation Front National nach monatelangem öffentlichen Streit ihrer zwei wichtigsten Führer, des Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen und des Generalsekretärs, Bruno Mégret. Schon seit über einem Jahr führen die zwei Tendenzen (Le Pens Flügel, der Front National [FN], und der Mégret-Flügel, Mouvement National Républicain [MNR]) ein getrenntes Dasein, dessen Modalitäten gerichtlich festgelegt wurden (Le Pen konnte den Parteinamen beibehalten). Die beiden Gruppen beschimpfen sich eifrig und versuchen verbissen sich gegenseitig auszuschalten.

Seitdem hat die äußerste Rechte einen bedeutenden Prozentsatz ihrer Wählerschaft verloren (sie ist in den Europawahlen vom Juni 1999 von 16 auf unter zehn Prozent abgesunken) und auf europäischer, regionaler und kommunaler Ebene Abgeordnetensitze eingebüßt. Während ein guter Teil der Führungskader des FN austrat, um sich Mégret anzuschließen, erlitt auch der MNR eine Welle von Aus- und Rücktritten, die bis heute andauert. Beide Tendenzen möchten verhindern, dass sie völlig an den Rand gedrängt werden, und versuchen sich auf dem Schachbrett der französischen Politik neu zu profilieren.

Obwohl Le Pens Fraktion aus dem Debakel einiges retten konnte (unter anderem konnte sie die 41 Millionen Francs, die die Partei an jährlicher Zuwendung vom französischen Staat erhalten hatte, für sich verbuchen), zeigt sie seither alle Anzeichen einer dauerhaften Krise. Manchen Einschätzungen zufolge hat sie ein Drittel ihrer Mitglieder verloren und erlebt zur Zeit immer neue Austritte ihres Führungspersonals. Sie verliert stark an Einfluss in der Bevölkerung; ihr Ergebnis in der Europawahl von Juni 1999 (5,69 %) lag weit unter den acht bis neun Prozent, die ihr die Umfragen vor der Wahl zugeschrieben hatten.

Der elfte Kongress des FN, der vom 28.-30. April 2000 in Paris stattfand, hat diese Situation bestätigt. An der Wahl zum Zentralkomitee des FN beteiligte sich nur ein geringerer Teil der Mitgliedschaft, und zahlreiche prominente Politiker, die in der Spaltung noch auf ihrer Seite standen, blieben dieser Wahl fern. Der traditionelle Umzug des FN zum ersten Mai hat in diesem Jahr die vergleichsweise geringe Zahl von 3.000 Teilnehmern angelockt. Die heftigen Angriffe und das Siegesgeschrei in der Öffentlichkeit gegenüber dem MNR waren deutliche Anzeichen dafür, dass die gegenwärtige FN-Führung sich in einer kritischen Lage befindet. Andere Krisenzeichen, der Rücktritt des Führers ihrer Jugendorganisation inmitten des laufenden Kongresses, ließen ebenfalls erkennen, welche starken Spannungen innerhalb der Partei herrschen.

Eine der wichtigen Veränderungen, die der FN seit der Spaltung in seiner Politik eingeführt hat, ist die Anerkennung dessen, was man normalerweise mit "Multikulturalität" oder "Multiethnizität" bezeichnet (gemeint ist im wesentlichen die Integration jener Einwanderer, die seit langem im Lande leben). Die Anerkennung der Multikulturalität wird von den FN-Führern unter dem Gesichtswinkel gerechtfertigt, dass der französische Staat bedingungslos, und sei es unter Übergehung religiöser und kultureller Aspekte, gegen andere imperialistische Staaten verteidigt werden müsse. Dieser Schwenk wurde Ende letzten Jahres vollzogen und führte zu einem heftigen Konflikt mit dem Flügel der katholischen Integristen, welche sich heftig gegen ein Zusammenleben mit Muslimen wehren. Die Kehrtwende wurde jedoch von Le Pens Umfeld durchgesetzt und auf dem Kongress offiziell durch die Wahl eines "Beur" (eines Franzosen maghrebinischer Abstammung) ins Zentralkomitee vollzogen. Vielen FN-Mitgliedern, die sich bisher vor allem über ihren anti-arabischen Rassismus definiert hatten, erschien dies ein völliger Widerspruch zu allem, was der FN bisher vertreten hatte. Ebenso verhält es sich mit einer weiteren Neuerung: Der FN fordert nicht mehr, dass die Legalisierung der Abtreibung annulliert werden müsse.

Zahlreiche FN-Führer aus der Provinz haben die Partei verlassen, weil sie dachten, Le Pen habe die Orientierung verloren (einer von ihnen wurde sogar in der Presse mit den Worten zitiert, Le Pen sei "verrückt geworden"). In Wirklichkeit handelt es sich um eine politische Umorientierung: Das Hauptziel des FN (und auch sein Nutzen für die französische Bourgeoisie)bleibt nach wie vor die Mobilisierung des Kleinbürgertums gegen die Arbeiterklasse, sein Rassismus ist lediglich ein Mittel zu diesem Zweck.

Ein Jahr nach der Spaltung wird Le Pens Führung, die seit zwanzig Jahren weitgehend unangefochten bestand, in seiner Partei mehr als je zuvor in Frage gestellt. Man wirft ihm öffentlich Fehler vor. Man spricht von "Ablösung" und sagt, die Präsidentschaftswahlen von 2002 seien für ihn die letzten. Es lassen sich Stimmen vernehmen, die einen Führungswechsel von einer Ein-Mann-Führung auf eine "kollegiale" Parteileitung fordern. Dies bedeutet, dass die Linie, die er verkörpert und seit fast zwanzig Jahre vertreten hat, nichts mehr taugt. Er wurde selbst in der Presse mit den Worten zitiert, die politischen Prämissen, die er seit dreißig Jahren vertreten hätte, seien nicht unbedingt die richtigen.

Dem MNR von Mégret ergeht es nicht besser. Er wurde in einer Reihe von Wahlen, an denen er teilnahm, buchstäblich an den Rand gedrängt (er erhielt 3,5 % der Stimmen in den Europawahlen Juni 1999 und ähnliche Quoten oder noch weniger während der Kommunal- und parlamentarischen Nachwahlen). Nach den Europawahlen war er mit enormen finanziellen Problemen konfrontiert. Im Gegensatz zu Le Pen versuchte der MNR sich den traditionellen rechten Politikern anzunähern, die mit seinen Thesen sympathisieren. Zu eben diesem Zweck nannte er seine Tendenz Mouvement National Républicain. Ein Teil seiner regionalen Abgeordneten hat sich unter dem Namen "Verschiedne Rechte" umorganisiert und versucht so, auf regionaler Ebene enger mit Teilen des UDF (Union pour la démocratie française) und des RPR (Rassemblement pour la République) zusammenzuarbeiten. Aber dabei stoßen sie auf Probleme. Mégret wurde vor kurzem gezwungen, Politiker aus seiner Partei auszuschließen, die ein Wahlbündnis mit dem RPF (Rassemblement pour la France) von Charles Pasqua vorgeschlagen hatten.

Im Gegensatz zum Front National hat der MNR auf seinen offen rassistischen Grundsätzen bestanden und vor kurzem eine aggressive Kampagne gegen das Ausländerwahlrecht begonnen - als Reaktion auf ein von den Grünen eingebrachtes Gesetz, das zur Zeit im Parlament beraten wird. Der MNR hat sich jüngst Jörg Haider und die FPÖ als Vorbild erkoren. Außerdem hat er sich eindeutig dafür ausgesprochen, sich vom "Erbe der französischen Revolution", von der Philosophie der Aufklärung und der Erklärung der Menschenrechte loszusagen. Auf diese Weise versuchte er wohl, sich deutlich vom FN abzugrenzen und die Unterstützung der katholischen Integristen zu gewinnen.

Die Spaltung zwischen Mégret und Le Pen hat sich nicht auf ganz eindeutige Art und Weise vollzogen. Ein Teil der Mitglieder beider Parteien ist zwar in der einen und anderen Organisation, arbeitet aber trotzdem gelegentlich mit Mitgliedern der andern Partei zusammen, wie zum Beispiel bei den Wahlen an den Universitäten. Es gibt auch Tendenzen, die im FN verblieben, aber lange Zeit ihre Vorliebe für den MNR zur Schau trugen. Wieder andere haben sich in dem Konflikt nicht eindeutig festgelegt. Dies ist der Fall bei der Tageszeitung Présent, einer Zeitung, die die Anschauungen der katholischen Integristen und der Royalisten zum Ausdruck bringt. Zahlreiche heutige Konflikte sind entstanden, weil Le Pen keine Wahlbündnisse mit dem MNR zuließ. Dennoch bleibt die Spaltung unter den gegenwärtigen Bedingungen unüberbrückbar.

Gewisse Analysten sprechen im Zusammenhang mit der Krise des FN davon, der "Antrieb" oder die "Dynamik" sei gebrochen. Die Krise, die die französischen Rechtsextremen erschüttert, ist auf Änderungen in der politischen Situation und im Verhalten bedeutender Schichten der rechten Wählerschaft zurückzuführen.

Wenn man einmal einen Blick auf die Resultate der Wahlen wirft, die unmittelbar nach der Spaltung stattgefunden haben, nämlich die Europawahlen, so kann man feststellen, dass ein guter Teil des rechtsextremen Wählerpotenzials eindeutig zu Pasqua und de Villiers und ihrem "souveränistischen" und anti-europäischen RPF übergegangen ist. Dabei decken sich die Verluste von Le Pen und Mégret fast genau mit den Gewinnen von Pasqua-de Villiers sowohl in den ehemaligen Industriegebieten (in der Region Nord-Pas-de-Calais), als auch in Südostfrankreich, wobei die Verluste in den Städten der Region Provence-Côte d'Azur überwiegen.

Ein etwas geringerer Teil ist sehr wahrscheinlich von der "Jägerpartei" (CPNT - Chasse, Pêche, Nature, Tradition) vereinnahmt worden, eine Partei, die kurz vor der Europawahl gegründet wurde, das Land der Stadt gegenüberstellt und deren Rhetorik sich in eindeutig reaktionären Bahnen bewegt.

Ein Teil der Wählerschaft der rechtsextremen Parteien blieb orientierungslos der Wahl fern, um sich nicht zwischen den zwei Tendenzen entscheiden zu müssen. Einige Beobachter sind der Meinung, dass diese Art von Enthaltung besonders stark bei den sogenannten "Arbeiterstimmen" von Le Pen zu beobachten sei: Es handelt sich um größtenteils jüngere Arbeiter, Teilzeitbeschäftigte mit geringem Bildungsstand, die von sich sagen, sie seien "weder rechts noch links" - Stimmen , die Le Pen besonders von 1995 an angezogen hatte. (Damals gingen die starken Gewinne des FN in den Wahlen zwischen 1995 und 1997 auf scheinbar paradoxe Weise mit der allgemeinen Opposition gegen die [rechte] Juppé-Regierung einher).

Ein Teil der Wählerschaft des FN war enttäuscht von seiner Kommunalpolitik und wandte sich von ihm ab. In Toulon, wo der FN seit fünf Jahren den Stadtrat stellt, hat der RPF von Pasqua-de Villiers mit 20,7 Prozent beide Listen (FN mit 10,7% und MNR mit 6,8%) bei weitem überholt. Nachdem sie sich auf einer Plattform gegen Korruption haben wählen lassen, landete die Gemeinde sehr schnell wieder in einer Skandalwirtschaft, wie sie schon die frühere rechte Kommunalregierung gekannt hatte. Der Bürgermeister, Le Chevalier, war vor der Wahl aus dem FN ausgetreten. Im Departement Vaucluse, dessen zweitgrößte Stadt das ebenfalls vom FN kontrollierte Orange ist, haben die Rechtsextremen zwei Prozent ihrer Wählerstimmen verloren. Im Departement Bouches-du-Rhône, wo der FN zwei Städte, Vitrolles und Marignane, kontrolliert, haben FN und MNR zusammen nur noch fünfzehn Prozent erzielt.

Es ist auch anzunehmen, dass Jospin vorübergehend in der Lage war, in einigen benachteiligten Arbeiterschichten den Eindruck zu wecken, seine Regierung unternehme tatsächlich etwas gegen die "Ausgrenzung", und so Protestwähler für die "plurale Linke" zurückzugewinnen. Eine Stimmabgabe für diese Regierung bedeutete dabei keine große Umorientierung, da es auch in der Regierung selbst chauvinistische Strömungen gibt (Jean-Pierre Chevènement und seine MDC, Mouvement des Citoyens, sowie auch der PCF, die kommunistische Partei Frankreichs mit ihrer notorisch gegen Maastricht gerichteten Haltung).

Die Äußerste Rechte hat vor allem ihren Einfluss in den wenig industriellen Städten im Süden Frankreichs verloren, wo sie seit Anfang der achtziger Jahre ihre wichtigsten Hochburgen hatte. Momentane Nutznießer sind Pasqua-de Villiers, das heißt Politiker, die in gewissem Maße der traditionellen Rechten nahe stehen. Sie hat auch in den ehemaligen Industriezentren ihren Einfluss "im Volk" eingebüßt.

Was die Rivalität zwischen Le Pen und Mégret betrifft, so hat Le Pen in den Städten im Norden und Osten Frankreichs, die unter dem industriellen Niedergang gelitten haben, bessere Ergebnisse erzielt und sich besser gehalten als Mégret, während dieser wiederum bessere Ergebnisse in der Region Provence-Côte d'Azur sowie im 16. Arrondissement, dem reichsten Viertel von Paris, erzielt hat. Mégret überholte Le Pen in der Region Provence-Côte d'Azur.

In den wenig industrialisierten Städten im Süden haben sich Mégret und viele Führer des Front National in den letzten zehn Jahren in der Kommunal- und Regionalpolitik engagiert, was den FN in den Städten Toulon und Orange an die Regierung brachte. Die kleinbürgerlichen Würdenträger, auf die sie sich dabei stützten, sind in Konflikt zu Le Pen geraten, dessen Politik mehr auf die verelendeten Schichten in den sozialen Brennpunkten ausgerichtet ist. Dies hat die Widersprüche in der französischen rechtsextremen Partei offen gelegt.

Einer der Widersprüche besteht darin, dass der FN sich immer auf unterschiedliche Wählerschichten gestützt hatte. Vereinfachend kann man sagen, dass es einerseits Leute sind, die politisch rechts außen stehen, und andererseits Wähler, die politisch desorientiert sind und sich eher gegen die etablierten Parteien wenden (sowohl gegen die traditionellen Rechten als auch gegen die Sozialdemokraten und Stalinisten), als dass sie ein konkretes Programm wählten. Eine solche Wählerschaft ist äußerst instabil und kann sich jederzeit gegen die Partei wenden, für die sie gerade noch gestimmt hat. In Abwesenheit einer ernsthaften politischen Alternative der Arbeiterklasse hat es Le Pen früher immer verstanden, diese verschiedenartigen Stimmen auf sich zu vereinigen. Sobald jedoch die Bevölkerungsschichten, aus denen sie stammten, durch die Krise auseinander gerissen werden und in verschiedene Richtungen driften, muss sich diese Mischung wieder trennen und die Partei, die sich darauf stützt, in eine ernste Krise werfen.

Die Krise des FN wird den Rechtsextremen nicht den Garaus machen, wie manche Kommentatoren behaupten. Ein Einflussverlust bei den Wahlen ist ein ernstes Krisensymptom, bedeutet aber nicht das Verschwinden von Parteien, die sich nicht grundsätzlich auf das Parlament stützen, sondern in Wirklichkeit auf die Mobilisierung von kleinbürgerlichen Schichten und des Lumpenproletariats gegen die Arbeiterklasse. Für jede Partei, die verschwindet, entstehen zwei neue, solange der Kapitalismus gezwungen ist, die Lebensbedingungen der Arbeiter anzugreifen, und solange es keine sichtbare Alternative zum Kapitalismus gibt. Diese Krise bedeutet also keine Verminderung der Gefahr, die rechtsextreme Parteien für die Arbeiterklasse darstellen. Sie bedeutet auch keine "Atempause", wie mancherorts leichtfertig behauptet wird.

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