Quelle: www.jungle-world.com 

Das wundersame Überleben 
der unmittelbaren Subjekte

Robert Kurz will über eine »emanzipatorische Antimoderne zur gesellschaftlichen Massenbewegung« kommen und landet im Reich linker Ontologie und Geschichtsphilosophie. 
Von Udo Wolter
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Ein wahrhaft schwarzes Bild vom Kapitalismus und seinem nahenden Ende zeichnet Robert Kurz im »Schwarzbuch Kapitalismus«. Aber Kurz und die Krisis-Gruppe bieten einen Ausweg: die »emanzipatorische Antimoderne«. »An der Schwelle des 21. Jahrhunderts« bedürfe es dieser neuen Bewegung, »die sich nicht mehr von den innerkapitalistischen Gegensätzen instrumentalisieren und für dumm verkaufen lässt, sondern der gesamten Modernisierungsgeschichte auf der Höhe der dritten industriellen Revolution den Prozess macht«. Leider bedient sich Kurz bei seinem Versuch, eine linksradikale Bewegungsoption wiederzugewinnen - wie im folgenden gezeigt werden soll - teilweise fragwürdiger geschichtsphilosophischer Konstruktionen, die in der bisherigen Debatte um das Schwarzbuch kaum Thema waren. Als Anknüpfungspunkt für diese Bewegung wird eine antimoderne Subjektivität angeboten, die Kurz zuletzt bei den Maschinenstürmern und anderen frühindustriellen Revolten gesichtet hat und der es - unbeschadet von 300 Jahren Kapitalismusgeschichte - heute möglich sein soll, im Internet wieder aufzutauchen.

Aufklärung als Massendressur

Die Dialektik des geschichtlichen Prozesses, welchem die wertförmige Vergesellschaftung entsprang, erscheint bei Kurz gelegentlich zu Gunsten leichter handhabbarer binärer Gegensätze stillgestellt. Ablesbar ist das bereits daran, dass Kurz in seiner als Ideologiegeschichte der Modernisierung angelegten Kritik des Liberalismus nicht nur die eigentlichen wirtschaftlichen und politischen Theoretiker des Liberalismus, sondern fast die gesamte Philosophie der Aufklärung einzig unter dem Aspekt der modernisierungstheoretischen und ideologischen Ausgestaltung der »schönen Maschine« von prozessierendem Wert und Konkurrenz behandelt.

Nicht dass die von Kurz vorgetragene radikale Kritik des Liberalismus im Ansatz falsch wäre. Aber es droht das Zwieschlächtige der dialektisch vermittelten Gleichzeitigkeit von Emanzipation und Herrschaft verloren zu gehen, welches Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der »Dialektik der Aufklärung« als Regredieren von Aufklärung in Mythos, als Umschlag von Vernunft in Irrationalität und Barbarei beschrieben haben. Das wird beispielsweise deutlich, wenn man die Kurzschen Ausführungen zu Kant und de Sade im Kapitel »Die schwarze Utopie der totalen Konkurrenz« mit der subtilen Weise vergleicht, in der Horkheimer/Adorno im Kapitel »Juliette oder Aufklärung und Moral« der »Dialektik der Aufklärung« Kants Moralphilosophie und de Sade als dunklen Schriftsteller des Bürgertums aufeinander beziehen.

Die Verkürzung dialektischer Vermittlung zeigt sich auch darin, wie Kurz im »Schwarzbuch« sein Programm der Historisierung der Wertvergesellschaftung anlegt, wie er »ein neues Geschichtsverständnis thematisiert, das dem Kapitalismus die historische Legitimation überhaupt abspricht«, so die vollmundige Selbsteinschätzung im Editorial der neuen Krisis.

Kurz betreibt dabei eine merkwürdige Periodisierung historischer Prozesse, welche die »schöne Maschine« des kapitalistischen Selbstzwecks gewissermaßen vom Rest der Geschichte abtrennt. Zwar beschreibt er in den ersten Kapiteln seines Buches, teilweise in Anlehnung an Immanuel Wallerstein, durchaus komplex die verschiedenen Elemente (»Absolutistischer Geldhunger, 'Exportismus', Zwangsarbeit, Staatsökonomie, Kolonialismus, Weltmarkt und Expansion der Marktbeziehungen«), welche zusammenkommen mussten, um die kapitalistische Verwertungslogik in Gang zu setzen und gesellschaftlich totalisierend wirksam werden zu lassen. Die damit einhergehende Herausbildung moderner Subjektivität wird jedoch vor allem als Resultat von physischem Zwang und liberalistischer »Herrschaftsideologie« thematisiert, die »das gesamte westliche Denken der Moderne bis auf den heutigen Tag hegemonial« prägt. Der Liberalismus wird so zu einer Art ideellem Gesamtzuchtmeister des Kapitalismus, der als böser Geist in der »schönen Maschine« sitzt und vor allem die Züge Jeremy Benthams trägt, welcher von Kurz zur Kennzeichnung gesellschaftlicher Phänomene vom Frühkapitalismus bis zur Postmoderne immer wieder herbeizitiert wird.

Die moderne Subjektivität samt ihrer Artikulation als liberalistische Identitätsphilosophie erscheint so weniger als sich hinter dem Rücken der Individuen aus der »Sache selbst«, nämlich dem Vermittlungszusammenhang der sich entwickelnden warenkapitalistischen Wertvergesellschaftung, herstellend, sondern vielmehr als gewaltiger Dressurakt zur Produktion domestizierter BewohnerInnen einer nach dem Bilde des Benthamschen Panoptikums eingerichteten Welt.

An dieser Grundlage kann sich nun die Vorstellung einer unmittelbaren Gesellschaftlichkeit nähren, welche den Realabstraktionen wertförmiger Vergesellschaftung unterm Kapital quasi als geschichtlicher Substrom gegenübersteht und auch heute noch eine »historische Möglichkeit« für »selbstbestimmte Vergesellschaftung« bereithält. So verfällt Kurz auf die Idee einer »emanzipatorischen Antimoderne«, die als soziale Bewegung real werden kann, welche sich der »Diktatur der abstrakten Zeit« (Aufsatztitel von Kurz im Sammelband »Feierabend« (1)) entgegenstemmt. Folgerichtig entwickelt er diesen Begriff auch zuerst historisch konkret in einem Kapitel über Maschinenstürmer und andere Sozialrevolten der Frühindustrialisierung.

Sozialrevolten als Rohmasse

In der »frühkapitalistischen Durchsetzungsepoche« findet Kurz die »ungeheure Verdichtung und Militanz« einer sozialen Bewegung, die von einer noch nicht durch die »abstrakte Arbeit« durchgeformten Subjektivität getragen wird wie die spätere eigentliche Arbeiterbewegung, die er wegen ihrer Verinnerlichung der fetischistischen Arbeit als »verhausschweint« charakterisiert. Kurz bedient sich dabei - für einen Wertkritiker auf den ersten Blick durchaus erstaunlich - bei E.P. Thompsons sozialgeschichtlicher Theoretisierung der frühindustriellen Revolten durch das Konzept der »moralischen Ökonomie« (2). Diese Kategorie aber erweist sich nicht zuletzt durch die Karriere als hochproblematisch, welche diese Thompson-Rezeption auf dem Umweg über den Operaismus in der autonomen Bewegungslinken der achtziger Jahre genommen hat und oft mit einer geradezu besinnungslosen Begeisterung für jede Art von sozialem Protest »der Unterdrückten« verbunden war. Davon weiß auch die Krisis-Gruppe, und deshalb kritisiert Kurz in einem zusammen mit Norbert Trenkle verfassten Aufsatz in »Feierabend«, dass sich »für sie der kategoriale Zusammenhang der Arbeitsgesellschaft in pure Willenshandlungen auflöst. (...) Die diversen operaistischen Strömungen haben sich so völlig unbekümmert ob des Problems kategorialer Kritik an alle möglichen Bewegungen, 'Riots' und Konzepte angehängt (...).«

Trotz dieser Abgrenzung zum Subjektivismus der Autonomen lesen sich aber die Ausführungen von Kurz zu den frühindustriellen Revolten im »Schwarzbuch« über weite Strecken fast wie ein Text aus der Autonomie der späten achtziger Jahre. Da wurden »Wertmaßstäbe der 'plebejischen Kultur und moralischen Ökonomie', die vorher eher in halbbewussten Traditionen geschlummert hatten, überhaupt erst durch die Abwehr der kapitalistischen Zumutungen bewusst und nahmen eine programmatische Gestalt an«, ja »sie wollten auf eine autonome Selbstverständigung der Produzenten hinaus«.

Der Wunsch, eine sozial bewegungsfähige »emanzipatorische Antimoderne« zu konstruieren, die von Kurz/Trenkle in »Feierabend« auch als »Aneignungsbewegung« charakterisiert wird, scheint die Nürnberger manchmal hinter eigene Erkenntnisse zurückfallen zu lassen. Wenn dieser Bezug des Krisis-Projektes auf die frühen Sozialrevolten hier kritisiert wird, so geht es keinesfalls darum, diese wieder auf den Zustand bewusstloser »spasmodischer« Zuckungen hungriger Mägen zu reduzieren, wie Thompson treffend den modernisierungstheoretischen Blick der etablierten bürgerlichen wie traditionslinken Sozialgeschichtsschreibung auf die frühindustriellen Sozialrevolten ironisiert hat. Insbesondere gegen die traditionsmarxistische, von einem objektivistischen und ökonomistischen Klassenbegriff geprägte Reduktion dieser Revolten auf bloße »Vorgeschichte« der »eigentlichen« Klassenkämpfe der Arbeiterbewegung heben Kurz/Krisis zu Recht die Verdienste Thompsons um einen handlungsorientierten Klassenbegriff hervor. Mit seiner Betonung identitätsstiftender subjektiver und kollektiver Erfahrung als Voraussetzung jedes irgendwie gearteten »Klassenbewusstseins« schob Thompson aber auch jene »Kulturalisierung« der Linken mit an, die in den von Thompson mitbegründeten »Cultural Studies« später rein poststrukturalistisch oft jede Herstellung eines notwendigen Vermittlungszusammenhanges zwischen subjektiv-identitären Bewusstseinsformen und den abstrakten ökonomischen Kategorien kapitalistischer Vergesellschaftung als »totalisierend« zurückwies.

Um die Bedeutung der historischen Erfahrung in den Mustern »moralischer Ökonomie und plebejischer Kultur« für die Möglichkeit emanzipatorischen Handelns kritisch ermessen zu können, muss der Blick auf die konkreten Inhalte dieser Sittlichkeit und die Formen der sozialen Revolten gerichtet werden. Ein entscheidendes Kriterium ist dabei der Anteil antisemitischer Pogrome an diesen Revolten. Das sieht auch Kurz und thematisiert die antisemitischen »Hep-Hep-Unruhen« im vormärzlichen Deutschland: »Denn natürlich war die Sozialrevolte keineswegs gefeit gegen anti-emanzipatorische Ablenkungsmotive. In Deutschland keimte schon damals der moderne Antisemitismus auf, um die Juden zu Sündenböcken der sozialen Katastrophe zu machen.« Gleichzeitig offenbaren sich in diesem Zitat - vor allem durch die Charakterisierung des Antisemitismus als Ablenkungsmanöver - die Schwächen und Fehlschlüsse der Kurzschen Interpretation. Obwohl Kurz betont, dass »'das Volk' in diesen Fällen keine an sich gute, bloß äußerlich manipulierte, verfolgende Unschuld« war, reduziert er im gleichen Satz die Disposition der Subjekte zum antisemitischen Pogrom auf »eine tückische Sklavengesinnung, die der Sozialrevolte sozusagen 'von innen' den Weg versperrte und die sozialen Widersprüche und Katastrophen des Kapitalismus in einem paradoxen Einverständnis mit den herrschenden Mächten auf ein irrationales Sündenbock-Pogrom abzuleiten versuchte«. Nicht das gute Volk, wohl aber die gute, will heißen emanzipatorisch-antikapitalistische Revolte will Kurz hier retten, indem er den Antisemitismus doch als irgendwie äußerlich angedreht erscheinen lässt. So lässt sich abgeschwächt auch auf Kurz übertragen, was Jan Pehrke bezeichnenderweise in seiner Rezension des Buches »Die Logik der Revolten« von Ahlrich Meyer - einer auf einem bereits 1985 in der Autonomie veröffentlichten Text beruhenden Doktorarbeit - festgestellt hat (konkret, 5/00): »Der Protestforscher geht stets nur in Einschüben (...) auf den 48er-Antisemitismus ein, da eine grundlegende Beschäftigung mit dem Phänomen sein Projekt, die nichtkommunistischen sozialen Proteste zu rehabilitieren, gefährdet hätte.«

Kurz löst dieses Problem eher durch eine antideutsche Volte: »Dieses im Vergleich zu den anderen Sozialrevolten zutiefst beschämende Syndrom, wie es in den Hep-Hep-Unruhen zum ersten Mal sichtbar wurde, sollte die gesamte deutsche Geschichte begleiten.« So richtig und zutreffend diese Feststellung zur Beurteilung der deutschen Verhältnisse ist, so wenig eignet sie sich allerdings zum Ausweis des emanzipatorischen Charakters der »anderen Sozialrevolten«. Pehrke führt z.B. den Historiker Reinhard Rürup an, der während der März-Unruhen 1830 in nicht weniger als 180 europäischen Orten antisemitische Vorfälle gezählt hat. Dies relativiert nicht die Vorfälle in Deutschland, sondern wirft die Frage nach einem grundsätzlicheren Zusammenhang zwischen der »moralischen Ökonomie« der Sozialrevolten und dem Antisemitismus auf.

Ein Blick auf die von Thompson beschriebenen komplexen Muster der englischen Sozialrevolten zeigt einen sehr zwiespältigen Charakter der einem vorkapitalistischen Sozialkosmos entstammenden volkstümlichen Sittlichkeits- und Moralbegriffe, in der egalitäre soziale Werte immer mit einer patriarchalen Sexualmoral und Abschließungen der dörflichen oder regionalen Gemeinschaft nach außen einhergingen. Sie bewegten sich im Rahmen eines paternalistischen Modells gegenseitiger Verpflichtung zwischen Farmern, der lokalen Gentry und Amtsträgern wie den Friedensrichtern auf der einen und der lokalen Armutsbevölkerung auf der anderen Seite. So entzündete sich der Protest von Armen wie auch der Paternalisten gegen die Ausdehnung der neuen, monetarisierten kapitalistischen Marktbeziehungen vornehmlich an der damit notwendig verbundenen Mobilität und an greifbaren Repräsentanten der Zirkulationssphäre.

Thompson führt die Klage eines Paternalisten an, »die Farmer (...) seien dazu übergegangen, den (lokalen) Markt zu meiden und mit Grossisten und anderen 'Eindringlingen' an der Haustür Geschäfte zu machen»; 1795 wandten sich Arbeiter aus Leeds in einer Petition gegen »die Kornfaktoren und die Müller und eine Gruppe von Leuten, die wir Höker und Mehlleute nennen« (nach Thompson 1980, S. 75, 78). Der Protest gegen die Ausdehnung wertförmiger Kapitalisierung und den damit verbundenen Druck auf die Armen geht bei der Auswahl der Adressaten mit der Mobilisierung auch gänzlich anders gelagerter Motive einher. So beschreibt Thompson wiederholt den gesteigerten Groll gegen Ortsfremde auf den lokalen Märkten. Und den Müllern wurde ihr angeblich ausschweifendes und berechnendes Sexualverhalten nachgetragen.

Nun waren die Müller und Bäcker durch ihre Verbindungen zum Handel als Repräsentanten der Zirkulationssphäre greifbar und im Einzelfall mit schäbigen Methoden wie Mehlverunreinigungen auf eine profitable Kapitalisierung ihrer Betriebsstätten aus, aber durchaus nicht insgesamt in vorteilhafter Position gegenüber den neuen kapitalistischen Marktzwängen. Vielmehr gerieten sie in die Zange zwischen den neuen Zwängen und ihren tradierten Pflichten gegenüber der »Gemeinschaft«. Auch der von Kurz mehrfach zitierte Rainer Wirtz weist in seiner Untersuchung über die vormärzlichen Sozialrevolten und die Hep-Hep-Unruhen in Baden darauf hin, dass die Revolten sich nicht unbedingt gegen die tatsächlichen Profiteure der neuen Ordnung richteten: »Der 'alte' Markt, mit den Figuren des örtlichen Fruchthändlers oder des jüdischen Viehhändlers und Geldverleihers, war ja weiterhin vorhanden. Er kämpfte bei dieser Umstrukturierung des Marktes um sein Überleben und seine Repräsentanten zogen sich dabei den Hass ganzer Gemeinden zu.« (3)

Im konkreten Fall überlagerte sich so das Protestgeschehen mit ganz unterschiedlichen Motiven und nahm gelegentlich Formen an, die Thompson beim Anprangerungs- und Schandritual der »Rough Music« (Katzenmusik, Charivari) beschrieben hat. Diese richtete sich im Rahmen einer tradierten patriarchalen Geschlechterordnung gegen untreue oder »zänkische« Frauen und mit deutlich misogyner Schieflage auch gegen prügelnde Ehemänner; oder gegen ortsfremde Heiratsaspiranten, die auf dem beschränkten Heiratsmarkt eine Konkurrenz für die ortsansässige männliche Jugend darstellten. Dabei wird auch ein Gesetz der Meute sichtbar, die sich in barbarischen Ritualen, die bis zum Teeren und Federn reichen konnten, ihrer Gemeinschaft versichert, indem sie eine Außenseiterin/einen Außenseiter jagt oder ausstößt. Objekte solcher Aktionen konnten nach Thompson genauso sexuelle NonkonformistInnen oder äußerlich Stigmatisierte werden wie Streikbrecher, Spitzel und hartherzige Beamte.

Diese Beispiele ließen sich weiter fortsetzen, klar dürfte jedoch bereits sein, dass hier eine ganze Reihe von Elementen angelegt sind, die sich bei der Konstitution moderner Subjektivität unter den Bedingungen kapitalistischer Wertvergesellschaftung mit ihren abstrakten Verkehrsformen zu Stereotypen des modernen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus verdichten konnten. Der Zusammenhang von Protest und Pogrom stellt sich dabei über den paternalistischen Rahmen her, in dem sich die volkstümlichen Gerechtigkeits- und Rechtsvorstellungen bewegten und der sich offenbar regelmäßig als stillschweigendes Bündnis zwischen ortsansässigem Mob und lokalen Behörden gegen Außenseiter manifestierte.

Kurz zitiert selbst ausführlich Rainer Wirtz' Schilderung der von diesem als »absichtsvoll« gedeuteten Untätigkeit der Ordnungsbehörden beim Heidelberger »Judensturm« von 1819 und vergleicht diese mit der heutigen »Blindheit« des Repressionsapparates gegenüber antisemitischen und rassistischen Übergriffen im Vergleich zu linken Demonstrationen, zutreffend bezeichnet er dies als Tatbestand der »festen nationalen Tradition« in Deutschland. Fragwürdig ist allerdings, dass er damit wiederum seine These von der »Demoralisierung der Sozialrevolte« und einer bloßen Degenerierung ihrer emanzipatorischen Momente »zur perversen Form antisemitischer Pogrome als 'Blitzableiter'-Funktion« stützen will.

Die kollektiven Vorstellungen der Moralökonomie vom »gerechten Preis« etc. bezeichnet Kurz zwar als »vergangenheitsfixierte, letztlich illusionäre Ideologie«, welche den Durchbruch zur revolutionären emanzipatorischen Bewegung mit verhindert hätte. Er versäumt es aber, der Frage nachzugehen, ob nicht gerade diese traditionellen Rechtsvorstellungen ins Zentrum des Umschlags ins Pogrom zu stellen sind. In Thompsons Darstellung bezieht sich das moralökonomische Rechtsempfinden wie auch das Muster des Aufruhrs auf das im elisabethanischen England zwischen 1580 und 1630 kodifizierte »Book of Orders«, einer Art frühem sozialpartnerschaftlichen Notprogramm in Krisenzeiten. An solche noch aus einem vormodernen Kontext heraus entstandenen Regelkataloge heftete sich das moralische Rechtsempfinden des Volkes und wollte mit der Revolte nicht etwa die Herrschaft als solche angreifen, sondern sie als »gerechte« unter einem »guten Herrscher« wieder herstellen, als die Zeit der alten paternalistischen Ordnung unter der Durchsetzung der abstrakten Allgemeinheit des Kapitals aus den Fugen geriet. Deshalb hielten sich die Rebellierenden nach Thompsons Beschreibung meist peinlich genau an die Vorgaben des »Book of Order«.

Was aber passiert, wenn solch eine Revolte, die sich, wie auch Wirtz anmerkt, »letztlich personalistisch auf den Topos des 'gerechten Herrschers' bezog«, sich real längst appellierend an den mittlerweile etablierten nationalen Staat des Kapitals richtet? Ist es nicht denkbar, dass sich diese Realabstraktion dann auch längst als »Staat in den Köpfen« der Individuen verankert hat und darüber das volkstümliche Rechtsempfinden der »moralischen Ökonomie« geradezu zur Blaupause für die konformistische Revolte des modernen antisemitischen und rassistischen Pogroms transformiert wird, sich ethnisch und nationalistisch auflädt und im volksgemeinschaftlichen Konsens gegen das projektiv abgespaltene und ausgegrenzte Andere, Juden und »Fremde«, richtet? Oder zum Nährboden gerät, auf dem in der Politik der abstrakten Zivilgesellschafts-Demokratie rechter Populismus gedeiht?

Es ist kennzeichnend für die oft volkstümelnde Identitätspolitik der radikalen Bewegungslinken, die noch in jüngster Zeit z.B. im Fall Gollwitz bis zu nationalbolschewistischen Avancen gegenüber den Pogromdrohungen einer antisemitischen Bevölkerung durch Organe wie junge Welt und ak reichte, dass solche Fragen bei einer kritischen Aufarbeitung autonomer Politikformen nie breit diskutiert wurden und wahrscheinlich auch heute noch von vielen als bloße Provokation empfunden werden. Eine überraschende Pointe ist allerdings, dass sich diese mangelnde Aufarbeitung nun indirekt mit der Krisis auch an einer Gruppe rächt, die sich an solchen bewegungslinken Volkstümeleien nie beteiligt hat, sondern diese von einem wertkritischen Standpunkt kritisiert hat.

Die von Kurz vor allem am Beispiel der englischen Luditten herausgearbeiteten emanzipatorischen Elemente der frühen Sozialrevolten sollen damit weder widerlegt noch geleugnet werden. Aber an den angeführten Beispielen wird deutlich, dass bei den kulturellen und diskursiven Antriebskräften der Sozialrevolten eine Melange ambivalenter Elemente vorliegt, deren Dialektik sich nicht nach einer Seite hin auflösen lässt, um daraus eine »emanzipatorische Antimoderne« destillieren zu können.

Per Mausklick zur Selbstbestimmung

Am Ende seines historischen Gangs durch die kapitalistische Entwicklung stellt sich wieder das Problem, wie Kurz das Verhältnis von totaler kapitalistischer Wertvergesellschaftung und Subjektkonstitution bestimmt. Bereits im Kapitel über die zweite industrielle Revolution beschreibt er eindrucksvoll den Ersten Weltkrieg als die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«, in welcher sich das souveräne bürgerliche Subjekt genauso in den Stahl- und Blutbädern der Schlachtfelder verabschiedete wie die letzten Emanzipationsversprechen der alten Sozialdemokratie im nationalen Wahn ersoffen. Den weiteren Verlauf der fordistischen Phase des Kapitalismus schildert er dann vor allem als totale warenförmige Durchdringung der Subjekte bis hin zur Bewusstseinsindustrie des Freizeitkapitalismus. Nach einem längeren Zitat aus dem Kulturindustrie-Kapitel aus der »Dialektik der Aufklärung« zieht Kurz folgendes düstere Resümee: »Es sind weniger spezifische Gegenstände des Denkens und Empfindens, die diesen gesellschaftlich konditionierten Charakter des Bewusstseins ausmachen, als vielmehr die allgemeine Form aller überhaupt denkbaren Bewusstseinsinhalte, die das Individuum botmäßig machen. Und in diesem Sinne zielte und traf die kapitalistische Form in der fordistischen Mobilmachung und im Freizeitkapitalismus auf tiefere Schichten des Bewusstseins als alle früheren Zugriffe gesellschaftlicher Herrschaft.«

Mit der dritten, mikroindustriellen Revolution und der damit einhergehenden »Wegrationalisierung des Menschen« sieht Kurz eine »finale Mobilisierung des Kapitalistischen Selbstwiderspruches« im Gange. Die gleichzeitige neoliberale Abdankung des Wohlfahrtsstaates zu Gunsten des ausgrenzenden Sicherheitsregimes des nationalen Wettbewerbsstaates lässt in den kapitalistischen Zentren in Gestalt biologistisch-eugenischer Diskurse (Sloterdijk als Symptom) und rechter, nationalistischer Formierung »die Dämonen erwachen«. Völkisch-rassistische Banden, Privatarmeen, Weltuntergangssekten und Amokläufer treiben die allgemeine Entzivilisierung in einen permanenten Mikro-Bürgerkrieg, an der Peripherie mündet der Staatszerfall in ethnische Gemetzel mafiotischer Bandenökonomien. »Es gibt keinen emanzipatorischen Aufstand, aber jedermann fängt an, sich zu bewaffnen.«

Mit ihrem düster-polemischen Ton und der beißenden Kritik am Neoliberalismus als ideologischer Begleitmusik der globalkapitalistischen Zustände gehören diese Passagen zu den suggestivsten des »Schwarzbuch Kapitalismus«. Es fragt sich nur, wie Kurz bzw. die Krisis angesichts ihrer eigenen apokalyptischen Befunde umstandslos den Faden der freien gesellschaftlichen Verständigung der Individuen wieder aufnehmen und die Suche nach »einer Emanzipationsbewegung, die nicht mehr 'in' den kapitalistischen Bewusstseinsformen denkt und handelt« (Kurz und Trenkle in »Feierabend«) als Projekt einer »emanzipatorischen Antimoderne« jenseits der abstrakten Arbeit starten kann.

Die Krisis sucht in den verschiedenen sozialen Bewegungen der letzten Jahre nach konkreten Anknüpfungspunkten, um das unmöglich erscheinende möglich werden zu lassen und einen »transformatorischen Aneignungsdiskurs« in Gang zu setzen, der in die Praxis einer »Aneignungsbewegung« münden könnte, die sich »als fortlaufende Konfrontation mit der kapitalistischen Praxis auf den verschiedensten Ebenen« konstituiert, anstatt als »bloße Nischenprojekte« zu versacken. Erfahrungen wie der, dass etwa lokale Selbsthilfe- und Genossenschaftsbewegungen »instrumentalisierbar für Strategien der Krisen und Armutsverwaltung, darüber hinaus tendenziell auch anfällig für ethnizistische und lokalistische Identitätsbildungen« sind, soll durch ständige (wert-)kritische Selbstreflexion begegnet werden. Das erinnert ein bisschen an Joachim Hirsch, der auch immer die affirmativ-herrschaftskompatiblen Elemente des Zivilgesellschaftsdiskurses von neuen sozialen Bewegungen und NGOs scharf kritisiert und dann doch glaubt, deren emanzipatorisches Potenzial wiederbeleben zu können.

Dass bei ihrer gesellschaftlichen Reproduktion »die Menschen (...) freiwillig (und) gemeinsam über den Inhalt ebenso wie über die Vorgehensweise beraten und beschließen«, bezeichnet Kurz im »Schwarzbuch« für eine emanzipatorische Praxis als entscheidendes »Kriterium, das nur in den Räte-Ideen kurz aufscheinen konnte, aber an der mangelnden Kritik der 'abstrakten Arbeit' und der daraus entspringenden kapitalistischen Verkehrsformen gescheitert war«. Da Kurz und Krisis nicht auf die beschränkte »small is beautiful»-Ideologie der Alternativen oder die Subsistenz-Utopien der Bielefelder Ökofeministinnen hereinfallen, ist ihnen klar, dass es »dabei institutioneller Vermittlungen (bedarf), die jedoch das Kriterium nicht berühren«. Dies soll durch die »Anwendung der modernsten Kommunikationsmittel und Vernetzungstechniken« möglich sein, weil dort kein »allwissendes Zentrum« im Sinne einer staatlichen Bürokratie nötig sei. Ausgerechnet die neuen Informationstechnologien, in denen die globale Verdichtung des postfordistischen Kapitalismus am sinnfälligsten wird, sollen das Kapitalverhältnis sprengen helfen.

Diese steile These eines »positiven Vorscheins« einer anderen Gesellschaft im Internet hat Kurz in einem Jungle-World-Dossier (16/00) zum Internet noch zugespitzt: »Das Internet verweist auf eine Welt jenseits des Kaufens und Verkaufens, auf ein wechselseitiges Gratis-Verhältnis bewusst vergesellschafteter Individuen (...). Die eigentliche revolutionäre Bedeutung des Internet könnte in seinem Gehalt als postkapitalistisches Medium liegen, das innerhalb der kapitalistisch verfassten Gesellschaft vor allem der oppositionellen Kommunikation dient.«

Hier scheint mit dem Wertkritiker doch wieder die altmarxistische Sehnsucht nach einer positiven »Aufhebung« der Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung vermittels »entwickelter Produktivkräfte« durchzugehen, welche ihrem gesellschaftlichen Entstehungszusammenhang gegenüber neutral sind. Sowohl die »institutionelle Vermittlung« als auch ihr informationstechnologisches Anwendungsmittel tritt in dieser Denkfigur aus ihrem wertförmigen wie jedem anderen, z.B. geschlechtlich vermittelten Herrschaftszusammenhang heraus und wird neutral, also auch emanzipatorisch anwendbar. Wie wenig Technologien aber von ihrem herrschaftsförmigen gesellschaftlichen Bedingungszusammenhang zu trennen sind, zeigen nicht zuletzt die Ergebnisse der neueren feministischen Naturwissenschafts- und Technikkritik in Bezug auf das patriarchale Geschlechterverhältnis und dessen Vermittlung mit anderen objektivierten Herrschaftsformen.

Kurz selbst analysiert im »Schwarzbuch« den Autowahn als »die spezifisch fordistisch-automobile Form, die das objektivierte kapitalistische Weltverhältnis angenommen hat«, bevor er hundert Seiten weiter auf der Datenautobahn in die freie Vergesellschaftung fahren will.

Das Internet wird von Kurz vor allem als Mittel behandelt, das das Wachstum des »fiktiven Geldkapital(s) der aufgeblasenen Börsenkapitalisierung« durch windige Unternehmensgründungen und Einbeziehung immer größerer Bevölkerungskreise in die Börsenzockerei zusätzlich anheizt, als Treibsatz, der die »spekulative Blase« noch schneller zum Platzen bringen muss. Diese Fixierung auf die finale Krise des Kapitals scheint Kurz dazu verleitet zu haben, sich nicht radikal mit den Auswirkungen des digital vernetzten postfordistischen Globalkapitalismus auf die vergesellschafteten Subjekte auseinander zu setzen.

Kritische SozialwissenschaftlerInnen untersuchten schon vor einigen Jahren von Marxschen Kategorien ausgehend unter Bezug auf Horkheimer/Adorno und die Wertkritik von Alfred Sohn-Rethel und Stefan Breuer, wie durch die mikroelektronische Informatisierung der abstrakten Arbeit die Selbstobjektivierung der Subjekte auf die Spitze getrieben wird. Denn Informationsarbeit ist »wesentlich Umgang mit Abstraktion, gekennzeichnet von dem steten Bemühen um Eliminierung aller Kontingenzen zugunsten der reinen Form; sie ist ihrem Inhalt nach mithin im wörtlichen Sinn abstrakte Arbeit«, wie Rudi Schmiede (4) feststellt. Im gleichen Band kommen Andrea Baukrowitz und Andreas Boes - u.a. auf der Grundlage von Analysen der gängigen Softwaresysteme sowie von manageriellen Rationalisierungskonzepten - zur These eines gesteigerten Subjektivitätsbedarfes der abstrakten Arbeit in der »Informationsgesellschaft«, der aber, weil »von den Beschäftigten zunehmend gefordert ist, dass sie sich als Subjekte in der Logik des formalen Systems verhalten«, gleichzeitig die »Subjekte zu Agenten ihrer eigenen Unterordnung macht«.

Nun ließe sich einwenden, dass damit lediglich die Idee von Emanzipation in den Kategorien abstrakter Arbeit historisch endgültig blamiert ist. Die AutorInnen ziehen jedoch weitergehende Konsequenzen: »Die Schaffung des 'Cyberspace' als künstlicher Informationsraum unterliegt in weit höherem Maße den strukturellen Machtverhältnissen der Gesellschaft, als dies die Erzeugung der sozialen Wirklichkeit in der historischen Entwicklung bisher getan hat.«

Das allgemeine Prinzip der Selbstverwertung des Werts kommt gerade über die digitale Vernetzung als Herrschaft der reinen Form zu sich selbst: »Diese Vernetzung ist jedoch nicht mehr durch die aktiv beteiligten Individuen aufgebaut, sondern wird durch ein sich selbst steuerndes, die menschlichen Handlungsmöglichkeiten formierendes maschinelles System verkörpert (...). Als formales Abbild der realen Welt ist auf diese Weise eine künstliche Welt entstanden, die in der Folge aber - darin ist sie Realabstraktion, und darin besteht der Kern der Herrschaft der Form über die Realität - zugleich die Formierung der materialen inhaltlichen Realität übernimmt. (...) Die anonymen Zwänge des Wertgesetzes (die freilich immer durch Personen repräsentiert werden) bleiben zweckbestimmend.«

Kapitalismus als Wurmloch

Diese Einwände zielen nicht darauf, jeden Gedanken an emanzipatorisches Handeln durch eine Hermetik der Unaufhaltsamkeit des Verhängnisses abzuwürgen. Aber deutlich zu machen ist doch, dass sich Kurz/Krisis bei ihrer Konstruktion einer bewegungsfähigen »emanzipatorischen Antimoderne« in Widerspruch zu ihren eigenen wertkritischen Prämissen bringen. Gerade die von Kurz formulierten Ideen einer ohne weiteres möglichen Beförderung freier gesellschaftlicher Verständigung durch die informationstechnischen Möglichkeiten des Internets erwecken den Eindruck, dass die Konsequenzen der an der kritischen Theorie orientierten Subjektkritik nicht wirklich ernst genommen werden. Das würde die Reduzierung des Problems moderner Subjektkonstituierung auf eine bloße »Bewusstseinsfrage« genauso verbieten wie die Vorstellung, dass »die Menschheit die Gehirnwäsche des Liberalismus und seines Bentham-Systems abschütteln, also gewissermaßen die verinnerlichten Zwänge und Zumutungen der blinden Geldmaschine wieder herauswürgen (könne), um sich unbefangen dem Verhältnis von vorhandenen Ressourcen und ihrer vernünftigen gesellschaftlichen Anwendung stellen zu können«.

In solch einer Formulierung klingt die Vorstellung einer bloß äußerlichen Überformung der Subjekte durch die Realabstraktionen der totalen Vergesellschaftung unterm Kapital an, unter der weiter das autonome humanistische Subjekt als »Eigentliches« schlummert. Die Wucht, mit der die Erkenntniskritik insbesondere Adornos traf, lag aber darin, rücksichtslos auszusprechen, dass beides, die Entwicklung eines autonomen Subjektes und seine Annullierung in der totalen Vergesellschaftung, durch eine Dialektik vermittelt sind, die sich eben nicht einfach positiv »aufheben« lässt.

Kurz hingegen schreibt, »emanzipatorische Antimoderne dagegen kann nur der vollständige Bruch mit jeder Art von Naturalisierung des Gesellschaftlichen sein; sie begreift die Gesellschaft als eine Daseinsform sui generis, die nur in sozialen, psychischen und historischen Kategorien zu entschlüsseln ist«. Das sich als »zweite Natur« hinter dem Rücken der Individuen herstellende abstrakte Allgemeine der Wertvergesellschaftung scheint so einer »sui generis«, also aus sich selbst heraus, bereits unabhängig existierenden Gesellschaft gegenüberzustehen, statt durch anonyme, sachliche Vermittlung die »sozialen, psychischen und historischen Kategorien« dieser Gesellschaft überhaupt erst herrschaftsförmig zu konstituieren.

Durch das Wollen des Theoretikers, über eine »emanzipatorische Antimoderne zur gesellschaftlichen Massenbewegung« zu kommen, gerät Kurz in die Falle einer Ontologie der Unmittelbarkeit des gesellschaftlichen Miteinanders, die doch wieder zu einer positiven linken Geschichtsphilosophie führt. Durch Wertkritik und die Postulierung der finalen Krise ist diese zwar sozusagen mit negativen Vorzeichen versehen, mündet aber dennoch in eine positive »Aufhebung«. Gerade an der - bereits von anderen kritisierten (5) - Einordnung von Auschwitz in den Strom der Katastrophen- und Krisengeschichte kapitalistischer Modernisierung zeigen sich die Konsequenzen dieser geschichtsphilosophischen Historisierung: Wenn die gesamte Moderne einen einzigen durch den irrationalen Selbstzweck der kapitalistischen Wertvergesellschaftung gebildeten Block darstellt, kann Auschwitz nur noch dessen »äußerste Konsequenz« sein, und nicht wie bei Adorno und Horkheimer der alles entscheidende Bruch, von dem aus gerade auch die Chancen der universell emanzipatorischen Elemente der Aufklärung radikal in Frage zu stellen sind.

Bei der Kurzschen Historisierung des Kapitalismus scheint eine Art intergalaktisches Wurmloch im Spiel zu sein: Die Menschen reproduzieren sich in einem durch moralische Ökonomie und kulturelle Wertmaßstäbe gestifteten vorkapitalistischen Sozialkosmos, in dessen diskontinuierlichem Raum-Zeitgefüge sich an einem bestimmten Punkt das Kapital bildet und wie ein schwarzes Loch alles in seiner Umgebung in einen immer irrsinniger rasenden Strudel einzusaugen beginnt. Schließlich bläht sich das Ganze krisenhaft zu einer gewaltigen Blase auf, die schließlich katastrophisch platzen muss, wunderbarerweise aber dennoch die in diesem Malstrom deformierten Subjekte relativ unbeschadet durch das Wurmloch wieder in die unendlichen Weiten eines Paralleluniversums freier gesellschaftlicher Verständigung jenseits von Markt und Staat entlässt.

Trotzdem ist die Theoriearbeit der Krisis keineswegs als höherer theoretischer Unsinn abzuqualifizieren. Von konkurrierenden wertkritischen Fraktionen der radikalen Restlinken hebt sie sich angenehm durch größere theoretische Offenheit und einen weniger hermetischen Sprachgestus ab. Es wäre der gesellschaftskritischen Kraft der theoretischen Offensive der Krisis besser bekommen, wenn sie auf bewegungsheischende sozialutopische Elemente verzichtet hätte. Roswita Scholz als einzige feministische Autorin aus dem Krisis-Kreis ist in dieser Hinsicht wohl aus gutem Grund wesentlich zurückhaltender. Sie spricht zwar sowohl in ihrem »Feierabend»-Aufsatz als auch in ihrem Buch »Das Geschlecht des Kapitalismus« auch von der Notwendigkeit einer Suche nach emanzipatorischen Bewegungsspielräumen, verzichtet aber auf jede Konkretisierung in Gestalt einer »emanzipatorischen Antimoderne«. Das ist wohl genauso ihren Einsichten in den mehrdimensionalen Vermittlungszusammenhang von Wert und Geschlechterverhältnissen geschuldet wie ihrem deutlichen Bezug auf die Kategorie des »Nichtidentischen« bei Adorno, der über jede konkrete Besetzung dieser Kategorie wohlweislich ein »Bilderverbot« verhängt hatte.

Durch die Konstruktion einer »emanzipatorischen Antimoderne« drohen die traditionsmarxistischen Ontologien, welche die Krisis in Gestalt von Arbeitsfetischismus und objektivistischem Fortschrittsglauben (oder Klassensubjekt) des Traditionsmarxismus aus ihrem Theoriegebäude gewiesen hat, sich in neuer Verkleidung durch die Hintertür wieder einzuschleichen. Dabei böte Kurz' Fundierung der Wertkritik am historischen Material auch ohne solche geschichtsphilosophischen Zutaten genug Anstöße, theoretische Kritik auch wieder praktisch werden zu lassen.


Anmerkungen:

(1) Norbert Trenkle (Hg.): Feierabend - Elf Attacken gegen die Arbeit. Hamburg 1999

(2) E.P. Thompson: Plebejische Kultur und moralische Ökonomie, Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Frankfurt a. M., 1980

(3) Rainer Wirtz: Widersetzlichkeiten, Excesse, Crawalle, Tumulte und Skandale. Frankfurt a. M. 1981

(4) Rudi Schmiede (Hg.): Virtuelle Arbeitswelten - Arbeit, Produktion und Subjekt in der »Informationsgesellschaft«. Berlin, 1996

(5) Z.B. Martin Janz, Jungle World, 11/00