Quelle: Arranca

Der Arbeitsmarkt
Von Marco Revelli

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Der folgende Artikel ist ein Auszug (aus Teil II »Vom Fordismus zu Postfordismus«, Kap. 3 »Das Kristall und der Rauch«) aus dem vor wenigen Wochen im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienenen Buch Marco Revellis »Die gesellschaftliche Linke. Jenseits der Zivilisation der Arbeit«.

Marco Revelli zeichnet in dem Buch zentrale Muster der gesellschaftlichen Transformation vom Fordismus zum Postfordismus nach. Mit vielen Beispielen gespickt und äußerst anschaulich beschreibt er die Prozesse und arbeitet zentrale Punkte heraus wie z. B. die »Kolonialisiserung der privaten Bereiche«, die »Finanzisierung« der Ökonomie, die Veränderung der Räumlichkeit und Territorialität, die Horizontalisierung der Konflikte, das Aufkommen eines neuen Populismus und das Ende des sozialdemokratischen Modells.

Revelli sucht aber auch nach Möglichkeiten der Rekonstruktion der Linken und spricht hier von einer gesellschaftlichen Linken (im Gegensatz zu der »politischen Linken«, die mit der »Zivilisation der Arbeit« entstand und sich mit ihr erschöpft), und unterzieht den Dritten Sektor[1] in seiner Ambivalenz. »Die gesellschaftliche Linke« ist, trotz einiger Lücken und kleineren Ungereimtheiten, ein wichtiger und fundierter Beitrag in der sonst zwischen Euphorie und Nostalgie schwankenden Postfordismusdebatte.

Merkmale, die denen sehr ähnlich sind, die auf der Ebene des Unternehmenssystems registriert wurden, finden sich bei der Transition[2] zum Postfordismus auf der Ebene des Systems der Arbeitskraft - und charakterisieren sie auch. Auch hier Zerschlagung, Zersetzung, Komplexität. Auch hier vor allem Mobilität und Prekarität als direkte Konsequenz dessen, was immer deutlicher - so war es zu sehen - als eine der stärksten Charakteristiken des »neuen globalen Modells der Produktion und des managements« erscheint: seine doppelte Natur, »gleichzeitig orientiert - wie es eindrucksvoll bestätigt wurde - auf die Integration des Arbeitsprozesses und auf die Zersetzung der Arbeitskraft«[3] seine »interne Dynamik«, die den wirtschaftlichen Prozeß der Akkumulation und Verwertung des Kapitals potenziert und strukturiert, während es das gesamte soziale System der Arbeitskraft systematisch depotenziert und destrukturiert. Die Kluft zum vorhergehenden Modell könnte nicht größer sein.

In dem der »Lohngesellschaft« gewidmeten Kapitel seines »Les Metamorphoses de la question sociale«[4] führt Robert Castel fünf »Bedingungen« an, die das fordistische Lohnverhältnis auf starke Weise kennzeichnen - die also den »Arbeitsmarkt« strukturieren, so wie er sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat -, sie werden von den Leitkriterien der »Regulationsschule« ausgehend herausgearbeitet. Es sind:

1) »Eine klare Trennung zwischen denen, die effektiv und regelmäßig arbeiten und den >Inaktiven< oder >Semi-Aktiven<, die sowohl aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wie auch in institutionell regulierte Formen integriert werden müssen«.[5]

Ein Umstand also, unter dem die Arbeit formal und, sozusagen »gemäß Statuten«, durch sichere und gesellschaftlich geteilte Kriterien definierbar ist und sich in stabilen, eindeutig einordenbaren »Gestalten« materialisieren kann, die sich vom konfusen Universum der »Nicht-Arbeit« deutlich unterscheiden. Denen entspricht eine rigide Arbeitsmarktstruktur, die von klar definierten Linien begrenzt wird, deren Überschreitung mittels feierlicher und definitiver Riten (eben die »Einstellung«), die tendenziell irreversibel sind, erfolgt, unter der Autorität öffentlicher Institutionen zelebriert wird (das Arbeitsamt) und über öffentliche statistische Bedeutung verfügen (der Zugang zu dem Umstand der »aktiven Bevölkerung«: die Möglichkeit, mit Sicherheit und Eindeutigkeit zu sagen »wer dazu gehört« und wer »außerhalb steht«, wer Lohnarbeiter ist und wer es nicht ist, weil er rentier[6] ist oder zum »Warenmarkt« gehört und nicht zum Arbeitsmarkt, wie die Händler und Anbieter von Dienstleistungen).

2) »Die Anbindung des Arbeiters an seinem Arbeitsplatz und die Rationalisierung des Arbeitsprozesses im Rahmen einer präzisen, parzellisierten und reglementierten Zeitverwaltung«.[7]

Die Bedingungen eben der wissenschaftlichen Organisation der Arbeit, welche einerseits eine absolute Homogenisierung der Arbeit voraussetzt: die Möglichkeit, sie wie eine »quantitativ gleichgültige« Entität[8] zu behandeln, die Möglichkeit, sie als pures Attribut der Maschine betrachten zu können, eine Eigenschaft des »festen« Platzes. Andererseits ihre absolute Manipulierbarkeit, angefangen beim »Subjekt an der Arbeit«, bei der »natürlichen Persönlichkeit« des Arbeiters: die Möglichkeit, die Aktivität nach Belieben zu »segmentieren« und sie »von oben« und »von außen« zu manipulieren, durch das Büro für Rhythmen und Methoden. In einem Wort: die perfekte Reduktion der Arbeitsaktivität auf abstrakte Arbeit, ohne »persönliche Bestimmungen«, frei von den Viskositäten9 des Berufs, mit denen sich der präfordistische Arbeiter identifizierte, und die sowohl seine totale Absorption[10] im Arbeitsprozeß, wie auch die volle Einreihung in das Kollektiv »Arbeiterklasse« verhinderten (jene »Aufteilung nach Berufen«, gegen die auch Gramsci ankämpfte, weil man sich auf ihrer Grundlage »zunächst als Schmied oder Schreiner fühlte, bevor man sich als >Arbeiter fühlte<«).

3) »Der Zugang, durch die Vermittlungsebene des Lohnes, zu >neuen Normen des Konsums< von Arbeitern, dank derer der Arbeiter selbst zum Kunden der Massenproduktion wurde«.[11]

Es ist die Verlagerung des fordistischen »Akkumulationsregimes«[12] auf die Ebene des Arbeitsstatuts: die Projektion, vom Standpunkt der Lage der Arbeiter aus gesehen, des Prinzips, gemäß dem der Produzent zum Konsumenten der eigenen Waren wird; er reproduziert den Markt nicht nur mittels der eigenen Arbeit (die Zunahme seiner Produktivität), sondern auch durch den eigenen Lohn (die Zunahme seiner Kaufkraft). Mehr noch: es handelt sich, auf gesellschaftlicher Ebene, um das Äquivalent zu dem Prozeß der Homogenisierung der Arbeit, die vorher die technisch-produktive Ebene kennzeichnete. Mittels dieses Umstandes findet tatsächlich eine äquivalente Homogenisierung der Milieus und der Lebensweisen statt: eine Art Abstraktion der reproduktiven Aktivitäten der Arbeiterklassen, absolut parallel zu dem Prozeß der Abstraktion ihrer Produktionsaktivität, der sich in der Fabrik vollzogen hat. Mit dem zweiten Punkt verknüpft stellt dies einen bedeutenden Teil des von Gramsci unterstrichenen Prozesses der »Rationalisierung der demographischen Zusammensetzung« dar.

4) »Der Zugang zum gesellschaflichen Eigentum und den öffentlichen Dienstleistungen«, durch den »der Arbeiter auch ein gesellschaftliches Subjekt ist, befähigt, am Vorrat der gemeinschaftlichen, außerhalb des Marktes liegenden [non marchands], in der Gesellschaft verfügbaren, Güter teilzuhaben«.[13] Er drückt die öffentliche Anerkennung der Rolle aus, welche die Arbeit als kollektive Entität, fleischgeworden in einer bestimmten gesellschaftlichen Gestalt - eben in einem gesellschaftlichen Subjekt -, im Rahmen der nationalen Gemeinschaft einnimmt. Was wiederum die Erfüllung des Prozesses der Stabilisierung der Lohnarbeit als klar identifizierbare Entität voraussetzt, sowie den Übergang zu einer »historischen Konjunktur« in der, wie Castel schreibt, die abhängige Arbeit »klassifiziert und zugeordnet (Rechte, auch bescheidene, können nur einem klar identifizierbaren Status zugesprochen werden, was eben durch die Erschaffung des Begriffs der aktiven Bevölkerung und der Ausgrenzung der Vielzahl von unregelmäßigen Arbeiten ermöglicht wird), festgelegt und stabilisiert werden kann (ein Recht wie das auf Rente setzt kontinuierliche Arbeit auf lange Zeit voraus), die autonomisiert ist, wie ein selbstgenügender Umstand (es wird, was den Schutz betrifft, nicht mehr auf innere Ressourcen und die der Solidarität der Umgebung gezählt).«[14]

Dies ist die Epoche der Pflichtversicherungen und der Rentensysteme auf Umverteilungsbasis, darüber hinaus der verfassungsmäßig anerkannten gesellschaftlichen Rechte (Recht auf Gesundheit, auf Unterricht, auf Ausbildung, auf einen Wohnort, etc.).

5) »Die Verortung [der Lohnabhängigkeit] in einem Arbeitsrecht, das den Arbeiter anerkennt, da dieser Mitglied eines Kollektivs ist, das einen sozialen Status besitzt, der über die rein individuelle Dimension des Arbeitsvertrages hinausgeht«.[15]

Es ist der Übergang, durch den die Abstraktion der Arbeit zur Bedingung für das volle öffentlich machen der Arbeit wird, die nicht länger ein Attribut der einzelnen Individuen (als solches der Privatsphäre zugehörig) ist und - direkt - zur gesellschaftlichen Entität wird, die als solche in der öffentlichen Sphäre verortet ist. Oder, wenn man so will, die durch das Arbeitsverhältnis nicht mehr zum Feld des Zivilrechts gehört sondern in das Feld des öffentlichen Rechts tritt.

Fünf Bedingungen also, die zusammengefaßt das bilden, was Castel als den Übergang »vom Vertrag zum Statut« definiert - vom liberalen Zeitalter in das 20. Jahrhundert könnte man sagen. Und die er als den zweiten Bruch im Prozeß der Herausbildung des Proletariats klassifiziert, der nach dem ersten Bruch - der zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert, eben im Zuge der ersten industriellen Revolution - heranreifte, und hingegen durch den Übergang »von der Vormundschaft zum Vertrag« gekennzeichnet war. Darin ist genau die Errungenschaft einer kollektiven Natur der Arbeit - ihrer »vollständigen Sozialisierung« - das neue Merkmal, das mit dem liberalen Individualismus bricht. Dieses neue Merkmal wird in exemplarischer Form durch die Zentralität und Neuheit der Einrichtung des kollektiven Arbeitsvertrags dargestellt: von seiner unnormalen »normativen Relevanz«. Von seinem Charakter einer convention-loi (so nannte es ein großer französischer Jurist Anfang der 20er Jahre),[16] einer »Übereinkunft, die mit gesetzlichen Kräften ausgestattet ist«, »die darauf abzielt, die Beziehungen zwischen zwei sozialen Klassen zu regulieren«[17] nicht zwischen zwei Individuen - wie die gewöhnlichen Verträge privaten Rechts - sondern zwischen zwei kollektiven Entitäten, die, zumindest bezüglich gewisser Themen (die als unteilbar angesehen werden, wie Mindestlohn, maximale Arbeitszeit, Gesundheits- und Arbeitsschutz usw.) »wie ein Ganzes« reguliert werden, wie eine einzige juristische Person. Dies ist sowohl im Interesse des Arbeiters, (dem ein Sicherheitsrahmen für die Arbeit und in der Arbeit garantiert wird) wie für den Unternehmer (der die Arbeit wie eine einzige »homogene Materie« behandeln kann, die relativ austauschbar ist, so kann er ihre Nutzung planen und mit Leichtigkeit und einheitlichen Kriterien ihre Kosten kalkulieren).

Fünf Bedingungen, die durch die neue Zäsur - diese »dritte industrielle Revolution - radikal umgeworfen werden. Diese eröffnet, um noch einmal Castel zu zitieren, nach einem langen Zyklus der Einverleibung und Rationalisierung eine umgekehrte Phase: die der intensiven Desorganisierung der Arbeit und der Destrukturierung der Gesellschaftlichkeit, indem eine Neuformulierung »der sozialen Frage im Sinne der Rückkehr einer Massenverwundbarkeit, die man schon gebannt glaubte,«[18] stattfindet. Die erste Bedingung ist schon in aufsehenerregender Weise umgangen worden: wenn eine Gegebenheit im aktuellen Prozeß der Umorganisierung des Unternehmenssystems offensichtlich ist, so ist es ihre Beziehung zum Territorium, dies und die wachsende Schwierigkeit, den Arbeitsbereich von dem der Nicht-Arbeit zu trennen. Die Öffnung eines immensen Übergangsraumes zwischen den beiden Universen, aufgrund des gewalttätigen Aufkommens von Gestalten, Bedingungen und Mischzuständen zwischen der Dimension der festen Arbeit und jener der völligen Abwesenheit von Arbeit: prekäre, unregelmäßige, vorläufige, zeitlich begrenzte Arbeiten, saisonale Tätigkeiten, Hausarbeit, Leiharbeit, die als atypisch bezeichnet werden, weil sie eben nicht im fordistischen Arbeits-Statut verortbar sind. Im »molekularen Kapitalismus« werden sie in vielerlei Hinsicht zur Regel (zum vorherrschenden Typus). Aldo Bonomi schätzt, daß dieser unter der Oberfläche liegende Arbeitskreislauf mittlerweile mindestens vier Millionen »unsichtbare Arbeiter« umfaßt, die in die territorialen Netzwerke eingebunden sind, die »mit dem Zyklus der Zulieferer und der Externalisierung aus den Unternehmen verknüpft« sind; in »serviler« Weise in den tiefsten Bereichen der Reihen des outsourcing in Arbeit gesetzt; aber auch in »mikrounternehmerischer« Form - »die berühmten IVA-Posten an der Arbeit« - »im Zyklus der Beratung, Wissensproduktion, Information und Kommunikation« beschäftigt.[19] In Großbritannien hat das jüngste »Röntgenbild« des Arbeitsmarktes (1993) hervorgebracht, daß gar 38 % der Arbeitskraft »nicht dauerhaft und vollzeitbeschäftigt war«:[20] 23,9 % (85 % davon Frauen) waren part-time beschäftigt, der Rest in zeitweiligen und nicht-garantierten Beschäftigungsverhältnissen, die im Laufe des letzten Jahrzehnts um mindestens 20 % zugenommen haben. Ganz ähnliche Prozentsätze werden in den Vereinigten Staaten registriert, wo - Mitte der 90er Jahre - 27,9 % der Arbeitskraft in dem »Niemandsland« verortet ist, das aus zeitlich befristeten Beschäftigungen, Teilzeitarbeit und dem sogenannten self-employment (das allein 10,8 % ausmacht) besteht. Und die Prognosen sagen uns, daß im Jahr 2000 die sogenannte contingent workforce - die »prekäre Arbeitskraft«, mit einem an »Gelegenheiten« geknüpften Arbeitsverhältnis ohne social benefits, Sicherheiten und Karrieremöglichkeiten - unter dem Druck eines sich bereits abzeichnenden, beschleunigten[21] Externalisierungsprozesses[22] 35 % der Gesamtbeschäftigung ausmachen wird. In Frankreich - wo sich auch die staatlichen Politiken sehr von denen der angelsächsischen Länder unterschieden haben - erreicht andererseits das Gesamtniveau des non-standard employment (sozusagen der atypischen Beschäftigung) 36,2 % (15 % self-employed, 12 % part-time, 9,2 % temporäre Arbeiter). Allerdings scheint dieses Phänomen in allen Industrieländern gleich stark verbreitet zu sein, mit Variationen in der Zusammensetzung (in der Gewichtung von part-time, temporärer Arbeit und self-employment) der nicht-garantierten Arbeit, abhängig von den jeweiligen steuerrechtlichen und arbeitsrechtlichen Normen, aber mit sehr ähnlichen Ausmaßen und einem gemeinsamen, steigenden trend, der zwischen den 80er und 90er Jahren beschleunigt wurde.[23] Auf diese Zahlen stützt sich die kategorische Feststellung der besten Wirtschaftssoziologen der USA, nach denen »die traditionelle Arbeitsweise, die auf der Vollzeitbeschäftigung beruht, mit klar bestimmten Beschäftigungsfeldern und einer Aussicht auf Karriere, die entlang des Lebenszyklus strukturiert wird, dazu bestimmt, langsam aber sicher zersetzt [wörtlich: »abgegraben«] zu werden«.[24] Und mit ihr eben auch das zweite markante Merkmal der Lohnarbeitsgesellschaft: die Bestimmtheit der Arbeitsrolle. Die stabile Formalisierung der Arbeitsidentität einer jeden der »gesellschaftlichen Gestalten«, auf der Grundlage ihrer Verortung entlang des continuums, das - in jenem Modell - das Herz des Produktionssystems mit seinen zahlreichen Peripherien verband.

In der neuen gesellschaftlichen Form, die der Arbeitsprozeß angenommen hat, können nämlich nicht nur Beschäftigung und Beschäftigungslosigkeit nicht mehr klar unterschieden werden, sondern auch die »Arbeitswelt« selbst scheint nicht mehr so klar gemäß feststehender Kategorien strukturier- und klassifizierbar zu sein, und sie tendiert dahin, in eine »Welt der Arbeiten« zu zerfallen, deren Grenzen und Verortungen immer elastischer, veränderbarer und flexibler sind, in der die Hauptunterscheidung zwischen autonomer und abhängiger Arbeit (oder Lohnarbeit) sich bis zum Verwischen aufweicht. Wenn nämlich das Herz der Großindustrie im harten fordistischen Kern liegt, der überlebt hat, dann drängen die Logiken der lean production[25], der integrierten Fabrik und der »totalen Qualität« dazu, die klassischen Lohnarbeiter immer mehr so zu behandeln, als ob sie autonome Arbeiter seien (indem ihre subjektiven Ressourcen mobilisiert und die Arbeitszeiten flexibilisiert werden, indem eine Zustimmung zu den Unternehmenszielen verlangt wird, als ob es ihre eigenen seien). In den Reihen der Zulieferer, durch die Maschen der großen Netze der Auslagerung, erwächst die Gestalt eines formal unabhängigen, aber de facto zunehmend auf die Position eines subalternen[26] Arbeiters reduzierten, semihandwerklichen Mikrounternehmers: er ist in zunehmend größerem Ausmaß an die vom Auftraggeber (vor allem wenn dieser eine große globalisierte corporation darstellt) diktierten Produktionsspezifika gebunden; in bezug auf Rhythmen und Methoden fast so stark angepaßt, wie die fordistische Lohnarbeit der vorhergehenden Phase. Ein Prozeß, der in die doppelte Richtung der »Verantwortlichkeit« der »abhängigen« Arbeit (in der Weise, die für den Privatunternehmer, Träger des »Geschäftsrisikos«, kennzeichnend war) und der Unterordnung der »autonomen« Arbeit voranschreitet; der (relativen) »Resubjektivierung« der Arbeitertätigkeit und der gleichzeitigen »Entsubjektivierung« der handwerklichen Arbeit (des Grades an Verfügungsgewalt beraubt, der die relative Marginalität gekennzeichnet hatte). Dies ist eine doppelte Bewegung, die ihre Synthese in einem allgemeineren, vollen und weitläufigen »in Arbeit setzen« der gesamten Gesellschaft findet, und zwar all ihrer Komponenten, all ihrer Subjekte und gesellschaftlichen Gestalten, die auf diesem Weg in einen sehr verbreiteten, focussierten und durchdringenden Prozeß kapitalistischer Verwertung zurückgeführt werden. Zurückgeführt auf eine Art undifferenzierte und mobile Verfügbarkeit für das Kapital, eine Pluralität heterogener Arbeitsressourcen, die aber mittlerweile alle reduziert wurden auf einen hohen Kompatibilitätsgrad mit dem neuen, flexiblen, proteischen Arbeitsprozeß, in dem diese in jedem Augenblick, gemäß des jeweils vom Standpunkt der Kosten und der Arbeitsgeschwindigkeit für am effizientesten gehaltenen mix beliebig neu zusammengesetzt werden können:

»Die Transformation der Produktionsprozesse - das wurde in sinnvoller Weise hervorgehoben - erlaubt in zunehmendem Maße, daß die Verteilung der gleichen Art von Professionalisierung, je nach Produktionszyklus, unterschiedslos als Zustand untergeordneter Arbeit oder als Zustand autonomer Arbeit erfolgen kann.«[27]

Dies hat unmittelbare und verheerende Auswirkungen auf die juristische Struktur des Arbeitsverhältnisses (das erklärt auch, warum es vor allem die scharfsinnigsten unter den Arbeitsjuristen gewesen sind, die die Tragweite des Wandels erkannt haben, viel stärker als die Soziologen und, selbstredend, die Politiker) und auf die Natur des Arbeitsrechts selbst: es zerstört seine konsolidierten Symmetrien, insbesondere jene, die das untergeordnete Arbeitsverhältnis unter ein »paraöffentliches« Regime stellte, das von der voluntas legis[28] beherrscht wurde und die Sphäre der unabhängigen Arbeit unter die Herrschaft des lex voluntatis[29] (individuell) stellte[30] vor allem umgeht es das System der Garantien, das vollständig auf der Struktur der kollektiven Anstellung und der öffentlichen Wahrnehmung der untergeordneten Leistung gestaltet wurde: im Falle der dauerhaften Eingliederung der Leistung in Form autonomer Arbeit in den Produktionsprozeß nämlich, sei es in direkter Form, sei es »mit den Verträgen koordinierter und dauerhafter Zusammenarbeit (...) haben die Vertrags-parteien, abgesehen von den sehr allgemeinen Grundzügen des bürgerlichen Gesetzes (im Gegensatz zu den Arbeitsnormen oft umgehbar), ausschließlich die von der individuellen Übereinkunft vorgesehenen Rechte und Pflichten: qui dit contractuel dit juste!«[31] Ein in einiger Hinsicht perverser Schritt kraft dessen die praktische Universalisierung der Arbeit (ihre durchdringende Ausdehnung auf alle gesellschaftlichen Bereiche) darauf hinausläuft, sich dem großen Vorhaben der Universalisierung der Arbeitsrechte, das die »Zivilisation der Arbeit«, die sich mühsam, in der zweiten Hälfte des »kurzen Jahrhunderts« durchsetzen konnte, durchzogen hatte, zu widersetzen und es zu zerlegen.

Aber in Wirklichkeit, bei genauem Hinsehen, schwankt das gesamte gesellschaftliche - und unter manchen Gesichtspunkten moderne - Gebilde des 20. Jahrhunderts: angefangen von der fundamentalen Trennung zwischen Raum (physisch und gesellschaftlich) der Arbeit, oder, wenn man so will, der produktiven Aktivität (gänzlich außerhäuslicher Raum) und Wohnraum oder der reproduktiven Aktivität, die zunächst die Entstehung der einfachen Manufaktur und dann die Durchsetzung der großen mechanisierten Fabrik geschaffen und konsolidiert hatten, bis hin daraus ein mächtiges Prinzip gesellschaftlicher Strukturierung zu machen. Dies hat Sergio Bologna in einem hervorragenden Aufsatz über »Das Statut der autonomen Arbeit« sehr klar herausgearbeitet:

»Die Wahrnehmung des Raums durch den Lohnarbeiter war auf zwei klar getrennte >Orte< bezogen. Zwei Systeme getrennter Regeln und Kulturen, das Haus und die Fabrik, die Wohnung und das Büro, der Ort des Privatlebens und der Gefühle und der Arbeitsplatz. Die hervorstechendste Charakteristik der unabhängigen Arbeit ist - hingegen - die domestication[32] des Arbeitsplatzes, die Einverleibung der Arbeit in das Regelsystem des Privatlebens.«[33]

Und er führt weiter aus:

»Es ist nicht notwendig, daß die Arbeit Heimarbeit ist oder Arbeit, die mit familiären Mitarbeitern erfolgt, damit eine domestication erfolgt; es reicht, daß der Arbeitsplatz als ein Ort konzipiert ist, an dem die Regeln gelten, die durch den unabhängigen Arbeiter selbst festgelegt werden, damit die Kultur und die Gewohnheiten des Privatlebens an den Arbeitsplatz transferiert werden.«

All dies könnte vielleicht, wenn ein kultureller Bruch auf der Höhe der Herausforderung erfolgen wird, zu einer größeren Autonomie der Arbeit führen: zu einer erweiterten Kontrolle seitens des Individuums über die eigene Arbeitstätigkeit, wie es eben in der häuslichen Sphäre erfolgt, und wie sie eben in der ursprünglichen »Vertragsgesellschaft« in Form des sozialistischen Mutualismus[34] heranreifte. De facto aber wird es, im Gesamtrahmen des laufenden Umstrukturierungsprozesses der Produktion und der neoliberalen Hegemonie zu einer umfassenderen Kolonialisierung der internen »Lebenswelten«, der »privaten« Bereiche der kollektiven Existenz durch die Unternehmenslogik kommen; zu einem viel kapillareren und eindringlicheren in Arbeit setzen jener Bereiche der Existenz, die sich dem Unternehmens-Kommando bisher entzogen hatten. Das führt im allgemeinen zu einer drastischen Infragestellung jenes Prozesses der Verlegung der Arbeitertätigkeit in die »Öffentlichkeit« - der Verankerung der abhängigen Arbeit im Bereich der »öffentlichen Sphäre« -, die nämlich die Grundlage für die gesamte Problematik der sozialen Rechte dargestellt hatte; allgemeiner beinhaltet dies in bezug auf die Legitimation des zeitgenössischen Sozialstaats: einen Sprung zurück um fast ein Jahrhundert, der uns - um zu Castel zurückzukehren - vom »Statut« ins volle »Vertragsregime« zurückwirft. Von der sozialen Demokratie des späten 20. Jahrhunderts führt er uns zur »asozialen liberalen Demokratie des späten 19. Jahrhunderts«. Aber es ist auch ein Sprung nach vorn (in die Dunkelheit), der uns von einem Modell, das die Menschen wie Mittel behandelte (und als solche »organisierte« es sie, indem es die alten, als irrational angesehenen, Beziehungen durch neue »effizientere« ersetzte), in Richtung eines Systems schleudert, das die soziale Bindung als einen Rohstoff im Verwertungsprozeß betrachtet (als einen »Produktionsfaktor«, der als solcher in der Produktion verbraucht und in Ware verwandelt werden muß). Das also gesellschaftliche Rationalität »verbraucht«, anstatt sie zu reproduzieren. Es atomisiert und pulverisiert die »demographische Zusammensetzung«, statt sie zu vereinfachen und zusammenzuführen. In der Substanz erodiert es die Grundlagen einer Gesellschaft, die um die (pluralistische) Vorstellung einer Vielfältigkeit kollektiver Subjekte strukturiert ist, die freimütig, in nicht destruktiver Weise, zur Umverteilung des produzierten Reichtums und zur Definition allgemein geteilter und kollektiver Ziele verschmelzen und ersetzt sie durch das Bild einer Gesellschaft von räuberischen, im Wettbewerb stehenden Atomen, ein jedes Träger von Mikrozielen kurzer Reichweite und alle der gebührenden Optimierung der eigenen sozialen Verortung gewidmet.

Übersetzung Dario Azzellini,
Lektorat Jule Schmidt

 

Anmerkungen
[1] hiermit ist nicht der tertiäre Sektor, also der Dienstleistungssektor, gemeint. Der Dritten Sektor ist neben dem Ersten (Markt) und dem Zweiten (Staat) das nicht klar zu greifende Dazwischen. Dazu gezählt werden können Bürgerarbeit, Ehrenämter etc.
[2] Übergang
[3] M. Castells: The Rise of the Network Society, Blackwell, Cambridge, Mass. 1996, S. 240.
[4] Castel: Les M?tamorphoses de la question sociale, op. cit., S. 327 ff.
[5] Ebd., S. 327.
[6] Menschen, die ihren Verdienst aus nicht produktiver Arbeit schöpfen, z.B: Großaktionäre.
[7] Castel: Les M?tamorphoses de la question sociale, op. cit., S. 331.
[8] [gegebene]Größe
[9] »Zähflüssigkeiten«
[10] Aufsaugen
[11] Ebd., S. 334.
[12] Begriff aus der Regulatontheorie. Meint einen bestimmten Modus der Produktion, (der über eine längere Periode hinweg ein Entsprechungsverhältnis zwischen den materiellen Produktionbedingungen und ihrer Entwicklung (d.h. dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der branchenmäßigen Struktur des Produktionsapparates sowie den Produktionsnormen) sowie dem gesellschaftlichen Verbrauch (Konsumausgaben der Lohnabhängigen und anderen Klassen, kollektiver, d.h. durch sozial-staatliche Maßnahmen vermittelter Konsum) gewährleistet (Lipietz)
[13] Ebd., S. 337.
[14] Ebd.
[15] Ebd., S. 338.
[16] Der Ausdruck stammt von L. Duguit: Les Transformations g?n?rales du droit priv?, Paris 1920.
[17] Ebd., S. 135
[18] Castel: Les M?tamorphoses de la question sociale, op. cit., S. 215.
[19] Bonomi: Il capitalismo molecolare, La societ? al lavoro nel Nord Italia, Einaudi, Turin 1997, S. 13. IVA-Posten bezieht sich auf die Art der Steuererklärung IVA die Scheinselbstständige in Italien als »Unternehmer« machen müssen. [Siehe auch ders.: Der molekulare Kapitalismus, in: Arranca!, Nr. 16, Winter 1998/99, S. 20 f.]
[20] Non-standard working under review, in: Industrial Relations & Review Report, Nr. 565, August 1994, S. 5-14; zitiert in Castells: The Rise of the Network Society, op. cit., S. 265.
[21] Ebd., S. 266.
[22] Prozeß, der etwas nach außen verlagert
[23] Prozentsätze des self-employment und von part-time-Arbeitern im Verhältnis zur Gesamtarbeitskraft. Siehe Tabelle 1
[24] Castells: The Rise of the Network Society, op. cit.,
S. 268.
[25] wörtl.: »magere Produktion«; bedeutet eine verschlangte also verbilligte Produktion
[26] untergeordnet
[27] M. D'Antona: Intervento in der Debatte über »Il lavoro e i lavori«, in »Lavoro e diritto«, Nr. 3, 1988, S. 413.
[28] Der Wille des Gesetzes
[29] Das Gesetz des Willens
[30] Vgl. diesbezüglich den hervorragenden Aufsatz von G. Bronzini: Postfordismo e garanzie: il lavoro autonomo, in S. Bologna und A. Fumagalli (Hg.): Il lavoro autonomo di seconda generazione, S. 16.
[31] Ebd., S. 323.
[32] (to) domestic: ans Haus gewöhnen
[33] S. Bologna: Dieci tesi per la definizione di uno statuto del lavoro autonomo, in: Bologna und Fumagalli (Hg): Il lavoro autonomo di seconda generazione, S. 16.
[34] System des utopischen Sozialismus von Proudhon