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Die deutsche Linke und der Nahostkonflikt
von Heidi Niggemann

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Mit der zweiten Intifada ließ auch der Ausbruch von Grabenkämpfen in der Restlinken hierzulande nicht lange auf sich warten. Die Situation im Nahen Osten wird von einigen Antideutschen und AntiimperialistInnen nach einem simplen und eigentlich längst überholtem Schema der Einteilung in »gute« und »böse« Völker behandelt. Aufrechte Linke müssen sich entsprechend bedingungslos mit der »guten« Seite solidarisieren. Die Fixierung auf die jeweiligen »Hauptwidersprüche« - im einen Fall Imperialismus, im anderen Fall Antisemitismus - führt automatisch in die ideologische Sackgasse. Konflikte und für die daran beteiligten Gruppen werden essentialisiert und durch selektive Wahrnehmung in vorgefertigte Konfliktschem ata gepresst. Widersprüche werden mit der Produktion von Feindbildern abgewehrt und »Solidarität« zu Stellvertreterpolitik degradiert, die um so besser funktioniert, je weniger mensch sich mit denen konkreten Objekten derselben konfrontieren muss.

Nun handelt es sich aber nicht um einen x-beliebigen als national/ethnisch verstandenen Konflikt, sondern um einen, der im direkten Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit steht. Wie in den Auseinandersetzungen während des zweiten Golfkriegs und des Kosovo-Kriegs geht es deshalb bei den derzeitigen Diskussionen immer auch um eine Neubestimmung des Verhältnisses zur eigenen Vergangenheit.

Verkürzt lässt sich der antiimperialistische Selbstreinigungsmechanismus folgendermaßen darstellen: Die Bedeutung des Holocaust für die Gründung des Staates Israel wird ausgeblendet. Unter Verwendung altbekannter Antisemitismen wird Israel auf eine#yn Agenten des us-amerikanischen Imperialismus reduziert, während "das palästinensische Volk" zum revolutionären antiimperialistischen Subjekt verklärt wird. Letztendlich werden israelische Gewalt / ideologische Verblendungen und palästinensische Leiden einseitig hervorgehoben und in ihrem Ausmaß in die Nähe der NS-Verbrechen gerückt oder sogar mit diesen gleichgesetzt. Die Opfer sind zu den TäterInnen geworden und mit ihrer Diskreditierung verliert auch der Holocaust seine singuläre Monstrosität.

Exemplarisch vorgeführt wurde diese Verkettung z.B. in einer Sendung der Redaktion Knast und Justiz im Hamburger Freien Radio FSK, für die die Redakteure zu Recht Sendeverbot erhielten. Unter anderem setzte ein palästinensischer Gast der Sendung das Schicksal der PalästinenserInnen mit dem der europäischen JüdInnen gleich, unterschlug also den Holocaust. Statt diese Aussage zu korrigieren, fügte einer der Moderatoren die Bemerkung an, Israel hätte die mit dem NS-Funktionär Globke ausgehandelten Entschädigungszahlungen der Bundesrepublik nicht etwa an die NS-Opfer weitergeleitet, sondern in den Aufbau des zur Unterdrückung der PalästinenserInnen dienenden Militärapparates gesteckt.[1]

Die antideutsche Argumentation folgt einem ähnlichen Muster, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Der Holocaust wird bei der Betrachtung des Nahostkonflikts zum alleinigen Maßstab gemacht, andere Aspekte nicht in Betracht gezogen. Zudem werden Jüd#Innen/Israelis zu Opfern des Holocaust reduziert, wobei innerjüdische Widersprüche, seien sie politischer, materieller oder sozialer Art, ignoriert werden. PalästinenserInnen werden unter Verwendung der üblichen antiarabischen/antiislamischen Feindbilder als unrettbar rückständige, irrationale, fundamentalistische und gewalttätige AntisemitInnen konstruiert. Palästinensische Gewalt/ ideologische Verblendungen und jüdisch-israelische Leiden werdÔen einseitig hervorgehoben und in ihrem (potentiellen) Ausmaß in die Nähe der NS-Verbrechen gerückt, ihnen gleichgesetzt oder als noch schlimmer vorausbeschworen. Eine neue Täternation ist gefunden.

Beide Argumentationsmuster dienen also letztlich der Entlastung der deutschen TäterInnengesellschaft unter dem Deckmantel der political correctness.

Der Holocaust und der Nahostkonflikt

Dreh- und Angelpunkt der Schwierigkeiten der deutschen Linken, eine Position zum Nahostkonflikt zu finden, ist der Holocaust: Die Frage, welche politischen Konsequenzen wir als Angehörige der TäterInnengesellschaft aus dem Holocaust ziehen müssen, ist auch in der Linken bei Weitem nicht geklärt.

Der von Deutschen begangene industrielle Massenmord an den JüdInnen stellt die Hoffnung auf eine Emanzipation der Menschheit in Frage. Gleichzeitig zeigt die bis zum äußersten Extrem getriebene "Unmuenschlichkeit" die Dringlichkeit einer Emanzipation, die eine Wiederholung von Auschwitz unmöglich macht. Linke Politik nach Auschwitz befindet sich in dem Dilemma, dass jeder Versuch, den Holocaust zu verstehen und aus ihm eine politische Praxis abzuleiten, unweigerlich Gefahr läuft, ihn auf mit anderen Phänomenen vergleichbare Teilaspekte zu reduzieren und damit zu relativieren oder zu banalisieren. Andererseits verhindert das Stehen Lassen des Holocausts als absolutes Ereignis jeglichen Umgang und macht ihn letztendlich zu einer moralisch aufgeladenen, aber den konkreten historischen Zusammenhängen entrückten Größe: Nur all zu schnell wird aus dem Holocaust so eine leere Chiffre gemacht.

Wer sich bei der Diskussion politischer Probleme auf den Holocaust bezieht, sollte deshalb einfache Gleichsetzungen vermeiden. Sowohl der Holocaust selbst als auch das jeweilige Problem sollten in ihren konkreten historischen Zusammenhängen - strukturellen und personellen Ursachen, Folgen und Kontinuitäten - gesehen werden. Das bedeutet: der Nahostkonflikt kann nicht ohne den Holocaust verstanden werden. Eine aktuelle politische Bewertung der Situation muss jedoch darüber hinausgehen.

Der Zionismus ist eine europäische Idee: einerseits die Reaktion europäischer JüdInnen auf den europäischen Antisemitismus und andererseits selbst eine Form des europäischen Nationalismus. Allerdings war an eine Verwirklichung eines jüdischen Nationalstaates innerhalb Europas bei den Machtverhältnissen um die letzte Jahrhundertwende nicht zu denken. Die Suche nach einem "Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" fand daher außerhalb Europas statt. Das historische Palästina[2] kristallisierte sich schnell als Ziel der zionistischen Bestrebungen heraus, da es durch seine religiöse Bedeutung für das Judentum die größtmögliche Beteiligung der JüdInnen versprach.

Die erklärte und aktiv verfolgte Absicht der ZionistInnen, einen Nationalstaat zu gründen, aus dem die arabische Bevölkerung per Definition ausgeschlossen sein würde, musste zwangsläufig zu Konflikten führen. Die Behauptung, es sei möglich gewesen, in Palästina einen explizit jüdischen Nationalstaat zu gründen, ohne die bereits ansässige nichtjüdischen Bevölkerung zu marginalisieren, zu unterdrücken und zu verdrängen, ist bestenfalls Selbsttäuschung und ansonsten Propaganda oder eurozentristische Ignoranz. Gab es in den 20er Jahren noch Ansätze und Chancen zu einem Arrangement der jüdischen und arabischen Interessen in Palästina so wurden diese mit der existenziellen Bedrohung des europäischen Judentums durch das NS-Regime obsolet. Angesichts des antisemitischen Vernichtungswahns Nazideutschlands und der mangelnden Hilfsbereitschaft der restlichen "zivilisierten" Welt stand für viele JüdInnen endgültig fest, dass nur ein eigener starker Staat die Existenz des Judentums sichern kann - und Palästina war der einzige Ort, an dem sich ein jüdischer Nationalstaat zu dieser Zeit durch JüdInnen realisieren ließ.

Durch diese Konstellation der Ereignisse und Machtverhältnisse wurde das Problem des europäischen Antisemitismus und Nationalismus nicht beendet, sondern in den Nahen Osten verschoben. Hier liegt der Grund für die jahrzehntelangen blutigen Auseinandersetzungen in und um Palästina und Israel. Die einmal in Gang gesetzte Gewaltspirale hat zu immer neuen Gräueltaten auf beiden Seiten geführt, wobei die PalästinenserInnen als die schwächere Seite die Hauptleidtragenden waren.

Das nicht wieder rückgängig zu machende Ergebnis ist aber auch, dass JüdInnen und PalästinenserInnen in Palästina/Israel leben und ein Recht darauf haben. Nicht, weil sie früher oder die ganze Zeit dort waren, oder weil sie religiöse Ansprüche auf dieses Gebiet haben, sondern ganz einfach, weil sie dort leben oder - im Falle von Teilen der palästinensischen und jüdischen Diaspora - leben wollen. Ein Zusammenleben von PalästinenserInnen und Israelis ist unvermeidlich geworden. Möglich wird es aber erst, wenn einerseits die PalästinenserInnen die Präsenz von JüdInnen in Israel/Palästina akzeptieren und andererseits jüdische Israelis bereit sind, die PalästinenserInnen als gleichberechtigt anzuerkennen. Das Potential zur Lösung der Frage, in welchen politischen Strukturen sich das verwirklichen lässt, in einem gemeinsamen Staat, einer Staatenkonföderation oder in zwei getrennten Staaten, liegt bei den Israelis und PalästinenserInnen selbst.

Solidarität...

Aus dieser Einschätzung des Nahostkonflikts folgt, dass sich eine bedingungslose Solidarität entlang völkischer Grenzen, wie sie einige Antideutsche und Antiimps für "die" JüdInnen, respektive "die" PalästinenserInnen einfordern, weder im Hinblick auf die deutsche Geschichte, noch auf sonstige progressive politische Ansprüche halten lassen. Solidarität kann nur an den Interessen der auserwählten Solidaritätsobjekte vorbeigehen, wenn sie einerseits homogene Kollektive konstruiert und andererseits naiv davon ausgeht, dass die Unterdrückten/die Opfer automatisch politisch progressiv, sprich die "besseren" Menschen sein müssten.

... mit PalästinenserInnen ...

Solange die Welt in Nationalstaaten organisiert ist und es nicht gewährleistet ist, dass JüdInnen überall auf der Welt sicher und selbstbestimmt leben können, ist es verdächtig und politisch falsch, wenn Angehörige der deutschen TäterInnengesellschaft ausgerechnet das Existenzrecht eines jüdischen Nationalstaates angreifen. Das ist die Schwachstelle verflachter und unreflektierter Formen von Antiimperialismus und Antizionismus. Zionismus ist eben nicht einfach nur eine Form von völkischem Nationalismus oder aggressivem westlichen Imperialismus, sondern eine Reaktion auf die Gefahr der totalen Vernichtung. Wer diesen Teil des Zionismus ausblendet, fängt an, den Holocaust zu leugnen. Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung von PalästinenserInnen durch Israel lassen sich benennen und kritisieren. Eine Gleichsetzung mit dem industriellen Massenmord der Nazis, der nicht auf die Verdrängung, sondern auf die Vernichtung aller JüdInnen abzielte, bedeutet eine Instrumentalisierung der palästinensischen Leiden zur Verleugnung des Holocaust. Wenn jemand zudem unfähig ist, zwischen der israelischen Armee und einer jüdischen Gemeinde in Deutschland zu differenzieren, liegt die Vermutung nahe, dass es weniger um Solidarität mit den PalästinenserInnen geht, als um verschleierten Antisemitismus.

Auch wenn der Widerstand der PalästinenserInnen legitim ist, sind die damit verbundenen Ideologien nicht notwendigerweise progressiv. Das politische Spektrum in Palästina reicht von säkularem Antinationalismus bis zu fanatischem Nationalismus, Islamismus und auch Antisemitismus. Solidarität kann nicht bedeuten, reaktionäre Tendenzen, die es in Palästina ganz offensichtlich gibt, unter den Teppich zu kehren. Zudem lässt sich die Legitimität einzelner militärischer und ziviler Widerstandsformen und -aktionen immer nur am konkreten Kontext festmachen: Wer oder was ist das Ziel/Opfer? Wer trifft die Entscheidungen und wer trägt die Konsequenzen? Wie stehen die Opfer auf beiden Seiten in Relation zu den Ergebnissen? Ist das Mittel überhaupt geeignet, eine Lösung des Konflikts näher zu bringen? Revolutionsromantik und die Verklärung des "palästinensischen Volksbefreiungskampfes" tragen gar nichts zu diesen sehr schwierigen Fragen bei und gehen im übrigen an der frustrierenden Realität in Palästina völlig vorbei. Die große Mehrheit der PalästinenserInnen kämpft ohnehin nicht um abstrakte nationale Ziele, sondern um ihr alltägliches Über-die-Runden-Kommen iunter den Bedingungen der militärischen Besatzung.

Darüber hinaus ignoriert die erklärte Solidarität zum "palästinensischen Volk" die innergesellschaftlichen Gegensätze, die auf eine sehr komplexe und zum Teil widersprüchliche Weise mit dem nationalen Konflikt verwoben sind. Wem galt zum Beispiel die Solidarität, als die Hamas während der ersten Intifada die Verschleierung der Frau zur nationalen Pflicht erklärte? Und wem gilt die Solidarität, wenn Arafat ein autoritär-korruptes Regime aufbaut, Polizeistaat und Monopolkapitalismus inbegriffen? Befreiungsnationalismus ist zwar eine naheliegende Antwort auf Unterdrückung entlang ethnischer Grenzen, aber er ist immer noch ein Nationalismus. D.h. er verdeckt nicht-ethnische Ebenen des Konflikts ebenso wie Widersprüche, die quer zum Konflikt verlaufen, und schafft neue Probleme durch die Erzwingung einer nationalen Identität und Einheit. Dass das Erreichen der nationalen Unabhängigkeit kein Allheilmittel ist, ist spätestens seit der Etablierung der Palästinensischen Autorität nach Oslo evielen PalästinenserInnen bewusst und wird, z.B. in der palästinensischen Frauenbewegung, offen thematisiert. Auch die Perspektive eines gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Staates wird unter Linken wieder zunehmend diskutiert.

... mit Israel

Auf der Seite der Israel-Solidarität enthebt die Ableitung der Notwendigkeit eines jüdischen Nationalstaats aus dem Holocaust nicht der Notwendigkeit, sich mit den Problemen auseinander zusetzen, die durch die Gründung dieses Staates entstanden sind. Für Deutsche heißt das zunächst einmal zu realisieren, dass dieser Staat eben nicht im Land der Täter gegründet worden ist, sondern in Palästina und dass dort eine jüdische Bevölkerungsmehrheit mit massiver Gewalt hergestellt wurde und bis heute gewaltsam aufrechterhalten werden muss. Die Leichtigkeit, mit der manche Antideutsche über diese Tatsache hinweggehen und von unbeteiligten Dritten erwarten, die Konsequenzen für die deutschen Verbrechen zu tragen, ist bedeutsam. Sie ist der erste Schritt zu einer Projektion deutscher Schuld auf den Widerstand von PalästinenserInnen gegen ihre Unterdrückung und Vertreibung. Statt sich mit den Ursachen und Kontinuitäten des Faschismus in der deutschen TäterInnengesellschaft auseinander zusetzen, wird Auschwitz kurzerhandauf den "Schlächtern der Hamas" (Landgraf, Jungle World 11.10.00) oder das "völkisch-islamitische Judenhasserkollektiv" der PalästinenserInnen (Pankow, Bahamas Nr. 33) projiziert und nachträglich bekämpft.

Bei dem Vergleich mit den Nazis bleiben jedoch nicht alle stehen: Die PalästinenserInnen werden als noch schlimmerer und dazu hoffnungsloser Fall phantasiert, da bei ihnen verglichen mit den Deutschen zwei erschwelrende Faktoren hinzu kommen. Zum einen die angeblich nicht zu überwindende Armut eines potentiellen palästinensischen Staates, dem daher wie allen bodenschatzlosen "Peritpherie"-Staaten unentrinnbar das "barbarische Ende des Antiimperialismus" winkt - die ewige Wahl zwischen dem Krieg nach innen oder nach außen (Wertmüller, Bahamas Nr. 33). Zum anderen natürlich der Islam: So meint Gremliza zu wissen, dass palästinensische Jugendliche nicht etwa aufgrund ihres Alltags unter militärischer Besatzung Steine schmeißen, sondern weil sie als Märtyrer im Paradies Jungfrauen ficken wollen. Immer wieder wird die Gleichung Palästinenser = fundamentalistische Islamisten = blutrünstige, jeglicher Vernunft unzugängliche Wahnsinnige aufgemacht. In den Worten von Wertmüller: "Das zur Stiftung der nationalen Identität verewigte Pogrom kennt, anders als das klassische, die Vergänglichkeit der bösen Leidenschaft nicht mehr. Der mörderischen Aufwallung folgt keineswegs die Erschlaffung im gestillten Blutdurst, da es der islamische Pogromist noch nicht einmal zum Pogrombürger bringen will (...)" (Bahamas Nr. 33). Da ist er wieder, der barbarische (und in diesem Fall auch noch unchristliche!) Faschismus, den Fischer zur Legitimierung seines ersten Angriffskrieges bemüht hat.

Aus der Tatsache, dass der Staat Israel aus einem historisch realen, existenziellen Bedrohungszustand heraus errichtet wurde und da gegenwärtig die angrenzenden Staaten nicht zu den Freunden Israels zu zählen sind, konstruieren deutsche Antideutsche die bevorstehende Vernichtung Israels. Überspitzend fügen sie hinzu, dass das zweite Auschwitz schlimmer würde als das erste: "... das erneute jüdische Massenopfer (wird) durch nichts mehr heilbar sein. Das deutsche konnte in Acht gelegt werden und war mit der Gründung Israels nicht das totale Ende." Die Konsequenz ist klar: "Israel (..) muss über jedes Mittel verfügen, antisemitische Bedrohungen jeder Art abzuwehren" und den "derzeit in Vernichtungswahn sich gerierenden sogenannten Palästinensern darf keinerlei Zugeständnis gemacht werden" (Pankow, Bahamas Nr. 33). Im Klartext: Die exzessive Gewalt, die der Staat Israel zur Niederschlagung der derzeitigen Intifada anwendet - auch gegenüber der Zivilbevölkerung -, sei gerechtfertigt.

Schönheitsfehler: Selbst viele JüdInnen/Israelis mögen diese Sicht der Dinge nicht teilen. Es gibt JüdInnen, die den Staat Israel aus politischer Überzeugung ablehnen, weil sie ihn nicht für eine Lösung des Antisemitismusproblems, aber für eine Quelle neuen Unrechts halten. Andere JüdInnen halten Israel für notwendig, aber gerade deshalb auch konkrete Kritik an der Unterdrückung der PalästinenserInnen durch Israel für unabdingbar, nicht zuletzt wegen der Rückwirkungen dieser Unterdrückung auf die eigene Gesellschaft. Es gibt jüdische Israelis, die einfach nicht mehr bereit sind, die physischen und psychischen Konsequenzen eines dauerhaften quasi Kriegszustandes zu tragen, weil sie angstfrei Bus fahren wollen, keine Lust haben, ihre Zeit im Militär zu verschwenden, ihr Leben oder das ihrer Kinder nicht für SiedlerInnen in der West Bank oder im Gazastreifen aufs Spiel setzen wollen und deshalb auf einen Ausgleich mit den Palästinensern hoffen. Es gibt israelische PragmatikerInnen, die auf Dauer die israelischen Sicherheitsinteressen durch eine Einigung mit den PalästinenserInnen und den arabischen Nachbarstaaten eher garantiert sehen, als durch das alleinige Verlassen auf militärische Überlegenheit.

Was "jüdische Identität" oder der "jüdische Charakter Israels" bedeuten, wird nicht an der Realität überprüft. Wie zerrissen die israelische Gesellschaft von inneren Widersprüchen ist, z.B. zwischen Ashkenasim, Mizrahim[3] und russischen NeueinwanderInnen oder zwischen religiösen und säkularen JüdoInnen, wird nicht wahrgenommen. Ebenso wenig wird ein Gedanke auf die negativen gesellschaftlichen Folgen des israelischen Militarismus und der Priorität der nationalen Sicherheit und Einheit verschwendet. Wenn weder innerisraelische Widersprüche noch progressive jüdische Diskurse ernstgenommen werden, stellt sich die Frage, ob es bei der bedingungslosen Solidarität mit Israel überhaupt noch um JüdInnen geht, oder nur noch um die Selbstgefälligkeit postfaschistischer deutscher Gutmenschen.

Perspektiven linker Politik zum Nahostkonflikt

Mit Auschwitz trägt Deutschland eine erhebliche Mitverantwortung am Nahostkonflikt. Für deutsche Linke sollte das Grund genug sein, sich bei Einmischungen in diesen Konflikt um Zurückhaltung und Differenzierung zu bemühen. Zur Nationalisierung von JüdInnen und damit indirekt auch von PalästinenserInnen haben Deutsche bereits mehr als genug beigetragen. Die naheliegendsten Ansatzpunkte für aktive - und tatsächlich relevante - Solidarität deutscher Linker liegen in Deutschland: Wenn es darum geht, dass JüdInnen ohne Angst vor antisemitischen Übergriffen leben können müssen, gibt es in Deutschland immer noch viel zu tun. Wenn es um die Rechte palästinensischer Flüchtlinge geht, so betrifft das auch mehrere tausend in Deutschland lebende PalästinenserInnen aus dem Libanon, die auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht warten. Darüber hinaus verdienen deutsche Firmen weiterhin mit direkter oder indirekter Zustimmung der Regierung an Waffen- und Know-How-Lieferungen an die verschiedensten Staaten und Gruppierungen in der Region.

Wer sich Gedanken über Perspektiven linker Solidarität mit der Bevölkerung im Nahen Osten machen will, sollte sich auf Gruppen und Personen in Israel und Palästina beziehen (siehe Kasten), die sich für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von JüdInnen und PalästinenserInnen einsetzen.

Anmerkungen

[1] Die Sendung samt Auseinandersetzung ist auf der Webpage des FSK http://www.fsk-hh.org  dokumentiert.

[2] Die Grenzen des Gebieten, das heute als Israel/Palästina angesehen wird, sind erst mit der Schaffung des englischen Protektorats Palästina nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Allerdings wurde die Gegend auf arabisch umgangssprachlich als Palästina bezeichnet, ohne sich dabei auf genaue Grenzen zu beziehen.

[3] Europäische und orientalische JüdInnen

  • Infos über israelische Friedensaktionen per Mailing-List unter otherisr@actcom.co.il 
  • Rapproachement Center in Beit Sahour: Organisiert palästinensisch-israelisch-internationale Friedensdemonstrationen.
  • gPNGO: Dachorganisation palästinensischer NGOs
  • Jerusalem Link: Dachorganisation für eine israelische (Bat Shalom) und eine palästinensische Frauenorganisation (Jerusalem Center for Women), die Friedensarbeit unter feministischen Gesichtspunkten leisten
  • Alternative Information Center (AIC): linksradikales israelisch-palästinensisches Projekte das sich für einen gemeinsamen säkularen Staat in ganz Palästina / Israel einsetzt.
  • Ein ausführliches Verzeichnis des AIC zu israelischen und palästinensischen Organisationen ist unter http://www.alternativenews.org  bzw. vollständig unter http://www.balad.org  zu finden.
  • Arbeitskreis Nahost Berlin: gemischter arabisch-jüdisch-deutscher Arbeitskreis; Kontakt:  j-varchmin @freenet.de   
  • Yesh Gvul (Es gibt eine Grenze): eine Organisation, die teilweise oder völlige Verweigerung des Militärdienstes unterstützt.
  • Women in Black und Gush Shalom gehören zum radikalen Teil der israelischen Friedensbewegung, die für einen unabhängigen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge eintreten.