Über den alltäglichen Rassismus in Deutschland
Zur "Hetzjagd von Guben" und dem milden Urteil ist eine Dokumentation erschienen

von Michael Klarmann  
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Am 13. November 2000 endete vor dem  Landgericht Cottbus [0] der Prozess gegen elf Männer im Alter von 18 bis 21 Jahren. Sie hatten am Morgen des 13. Februar 1999 drei Asylbewerber durch  Guben [1] gehetzt. Farid Guendoul alias Omar Ben Noui fand dabei den Tod. Die Täter wurden zu relativ milden Strafen verurteilt. Dokumentiert haben den Fall nun Prozessbeobachter in der "reihe antirassistischer texte" des Münsteraner  Unrast Verlag [2].

Guendoul lebte in Deutschland zum Schutz seiner Familie in Algerien unter dem Decknamen Omar Ben Noui. Er verblutete, nachdem er das Glas einer Haustür eingetreten hatte. Gemeinsam mit einem Freund wollte er sich verstecken, während der dritte Flüchtling schon verprügelt wurde. Die Polizei nahm zuerst Guendouls Begleiter fest, da dieser das Blut des Toten an den Händen hatte. Recherchen der Buchautoren zufolge hatten die Gesetzeshüter schon vorher fahrlässig gehandelt und den zumeist der Neonazi-Szene angehörenden Jugendlichen Freiräume gelassen, die die Hetzjagd erst ermöglichten. Die Reportagen, Analysen und Interviews drehen sich um die Hintergründe der Tat, die rechte Szene in Guben – der Stadt, deren  Homepage [3] verkündet: "Guben bezaubert" – und dem Prozessverlauf. Das Buch setzt sich kritisch mit fehlgeschlagener akzeptierender Sozialarbeit auseinander und benennt den "Zusammenhang zwischen rechtsextremer Gewalt, dem subjektiven Rassismus Einzelner und dem institutionellen Rassismus" bundesdeutscher Asylgesetzgebung. Diese degradiere, so die Autoren, mit ihren Sondergesetzen für Flüchtlinge dieselben zu Menschen zweiter Klasse und öffnen Diffamierungen Tür und Tor. So fragte ein Bürgermeister nach der Hetzjagd, was denn Asylbewerber überhaupt nachts noch auf der Straße zu suchen haben. Normalbürger höhnten, ob der Kerl nicht gewusst habe, dass man klingelt, wenn man ins Haus will. Die neurechte Wochenzeitung  Junge Freiheit [4] schrieb am 23. Februar 2001 vom "Tod durch Nötigung" des "Asylanten".

"Was hier am Beispiel Gubens geschildert wird", so der Klappentext, "steht stellvertretend für viele Städte in Deutschland, in denen eine rassistische Dominanzkultur nicht nur mordbereite Neonazis reproduziert, sondern vom Mainstream einer gesellschaftlichen Mitte getragen wird." Alexandra Klei schreibt: "ZeugInnen sprechen von 'normalen Jugendlichen', weil ihre Normalität Jugendliche mit Glatze und Bomberjacke sind, die des Nachts 'Ausländer raus' rufen und mit dieser Idee selten isoliert dastehen."

Solche Kritik ist in der nach dem Zweiten Weltkrieg in Guben (dt.) und Gubin (Polen) geteilten Stadt – wie auch in vielen anderen Städten mit rechter Szene oder "National befreiten Zonen" – ungern gesehen. Guben präsentiert sich lieber als weltoffene Stadt. Doch schon die Jungle World schloss im Februar 1999 eine  Reportage [5] mit den Worten: "Das Besondere an Guben ist, dass hier keine Ausnahmesituation vorherrscht, sondern Normalzustand." Was aber kann und darf Normalität rechtfertigen? Die Ungeheuerlichkeit der Ausrede von den "ganz normalen Jungs" entlarvt sich jedenfalls – auch wenn es kontrovers klingt – mit Blick auf die Goldhagen-Debatte und dessen These, im Dritten Reich mordeten "ganz normale Deutsche".

Während des sich über 81 Verhandlungstage hinziehenden Prozess kommt es zu weiteren Ungereimtheiten: Einige der Angeklagten schänden die Gedenktafel des Toten; nahezu alle der Jugendlichen sind im rechtsextremen Spektrum aktiv und an Gewalttaten gegenüber Ausländern und Linke beteiligt; einige fallen auf, indem sie sich politisch für rechtsextreme Parteien betätigen. Am Ende werden drei Täter zu Haftstrafen von zwei bis drei Jahren verurteilt – auch andere Straftaten wurden mitverhandelt und haben sich auf dieses Strafmaß ausgewirkt. Die restlichen Jugendlichen erhalten Bewährungsstrafen oder Verwarnungen.

Angehörige des Toten und der  Verein Opferperspektive [6] – er betreut in Brandenburg Opfer rechtsextremer Gewalt – haben im Mai einen Berufungsantrag beim Bundesgerichtshof gegen dieses "empörende, ungerechte Urteil" eingereicht, das eher an ein "Fahrlässigkeitsdelikt" als an eine politische Überzeugungstat erinnere.

"Bleibt etwas außer resigniertem Bodycount?" fragen die Autoren im Vorwort. Denn im Herbst letzten Jahres dokumentierten die  Frankfurter Rundschau [7] und der  Tagesspiegel [8], dass zehn Jahre nach der Deutschen Einheit über hundert Menschen im Zusammenhang mit rechter Gewalt getötet wurden. Bundesregierung und Landesbehörden hatten bis dahin niedrigere Zahlen vorlegt. Die  Antwort [9] der Bundesregierung vom 22. Oktober 1999 auf eine Anfrage der PDS macht deutlich, warum das so war: "Die Ermordung eines Polizeibeamten (...) ist von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden als Tat zur Verdeckung einer anderen Straftat und nicht als politisch motivierte Straftat gewertet worden." Es ging um den Mord an einen Polizisten, begangen von dem Rechtsextremisten  Kai Diesner [10]. Kurz vor der "Verdeckungstat" hatte der in der rechten Szene nunmehr als Märtyrer gefeierte Killer einen der PDS nahe stehenden Buchhändler angeschossen.

Insgesamt fünf Autoren haben an "Nur ein Toter mehr..." gearbeitet, alle engagiert in Initiativen und Organisationen gegen rechte Gewalt. Einer von ihnen musste seine Arbeit aber vorzeitig beenden: am 19. Dezember 1999 wurde er wegen Verdachts der Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen verhaftet und sitzt "lediglich aufgrund von Aussagen eines höchst zweifelhaften Kronzeugen" (Vorwort) gemeinsam mit anderen Verdächtigen in Haft. Die deswegen gegründete  Initiative für Freilassung und die Abschaffung des § 129 a [11] hat einen  Aufruf [12] gestartet, den auch Abgeordnete des Deutschen Bundestags unterzeichnet haben.

Prozessbeobachtungsgruppe Guben (Hg.): Nur ein Toter mehr... Alltäglicher Rassismus in Deutschland und die Hetzjagd von Guben, Unrast Verlag, Münster 2001, 170 Seiten, 19,80 DM

Links

[0] http://www.landgericht-cottbus.brandenburg.de/
[1] http://www.guben.de/
[2] http://www.unrast-verlag.de/
[3] http://www.guben.de/
[4] http://www.jungefreiheit.de/
[5] http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_99/09/28a.htm
[6] http://www.opferperspektive.de/
[7] http://www.fr-aktuell.de/
[8] http://www.tagesspiegel.de/
[9] http://www.bundestag.de/aktuell/hib/1999/9920006.html
[10] http://www.corsipo.de/Diesner.htm
[11] http://www.freilassung.de/
[12] http://www.freilassung.de/erkl/auf230101.htm

Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/buch/7842/1.html