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Die Ethik-Debatte zur Gentechnik - Gemeinheiten aus Achtung vor „dem Leben"
Redaktion AndersGesehen
6/01 trend online zeitung Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin Seitdem das britische Unterhaus im Dezember vergangenen Jahres das Klonen von Embryonen erlaubt hat, läuft in Deutschland eine lebhafte Debatte darüber, ob und inwieweit man das überhaupt darf. Während für den Bundeskanzler längst sonnenklar ist, daß „wir" uns die Zurückhaltung in Sachen Gentechnik angesichts der ausländischen Konkurrenz nun wirklich nicht mehr leisten können (von wegen Arbeitsplätze), meldet sich ein ganzes Heer selbsternannter Moralapostel und gibt kritisch zu bedenken, daß man doch in so hochheilige Dinge wie „das Leben" nicht einfach so eingreifen könne und überhaupt, wo denn die ganze Genforschung hinführen solle. Trotz des erwarteten nationalen Nutzens werden Experimente mit menschlichen Genen in der Tat nicht einfach so erlaubt. Hier wird ja nicht bloß Naturwissenschaft gemacht, sondern die Forschungen betreffen diesmal direkt die Grundlage des Staates: es ist sein Menschenmaterial, an dem hier zum volkswirtschaftlichen und kommerziellen Nutzen herumgedoktert werden soll - z.B. zur Steigerung seines Leistungsvermögens oder zur Verringerung krankheitsbedingter Ausfallzeiten.
Der Staat hat sich nun in seinem Grundgesetz das Exklusivrecht ausbedungen, selber zu entscheiden, was überhaupt ein Mensch ist, wo sein Recht auf Leben beginnt und wo es aufhört und unter welchen Bedingungen und inwieweit er und seine Bürger in dieses eingreifen dürfen.
Deswegen wischt die Bundesregierung die moralischen Einwände gegen die Gentechnik auch nicht einfach vom Tisch. Obwohl sie sich grundsätzlich längst dafür entschieden hat, läßt sie eine intensive Ethikdebatte nicht nur zu, sondern ermuntert sogar jedermann dazu, bestellt hierzu extra eine Ethik-Kommission und veranstaltet eine Bundestagsdebatte (Recht und Ethik der modernen Medizin und Biotechnologie am 31.5.01), mit der aller Öffentlichkeit demonstriert werden soll, daß man es sich bei der Abwägung des Für und Wider gentechnischer Experimente an Embryonen keineswegs leicht macht.
Die in dieser Debatte dargelegten Standpunkte habe es allerdings in sich.
Der Bundeskanzler propagiert die Genforschung als hohe moralische Pflicht, indem er ihren Gegnern einen höchst unmoralischen Standpunkt voller Respekt einfach unterstellt: „Sicherlich ist die religiös motivierte Position zu respektieren, die das Schicksal von Schwerstkranken und Patienten, die zum Beispiel an Krebs, Alzheimer, Parkinson, Mukoviszidose oder an einer anderen Krankheit leiden, als bedauerlich, am Ende aber unabänderlich empfindet." Daß die besagten Krankheiten einfach hinzunehmen seien, hat zwar nie jemand gesagt. Nichtsdestoweniger taugt diese Unterstellung jedoch, um jetzt das Allheilmittel aus der Tasche zu ziehen: „ Aber ich frage mich: Ist nicht der Wunsch, die ärztliche Pflicht, alles nur Menschenmögliche für die Heilung schwerstkranker Menschen zu unternehmen, ebenso zu respektieren?" - So einfach ist das also: wenn gegen Krebs, Alzheimer und Parkinson bisher nichts hilft, wird...nein, nicht etwa den Krankheitsursachen auf den Grund gegangen, sondern einfach was Neues ausprobiert: die Gentechnik! Dann kann man auch ganz getrost die Abschaltung der Atomkraftwerke auf den St.-Nimmerleins-Tag verschieben - den bis dahin noch anfallenden Leukämiepatienten wird es eine Freude sein, der Genforschung, Schröders nationalem Prestigeprojekt, als Versuchskarnickel zu dienen!
Der Unionsabgeordneten Böhmer hingegen geht es um Höheres: „Überlegen wir uns einmal, was es konkret bedeutet, eine Präimplantationsdiagnostik durchzuführen: Das heißt, dass im frühesten Stadium geprüft wird, ob der Embryo genetisch beschädigt ist. In der Konsequenz führt das dazu, dass dieser aussortiert wird. Aussortieren heißt selektieren, heißt, möglicherweise behindertes Leben wegzuwerfen und zu töten. Ich glaube, an dieser Stelle ist aus Achtung vor dem Leben und dem sich daraus ergebenden Schutz für dieses eine solche Schlussfolgerung nicht zulässig. Deshalb scheidet für mich die Präimplantationsdiagnostik aus." (Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion). So so, Präimplantationsdiagnostik bedeutet also Selektion von sogenanntem „behinderten Leben" - warum ist sich Frau Böhmer da eigentlich so sicher? Nun, wenn Frau Böhmer von einem „behinderten Leben" spricht, dann wird sie schon genau wissen, daß sich dieses vom „normalem Leben" sehr wohl unterscheidet. Die Bezeichnung drückt ja schon aus, daß das Leben in dieser Gesellschaft für einen „Behinderten" sich erheblich schwieriger gestaltet als für einen sogenannten „normalen" Menschen. In der kapitalistischen Konkurrenz wird der vielbeschworene „Wert des Menschlichen Lebens" nun einmal an seiner Brauchbarkeit fürs Geschäft gemessen - und gegen diese Art von Selektion hat Frau Böhmer als Partisanin der Marktwirtschaft selbstverständlich nichts einzuwenden. Daß hierzulande behinderten Kindern und ihren Eltern das Leben nach Strich und Faden zur Hölle gemacht wird, veranlaßt sie zur Sorge um höhere Werte: ganz unverfroren wirft sie im Bundestag das aparte Problem auf, ob die biologische Selektion bereits im Reagenzglas vielleicht nicht doch etwas verfrüht sei.
Hinter dieser Ethik-Debatte mit ihrer heuchlerischen „Achtung vor dem menschlichen Leben" steckt schon ein eigenartiger Standpunkt: Es soll für einen Menschen wichtiger sein, daß er lebt, als wie er lebt. So ganz abwegig ist dieser Standpunkt allerdings wiederum nicht: er reflektiert nämlich genau die Lage der meisten Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft. Für sie ist die Tatsache, daß sie leben, in der Tat das einzige, was ihnen von ihrem Leben bleibt. Ihre Lebensgestaltung wird ihnen nämlich von den Anforderungen des Kapitals diktiert, nach denen sie vom Beginn ihres Lebens an sortiert werden und sich selbst zuzurichten haben.
Schreckensvisionäre, die in den Genlabors schon irgendwelche Homunkulus-Macher am Werke sehen, können also beruhigt sein: die Zurichtung des Menschenmaterials nach den Vorgaben des Staates und der Geschäftswelt findet ohnehin täglich statt, seitdem es Kapitalismus gibt. Und zwar ganz ohne Gentechnik.