Friedensbewegung wohin?

von
Sascha Kimpel
06/02
 

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An der Großdemonstration am 21.5. gegen den Staatsbesuch von George W.Bush jr. nahmen über 70 000 Menschen teil, getragen von einem breiten Bündnis von über 220 Organisationen. Das Bündnis zwischen der globalisierungskritischen Bewegung und Friedensbewegten, zwischen jung und Alt war sichtbar, wobei der Anteil der Jugend deutlich überwog. Die Stimmung durchweg optimistisch und in Teilen antikapitalistisch - ein Hauch von Genua war spürbar. Eine neue Generation erwacht politisch in Deutschland.

Kämpferischer und linker war die Berliner Demonstration mit über über 30.000 Teilnehmern am 22.5, dem Tag der bundesweiten dezentralen Aktionen. Radikale Linke betonten den notwendige Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus. Bis zum Donnerstag zogen sich noch zahlreiche direkte Aktionen, an der bis zu 5.000 Demonstranten teilnahmen.

Die beiden Tage machen Mut für das wiedererstarken von sozialen Bewegungen und einer neuen radikalen Jugendbewegung unter Schülern und Studierenden. Was jedoch nahezu fehlte waren die organisierten Teile der Arbeiterbewegung. Bereits bei den Protesten gegen den Afghanistan Krieg war das die Achillesferse der Proteste. Aufgrund der Unterstützung nahezu aller Gewerkschaftsführungen für die rot-grüne Bundesregierung im kommenden Bundestagswahlkampf ist dies nicht weiter verwunderlich. Auch der Redebeitrag von Horst Schmitthenner von der IG Metall kann über dieses Problem nicht hinwegtäuschen. Der DGB-Vorstand hat seinem Ende Mai stattfindenden Bundeskongress gar eine Resolution vorgelegt, der eine Stärkung der EU-Militärunion vorschlägt.

Es ist bedenklich, dass die Organisatoren der „Achse-des-Friedens", und insbesondere die Repräsentanten der alten Friedensbewegung durch die Auswahl der Redebeiträge auf der Demonstration die Kritik an der US-Politik durchaus radikal forumulieren konnten, die scharfe Kritik an der deutschen und europäischen Außenpolitik jedoch nahezu aussparte. Der politische Wille zur Polarisierung gegenüber der Politik von Schröder und Fischer fehlt. Haarsträubend wird es, wenn bereits vorgesehene Redner wie Jutta Ditfurth als eine Repräsentantin der radikalen Linken wieder gestrichen werden, offensichtlich auf Druck der PDS. Die vielgerühmte parteipolitische Unabhängigkeit der Friedensbewegung ist offensichtlich nur Theorie. Auch ist es befremdend, wenn die bekannte afghanische Feministin Mariam Notten, die der Revolutionäre
Frauenorganisation RAWA nahesteht, mit dem Argument abgelehnt wird, die Situation in Afghanistan interessiere nicht mehr.

Formulierungen von Rednern der Friedensbewegung, beispielsweise „seit laut, damit man uns im deutschen Bundestag hört, damit wieder eine Mehrheit gegen Krieg im Parlament entsteht" macht deutlich, dass gewichtige Kräfte der (alten) Friendensbewegung offenbar eine politische Strategie verfolgen, Druck auf das Parlament auszuüben. Diese Strategie geht jedoch grundsätzlich in die falsche Richtung. Denn dies bedeutet nichts anderes, als die Bewegung zur pressure group für andere parlamentarische Mehrheiten zu machen. Sie schürt Illusionen in Parlamente als Hort der Demokratie. Und das zu einer Zeit, in der unter den Jugendlichen, Arbeitslosen und Lohnabhängigen immer weniger Illusionen in den Parlamentarismus und die bürgerliche Demokratie existieren. Mit dieser Politik behindern die Repräsentanten der Friedensbewegung letztlich eine notwendige inhaltliche Radikalisierung der Bewegung. Das die etablierten Kräfte der Friedensbewegung diese Politik betreiben können, ist sicherlich auch dem Kräfteverhältnis in dem Bündnis und der Schwäche und dem teilweise vorhandenen Opportunismus der linkeren Kräfte geschuldet.

Doch es steht viel auf dem Spiel. Das Potential für eine Bewegung von unten, radikal und antikapitalistisch ist sichtbar. Es ist notwendig, den Streit und die Debatte über die politische Strategie der Bewegung auf der Straße zu suchen. Diese Kontroversen müssen offen und ehrlich
ausgetragen werden, und dürfen nicht in einer Harmoniesauce untergehen. Wenn die linkeren Kräfte in der Bewegung diesen Streit nicht suchen, dann sind sie mit daran Schuld, das eine neue Bewegung wieder einmal integriert und eingekauft wird.

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schickte uns den Text am 30.5.2002 mit der Bitte um Veröffentlichung. Über kritische Kommentare und Erwiderungen würde er sich freuen.