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Eine Torte namens Jürgen!

von Henryk M. Broder
06/02
 

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Die deutsche Identitätsfindung findet vorzugsweise auf dem Rücken der Juden statt. Mal müssen ein paar Millionen der "Parasiten" ausgemerzt werden, damit es den Deutschen noch mal so gut geht, dann werden Milliarden ausgegeben, um den Massenmord wieder gut zu machen, und Millionen, um ihn zu dokumentieren, damit die Deutschen Orte bekommen, an denen sie kollektiv trauern und aus der Geschichte lernen können. Der Unterschied zwischen der Phase 1 und der Phase 2 bei der Endlösung der deutschen Schicksalsfrage liegt darin, dass in der ersten Phase die Juden mit roher Gewalt zum Mitmachen gezwungen wurden, während sie bei der zweiten Phase freiwillig und gerne mitmachen - als Beichtväter, Ablasserteiler und Trostspender der Deutschen, die inzwischen dahinter gekommen sind, dass es viel schicker und bekömmlicher ist, sich zum Holocaust zu bekennen, als ihn zu leugnen.

Die Posse, die gegenwärtig in der und um die FDP herum gespielt wird, ist eine Miniversion des alten deutschen Dramas. An der Frage "Wie hältst du es mit den Juden?" soll sich das Schicksal der FDP entscheiden - das heißt, die FDP-Spitze weiß nicht, was mehr bringt: Im Wahlkampf den inneren Antisemiten von der Leine zu lassen oder darauf zu setzen, nach der nächsten Wahl den Außenminister zu stellen. Beides geht nicht, so wie Parteichef Westerwelle unmöglich zugleich mit dem Guidomobil und mit einem pinkfarbenen Barbie-Cabriolet durch das Land fahren kann.
Es geht um zwei Knalltüten aus der rheinischen Etappe, den Ex-Grünen und Neu-Liberalen Jamal Karsli und seinen Paten Jürgen W. Möllemann. Der eine ist vor kurzem zur FDP konvertiert, der andere schon lange extrovertiert. Es mag nur ein Gerücht sein, dass der ehemalige Pauker Möllemann beschloss, Politiker zu werden, nachdem er bei einem Karaoke-Wettbewerb durchgefallen war, Tatsache ist, dass man, um FDP-Vorsitzender in NRW zu werden, immerhin drei Intelligenzaufgaben bestehen muss: Man muss den Unterschied von Dornkaat und Bommerlunder mit verbundenen Augen schmecken können und zwei Fragen richtig beantworten: Wo steht die Porta Westfalica und wie heißt der Käse, der nach der Stadt Münster benannt wurde? - Nachdem er den Test bestanden hatte, erfand Möllemann das Projekt "18 Prozent".
Karsli dagegen ist ein armes Würstchen, das wirklich pinkfarbene Zweireiher trägt und auf seiner Homepage ein obskures Politikverständnis ausbreitet. Viel lieber als im Landtag von Düsseldorf zu sitzen, wäre er Abgeordneter im Parlament von Saddam Hussein, aber die Vorsehung hat ihn dazu bestimmt, die Deutschen über das Treiben der "zionistischen Lobby" aufzuklären. Eine Weltmacht, die es nicht einmal geschafft hat zu verhindern, dass Karsli in den Landtag von Düsseldorf gewählt wurde, soll in ihre Schranken gewiesen werden. Das wiederum denkt auch Möllemann und hält ein schlagendes Argument bereit, warum sein Schützling Jamal Karsli kein Antisemit sein kann. Karsli sei doch "selber ein Semit", verriet er neulich in den "Tagesthemen" und machte dabei ein Gesicht, als wären die Nürnberger Gesetze in Möllemanns Wahlkreis noch immer nicht aufgehoben worden.

Wir wollen an dieser Stelle keine Zeit mit Erklärungen verlieren, warum Semiten auch Antisemiten sein können, und zwar sowohl Araber wie auch Juden, wir machen uns gleich den Grundgedanken von Möllemann zueigen: Wer ein glaubwürdiger Antisemit sein möchte, der muss ein echter Arier sein, so einer wie Möllemann, aufgebläht, dumm, grob, und zackig wie ein Laufbursche bei der Leibstandarte des Führers.

Und nur For the Record of History, nicht um ihn einer Haltung zu überführen, zu der er sich stolz bekennt, wollen wir zwei programmatische Statements von Möllemann fest halten. "Was würde man denn selber tun, wenn Deutschland besetzt würde? Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt. Ich bin Fallschirmspringeroffizier der Reserve. Es wäre dann meine Aufgabe, mich zu wehren. Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors", sagte er der taz zu den Anschlägen palästinensischer Selbstmörder in Israel.
"Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten ... mehr Zulauf verschafft hat als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner intoleranten und gehässigen Art", sagte er im ZDF. Worauf Bärbel Bohley das Phänomen Möllemann in zwei Worten zusammen fasste: "Lumpiger Antisemit".

Dass die Juden am Antisemitismus schuld sind, mit ihrer intoleranten und gehässigen Art, ist eine Binse, die Möllemann nicht erfunden hat. Aber niemand, Horst Mahler eingeschlossen, hat sie in der letzten Zeit glaubwürdiger präsentiert. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er den entscheidenden Schritt weiter gehen und sagen wird, am Antisemitismus wären die Juden schuld, weil es keinen Antisemitismus gäbe, wenn es keine Juden geben würde, was ebenso klar und wahr ist wie die Erkenntnis, dass es keinen Alkoholismus ohne Alkohol geben kann, nicht einmal im Münsterland. Und so wie der Alkoholismus nur bekämpft werden kann, indem über die Gefahren des Alkohols aufgeklärt wird, kann der Antisemitismus nur bekämpft werden, indem immer wieder das Verhalten der Juden als Ursache genannt wird.

Keiner macht es besser als Möllemann, der Politiker, Fallschirmspringer und Vorsitzende der deutsch-arabischen Gesellschaft. Dafür ist ihm jetzt schon ein Platz in der Geschichte sicher, irgendwo zwischen den Wasserstandsmeldungen der Weser und Witzen aus Westfalen.

Gleich nach der Wende machte diese Geschichte im Lande die Runde:

Ein Trabbi kommt in voller Fahrt von der Straße ab und landet im Feld, direkt neben einem Kuhfladen. "Wer bist denn du?", fragt der Kuhfladen. "Ich bin ein Auto!", sagt der Trabbi. "In Ordnung!", sagt der Kuhfladen, "dann bin ich eine Pizza!"

Mittlerweile hat die Geschichte eine aktualisierte Fassung. Möllemann springt mit dem Fallschirm ab, verfehlt die Zielmarkierung und landet in einem Feld, direkt neben einem Kuhfladen. "Wer bist denn du?", fragt der Kuhfladen. "Ich bin ein echter Liberaler!", sagt Möllemann. "Geht in Ordnung!", sagt der Kuhfladen, "dann bin ich eine Sachertorte!"

HMB, 22.5.2002

Editorische Anmerkungen:

Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.henryk-broder.de/php/druck.php?datei=tagebuch.html