Aktion Möllewelle
Stimmenfang am rechten Rand

von Dirk Burchard
06/02
 

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Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit bis der bundesdeutsche Rechtsruck seit der "Wiedervereinigung" auch den Antisemitismus neu mobilisiert. Seitdem sich 1990 der Mob der ehemaligen DDR mit westdeutschen Reaktionären verbrüdert und damit auch das labile westdeutsche Kräfteverhältnis zugunsten der Reaktionäre verschoben hat, waren es zunächst Ausländer, die beim nazionalistischen "Zusammenrücken" zu Sündenböcken für gesellschaftliche Mißstände ausgewiesen wurden, und in der Gefolgschaft dieses reaktionären Mainstreams wurden vom Mob vor allem in ostDeutschland zahlreiche grausame Gewalttaten verübt worden, von denen nur eine kleine Zahl öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat. Mit Jürgen Möllemanns rechtspopulistischen Versuch, Juden als Sündenböcke beim nazionalistischen Zusammenrücken auszuweisen, hat dieser Mainstream aber erstmals eine Minderheit getroffen, die nennenswert organisiert ist und sogar eine gewisse Lobby hat.

Am Zentralrat der Juden in Deutschland und insbesondere an Paul Spiegel hängt diesmal also viel. Sein Vorgänger Ignatz Bubis hatte nach dem Krieg mal für die Degussa geraubtes jüdisches Gold transportiert (vgl Süddeutsche Zeitung vom 1. September 1998, Seite 11), weil er als Jude Gold mit Billigung der Alliierten transportieren durfte, Bubis hat an der Seite der Reaktionäre gestanden, als diese ihren Antisemitismus Rainer Werner Fassbinder anhängen wollten, und Bubis hat mit Helmut Kohl die NeueWache in Berlin eingeweiht, die Nationalsozialisten, Mitläufer und deren Opfer gleichermaßen zu Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft erklärt. Kurz vor seinem Tod ist Bubis allerdings mit Martin Walser noch auf einen Nationalisten gestoßen dessen Brandstiftung Bubis völlig zu recht entschieden kritisiert hat - vgl dazu:

http://groups.google.com/groups?as_umsgid=8PmOA3h5kKB@odessa.bonbit.org
http://groups.google.com/groups?as_umsgid=3A2C34F4.36DEA763@web.de

Bubis hat sein oftmaliges Mitlaufen in diesem Interview noch bedauert, und sein Nachfolger als Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland Paul Spiegel vertritt zum Glück sehr viel entschiedener Position. Am 20. Juli 2001 lief er zwar auch noch zum Gelöbnis der Bundeswehr und unterstützte die deutschen Reaktionäre bei ihrer Reduzierung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus auf die gescheiterten Attentäter vom 20. Juli 1944. Aber inzwischen weist Paul Spiegel deutlich auf die im Aufbau befindliche pseudo-intellektuelle und sich kulturell orientierende Speerspitze der neoNazis hin und kritisiert konvertierungsProjekte für stiefelNazis wie jenes von Christoph Schlingensief zutreffend als "Verbrüderung" mit den neoNazis - vgl dazu:

http://groups.google.com/groups?as_umsgid=1fbrumo.b73kq61080kswN%25dburchard@web.de

Am 11. Mai 2002, also einige Zeit vor Möllemanns Entgleisungen, hatte ich in de.soc.politik.misc formuliert: Ich gehe davon aus, daß sich die FDP entwickeln wird wie die FPÖ in Österreich, weiter bürgerrechtsliberale Persönlichkeiten wegdrücken und sich zu einer "modernen" rechtspopulistischen Partei entwickeln wird - siehe:

http://groups.google.com/groups?as_umsgid=1fbzwef.ci0o79n7jojmN%25dburchard@web.de

Tatsächlich stehen keine bürgerrechtsliberalen Persönlichkeiten mehr in den vordersten Reihen der FDP. Nur noch wirtschafts- bzw neoLiberale repräsentieren diese Partei der besserVerdienenden. Tatsächlich hat die FDP auch niemals eine bürgerrechtsliberale Basis gehabt. Sie war nach dem Krieg ein Sammelbecken der Mitläufer, die hinter ihren bürgerrechtsliberalen Frontleuten demokratische Läuterung geheuchelt haben. Diese Frontleute wurden während der sozialliberalen Koalitionen in den 70ern sogar recht einflußreich bis 1982 Hans Dietrich Genscher mit seiner "Wende" zur CDU zu deren Kaltstellung ansetzte, wobei zuletzt die FDP-Bundesjustizministerin Sabine LeutheusserSchnarrenberger fallengelassen wurde, die den großen Lauschangriff der Regierung Kohl und damit einen Überwachungsstaat nicht mitverantworten wollte - vgl:

http://groups.google.com/groups?as_umsgid=1fcaj29.m0781yxrdnq1N%25dburchard@web.de
http://groups.google.com/groups?as_umsgid=1etl1fm.ygerg14q2tynN%netzmeister@ryker.de

SpaßKanzlerkandidat Guido Westerwelle mag sich also verbal von den Ausfällen seines Stellvertreters Möllemann distanzieren, Konsequenzen ziehen wird er keine, weil die Strategie18 selbstverständlich auch das wählerFischen am rechten Rand beinhaltet und dafür auch ein vorgeblich gedeckelter Möllemann hervorragend geeignet ist, der sich als zur "Entschuldigung" genötigtes Opfer einer "jüdischen Verschwörung" inszeniert. Und diese Verlogenheit Westerwelles wird offenbar, wenn man dessen theatralische Genugtuung über die "Entschuldigung" Möllemans betrachtet, während dieser vor laufenden Kameras schon erneut gegen Michel Friedmann "nachtrat" ("Nachtreten" nannte diese Äußerungen der altFDP-Mann Otto Graf Lambsdorff). Die FDP offenbart nun also ihr wahres Gesicht und verabschiedet sich ins rechtspopulistische Spektrum.

Paul Spiegel und Guido Westerwelle werden sich demnächst treffen. Westerwelle wird versuchen, Spiegel eine öffentliche Erklärung abzuringen, der Konflikt mit dem Zentralrat der Juden sei beendet und damit möglichst ein "Attest", daß die FDP keine antisemitische Partei sei. Es ist zu hoffen, wenn Paul Spiegel sich auf ein solches Gespräch schon einläßt, daß er eine diplomatische Formulierung findet, die öffentliche Diskussion zu beenden ohne der FDP den von Westerwelle angestrebten "PersilSchein" auszustellen, denn der Flurschaden, den Möllemanns Mobilisierung des braunen Mobs in dieser Gesellschaft angerichtet hat, ist leider jetzt schon immens. Am besten stellt Paul Spiegel einfach klar, daß die FDP sich eigentlich nur noch mit einem Parteiausschluß Möllemanns vom ihrem wählerFischen im rechten Rand distanzieren kann, zumal von Hildegard HammBrücher schon am 1. Juni 2002 zu lesen war: "Ich glaube nicht, dass noch irgendeine Hoffnung besteht, Herrn Möllemann auf den Kurs zurück zu führen, der beim Parteitag in Mannheim verabschiedet wurde", um die Partei nicht "pausenlos in unwürdige Auseinandersetzungen" zu verwickeln, gebe es nur eine Konsequenz: Den Rücktritt Möllemanns von seinem Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender. Eher werden aber die FDP und die politischen "Mitte" noch weiter nach rechts driften und sich dabei weiterhin "liberal" und "Mitte" nennen...

(Nachtrag: Das Treffen des Zentralrats der Juden in Deutschland mit der Führung der FDP ohne Jürgen W Möllemann fand am Dienstag, den 11. Juni 2002, in Berlin statt. Paul Spiegel stellte Möllemanns Ablösung als stellvertretender Parteivorsitzender der FDP zur Diskussion ohne diese ausdrücklich zu fordern, wie sein Stellvertreters Michel Friedmann dies tut. Guido Westerwelle nannte es eine Auszeichnung, daß sich der Zentralrat wieder zum Gespräch mit der FDP bereitgefunden habe.)

Editorische Anmerkungen:

Der Text wurde uns vom Autor am 7.Juni 2002 zur Veröffentlichung zugesandt. Er schrieb dazu:

Moin!

Im Rahmen einer Diskussion in den newsgroups des usenets habe ich die aktuelle Entwicklung der FDP und den Stimmenfang am rechten Rand im Kontext der Geschichte dieser Partei betrachtet und das ganze jetzt auch auf meine webSite gestellt:
http://www.ryker.de/dirk/archiv/aktion-mw.html 
Falls die trend online zeitung daran interessiert sein sollte, würde ich
mich über eine Übernahme sehr freuen.
Herzliche Grüße
D.B.

Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.ryker.de/dirk/archiv/aktion-mw.html