Berichte aus Brasilien
Koks und Globalisierung
Weil in Deutschland de facto der Drogenkonsum gefördert wird, geht auch in Amazonien immer mehr Urwald für Coca-Plantagen drauf

von Klaus Hart
06/02
 

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Ein brasilianischer Vizepräsident der Sozialistischen Internationale gilt als Förderer der Gangstersyndikate

„Ich habe verdammt noch mal das Recht, mich nicht von bekifften Politikern regieren zu lassen“, betonte Martin Lettmayer, 36, nach seinem TV-Beitrag über Kokainspuren im Reichstag. Thierse & Co. sorgten dafür, daß das brisante Thema aus den Medien ist, eingehendere Recherchen in der Geld-und Politikerelite unterbleiben derzeit. Unterdessen wird der Konsum harter Drogen immer alltäglicher, freut sich die internationale Rauschgiftmafia über steigende Umsätze gerade in Deutschland, kaum behelligt von den neoliberalen Autoritäten auch im neuen Markt, den neuen Bundesländern. Die Zahl der Drogentoten klettert stetig, lag schon 2000, unter Rot-Grün, auf dem höchsten Stand seit acht Jahren, mindestens 1923 Menschen starben laut offiziellen Angaben. Je mehr auch die deutsche Nachfrage steigt, umso mehr Profite machen Brasiliens Verbrechersyndikate, rekrutieren und verheizen noch mehr Straßenkinder als Kindersoldaten. Und noch mehr Amazonas-Regenwald Brasiliens wird vernichtet. Weil im benachbarten Kolumbien inzwischen sogar US-Spezialeinheiten agieren, verlegen die Drogenkartelle seit Jahren ihre Aktivitäten auf die andere Seite der Grenze - Brasilien ist längst Großproduzent, Großexporteur von Rauschgift. Seit den Achtzigern wird nahezu in ganz Amazonien auf teils enormen Plantagen Epadù, die brasilianische Variante der Koka-Pflanze, angebaut, zu Kokainpaste verarbeitet. Die Drogenmafia, eng mit Politikern verquickt, beutet dabei ganze Indianerstämme aus, Kokainlaboratorien wurden mitten in Reservaten entdeckt. Indios roden Urwald, betreuen die Pflanzungen, bekommen für abgelieferte Epadù-Blätter Kleidung, Industriewaren, Schnaps. „Ich konnte nichts dagegen tun“, gestand ein Angestellter der staatlichen Indianerschutzbehörde FUNAI in einem Reservat Nordamazoniens. Auch der nordöstliche, stark unterentwickelte Teilstaat Pernambuco, Brasiliens wichtigste Haschisch-Region, produziert für den Deutschland-Export, nicht nur auf Kosten der Umwelt. In einem Gebiet zweimal so groß wie Holland arbeiten rund 25000 Menschen auf den Cannabis-Feldern in einem Regime ähnlich der Sklaverei - wer zu fliehen versucht, riskiert, vom organisierten Verbrechen gefoltert und erschossen zu werden. Wo jetzt Hanf wächst, vier Ernten pro Jahr möglich sind, wurden vorher Nahrungsmittel angebaut.

Natur vernichtet, soziale Umwelt zunehmend betroffen

Daß der „von oben“ de facto tolerierte, geförderte Drogenboom auch die Umweltvernichtung in Drittweltländern wie Brasilien stimuliert, interessiert in Deutschland so gut wie niemanden, am allerwenigsten die sich progressiv gebenden Konsumenten aus der Intelligentsia und Kulturschickeria. „Der Kiffer wird lethargisch, depressiv und müde“, erklärt die Drogenberaterin Gudrun Borchert, Westberlins Lehrer definieren so seit Jahrzehnten ihre ungezählten „Kifferkinder“, mit denen sich nicht viel anfangen läßt. Inzwischen ist nach Heroin und Kokain auch Crack fast überall erhältlich, das im neoliberal von einem „Social-Democrata“, dem FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso regierten Brasilien seit Jahren Furore macht, die soziale Umwelt der 17-Millionen-Metropole Sao Paulo teils gravierend veränderte. Auffällig - Brasiliens erfolgreichste, regimekritischste Rappertruppe „Racionais MCs“ attackiert dort weiterhin jeglichen Drogenkonsum: „Das Zeug betäubt, macht debil und stupide“, schreit dort Star-Rapper Mano Brown von der Bühne in die Tänzermassen, „paßt auf, das System hat kein Interesse an Armen, die intelligent sind.“ Sao Paulo, wenig bekannt - ist der größte deutsche Wirtschaftsstandort außerhalb Deutschlands.

Unterwanderte etwa auch in Brasilien die Drogenmafia den Staat, so wie in Mexiko oder Kolumbien? Nicht wenige Brasilianer bejahen dies.

Collor bei Kohl, Kokain in den Hintern

Staatschef Fernando Collor, 1989 „frei“ gewählt, von der deutschen Wirtschaft, der FAZ als liberaler, jungdynamischer Macher, Modernisierungspapst der Dritten Welt hochgejubelt, von Kohl empfangen, ließ sich das Kokain immer von Ehefrau Roseane via Anus, in den Hintern einführen, zwecks Spurenvermeidung. So enthüllte es der eigene Bruder, Politiker Pedro Collor - Aha-Effekt allerorten, deshalb also trat der Präsident - wie so manche andere - immer so unheimlich agil, sportlich, dynamisch vor die Massen, imponierte auf internationalem Parkett. Und wetterte - gleich anderen Amtskollegen der westlichen Welt - gegen den verderblichen Drogenkonsum, startete Anti-Rauschgift-Kampagnen. Nach der Amtsenthebung wegen Machtmißbrauch und Korruption zieht er weiter seine Fäden.

In Brasiliens „Reichstag“ wird seit den Dreißigern gesnifft

In der Stadt am Zuckerhut, mit einem Bruttosozialprodukt über dem von ganz Chile, winkt Helio Luz, Ex-Zivilpolizeichef, nur ab:“Schon in den Dreißigern konsumierten die Kongreßsenatoren reichlich Kokain, heute sind Drogen überall in der Gesellschaft.“ Bis Jahresbeginn war Luz Politiker in derselben linkssozialdemokratischen Arbeiterpartei PT wie Sao Paulos Bürgermeisterin Marta Suplicy - und Rio de Janeiros neue Gouverneurin Benedita da Silva. Inzwischen ist er ausgetreten, wegen ihrer Politik, die die Herrschaft der international vernetzten Verbrechersyndikate über die rund 800 ausgedehnten Slums von Rio nicht antastet. Diese Syndikate haben immerhin über zehntausend Mann unter Waffen. Im Juni wird der bekannte Fernsehjournalist Tim Lopes bei Slum-Recherchen von einer Banditenmiliz gefoltert, zerstückelt, verbrannt - einer von über 245 getöteten lateinamerikanischen Journalisten seit 1998. Unter der Linkspopulistin Benedita da Silva war möglich, daß an derselben Stelle, unweit vom internationalen Flughafen, von derselben Miliz mindestens zweihundert andere Personen auf gleiche Weise gefoltert, teils lebendig verbrannt wurden. Als selbst Rio de Janeiros Justizpräsident deshalb im Juni erstmals einräumt, im dem Teilstaat gebe es noch einen „Estado parallelo“, einen Parallelstaat, den der Verbrechersyndikate, widerspricht die schwarze Gouverneurin vehement - und zynisch: „Rio ist ein Rechtsstaat“.

zwielichtige SPD-Kumpane am Zuckerhut

Ausgerechnet ein Vizepräsident der Sozialistischen Internationale(SI), der Linkspopulist und Ex-Gouverneur Leonel Brizola, gilt als politisch hauptverantwortlich dafür, daß die Verbrechersyndikate in Rio de Janeiro seit den 80ern soviel Macht und Einfluß erreichten, sich derart mit der Politik verquickten. Soziologen, Kolumnisten, selbst Bischöfe der katholischen Kirche betonen einhellig, daß er in zwei Amtszeiten dem organisierten Verbrechen faktisch freien Lauf ließ - im Tausch gegen politische Unterstützung. Schließlich sind die Slumbewohner auch ein wichtiges Wählerreservoir, müssen gewöhnlich für jene Kandidaten stimmen, die die Slumbosse vorgeben. Brizola, reicher Großgrundbesitzer, Chef der „Demokratischen Arbeitspartei“(PDT), rühmte sich immer seiner Freundschaft zu Willy Brandt - und erntete von der SPD, in deren Gazetten, viel Lob für seine Politik. Nur ganz, ganz wenige in der Partei griffen sich deshalb stets an den Kopf, konnten sich aber nicht durchsetzen. Ein Filialleiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung räumte zumindest ein, Brizolas PDT sei aus „pragmatischen Gründen“ in die Sozialistische Internationale aufgenommen worden:“Man war froh, daß überhaupt eine Partei aus Lateinamerika wie die PDT dazugehört - und schaute nicht so genau hin, was diese tut.“ Brizola hielt beste Beziehungen zum letzten Diktaturpräsidenten, dem Geheimdienst-General Joao Figueiredo, seine PDT ging immer wieder Wahlbündnisse mit der Partei des Militärregimes ein. Alles kein Problem für SI und SPD. Die Gangsterbosse tauften eines ihrer wichtigsten Produkte, jene kleinen Kokaintütchen, auf „Brizola“ - ihm zu Ehren. Des PDT-Chefs rechte Hand, der von Europas Intelligentsia bis heute vergötterte „Anthropologe“, Schriftsteller und Kongreßsenator Darcy Ribeiro, verstand sich gemäß hiesigen Medienberichten ebenfalls bestens mit dem organisierten Verbrechen. Historisch wurde ein Foto von 1986: Gouverneurskandidat Ribeiro auf einem Wahlkampfbankett mit schwerreichen Unterwelt-Bossen - Capitao Guimaraes, laut Zeugenaussagen einer der berüchtigtsten Folterknechte aus der Diktaturzeit sagt neben ihm ins Mikrophon:“Wir unterstützen den Kandidaten, der uns unterstützt.“ Darcy Ribeiro, 1997 gestorben, Sexist und Stammtischpornograph der übelsten Sorte, fiel einmal , wie durchsickerte, beim Interview im Hotelzimmer sogar über eine Schweizer Journalistin her, belästigte sie sexuell.

Ein Narcotràfico-Untersuchungsausschuß inspiziert in der Bucht von Rio an Bord der Policia Federal Drogenrouten, rauscht mittendrin abrupt von dannen, als man sich im Schußfeld von Gangstermilizen sieht, mit ihren Bazookas und anderen NATO-Waffen. Rio verbraucht im Monat um die vier Tonnen Pó, über den Hafen geht das meiste lateinamerikanische Export-Kokain in die USA, nach Deutschland. Friedhelm K, Berliner Bauunternehmer, wurde angeklagt, mit Helfern eine Tonne Pò auf dem Seeweg bis an die Spree geschmuggelt zu haben - Hinweis auf die inzwischen auch in der Hauptstadt verdealten und konsumierten Mengen.

Literatur: Jürgen Roth, Schmutzige Hände - Wie die westlichen Staaten mit der Drogenmafia kooperieren, Bertelsmann-Verlag München, 2000

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schickte uns seinen Artikel am 18.6..2002 zur Veröffentlichung. Er schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt.

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