Die Bedingung der Möglichkeit als Selbstzweck

von
Daniel Knopp

06/03    trend onlinezeitung

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Die Alliierten führten weder einen Abrüstungskrieg noch einen Demokratisierungsfeldzug. Durch diesen Krieg gibt es keinen emanzipativen Fortschritt und es gilt sich auf die innenpolitischen Implikationen des „Krieges gegen den Terror“ zu konzentrieren.

1. Legitimation und Krieg: Die moralisierende Lüge 

Wir erleben dieser Tage wie Legitimationen in sich zusammenfallen. Genau das ist der Anlass, zu dem Habermas mal wieder eine ästhetisierede Redewendung sich aus dem Sackgesicht zaubert: Es war zwar kein gerechtfertigter Krieg, aber ein gerechter.

Dass der deutsche Verfassungsphilosoph mit dieser Wendung vom illegitimen Demokratisierungsfeldzug sich selbst und anderen Kriegstreibern den Teppich unter den eigenen Füßen wegzieht, fällt auf: UN-Charta gebrochen – Demokratie und Menschenrechte erfolgreich etabliert –stop.

Wenn aber die Demokratisierung des Iraks für die britische und US-amerikanische Regierung  ein so wichtiges Gut darstellte, dass diese selbst unter Bruch des Völkerrechtes ihnen notwendig erschien, wieso haben sie das nicht schon `91, während des zweiten Golfkrieges, durchgezogen?

Als Erklärung bietet sich an, dass die damalige US-Regierung in ihrer Einschätzung davon ausging, dass die Stabilität in der Region nach dem Sturz des Regimes nicht gewährleistet werden könnte. Was verleitet nun die aktuelle Regierung dazu, die Lage anders einzuschätzen? Kann sie jetzt oder kann sie nicht?  

Auffällig ist auch, dass erstens während des Krieges gegen einen gewissenlosen, kaltblütigen Diktator, der im Besitz von Massenvernichtungswaffen sein sollte, eben diese Waffen nicht zum Einsatz gekommen sind als sein Arsch auf Grundeis lief. Das legt die Vermutung nahe, dass das Terrorregime Saddam Husseins über socherlei Waffen nicht verfügen konnte.

Dieser Sachverhalt dürfte auch den Strategen der US-Administration nicht entgangen sein: Scott Ritter, bis 1998 Chef der UN-Waffeninspektoren im Irak, lieferte diesbezüglich jeder Zeitung, die es hören wollte, eindeutige Aussagen (u.a. Konkret 10/2002). Und: hätten sie wirklich auf diese Art und Weise militärisch interveniert, wie sie es nun getan haben, wenn sie davon überzeugt gewesen wären, dass einsatzbereite A-, B- oder C-Waffen auf die einmarschierenden Truppen warten würden?

Keiner dieser beiden Legitimationsgründe kann bei genauerer Betrachtung bestehen. Was aber ist der Kriegsgrund, was der Zweck dieses (präventiven) Angriffskrieges?

Eigentlich dürfte diese Fragestellung aus marxistischer Perspektive nicht allzu viele Schwierigkeiten machen. Michael Heinrich beschreibt in dem Artikel „Logik des Krieges“ (Jungle World 18/2003) für alle, die es schon wieder vergessen haben, wie genau das nochmal funktioniert mit dem ideellen Gesamtkapitalisten und der Hegemonie. Und dies tut er in säuberlicher Abgrenzung zu dem beliebten, verschwörungstheoretisch angehauchten Antiimperialismus leninistischer Lesart, der keinerlei Vermittlungsinstanzen zwischen Einzelkapital und bürgerlichem Staat kennen will. Auch Thomas Ebermann klärt in Konkret 3/2003 darüber auf, was eigentlich schon jeder weiß oder zumindest wissen sollte: Es geht um die Sicherung von machtpolitischen Einflusssphären, um den Zugang zu Ressourcen, eben um materielle Interessen.

Die Position derjenigen „Linken“, die Blair und Bush zu ihrem erfolgreichen Feldzug gratulieren, disqualifiziert sich selbst, weil sie nichts verstanden oder vielleicht auch schon wieder vergessen hat, was sie einmal wusste. Sie ist auf dem materialistischen Auge blind und fällt so zwangsläufig auf ideologisch aufgeladene Erklärungsmuster zurück bzw. auf diese herein.

2. Linke Affirmation: Die Bedingung der Möglichkeit als Selbstzweck

Das Problem, sich eindeutig zu positionieren in der Frage um Krieg und Frieden, besteht wohl darin, dass es sich bei diesem Krieg tatsächlich um einen Befreiungskrieg handelt, auch wenn diese Befreiung nur ein Abfallprodukt des Krieges ist.

Denjenigen, die Mittel und Zweck, d.h. Legitimationen und Interessen internationaler Politik auseinander zu halten noch in der Lage sind, und die die Zusammenhänge nicht ausklammern, auch ganz einfache realpoltische, wie die Verquickungen der beiden kriegführenden Regime, mag die Qualität der Befreiung als Abfallprodukt klar sein, aber zählt nicht letzten Endes, was für die Menschen dabei rumkommt?

Natürlich ist die bürgerliche Freiheit für den Einzelnen besser als gar keine. Auch hier in Deutschland macht es bspw. Sinn, jemanden aus dem Abschiebeknast herausholen zu wollen, indem staatsbürgerliche Rechte beansprucht werden. Gesamtgesellschaftlich macht das jedoch keinen Sinn. Die Universalität dieser bürgerlichen Freiheiten und ihre Glücksverspechen ist eine Lüge. Sie produziert in ihrem Inneren notwendigerweise ihr eigenes Gegenteil: Partikularismus. Bezogen auf z.B. die Arbeitsgesellschaft bedeutet Freiheit und Gleichheit des „Erwerbstätigen“ eine Aufspaltung des Lebens in zwei abgetrennte, aber notwendig aufeinander bezogene „Lebensbereiche“: Lohnarbeit und die ihr äußerliche, privatisierte „Freizeit“, in der die Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft sichergestellt wird. Diese Aufspaltung des Lebens hat ihre geschlechtsspezifische Zuordnung in sich eingeschrieben und sichert so die sexistische Basis der Arbeitsgesellschaft.

Ähnliches ließe sich über die grundsätzlich rassistische Konstruktion der Nation sagen: sie ist, indem sie über bestimmte Kriterien einige einschließt, ein Ausschlussprinzip. Giorgio Agamben hat in seinem Buch „Homo Sacer“ genau dieses Prinzip des „einschließenden Ausschlusses“ offengelegt. Wenn er das Lager als biopolitisches Paradigma der Moderne bezeichnet oder den Ausnahmezustand als verborgenen Nomos der Moderne, dann tut er dass nicht, um eine spezifische historische Epoche zu relativieren, oder gar den Holocaust zu bagatellisieren, wie etwa Magnus Klaue in Konkret 9/2002 meint, was im übrigen mindestens Dünnpfiff ist, sondern weil er genau dies zu verdeutlichen sucht, dass der bürgerliche Universalismus einen Kern besitzt, der Ausschluss, d.h. Partikularismen produziert.  

Man muss zur Kenntnis nehmen, dass gerade die Funktion des Ausschlusses in der aktuellen historischen Situation immer deutlicher in den Fordergrund tritt. Die Krise der Arbeitsgesellschaft,  „Flüchtlingswellen“, der sich zur Permanenz verflüssigende Ausnahmezustand und dessen Globalisierung sind nur deren verschiedentliche Erscheinungsformen. Die „Vernunft“ ist als universales, d.h. einschließendes Prinzip in der bürgerlichen Gesellschaft an ihre absolute Schranke gestoßen: Es gibt keinen sozialen Fortschritt mehr innerhalb des Kapitalismus und damit wird jede emanzipatorische Bezugnahme auf ihn, wie sie Marx durchaus vertrat, zum Anachronismus. 

Das Schlagwort von der Aufklärung als Bedingung der Möglichkeit von Kritik und Emanzipation ignoriert diesen Sachverhalt und bezieht sich weiterhin positiv auf die Aufklärungsvernunft als notwendige Voraussetzung für die Emanzipation. Aber mal abgesehen davon, dass sie sich aus inhärenten Gründen selbst gegen die Wand gefahren hat, hat diese Debatte keine aktuelle Relevanz; sowieso kann sie mit keinem Konflikt in dieser historischen Situation etwas zu tun haben; die religiösen Fundamentalismen (ob christliche oder islamische) müssen als Reaktion auf die Aufklärung gedacht werden. Sie sind „Neuerfindungen“. Das Mullah-Regime im Iran bspw. als prämodern zu charakterisieren, hieße, das vorgängige Schar-Regime auszublenden und den geschichtlichen Prozess nicht als Kontinuität zu betrachten. Es gibt kein Außerhalb der Aufklärung mehr. Insofern sind diese Fudamentalismen nicht vor-aufklärerisch, kein „Rückfall“ in archaische Mythen und Rituale, sondern nach-aufklärerisch, d.h. postmodern. Sie sind eine Antwort auf die gescheiterte Moderne.

Eine Unterscheidung in modern und prämodern machte im Zeitaltern des Kolonialismus Sinn; in einer Epoche, in der noch große Territorien außerhalb des Weltmarktes und seiner Einflusssphären existierten und seinen Implikationen noch nicht unterlagen. Es gibt keine Region auf dem Globus mehr, die nicht den Imperativen des Weltmarktes unterliegen würde. Diese Epoche gehört aber der Vergangenheit an. Das ist im übrigen auch der Grund dafür, dass die klassische Imperialismustheorie, wie sie z.B. durch Rosa Luxemburg formuliert wurde, obsolet geworden ist.

Wenn man dies zur Kenntnis nimmt, erhält auch die Frage, ob die bürgerliche Vergesellschaftungsform eine ist, die den Minimalkonsens emanzipatorischen Denkens ausmache oder ob mit dieser Form gebrochen werden müsse, eine andere Qualität, gerade in bezug auf den aktuellen Konflikt: Dort, wo die alliierten Bomber die Aufklärung hintragen sollten, ist sie schon längst gewesen. Saddam war ein Modernisierer. Auch den Iran oder Syrien muss man nicht erst plattbomben, damit die Menschen dort wieder Kant, Hegel und Marx lesen können, um zu wissen, was Kommunismus heißen könnte.

Was haben die Leute, die den Krieg gutheißen für eine Vorstellung vom Entwicklungshorizont des Irak? Eine befriedete bürgerlich-säkulare Gesellschaft, repräsentative Mehrparteiendemokratie plus einen fordistischen Wohlfahrsstaat?

Selbst wenn die US-Militärverwaltung sich schnell genug verpisst bevor sie in der Mehrheit als Besatzer wahrgenommen werden und damit einen erneuten „Befreiungskrieg“ anderer Art zuvorkommen, dürfte der erste frei gewählt Mullah, der den Gottesstaat ausruft, lange Gesichter bei den Verfechtern des bürgerlichen Glücksversprechen produzieren und damit die Erkenntnis, dass ihre Geschichtsauffassung keinen roten Heller wert ist. Innerhalb dieses Konflikts gibt es keine emanzipatorische Front; und eine Linke, die sich auf eine der beiden Seiten schlägt, legt eigentlich nur davon Zeugnis ab, dass ihr jegliche emanzipatorische Perspektive abhanden gekommen ist.

3. Innen- und Außenpolitik gehören zusammen: Der Krieg dient in den kapitalistischen  Zentren dazu Macht auszuüben

 Bei vielen Analysen des Krieges und seiner Implikationen wird eine Perspektive ausgeblendet, auf die sich zu beziehen am fruchtbarsten wäre, wollte man wirklich einen Funken emanzipatorische Kraft versuchen zu reanimieren: Der Krieg wirkt als ordnendes Moment innerhalb der kriegführenden kapitalistischen Zentren.

Wer den Drang verspürt, den Irak in die Moderne gebombt sehen zu wollen, (mal abgesehen davon, dass sie schon lange dort angekommen ist) sollte die Tendenzen in den realexistierenden kapitalistischen Metropolen nicht aus dem Fokus verlieren. Statt sich an den Idealen der Aufklärung orientierend, ein Emanzipationspotential in diesen zusammen zu phantasieren, was eine bestimmt Epoche durchaus möglich war, muss wieder die Diskussion auf die Tagesordnung, wie Macht produziert und reproduziert wird.

Es gibt eine Tendenz zur Totalisierung, die in der reellen Subsumtion des Lebens unter das Kapital Ausdruck findet und in der die soziale Frage nur noch eine Perspektive kennt: Regression. Antonio Negri spricht in diesem Zusammenhang vom Krieg als „biopolitische Maschine“ (Subtropen 23/03), d.h. als Konstruierendes, als „Lebensweltgestalter“. „Biopolitik“ beschreibt in diesem Kontext den Sachverhalt, dass die klassisch moderne Unterscheidung zwischen politischem und privatem Raum verwischt wird. Diese Grenze wird jedoch nicht emanzipativ aufgehoben, sondern die politische Entscheidungen betreffen bzw. umfassen nun mit allen Konsequenzen immer mehr des Privaten. Sie dringen in Mikrobereiche des individuellen Alltags ein und transformieren ihn. Das findet seinen Ausdruck bei weitem nicht mehr nur in den angestammten Disziplinierungsinstitutionen wie Schule, Gefängnis, Klinik etc., sondern erstreckt sich bspw. auf die Inhalte immaterieller Arbeiten, auf die gesellschaftlichen Potenziale derjenigen, die in sozialen Netzen gefangen gehalten werden, d.h. auf die Zurichtungen der Einzelnen durch Sozialsysteme und –politiken und vieles mehr. In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn Hardt/Negri davon sprechen, dass die Perspektive der Biopolitik und –macht am besten in der marxistischen feministischen Theorie in Ansatz gebracht wurde, weil es genau den Aspekt der Produktion und Etablierungen von Macht beleuchtet. Dabei, und das ist eine wichtige Erkenntnis, wird das, was in der klassischen, marxistischen Unterscheidung als Überbau bezeichnet wird, in die Basis hineingenommen, denn Basis meint auch immer Produktion; und diese Art von Macht, die Biomacht, ist eine produzierte, eine der Basis immanente Macht. Die gesellschaftliche Entwicklung in den kriegtreibenden Industrieländern, d.h. die fortschreitende Militarisierung und Kontrolle als sicherheitspolitische Maßnahmen, die Ausübung von Macht nicht nur legitimieren und ermöglichen, sondern sie selbst produziert, folgt einem Prinzip, dass nicht mehr über ihr steht, sondern ihr selbst inhärent ist.

In diesem Kontext gewinnt auch der Krieg eine neue Qualität. Er ist nicht lediglich eine außenpolitische „Maßnahme“. Hier müssen Außen- und Innenpolitik zusammengedacht werden.

War der fordistische Wohlfahrsstaat noch relativ gleichgültig gegenüber solche negativen Maßnahmen, weil er seine Legitimität aus Prosperität ableiten konnte und die nach dem zweiten Weltkrieg sich entfaltende Blockkonfrontation ein hohes, konstantes und statisches Bedrohungspotential bot, erscheint die Produktion von neuen Bedrohungsszenarien in Zeiten weltweiter Rezession und nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht nur als machtsichernde und –erhaltendes Prinzip, sondern als Machtproduzierendes. Insofern hat Mark Terkessidis durchaus recht, wenn er darauf hinweist, dass erst bin Laden George W. Bush mit der Legitimation ausgestattet hat, die er nach der US-Wahl sicher nicht hatte (Jungle World 34/2002). Diese Art der informellen Legitimation schaltet althergebrachte Vermittlungsinstanzen aus und verweist so auf den direkten Zusammenhang von Krieg und Macht. Krieg ist eine biopolitische Maschine und sie produziert Macht.

So ist der „Kampf gegen den Terror“, d.h. der permanente Krieg, dasjenige Moment, dass Klassenkonflikte überdeckt, Umverteilungen nach oben und Workfare-Strategien legitimiert, die Verwertungsbedingungen des Kapitals „verbessert“, Bürgerrechte eingeschränkt oder gleich ganz aufhebt. Der permanente „innere“ Ausnahmezustand, in dem willkürliche Gewalt und Recht ununterscheidbar werden (was z.B. im sog. „Patriot Act“ seinen vitalsten Ausdruck findet) und womit die Unterscheidungen zwischen Diktatur und Demokratie verschwimmt, beginnt sich in ein globales Paradigma zu transformieren; denn er ist ja nur die Kehrseite des Krieges, und der Krieg trägt dieses Prinzip nach außen.

Daraus ergibt sich folgende Konsequenz: Wer den Krieg gutheißt, weil er einen spezifischen Abfall produziert, Befreiung, behält das innenpolitische Korrelat zum Krieg als außenpolitischer „Maßnahme“ fest im toten Winkel. Die Anti-Kriegsbewegung sollte sich ihrer innenpolitischen Wendung und Reichweite bewusst werden. Ihre diesbezügliche Tragfähigkeit ist gerade dort sehr hoch, wo sich die Proteste gegen die eigene Regierung richten.

Ist jedoch die Weste des vaterländischen Regimes blütenrein, gedeiht der Antiamerikanismus, der ein national-chauvinistisches Moment mit den USA in Beziehung setzt, oder die durchgeknallte Forderung nach einem Boykott US-amerikanischer Waren, die verzweifelt versucht in einer globalisierten Ökonomie die letzte Machtposition des „Bürgers“ zu mobilisieren: die des Konsumenten.

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schickte uns seinen Text zur online-Veröffentlichung und hofft auf eine Diskussion.