Die deutsche Linke und der Krieg

Ein Interview der Bremer Zeitung "Zett" (Maiausgabe) mit dem KONKRET-Herausgeber Hermann L. Gremliza

06/03    trend onlinezeitung

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Zett: Die Friedensbewegung erlebt momentan eine in dieser Intensität unerwartete Renaissance. Millionen demonstrieren weltweit gegen die Bombardierung des Irak durch die USA. In Deutschland sind diesmal auch die bürgerliche Presse, Gewerkschaften und die Kirche nahezu geschlossen mit dabei bzw. vorneweg. Wo aber war besagte Friedensbewegung vor vier Jahren, als die Bundeswehr Jugoslawien zu Klump gebombt hat?

Gremliza: Da haben die Bischöfe die deutschen Waffen gesegnet. Denn der Krieg gegen Jugoslawien war im nationalen Interesse. In ihm hat Deutschland sich zu einer gleichberechtigten Weltmacht emanzipiert, die überall Krieg führen kann, wenn sie will, sogar in Gegenden, in denen die Wehrmacht gewütet hat. Der Krieg im Irak war nicht im deutschen Interesse, oder genauer: eine deutsche Teilnahme daran war es nicht. Die arabischen Staaten und die Muslime überall sollten sehen, daß Deutschland auf ihrer Seite ist. Es gab gute und schlechte Gründe gegen diesen Krieg, in der deutschen Friedensbewegung haben die miesesten dominiert:
Zett: Sie haben vor dem Krieg in KONKRET geschrieben: "Im Vorfeld eines Krieges, an dem teilzunehmen seinen Interessen zuwiderliefe, ist Deutschland eine einzige Friedensbewegung. Wer anderes vorhat, als >unserer Regierung<, falls sie sich mit ihrer Absage ein bißchen übernommen haben sollte, den Rücken zu stärken, wird auf die Teilnahme an entsprechenden gymnastischen Übungen verzichten, bei denen er schlechter Musik und antisemitischer Kontaminierung ausgesetzt ist." Wo die schlechte Musik herkommt ist klar - von Konstantin Wecker und von Pur. Was aber macht die deutsche Friedensbewegung in Ihren Augen zu einer antisemitischen?

Gremliza: Keiner ihrer Sprecher hat je die Judenpogrome thematisiert, die Saddam Hussein veranstaltet hat. Auf keiner Kundgebung war von den Belohnungen die Rede, die Saddam Hussein für Morde an Juden bezahlt. Und kaum ein Redner konnte sich verkneifen, Israel als den eigentlichen Bösewicht des Nahen Ostens zu denunzieren, obwohl Israel keinen Soldaten in diesen Krieg geschickt hat.

Zett: Ihre Position wird heftig kritisiert. Robert Kurz schreibt in der "Jungen Welt": "Die Selbstverständlichkeit, daß aus den kapitalistischen Widersprüchen heraus entstandene soziale Bewegungen erst einmal von der >verkürzten Kapitalismuskritik< getragen werden, wird [...] nicht Anlaß zur weitertreibenden theoretischen Kritik, sondern zur schäumenden propagandistischen Denunziation. Die antideutschen Bußprediger haben schon früher die ökologische Frage zum faschistischen Gegenstand erklärt, nun wollen sie dasselbe mit der sozialen Frage machen."

Gremliza: Robert Kurz ist kein großer Denker, aber manchmal ein ganz anregender Journalist. Solange er sich und seine Ressentiments unter Kontrolle hat, kann man ihn sogar in KONKRET schreiben lassen. Aber wehe, wenn das Gefecht hitzig wird. Dann weiß er nicht mehr, was er tut. Nicht er schreibt, sondern es schreibt aus ihm heraus. "Die antideutschen Bußprediger" - das ist original "Soldatenzeitung", das ist das pure nationalistische, und das heißt in Deutschland immer auch: antisemitische, Ressentiment. Das macht den Kurz nicht zum Nazi, aber es zeigt, wieviel große deutsche Vergangenheit in ihm steckt. Und nicht nur in ihm. Psychische Formierungen und Deformationen "vererben" sich, sagt Goethe, wie eine ew'ge Krankheit fort, weshalb das Unbewußte der Deutschen noch heute stärker von den Wilhelminischen Dorfschulen und der HJ geprägt ist als von den Erlebnisse Anno 68. Bei den Besseren hält das Bewußtsein Wache, aber wenn so einer in Rage kommt, ist er vor nichts mehr gefeit. Was es mit der verkürzten Kapitalismuskritik von Bewegungen auf sich hat, kann man übrigens sehr schön bei Otto Strasser nachlesen.

Zett: Die übriggebliebene Linke ist über den Krieg im Irak in eine Streiterei hineingeraten, die noch um einiges heftiger erscheint als während des Irak-Krieges 1991. KONKRET hatte sich damals nicht eindeutig gegen einen Angriff der USA auf den Irak ausgesprochen - es war zu lesen, daß eventuell ausnahmsweise und aus falschen Gründen einmal das richtige getan werden würde -, was eine große Zahl an Abo-Kündigungen zur Folge hatte. Mir scheint es so, als fände sich seit September 2001 in Ihrer Zeitschrift eine größere Bandbreite an widersprüchlichen Positionen als in der Zeit davor.

Gremliza: Es ist eine alte Erfahrung, daß dramatische Ereignisse eine eh schon marginale Opposition zu hektischen Reaktionen treibt. Nehmen Sie den Ungarn-Aufstand, den Prager Frühling, die Wiedervereinigung: jeden dieser Fälle haben Leute aus der Linken als Chance ergriffen, sich von einer armseligen Randexistenz zu verabschieden. Das war nach dem Anschlag auf die Twin Towers und im Irak-Krieg nicht anders. Mitunter werden solche Abschiedszeremonien auch in Artikeln für KONKRET vorbereitet. Da man aber noch nicht weiß, wie es bei dem einen oder andern endet, muß man das ein Weilchen ertragen.

Zett: Was sich in großen Teilen der linken Szene breit gemacht hat, ist die Überzeugung, daß Ideologiekritik und eine Analyse der ökonomischen Verhältnisse einander ausschließen. In welcher Beziehung stehen Ihrer Auffassung nach der Erfolg von Al Qaida, Hamas und anderer arabischer Terrorvereine zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung?

Gremliza: Es gibt zwei Extreme einer degenerierten Kritik: die eine erklärt die islamischen Terroristen zu irren Kriminellen, deren Taten mit dem sozioökonomischen Zustand der Gesellschaften, aus denen sie kommen, nichts zu tun haben; die andern machen aus ihnen Sozialrevolutionäre. Beides ist erkennbar Quatsch. "Kein Blut für Öl" ist eine alte, auch braune Parole, die kritisiert werden muß. Und doch hätte es keinen Irak-Krieg gegeben, wenn der Boden des Landes statt Öl nur Sauerkraut hergäbe.

Zett: Eine Folge der angeblichen Unvereinbarkeit von Ideologiekritik und materialistischer Analyse ist ein Tonfall, der an finsterste K-Gruppen-Zeiten erinnert. Die Redaktion der Berliner Vierteljahresschrift "Bahamas" hält die Bombardierung Bagdads für einen zivilisatorischen Akt und beschuldigt jeden, der da nicht mitgehen möchte, des Antisemitismus. Auf der anderen Seite steht, neben vielen anderen, besagter Robert Kurz, der ob der verfahrenen Situation völlig außer Rand und Band gerät und in der "Jungen Welt" folgendes schreibt: "Was lange gärt, wird endlich Wut: Macht kaputt, was die radikale Linke kaputt macht - denunziert die Denunzianten!" Was ist denn da los?

Gremliza: Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an - nicht zu eng, aber schließ dich an, sagt Tucholsky, und ich fürchte, wie werden uns noch umsehen, welche extraradikalen Krisen-Theoretiker demnächst ums Bundesverdienstkreuz anstehen. Das wäre der schlimmste Fall. Auch das Gebalze, wer auf der Szene der kapitalste Gockel ist, verdrießt. Aber es hat sich auch manches, was im Weg herumstand, endgültig erledigt. Die "junge Welt", beispielsweise, hatte ihr antisemitisches Coming out, die PDS ist in Liebe zum Vaterland dahingeschmolzen. Das sind schon zwei, um die eine radikale Linke sich keine Gedanken mehr zu machen braucht, und es werden noch einige mehr.

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel ist eine Spiegelung von
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