I.
Kapital und Mehrwert
In
seiner Bewegung tritt das Kapital als Geld auf. Ohne Geld zu haben, kann sich
der Kapitalist keine Produktionsmittel verschaffen und keine Arbeiter
einstellen. Nicht jedes Geld ist Kapital, — z. B. wenn der Arbeiter
Lebensmittel kauft, ist sein Geld, das er dazu verwendet, kein Kapital für
ihn. Dagegen wird dieses Geld sofort zu Kapital, wenn es in die Hände des
Kapitalisten kommt, bei dem der Arbeiter seine Lebensmittel kaufte. Das Geld
wird zu Kapital, wenn es angewendet wird, um eine größere Geldsumme zu
erhalten, um Profit zu bekommen. Nicht jedes Geld ist also Kapital, aber jedes
Kapital muß in seiner Bewegung, in seinem Kreislauf als Geld auftreten.
Wir
müssen also zunächst untersuchen, wie sich das Geld in Kapital verwandelt,
wie es die wunderbare Eigenschaft besitzt, sich in eine größere Geldsumme zu
verwandeln, ohne das Gesetz des Warenaustausches, das Wertgesetz zu verletzen.
1.
Die Verwandlung von Geld in Kapital
„Der einfache Warenbesitzer
verkauft, um zu kaufen; er verkauft, was er nicht braucht, und kauft mit dem
erhandelten Gelde das, was er braucht. Der angehende Kapitalist kauft von
vornherein das, was er nicht selbst braucht; er kauft, um zu verkaufen, und
zwar teurer zu verkaufen, um den ursprünglich in das Kaufgeschäft geworfenen
Geldwert zurückzuerhalten, vermehrt durch einen Zuwachs an Geld, und diesen
Zuwachs nennt Marx Mehrwert.
Woher stammt dieser
Mehrwert? Er kann weder daher stammen, daß der Käufer die Waren unter dem Wert
kaufte, noch daher, daß der Verkäufer sie über dem Wert verkaufte. Denn in
beiden Fällen gleichen sich die Gewinne und Verluste jedes einzelnen
gegenseitig aus, da jeder abwechselnd Käufer und Verkäufer ist. Es kann auch
nicht aus Prellerei stammen, denn die Prellerei kann zwar den einen auf Kosten
des anderen bereichern, nicht aber die von beiden besessene Gesamtsumme, also
auch nicht die Summe der zirkulierenden Werte überhaupt vermehren. ,Die
Gesamtheit der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst
übervorteilen.'
Und doch finden wir, daß
die Gesamtheit der Kapitalistenklasse jedes Landes sich fortwährend vor unsern
Augen bereichert, indem sie teurer verkauft, als sie eingekauft hatte, indem
sie sich Mehrwert aneignet. Wir sind also so weit wie am Anfang: Woher stammt
dieser Mehrwert? Diese Frage gilt es zu lösen, und zwar auf rein ökonomischem
Wege, unter Ausschluß aller Prellerei, aller Einmischung irgendwelcher Gewalt
— die Frage: Wie ist es möglich, fortwährend teurer zu verkaufen, als man
eingekauft hat, selbst unter der Voraussetzung, daß fortwährend gleiche Werte
ausgetauscht werden gegen gleiche Werte?"
(Engels, „Anti-Dühring", S. 215 f.)
In der
Warenzirkulation, d. h. im Kauf und Verkauf der Ware kann also der Mehrwert
nicht entstehen. Der Wert des Geldes und der Wert der Ware können nicht von
sich aus wachsen, denn wir wissen, daß die einzige Quelle des Wertes die
Arbeit ist. Die Ware besitzt Wert und Gebrauchswert. Wenn aber der Wert der
Ware keine Quelle des Wertes sein kann, d. h. keinen neuen Wert schaffen kann,
kann es nicht vielleicht eine Ware geben, deren Gebrauchswert, d. h. deren
Verbrauch, Wertquelle sein kann? Es gibt eine solche Ware, das ist die
Arbeitskraft.
„Unter Arbeitskraft oder
Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen
Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines
Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, so oft er Gebrauchswerte
irgendeiner Art produziert." („Kapital", Bd. I, Volksausgabe, S. 123;
Kröners Ausgabe, Bd. I, S.
128.)
„Zur Verwandlung von Geld
in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt
vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine
Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er anderseits andere Waren nicht zu
verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner
Arbeitskraft nötigen Sachen." („Kapital", Bd. I; Volksausgabe, Bd. I, S. 125;
Kröners Ausgabe, Bd. I, S.
129.)
Wie die
menschliche Arbeitskraft in eine Ware verwandelt worden ist, wissen wir schon
— dies geschah (und geschieht) durch die Enteignung des unmittelbaren
Produzenten. Wir haben nun die Eigenschaften der Arbeitskraft als Ware zu
betrachten. Wie jede andere Waren muß auch diese eigenartige Ware Wert und
Gebrauchswert haben. Sehen wir zunächst, worin der Wert der Arbeitskraft als
Ware besteht.
Die
Arbeitskraft des Menschen ist nicht der Mensch selbst, sie ist die Eigenschaft
des Menschen, sein Arbeitsvermögen, oder, wie Marx sagt, „die Arbeitskraft
existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums". Diese Anlage hat als
Voraussetzung die Existenz des Individuums selbst. Wenn wir also vom Wert der
Arbeitskraft sprechen, sprechen wir also nicht vom Werte des Menschen, sondern
eben vom Werte dieser seiner Anlage, der Arbeitskraft.
„Der Wert der Arbeitskraft,
gleich dem jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also
auch Reproduktion, dieses besonderen Artikels notwendige Arbeitszeit. Die
Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in
seiner eigenen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das
lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur
Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die
zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der
Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen
Lebensmittel. Die Arbeitskraft verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Aeußerung, betätigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Betätigung, die
Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn
usw. verausgabt, das wieder ersetzt werden muß. Diese vermehrte Ausgabe
bedingt eine vermehrte Einnahme. Wenn der Eigentümer der Arbeitskraft heute
gearbeitet hat, muß er denselben Prozeß morgen unter denselben Bedingungen
von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebensmittel muß
also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in
seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse
selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden, je
nach den klimatischen und ändern natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes.
Anderseits ist der Umfang sogenannter notwendiger Bedürfnisse, wie die Art
ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher
großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andern
auch wesentlich
davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und
Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im
Gegensatz zu den ändern Waren enthält also die Wertbestimmung der
Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes
Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnittsumkreis der
notwendigen Lebensmittel gegeben.
Die Eigentümer der
Arbeitskraft sind sterblich. Soll man trotzdem solche Eigentümer immer wieder
auf dem Markt vorfinden, wie es durch die immer wieder erneute Verwandlung von
Geld in Kapital erheischt wird, so müssen die Verkäufer der Arbeitskraft sich
verewigen, ,wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch
Fortpflanzung'. Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen
Arbeitskräfte müssen nun allermindestens durch eine gleiche Zahl neuer
Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die .Summe der zur Produktion der
Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der
Ersatzmänner ein, das heißt der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Rasse
eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.
Um die allgemein
menschliche Natur so zu gestalten, daß sie Geschick und Fertigkeit in einem
bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und eigenartige Arbeitskraft
wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits
eine größere oder geringere Summe von Warenäquivalenten kostet. Je nach dem
mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre
Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für
die gewöhnliche Arbeitskraft, gehen also ein in den Umkreis der zu ihrer
Produktion verausgabten Werte."
(„Kapital", Volksausgabe, Bd. I, S. 126 ff.; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 131 ff.)
Der Wert
der Ware Arbeitskraft wird also bestimmt durch den Wert der zu ihrer
Wiederherstellung notwendigen Lebensmittel. Die gesellschaftlich-notwendige
Arbeitszeit für die Produktion dieser Lebensmittel bestimmt also den Wert der
Arbeitskraft. Betrachten wir nun, worin der Gebrauchswert der Arbeitskraft
besteht. Der Gebrauchswert einer Ware ist ihre Nützlichkeit. Die Nützlichkeit
der Arbeitskraft, des Arbeitsvermögens kann in nichts anderem bestehen, als in
der Arbeit selbst, in der Produktion von Waren. Die Arbeitskraft wird
verbraucht, indem der Arbeiter
arbeitet, d. h. dadurch, daß sie in Bewegung gesetzt wird. Die Arbeit macht
also den Gebrauchswert der Arbeitskraft aus. Die Arbeit ist aber Quelle von
Wert, deshalb ist die Arbeitskraft diejenige Ware, deren Verbrauch, oder deren
Gebrauchswert Wertquelle ist. Mit dem Kauf der Arbeitskraft verwandelt also
der Kapitalist sein Geld in Kapital, er kauft eine Ware, deren Verbrauch ihm
mehr Wert abwirft. Das geschieht nicht im Zirkulations-, sondern im
Arbeitsprozeß.
„Alle zu diesem Prozeß
nötigen Dinge, wie Rohmaterial usw., kauft der Geldbesitzer auf dem
Warenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis. Der Konsumtionsprozeß der
Arbeitskraft ist zugleich der Produktionsprozeß von Ware und von Mehrwert. Die
Konsumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder ändern Ware,
vollzieht sich außerhalb des Marktes oder der Zirkulationssphäre. Diese
geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und aller Augen zugängliche Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit dem Besitzer des Geldes und dem Besitzer
der Arbeitskraft, um beiden nachzufolgen in die verborgene Stätte der
Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: Der Eintritt ist nur den hier
Beschäftigten gestattet. Hier wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital
produziert, sondern auch wie man es selbst produziert, das Kapital. Das
Geheimnis der Plusmacherei (der Gewinnung von mehr Geld) muß sich endlich
enthüllen."
(„Kapital", Volksausgabe, Bd. I, S. 131; Kröners Ausgabe, S. 136.)
2.
Die Produktion des Mehrwerts
Der
Arbeiter verkauft dem Kapitalisten seine Arbeitskraft und erhält ihren Wert,
eine gewisse Geldsumme, die den Wert seiner Lebensmittel darstellt. Damit
hört aber der Gebrauchswert der Arbeitskraft auf, dem Arbeiter zu gehören.
Dieser Gebrauchswert gehört nun dem Kapitalisten. Der Kapitalist verbraucht
die Arbeitskraft, nützt ihren Gebrauchswert aus, indem er den Arbeiter
arbeiten läßt, indem er aus ihm, dem Kapitalisten, gehörenden Rohstoffen und
mit ihm gehörenden Maschinen Waren produzieren läßt. Das von dem Arbeiter
hergestellte Produkt gehört auch nicht dem Arbeiter, sondern dem Kapitalisten,
der dieses Produkt auf dem Markte zu seinem Werte verkauft. Der Kapitalist hat
sein Geld in eine bestimmte Menge Waren von gleichem Wert verwandelt
(Arbeitskraft, Maschinen, Rohstoffe) und am Ende des Produktionsprozesses hat
er wieder eine Menge Waren (aber schon anderer Waren), die er in Geld (aber
mehr Geld) verwandelt, wobei er diese Waren zu ihrem Wert verkauft. Die Wertveränderung, das Wachstum des vorgeschossenen Wertes geht vor sich im
Produktionsprozeß. Um zu verstehen, wie das geschieht, müssen wir also
untersuchen, wie sich der Wert der hergestellten Waren bildet.
„Wir wissen, daß der Wert
jeder Ware bestimmt ist durch das Quantum der in ihrem Gebrauchswert
materialisierten* Arbeit, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit. Dies gilt auch für das Produkt, das sich unserm
Kapitalisten als Resultat des Arbeitsprozesses ergab. Es ist also zunächst die
in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu berechnen.
Es sei zum Beispiel Garn. Zur Herstellung des Garnes
war zuerst sein Rohmaterial nötig, zum Beispiel 10 Pfund Baumwolle. Was der
Wert der Baumwolle, ist nicht erst zu untersuchen, denn der Kapitalist hat sie
auf dem Markt zu ihrem Wert, zum Beispiel zu 10 Schilling gekauft. In dem
Preise der Baumwolle ist die zu ihrer Produktion erheischte Arbeit schon als
allgemein gesellschaftliche Arbeit dargestellt. Wir wollen ferner annehmen,
daß die in der Verarbeitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle
ändern aufgewandten Arbeitsmittel repräsentiert, einen Wert von 2 Schilling besitzt. Ist eine
Goldmasse von 12 Schilling das Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei
Arbeitstagen, so folgt zunächst, daß im Garn zwei Arbeitstage
vergegenständlicht sind."
(„Kapital", Bd. I, S. 142; Kröners Ausgabe, Bd. I,
S. 148.)
„Es handelt sich also nun
um den "Wertteil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle
zusetzt... "Während des
Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit beständig aus der Form der Unruhe in
die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenständlichkeit um. Am
Ende einer Stunde ist die Spinnbewegung in einem gewissen Quantum Garn
dargestellt, also ein bestimmtes Quantum Arbeit, eine Arbeitsstunde, in der
Baumwolle vergegenständlicht. "Wir sagen Arbeitsstunde, das heißt die
Verausgabung der Arbeitskraft des Spinners während einer Stunde, denn die
Spinnarbeit gilt hier nur, soweit sie Verausgabung von Arbeitskraft, nicht
soweit sie die spezifische Arbeit des Spinnens ist... Das Rohmaterial gilt hier
nur als Aufsauger eines bestimmten Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung
verwandelt es sich in der Tat in Garn, weil die Arbeitskraft in der Form der
Spinnerei verausgabt und ihm zugesetzt wurde. Aber das Produkt, das Garn, ist
jetzt nur noch Gradmesser der von der Baumwolle eingesaugten Arbeit. "Wird in
einer Stunde 1 2/3 Pfund Baumwolle versponnen oder in
1 2/3 Pfund Garn verwandelt, so zeigen 10 Pfund Garn sechs eingesaugte
Arbeitsstunden an. Bestimmte und erfahrungsmäßig festgestellte Quanta Produkt
stellen jetzt nichts dar als bestimmte Quanta Arbeit, bestimmte Masse
festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind nur noch Materiatur von einer Stunde,
zwei Stunden, einem Tag gesellschaftlicher Arbeit...
Beim Verkauf der
Arbeitskraft ward unterstellt, daß ihr Tageswert gleich sei 3 Schilling, und
in den letzteren sechs Arbeitsstunden verkörpert sind, dies Arbeitsquantum
also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der täglichen Lebensmittel des
Arbeiters zu produzieren. Verwandelt unser Spinner nun während einer
Arbeitsstunde 1 2/3 Pfund Baumwolle in
1 2/3 Pfund Garn, so
in sechs Stunden 10 Pfund Baumwolle in 10 Pfund Garn. "Während der Dauer des
Spinnprozesses saugt die Baumwolle also sechs Arbeitsstunden ein. Dieselbe
Arbeitszeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 Schilling dar. Der
Baumwolle wird also durch das Spinnen selbst ein Wert von 3 Schilling
zugesetzt. Sehen wir uns nun den
Gesamtwert des Produkts, der 10 Pfund Garn, an. In ihnen sind 2
1/2
Arbeitstage vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und
Spindelmasse, 1/2 Tag Arbeit eingesaugt während des Spinnprozesses. Dieselbe
Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von 15 Schilling dar. Der dem "Wert
der 10 Pfund Garn entsprechende Preis beträgt also 15 Schilling, der Preis
eines Pfund Garn l Schilling 6 Pence.
Unser Kapitalist stutzt.
Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorgeschossenen Kapitals. Der
vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt, Geld
sich also nicht in Kapital verwandelt. Der Preis der 10 Pfund Garn ist 15
Schilling und 15 Schilling wurden verausgabt auf dem Warenmarkt für die
Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe ist, die Faktoren des
Arbeitsprozesses: 10 Schilling für Baumwolle, 2 Schilling für die verzehrte
Spindelmasse und 3 Schilling für Arbeitskraft. Der aufgeschwollene Wert des
Garns hilft nichts, denn sein Wert ist nur die Summe der früher auf Baumwolle,
Spindel und Arbeitskraft verteilten Werte, und aus seiner solchen bloßen
Addition vorhandener Werte kann nun und nimmermehr ein Mehrwert entspringen.
Diese Werte sind jetzt alle auf ein Ding konzentriert, aber so waren sie in
der Geldsumme von 15 Schilling, bevor diese sich durch drei Warenkäufe
zersplitterte."
(„Kapital", Volksausgabe, Bd. I, S. 14411.; Kröners Ausgabe,
Bd. I, S. 150 ff.)
„Sehen wir näher zu. Der
Tageswert der Arbeitskraft betrug 3 Schilling, weil in ihr selbst ein halber
Arbeitstag vergegenständlicht ist, das heißt, weil die täglich zur Produktion
der Arbeitskraft nötigen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten. Aber die
vergangene Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit,
die sie leisten kann, ihre
täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz
verschiedene Größen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwert, die andere bildet
ihren Gebrauchswert. Daß ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24
Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen
Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im
Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedene Größen. Diese Wertdifferenz hatte der
Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche
Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine unerläßliche Bedingung,
weil Arbeit in nützlicher Form verausgabt werden muß, um Wert zu bilden. Was
aber entschied, war der besondere Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert
zu sein und von mehr Wert, als sie selbst hat. Dies ist der besondere Dienst,
den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen
des Warenaustausches gemäß. In der Tat, der Verkäufer der Arbeitskraft, wie
der Verkäufer jeder ändern Ware, realisiert* ihren Tauschwert und veräußert
ihren Gebrauchswert. Er kann den einen nicht erhalten, ohne den anderen
wegzugeben. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört
ebensowenig ihrem Verkäufer, wie der Gebrauchswert des verkauften Oels dem
Oelhändler. Der Geldbesitzer hat den Tageswert der Arbeitskraft gezahlt; ihm
gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der
Umstand, daß die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben
Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten
kann, daß daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tages schafft,
doppelt so groß ist als ihr eigener Tageswert, ist ein besonderes Glück für
den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.
Unser Kapitalist hat den
Kasus, der ihn lachen macht, vorgesehen. Der Arbeiter findet daher in der
Werkstätte die nötigen Produktionsmittel nicht nur für einen sechsstündigen,
sondern für einen zwölfstündigen Arbeitsprozeß. Saugten 10 Pfund Baumwolle
sechs Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in 10 Pfund Garn, so werden 20
Pfund Baumwolle 12 Arbeitsstunden einsangen und in 20 Pfund Garn verwandelt.
Betrachten wir das Produkt des verlängerten Arbeitsprozesses. In den 20 Pfund
Garn sind jetzt fünf Arbeitstage vergegenständlicht, vier in der verzehrten
Baumwoll- und Spindelmasse, einer von der Baumwolle eingesaugt während des
Spinnprozesses. Der Goldausdruck von fünf Arbeitstagen ist aber 30 Schilling
oder l Pfund Sterling und 10 Schilling. Dies also der Preis der 20 Pfund Garn.
Das Pfund Garn kostet nach wie vor l Schilling 6 Pence. Aber die Wertsumme der
in den Prozeß geworfenen Waren betrug 27 Schilling. Der Wert des Garns beträgt
30 Schilling. Der Wert des Produkts ist um 1/9 gewachsen über den zu
seiner Produktion vorgeschossenen Wert. So haben sich 27 Schilling in 30
Schilling verwandelt. Sie haben einen Mehrwert von 3 Schilling gesetzt. Das
Kunststück ist endlich gelungen, Geld ist in Kapital verwandelt.
Alle Bedingungen des
Problems sind gelöst und die Gesetze des Warenaustausches in keiner Weise
verletzt. Aequivalent wurde gegen Aequivalent ausgetauscht. Der Kapitalist
zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse,
Arbeitskraft. Er tat dann, was jeder andere Käufer von Waren tut. Er
konsumierte ihren Gebrauchswert. Der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft, der
zugleich Produktionsprozeß der Ware, ergab ein Produkt von 20 Pfund Garn mit
einem Wert von 30 Schilling. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und
verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu l
Schilling 6 Pence, keinen Deut über oder unter seinem Wert. Und doch zieht er
3 Schilling mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie
hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital,
geht in der Zirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die
Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf
dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den
Verwertungsprozeß ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist
alles aufs beste bestellt in der besten aller möglichen Welten."
(„Kapital",
Bd. I, S. 148 f.; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 155 ff.)
Aus der
Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses ergibt sich folgende
Definition des Mehrwerts: der Mehrwert ist der Wert, den der Lohnarbeiter über
den Wert seiner Arbeitskraft hinaus erzeugt. Oder: der Mehrwert ist die
Differenz zwischen dem von dem Lohnarbeiter während des Arbeitstages erzeugten
Wert und dem Werte seiner Arbeitskraft.
Wir
sehen also, wie Marx die Verwandlung von Geld in Kapital und die Bildung des
Mehrwerts nicht als Verletzung, sondern als Weiterentwicklung des Wertes
erklärt. Selbstverständlich behauptet damit Marx keineswegs, daß die
Arbeitskraft immer nach ihrem Werte verkauft wird. Im nächsten Thema werden
wir zeigen, daß nach den durch Marx entdeckten Gesetzen die Arbeitskraft
zumeist unter ihrem Werte verkauft wird. Was Marx in seiner Werttheorie
beweist, ist, daß auch bei äquivalentem Austausche —
also dann, wenn die Arbeitskraft nach ihrem vollen Wert bezahlt wird — die
Kapitalisten Mehrwert erzielen.
Es
bedarf auch keines besonderen Beweises, daß Marx mit seiner Voraussetzung des
Verkaufes der Arbeitskraft nach ihrem Werte die kapitalistische Ausbeutung und
den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie nicht nur
nicht verschleiert, sondern umgekehrt in ihrer ganzen Nacktheit enthüllt. Denn
die Bildung des Mehrwerts gerade auf der Grundlage des Wertgesetzes, die
Ausbeutung des Lohnarbeiters auch dann, wenn er seine Arbeitskraft zu ihrem
vollen Werte verkauft — das alles setzt den Arbeiter in eine Ausnahmestellung
im Vergleich zu allen anderen Warenverkäufern: sogar dann, wenn er seine
Ware — die Arbeitskraft — zum vollen Wert verkauft, bleibt er im Nachteil,
während der Kapitalist aus dem Verkauf der vom Arbeiter produzierten Ware zu
ihrem vollen Wert noch Profit zieht. Es ist also nicht die Verletzung des
Wertgesetzes, sondern das Wertgesetz selbst, das sich gegen die
Arbeiterklasse richtet. Deshalb macht sich Engels über Herrn Dührings
Heilrezept lustig.
„Die kapitalistische
Produktionsform abschaffen wollen durch Herstellung des ´wahren Werts', heißt
daher den Katholizismus abschaffen wollen durch die Herstellung des »wahren»
Papstes, oder eine Gesellschaft, in der die Produzenten endlich einmal ihr
Produkt beherrschen, herstellen durch konsequente Durchführung einer
ökonomischen Kategorie, die der umfassendste Ausdruck der Knechtung der
Produzenten durch ihr eignes Produkt ist." („Anti-Dühring", S. 336.)
Marx hat
das Geheimnis der kapitalistischen Produktionsweise, der kapitalistischen
Ausbeutung dadurch entdecken können, daß er den Unterschied gezogen hat
zwischen der Arbeitskraft und der Arbeit. Die Arbeitskraft ist nur die
Fähigkeit, zu arbeiten, man kann Arbeitskraft haben, arbeitsfähig sein und
nicht arbeiten, nicht die Arbeitskraft in Bewegung setzen. Die Arbeit ist die
in Bewegung gesetzte Arbeitskraft. Der Arbeiter verkauft nicht seine Arbeit,
sondern seine Arbeitskraft. Die Unterscheidung von Arbeitskraft und Arbeit,
von Wert der Arbeitskraft und Gebrauchswert der Arbeitskraft (die Arbeit
selbst) bildet den Kernpunkt der Marxschen Wert- und Mehrwerttheorie. Und
nicht zufällig haben alle Gegner des Proletariats gesucht, diesen Satz
Marxens zu widerlegen und das Gegenteil zu beweisen,—
daß nicht die Arbeitskraft, sondern die Arbeit selbst Ware sei, daß
nur
sie verkauft und voll bezahlt werde. Da
dieser Punkt von entscheidender Bedeutung ist, müssen wir uns eingehender mit
der Kritik der bürgerlichen Auffassungen über den „Wert der Arbeit"
beschäftigen.
Kontrollfragen:
1. Welches sind die historischen Bedingungen der kapitalistischen
Produktionsweise?
2. Wie vollzog sich der Uebergang von einfacher Warenproduktion zum
Kapitalismus?
3.
Warum ist es notwendig, die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise auf
Grundlage der Werttheorie durchzuführen?
4.
Worum kann der Mehrwert nicht aus der Zirkulation stammen?
5.
Wie verwandelt sich Geld in Kapital?
6.
Wie wird der Wert der Arbeitskraft bestimmt?
Worin besteht der Gebrauchswert der Arbeitskraft? Was ist der Unterschied
zwischen Arbeitskraft und Arbeit?
7.
Was ist Mehrwert?
Editorische Anmerkungen:
1930 erschienen im 14tägigen Abstand
die Hefte der Marxistischen Arbeiterschulung, die insbesondere den kleineren
Gruppen und Einzelnen, die nicht eine der MARXISTISCHEN ARBEITERSCHULEN
besuchen konnten, zur Selbstschulung dienen sollten.
Herausgegeben wurden die Hefte von
Hermann Duncker, Alfons Goldschmidt und K.A. Wittvogel. Sie erschienen im
Verlag für Literatur und Politik, Berlin, Wien 1930.
Der OCR-gescannte Text stammt aus dem
2. Heft, S. 38-45 und wurde dem Reprint des Politladens Erlangen in seiner
4. Auflage 1971 entnommen.
|