Erklärung
von Mitgliedern des SprecherInnen- und  Koordinierungsrates des Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog zum Austritt von Winfried Wolf aus der PDS

vom
3. Juni 2004

06/04

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onlinezeitung

Für uns, die Mitglieder des SprecherInnen- und  Koordinierungsrates des Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog und auch für viele  unserer MitstreiterInnen ist dieser Austritt von Winfried Wolf aus der PDS keine Überraschung.  Winfried Wolf hatte seine Mitarbeit im Geraer Dialog bereits zum Jahresende 2003 mit ähnlichen,  jetzt seinem Austritt zugrunde liegenden Begründungen eingestellt. Allenfalls der  Zeitpunkt des Austritts - drei Wochen vor der Europawahl - und die Art und Weise seiner Kommunikation vermag zu überraschen und werden  von vielen von uns bedauert.  

Wir stimmen in großen Teilen der politischen Analyse hinsichtlich des sich wandelnden politischen Charakters der PDS mit Winfried Wolf überein. Auch viele Schilderungen der Auseinandersetzungen und Darstellungen der gemeinsamen Kämpfe für eine pluralistische, konsequent antikapitalistische und sozialistische Partei halten wir für zutreffend. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die Erklärung der Bundesversammlung des Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog vom 10. Januar 2004, in der es u. a. heißt: "Mit dem Chemnitzer Parteitag hat sich die PDS als sozialistische Partei verabschiedet. Ein Zurück zur PDS vor dem außerordentlichen Parteitag im Sommer 2003 wird es nicht mehr geben. Personell, praktisch-politisch und programmatisch fährt die Führung der PDS nunmehr einen Kurs der Anpassung und der nahezu bedingungslosen Regierungsbeteiligung, wie dies in Berlin besonders deutlich wird. (...) Gegenüber dem PDS-Programm von 1993 gibt es gravierende Veränderungen der Grundsätze und Ziele. Dies betrifft insbesondere das Sozialismusverständnis, die Bewertung der kapitalistischen Gesellschaft, den Politikbegriff, die Interessenvertretung der Lohnabhängigen, die Stellung zur DDR und die antimilitaristische Grundhaltung der PDS. Diese neuen Grundsätze und Ziele sind nicht die unseren." (1)  

Winfried Wolf war für uns nicht nur ein Mitstreiter. Er hat die Arbeit des Geraer Dialoges und seiner “Vorläufer" in den vergangenen Jahren maßgeblich mitgeprägt. Seine Arbeit als MdB darf als beispielhaft für die effektive Verbindung des parlamentarischen und des außerparlamentarischen Kampfes einer sozialistischen Partei gesehen werden. Auch zahlreiche Positionen zur EU und zur inhaltlichen Positionierung der PDS in dieser Frage, sowie zum Charakter des gegenwärtigen PDS-Wahlkampfes teilen wir. Nicht umsonst waren wir an zahlreichen Änderungsanträgen zum Europawahlprogramm beteiligt und haben diese auch offensiv auf dem Europawahlparteitag der PDS im Januar 2004 vertreten. Die dort erreichten Fortschritte sind für uns nicht befriedigend, sie sind allerdings von einiger Substanz. Aber die grundsätzliche Kritik bleibt und wird auch gemeinsam mit anderen Genossinnen und Genossen in der Partei weiter, nicht zuletzt im Wahlkampf, deutlich gemacht. Wir verweisen hier u. a. auf das Papier von Michael Mäde vom 8.03.2004. (2)  

Für uns und für viele andere PDS-Mitglieder war klar, ohne eine deutliche Ablehnung des EU-Verfassungsentwurfes und ohne das Erhalten der antimilitaristischen Substanz der PDS ist durch uns ein Wahlkampf für die PDS nicht zu führen. Die Ablehnung des Verfassungsentwurfes ist deutlich und recht klar. Auch die hier erreichten Fortschritte sind für uns nicht befriedigend, trotzdem nicht unwesentlich.  

In der Einschätzung des gegenwärtigen Standes der Auseinandersetzung bestehen allerdings Differenzen zur Erklärung von Winfried Wolf vom 21.05.2004. Ist seiner Schilderung des Verlaufs der Auseinandersetzung noch zuzustimmen (auch die Skepsis gegenüber dem Verhalten der Parteiführung ist unserer Meinung nach mehr als berechtigt) teilen wir seine zusammenfassenden Aussagen so nicht, sie sind, um es vorsichtig zu sagen, schwach belegt. Auf der Seite 13 der Erklärung von Winfried Wolf werden Zitate kompiliert, die insgesamt einen verzerrten Eindruck der Beschlusslage hinterlassen. Wir wollen sie so nicht stehen lassen.  

Die entsprechende Passage bei Winfried Wolf mit Zitat aus dem EU-Wahlprogramm lautet: "Im Programm zur Wahl des Europawahlparlaments, das dann im Januar verabschiedet wurde, heißt es zwar zu Beginn: ’Die PDS sagt Nein zum vorliegenden Verfassungsentwurf'. Im folgenden werden die Begründungen für ein solches Nein jedoch relativiert. So wenn es dort heißt: ’Inakzeptabel ist für uns vor allem, dass die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) unverändert kaum parlamentarischer Einflussnahme und Kontrolle unterliegen... Darüber hinaus halten wir es für völlig undemokratisch und sind nicht bereit zu akzeptieren, dass selbst der Einsatz der EU-Eingreiftruppen keiner Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf.'" (3)  

Abgesehen davon, dass beide Zitatstellen sich auf sehr unterschiedlichen Positionen befinden (S.5 und S. 39) sind sie auch nicht vollständig. Und zwar auf eine Art und Weise nicht vollständig, dass vom Sinn her ein anderer Eindruck entsteht. Wir wollen sie deshalb an dieser Stelle nachliefern. Die Textpassage zur EU-Verfassung lautet: "Eine europäische Verfassung muss den Völkern zur Diskussion und Abstimmung vorgelegt werden. Diesen Ansprüchen genügt der vom Konvent erarbeitete Verfassungsvertrag in wichtigen Punkten nicht. Es ist positiv, dass die Grundrechtecharta und soziale Rechte in den Entwurf aufgenommen wurden. Dafür hat sich die Europäische Linke im Konvent engagiert. Aber der vorliegende Entwurf soll alle EU-Staaten zur Aufrüstung verpflichten. Er befördert die Militarisierung der EU. Neoliberale Wettbewerbspolitik soll Verfassungsrang erhalten. Das für mehr Demokratie in der EU Erreichte bleibt hinter dem notwendigen zurück. Die Rückschritte überlagern und deformieren die Fortschritte im Verfassungsentwurf. Wir werden alle Möglichkeiten auf parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene nutzen, um dies zu verhindern. Die PDS sagt Nein zu dem vorliegenden Verfassungsentwurf." (4)  

Das Zitat als ganzes macht deutlich, dass der Ablehnung schon eine politische Substanz zugrunde liegt, die wesentliche Gründe zur Ablehnung des Entwurfes auch inhaltlich aufgreift und deutlich macht, dass die PDS, zumindest nach der Meinung der Delegierten ihres Europaparteitages für eine solche Politik nicht zur Verfügung steht. Allerdings werden auch hier Positionen sichtbar (so die Einschätzung des Charakters der Grundrechtscharta), die wir für falsch halten, weil die in der EU- Verfassung fixierten Grundrechtspositionen auf vielfältige Weise vom neoliberalen Zeitgeist geprägt sind.  

Beim zweiten Zitat ist die Ergänzung noch gravierender. Hier handelt es sich schlicht um eine Auslassung. Der Gesamttext liest sich dann so:  "Inakzeptabel ist für uns vor allem, dass die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) unverändert kaum parlamentarischer Einflussnahme und Kontrolle unterliegen. Die PDS tritt der Anwendung militärischer Gewalt zur Lösung von Konflikten entschieden entgegen. Sie lehnt jegliche EU-Militäreinsätze uneingeschränkt ab. Darüber hinaus halten wir es für völlig undemokratisch und sind nicht bereit zu akzeptieren, dass selbst der Einsatz der EU-Eingreiftruppen keiner Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf. Die Frage von Krieg oder Frieden ist zu wichtig, als dass sie allein der Entscheidung von Regierungen überlassen werden darf." (5) (Alle Hervorhebungen: die Verfasser)  

Im Zusammenhang gesehen ist dieser Text so auch kaum geeignet zu belegen, gegebenenfalls das Nein zum Verfassungsentwurf zu relativieren.  

Wir wollen nicht missverstanden werden. Auch wir sehen die Gefahr der Aufweichung dieser in langen Auseinandersetzungen erstrittenen Positionen. Manches ist im Text des Programms verblieben, was dafür tauglich sein könnte. Aber, wir sind für Genauigkeit und für eine Differenziertheit in der Debatte.  

Dies trifft ähnlich auf die Behandlung der Frage nach den Ursachen der Niederlage der Linken in der Partei zu. Eine beinahe einseitige Zuweisung der Verantwortung an KPF und MF für das Nichtzustandekommen einer substantiellen linken Kooperation innerhalb der PDS entspricht nicht unseren Erfahrungen. Wir stehen in der Verantwortung, unseren Anteil daran stärker kritisch zu hinterfragen.  

Auch die Auseinandersetzungen innerhalb des Geraer Dialoges im Vorfeld des Chemnitzer Parteitages wären hier genauer zu beleuchten. Wir bedauern in diesem Zusammenhang sehr, dass Winfried Wolf den einst u. a. auch von Petra Pau gegen die gesamte Parteilinke geprägten Kampfbegriff der "Wärmestube" aufgenommen hat. (6) Wir halten die Definition der PDS als einer "prokapitalistischen und antisozialistischen Partei", so wie sie Winfried Wolf in seinem Papier vornimmt, für überzogen und damit in der Debatte für kontraproduktiv. Sie stimmt auch nicht mit seinen erst wenige Monate zuvor getroffenen Einschätzungen überein. (7)  

Die Niederlagen und vergebenen Chancen nach dem Geraer Parteitag sollten einer gründlichen und vor allem selbstkritischen Analyse unterzogen werden, um sie für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen in der Gesellschaft und innerhalb der deutschen Linken fruchtbar zu machen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Verschärfung der kapitalistischen Ausbeutung, der Ansätze von gesellschaftlichem Widerstand und der Revitalisierung des linken Diskurses sollten wir versuchen, unsere Erfahrungen einzubringen. Dafür hat sich der Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog entschieden. Wir sind weder "Parteifetischisten" noch werden wir "Steigbügelhalter" neoliberaler Politik. Wir kämpfen in diesen schwierigen Zeiten weiter für die Kooperation der antikapitalistischen Linken in der PDS, in Deutschland und Europa. Wie lange wir unser Engagement in der PDS aufrecht erhalten können, muss dabei immer neu, vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, geprüft werden. Auch hier sind Klarheit und Genauigkeit in der Debatte unter uns und unseren MitstreiterInnen unabdingbar.  

In unserer Erklärung vom 10. Januar 2004 heißt es: "Angesichts eines triumphierenden, besonders kriegerischen, aber auch kriselnden Kapitalismus sowie der jüngsten Entwicklungen in der PDS stellt sich mittel- bzw. langfristig das Problem einer zugleich pluralen, aber auch kämpferischen antikapitalistischen bzw. marxistischen Massenpartei in der Bundesrepublik Deutschland. Diese kann nicht durch einen Gründungsprozess geschaffen werden, sondern nur als Resultat einer einflussreichen gesellschaftlichen Bewegung von unten und einer flankierenden Vorbereitung entstehen. Wir wollen an den Debatten um die Wege dahin wie auch um die Grundsätze und Ziele einer solchen Partei teilnehmen. Wir treten für eine enge Kooperation der antikapitalistischen Linken ein und wollen eine solche Kooperation befördern." (8)  

Das von uns verabschiedete Aktionsprogramm ist hierfür und in diesem Sinne ein Angebot an Linke innerhalb und außerhalb der PDS.  

Viele von uns sind im Wahlkampf für die Europawahl engagiert. Einige mit wohlerwogenen Argumenten nicht. Auch bei uns gibt es also hierzu unterschiedliche Meinungen. Wir im Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog haben von Beginn an das Ziel, solche unterschiedlichen Auffassungen nicht nur zu respektieren, sondern, wenn möglich, in solidarischer und kritischer Debatte produktiv zu machen.  

Wir haben gemeinsam sehr viel Kritik an der Wahlkampfführung der PDS-Führung. Sie entspricht in vielem nicht den inhaltlichen Aussagen, die Kernaussagen der PDS sein müssten. Wir übersehen jedoch nicht, dass von vielen Genossinnen und Genossen vor Ort und gemeinsam mit den KandidatInnen der Partei ein anderer, ein lebendiger Wahlkampf einer linken Partei geführt wird. Ja, das Bild ist widersprüchlich. Der letzte bundesweite Wahlkampf der PDS, der abseits gesellschaftsverändernder Kernaussagen geführt wurde, brachte eine verheerende Niederlage für die Partei. Wir sehen diese Gefahr erneut, wollen sie aber nicht befördern. Dies wäre, nach Überzeugung vieler von uns, unter den gegenwärtigen Bedingungen eine Niederlage für die Linke in Deutschland insgesamt.  

Winfried Wolf hat die PDS verlassen. Wir hören manche hämische Bemerkung. "Es freuen sich die falschen Leute", sagte Bernhard Strasdeit zutreffend in seiner Erklärung. Zu denen gehören wir nicht.  

Wir sind der Überzeugung, dass wir uns wieder begegnen werden in den Kämpfen um eine bessere, eine grundsätzlich andere Gesellschaft, in der, um, sinngemäß mit Marx zu sprechen, der Mensch, dem Menschen kein Wolf mehr ist. Und wir sind sicher, dass es auf der gleichen Seite der "Barrikade" sein wird.  

Das ist, bei aller Schwierigkeit des Augenblicks, kein schlechtes Zwischenergebnis.  

Dorothée Menzner
Michael Mäde
Jochen Traut
Philipp Hagenah
Michael Aggelidis
Franziska Markovic
Angelica Williams  

Quellen und Anmerkungen

(1) Erklärung Bundesversammlung Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog vom 10.01.2004; In: Bulletin GD/SoD Ausgabe 1 (April 2004) S.2

(2) M. Mäde, Die Lage nach dem Europawahlparteitag der PDS und unsere Aufgaben. In: Bulletin GD/SoD Ausgabe 1 (April 2004) S11-15. Eine ausführliche Kritik des EU-Wahlprogramms der PDS findet sich auf der Hompage des GD/SoD

(3) Zitiert nach Winfried Wolf; "Warum ich aus der PDS austrete"; S. 13

(4) Wahlprogramm PDS zum Europäischen Parlament; S. 5

(5) Wahlprogramm PDS zum Europäischen Parlament; S. 39

(6) Siehe Winfried Wolf; "Warum ich aus der PDS austrete"; S. 16

(7) Siehe Winfried Wolf; "Warum ich aus der PDS austrete"; S. 3

(8) Erklärung Bundesversammlung Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog vom 10.01.2004; In: Bulletin GD/SoD Ausgabe 1 (April 2004) S. 3  

Editorische Anmerkungen  

Am 3. Juni 2004 wurde uns kreisverbaende@pds-nds.de  diese Erklärung zum Austritt von Winfried Wolf zugemailt mit der Bitte um Veröffentlichung.