Skizzen einer Kritik
an Michael Heinrich und anderen

von
Daniel Dockerill

06/04

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… Sie alle [Wertkritiker wie Helmut Brentel, Diethard Behrens / Cornelia Hafner, Michael Heinrich, Robert Kurz] zielen (am meisten ausdrücklich macht das Michael Heinrich), auf die Unmöglichkeit planmäßig gesellschaftlicher Produktion, solange diese noch menschliche Arbeit notwendig hat, also auch diese Arbeit geplant werden müßte. Denn Planung setzt (im Rahmen der zeitlichen und räumlichen Grenzen des Plans) vorherbestimmbare Größen voraus, d.h. Durchschnittsgrößen (deren Bestimmbarkeit Brentel beispielsweise für unmittelbar gesellschaftliche Arbeit kategorisch leugnet)[1], mit deren Hilfe Plan und Ausführung sich gegeneinander vergleichen lassen; die Möglichkeit zu bestimmen, wieviel Zeit durchschnittlich begabter Individuen je die Produktion der verschiedenen Gebrauchswerte zur Befriedigung der verschiedenen gesellschaftlichen Bedürfnisse (unter wiederum mehr oder weniger je als Durchschnitt gegebenen Produktionsbedingungen) in Anspruch nimmt. Wenn die dem Wert zugrundeliegende Arbeitszeit aber eine wie auch immer (psychologisch, wie bei Kurz, oder „logisch“, wie bei Brentel) begründete Fiktion wäre, folglich überhaupt die Bestimmung eines von den erscheinenden Formen des bürgerlichen Verkehrs (Geld, Preis, Lohn, Profit, Zins etc.) unterschiedenen Inhalts dieser Formen bloß „fiktiv“ und so mindestens redundant wäre (welche Konsequenz am ehesten Heinrich offenlegt), dann gäbe es gar kein Formproblem, dann wären diese Formen eben ihr eigener Inhalt, enthielten nichts, was über sie selbst hinauswiese und zu anderer, adäquaterer Gestalt drängte.

Heinrich bringt die Sache auf den Punkt. Die „Gleichheit“ der einzelnen konkreten Arbeiten „als abstrakte Arbeit“, schreibt er am Ende seiner Doktorarbeit über den Wert, sei „eine gesellschaftliche Eigenschaft ..., die nicht einfach vorhanden ist, sondern erst ... auf dem Markt vermittels des Geldes hergestellt“ werde. Demnach nicht, „einfach“ weil es sich um Arbeiten gesellschaftlicher, der Gesellschaft bedürftiger Individuen, sowie um deren Produkte handelt, hätten auch diese Arbeiten bzw. ihre sachlichen Resultate selbst „gesellschaftliche Eigenschaft“, sondern sie erhielten diese „erst ... auf dem Markt“, also „erst“ als aufeinander bezogene Sachen und zwar „vermittels des Geldes“, also „vermittels“ wiederum der allgemeinen Sache. Wie und was die Dinge zu sein scheinen: an sich selbst gesellschaftliche Sachen, die „erst“ die Gesellschaftlichkeit der Individuen „herstellen“, so, spricht also Doktor Heinrich, ist es auch – basta! Für die menschliche Emanzipation von solch selbstherrlichen Mächten ist da natürlich nur wenig Raum. Zum guten Schluß findet daher Heinrich, daß statt „einer vollständigen gesellschaftlichen Planung“, also statt eines gesellschaftlichen Zusammenhanges als „vollständig“ selbstbewußter Schöpfung gesellschaftlicher Individuen, „(...) eher eine genossenschaftliche Produktion“ naheliege, „deren gesamtgesellschaftliche Koordination ... eines eigenen vermittelnden Mediums bedarf“, das er, Erinnerungen an den alten Traum der Befreiung „vom naturwüchsigen Walten verselbständigter gesellschaftlicher Mächte“ zum schwachen Trost, „der gesellschaftlichen Kontrolle zu unterwerfen“ vorschlägt.[2]

Anmerkungen

              [1]   Soweit er sich dabei auf Marxens Argumentation beruft, verwechselt er u.a. die Bestimmung des Werts durch die für die Herstellung einer Ware durchschnittlich notwendige Arbeitszeit mit der Tatsache (die Marx im Auge hat, wenn er davon spricht, daß „Prinzip und Praxis sich in den Haaren liegen“), daß diese „Durchschnittsbildung“ unter der Bedingung von Warenproduktion nicht von den Produzenten bewußt vollzogen wird, sondern als nachträgliche, gewaltsame Korrektur der unter ganz anderen Gesichtspunkten sich abspielenden Preisbildung zur Geltung kommt; daß also Wert und Preis nur im Durchschnitt zusammenfallen, für den Einzelfall aber höchstens zufällig, in der Regel dagegen auseinandergehen. Vgl. a.a.O. S. 152 die verwaschene Rede vom „Wert der Produkte als Durchschnittsbestimmung“, worin diese Unterscheidung zur Unkenntlichkeit verrührt ist. Das ist überhaupt ein Charakteristikum des ganzen Brentelschen Textes, das sich in diesen Passagen besonders unangenehm bemerkbar macht, daß er die sehr präzise und wohlerwogene Marxsche Terminologie und Ausdrucksweise in die seiner Zunft vertraute, mit recht so berüchtigte Soziologendiktion verdolmetscht, in der es halt üblich ist, schwierige Zusammenhänge (oder solche, die „schwierig“ aussehen, als exklusiv dem Wissenschaftler zugängliche Materie gelten sollen) in undurchsichtigen Wort- und Satzgebilden auszudrücken oder vielmehr zu vergeheimnissen (denen dann zur Not alle Semantik und Grammatik geopfert wird). Aus der Marxschen Darstellung wird auf die Weise ein „Verdeutlichungsverfahren, das zugestandenermaßen zu manchen Irrtümern Anlaß geben kann“ (147); ein (dito von Brentel auch noch „didaktisch“ genannter) Humbug, zu dem nun aber Marx mit Sicherheit keinerlei „Anlaß“ gegeben hat. Ich kann mir im Übrigen nicht vorstellen, daß jemand Licht in die Diskussion der Marxschen Werttheorie bringen kann, dem nicht einmal der Unsinn solcher Ausdrücke wie „gleichwertige Arbeit“ oder „Arbeitszeit als gleichwertiger“ (150) auffällt. So gesehen, scheint mir der „Status“ einer „Arbeitszeit- als Arbeitswertrechnung“ (151), die Brentel Engels andichtet (150; der soll so etwas als Grundlage „einer Gesellschaft einfacher Warenproduzenten“ für „möglich“ und diese für Kommunismus gehalten haben) der zu sein, nicht nur „keinen realen Gehalt“ zu haben, sondern auch keinen „logischen“, wie Brentel das glaubt, und schon gar nichts zur „Erläuterung gesellschaftlicher Arbeit ... unter kapitalistischen Bedingungen“ (151) beizutragen.

              [2]   Alle Zitate aus Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert; Hamburg 1991, S. 254f. Von solcher Höhe der Reflexion ist die Krisis noch etwas entfernt. Es wird sicher noch ein Weilchen brauchen, bis ihr dämmert, daß das „direkte“ Hauen und Stechen „um die Gestaltung des gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhangs“ (Krisis 18, S. 89), für das sie jetzt so unschuldig schwärmt, zum Zwecke seiner Moderation doch besser „den Zwangsgesetzen einer ‚zweiten Natur‘“ (dito), in irgend einer – natürlich  „kritisch“ angehübschten – Form, zu unterwerfen sei. Das einleitende Stichwort zu solcher Karriere ist aber immerhin schon gefallen: Dem KBW hat seinerzeit auch die Entdeckung der „Kommune“ als Zauberwort für den Eintritt in menschenfreundlichere Zeiten am Ende den Weg zu den Grünen gebahnt.

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Über „monetäre Werttheorie“ und Sozialismus 

Insofern ist abstrakte Arbeit eine spezifisch gesellschaftliche Bestimmung der Arbeit, die erst durch den Tausch zustande kommt. (...)

Im Rahmen der monetären Werttheorie war gerade klar geworden, daß die einzelnen konkreten Arbeiten nicht unmittelbar vergleichbar sind,
[1] daß ihre Gleichheit als abstrakte Arbeit eine gesellschaftliche Eigenschaft ist, die nicht einfach vorhanden ist, sondern erst hergestellt werden muß. In einer auf Warenproduktion beruhenden Produktionsweise wird diese Gleichheit auf dem Markt vermittels des Geldes hergestellt.[2] (...)

Ausgehend von der monetären Werttheorie kann man zwar die Möglichkeit einer vollständigen gesellschaftlichen Planung nicht von vorneherein ausschließen, es wird aber deutlich, wie ungeheuer die Koordinations und Anpassungsleistungen sind, die dann in kürzester Zeit vollzogen werden müssen. Geht man dagegen von einer nicht-monetären Werttheorie aus, so werden aufgrund der simplifizierenden Vorstellungen über den Markt auch die Probleme dieser Koordination ausgeblendet.

(...) Die monetäre Werttheorie legt eher eine genossenschaftliche Produktion nahe, deren gesamtgesellschaftliche Koordination nicht durch eine (sowohl allwissende als auch zeitlos reagierende) Zentrale hergestellt werden kann, sondern die eines eigenen vermittelnden Mediums bedarf.

Besonders von Engels wurde geltend gemacht, daß die Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft und die Planung der Produktion nicht bloß den Übergang zu einer der Produktivkraftentwicklung adäquateren Produktionsweise darstellt, sondern daß es sich dabei um einen entscheidenden Einschnitt in der Menschheitsgeschichte handelt: die Menschen befreien sich vom naturwüchsigen Walten verselbständigter gesellschaftlicher Mächte, sie machen ihre Geschichte erstmals mit Bewußtsein und treten damit endgültig aus dem Tierreich heraus (MEGA I.27 / 446; MEW 20/ 264). Diese Vorstellung von der Befreiung von einem gegenüber den Einzelnen übermächtig gewordenen gesellschaftlichen Zusammenhang hat auch wesentlich zur Faszination beigetragen, die von der Idee einer Abschaffung der Warenproduktion ausging. Es wäre allerdings zu erwägen, ob die Befreiung vom blinden Wirken der verselbständigten Vermittlung unbedingt die Abschaffung der vermittelnden Instanzen erfordert (indem es nur noch eine bewußt planende Zentrale gibt) oder ob es nicht möglich und vielleicht auch aussichtsreicher ist, das vermittelnde Medium selbst der gesellschaftlichen Kontrolle zu unterwerfen.

(Aus Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition. Hamburg: VSA, 1991, S. 167, 254f)

Anmerkungen

[1] Nicht nur weil es sich um heterogene Arbeit handelt, sondern weil auch Produktion und gesellschaftliches Bedürfnis erst auf dem Markt verglichen werden können.

[2] Die Neoklassik stellt zwar gerne die Anpassungsleistungen des Marktes heraus, wie diese Anpassung aber tatsächlich erfolgt, das ist ihr nicht bekannt. Sofern der Prozeß überhaupt thematisiert wird, geschieht es mit unzulässigen Abstraktionen wie dem Walrasschen Auktionator oder unendlich schnellen Preisanpassungen. Unzulässig sind diese Abstraktionen deshalb, weil sie von wesentlichen Momenten des Gegenstandes abstrahieren: Märkte zeichnen sich gerade dadurch aus, daß die Handlungen nicht koordiniert werden (was im Auktionatormodell unterstellt wird) und daß Veränderungen in der realen Zeit stattfinden.

Editorische Anmerkungen:

Da wir wussten, dass sich Daniel Dockerill kritisch mit Michael Heinrichs Werttheorie auseinandergesetzt hatte, baten wir ihn um Zusendung seiner Skripte, woraus wir auszugsweise zitieren.

Der Autor arbeitet in der Gruppe "übergänge zum Kommunismus" mit.