Betrieb & Gewerkschaft
bericht vom 9. ein-euro-spaziergang in berlin

von arbeitslose sozialschmarotzer
06/05

trend
onlinezeitung

vor sechs monaten zogen wir das erste mal los zu einsatzstellen von ein-euro-jobberinnen, um etwas über deren situation rauszufinden und mit ihnen über ausbeutungsmechanismen, widerstand am arbeitsplatz oder die uns aufgezwungenen arbeits- und lebensbedingungen zu diskutieren. wir hatten gehofft, eine explosive mischung von leuten anzutreffen, leute die bock haben, was zu "rocken". das hat sich bisher nicht wirklich erfüllt. zwar wird viel geschimpft und sogar grundlegende kritik am system geäussert- darüberhinaus passierte jedoch so gut wie nix.  wir spazieren weiter und spannend isses nach wie vor.



SPAZIERGANG No. 9, Mai 2005

Mit sieben, teils neuen Leuten waren wir diesmal unterwegs in Kreuzberg.
Zunächst schauten wir in dem Schulungscenter eines recht grossen Berliner Beschäftigungsträgers vorbei. Auf unserem 4. Spaziergang im Februar waren wir schoneinmal dort und sind damals auf Ein-Euro-Pflegekräfte getroffen, die einen sechswöchigen Pflegegrundkurs absolvierten. Im Vergleich zu vielen anderen Ein-Euro-Jobberinnen deren Qualifizierungsmassnahmen sich, wenn überhaupt, auf Teamsitzungen, Bewerbungstrainings und Einführungen in Arbeitsschutzmassnahmen beschränken, ist der Umfang des Pflegekurses auffallend gross und entspricht der Qualifikation einer Pflegehilfskraft, die auf dem 1. Arbeitsmarkt angestellt ist. Die Vermutung liegt nahe, dass Festangestellte in diesem Bereich durch gleichwertig qualifizierte Ein-Euro-Jobberinnen ersetzt werden.

Diesmal trafen wir in den Schulungsräumen auf einen Kurs Ein-Euro-Jobberinnen, die im Umgang mit Textverarbeitung an Computern qualifiziert wurden. Wir gingen etwas unschlüssig in den noch laufenden Unterricht rein, erklärten kurz wer wir sind und das wir mit der „Klasse“ gerne über ihre Jobs diskutieren würden. Von den Jobberinnen selber kam keine Reaktion, ausser von ein oder zwei, die von ihren Rechnern zu uns rüber schauten. Die Lehrerin bat uns dann noch fünf Minuten bis Unterrichtsende zu warten, was wir dann auch etwas frustriert taten. Aber selbst dann gab es von seiten der Jobberinnen kaum Interesse an uns. Zwei, drei recht kurze Gespräche kamen zwar zustande, aber auch erst auf hartnäckiges Fragen unsererseits.

Einsatzorte der Leute dort waren Hausmeisterstellen in Allgemeinbildenden und Volkshoch-Schulen, Pädagogische Betreuung im evangelischen Kindergarten und einem Obdachlosenheim. Alle üben ihre Jobs „freiwillig“ aus, sind froh über das bisschen mehr Geld am Monatsende und über die halbwegs sinnvollen Tätigkeiten. Ansonsten kamen die üblichen Kritikpunkte, die wir aus so vielen anderen Gesprächen schon kennen: die fehlende Hoffnung auf den ersten Arbeitsmarkt zu gelangen, Frust über die Perspektivlosigkeit der Gesamtsituation, aber sich irgendwie, so gut es geht, in dieser Scheissituation einrichten.
Eine Frau erzählte uns, dass sie sich mit einigen anderen Frauen einmal zusammengesetzt hat, um zu überlegen, was sie gegen die Situation, in der sie stecken, tun können. Und sind auf das Ergebnis gekommen, dass sie aufgrund der drohenden Gefahr einer Kürzung des Arbeitslosengeldes, eigentlich nix tun können oder wollen.

Der Ablauf dieser Gespräche in denen uns viele Sachen berichtet wurden, die wir in ähnlichen Versionen bereits von vielen anderen Jobberinnen kannten und das eher mangelhafte Interesse mit uns zu reden, löste bei uns zunächst die Frage aus, wie wir bei der nächsten Station auftreten und ob wir die Gespräche, so wie wir sie bisher angegangen sind, weiterhin führen wollen. Einig waren wir uns darüber, wieder wesentlich offensiver aufzutreten und in den Gesprächen noch mehr über Ausbeutungsmechanismen, Widerstand am Arbeitsplatz und die uns aufgezwungenen Arbeits- und Lebensbedingungen zu diskutieren und weniger deren Arbeits- und Lebensumstände abzufragen.

Die nächste Station war ein recht grosser Gebäudekomplex des gleichen Trägers, in dem ungefähr 60 Ein-Euro-Jobberinnen und ABM-Kräfte in einer Schlosserei, Metall- und Holzwerkstatt, Kleiderkammer und einer Kantine mit Küchenbereich eingesetzt sind. Ein Teil der Leute sind jung, meistens ohne Ausbildung, andere haben ne Ausbildung und teils langjährige Berufserfahrung, so z.B. in der Holzwerkstatt, in der 4 von 6 Leuten ausgebildete Tischler sind.

Einer der Jobber in der Metallwerkstatt erzählte, dass der Träger Geldprobleme hat und deswegen ziemlich viele Leute einstellt, die aber aufgrund der fehlenden Arbeitsaufträge nicht wirklich was zu tun haben.

Die meisten scheinen in Ruhe gelassen zu werden und waren über das Arbeitsklima und das was sie dort tun zufrieden. Deswegen würden sich die Leute in dieser Einrichtung auch nicht beschweren oder wehren, schätzte ein Tischler die Situation ein. Vor kurzen hat der Oberchef gewechselt und seither werden die Arbeiterinnen nicht mehr so kontrolliert.
Die Werkstätten werden angeleitet von jeweils einem „Chef“, der auch auf ABM arbeitet. Der Küchenchef z.B. hat langjährige Berufserfahrung und drei abgeschlossene Ausbildungen.

In der Metallwerkstatt arbeiten zur Zeit 13 Leute in einer ABM: 1 Projektleiter, 4-5 Fachkräfte (alle gelernte Metaller) und 5-6 „Helfer“. Mitte Juni läuft deren Massnahme aus und wird vermutlich von Ein-Euro-Jobberinnen ersetzt.

Angetroffen haben wir jedoch nur ein paar Leute, die anderen hatten Urlaub oder sind im Praktikum (ABMlerinnen müssen während fünf Wochen einen Tag jeweils in einem Betrieb auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten). In der Regel stellen sie behindertengerechte Sachen her: Kerzenständer für Kitas, Rampen, Rollies reparieren- selber bauen dürfen sie die nicht, weil sie kein Patent haben. Auch vom Träger selber bekommen sie Aufträge, meistens Renovierungsarbeiten wie Treppenhaus und Geländer streichen.

Einer der Tischler aus der Holzwerkstatt schliesst nicht aus, dass einige der Sachen auch verkauft werden. Denn schliesslich sind das Sachen, die in einer recht gut ausgestatteten Werkstatt von qualifizierten Leuten gebaut werden. Für gleichwertige Produkte, die in gewerblichen Tischlerbetrieben hergestellt werden, zahlt man Unmengen an Geld.
Ansonsten wird viel rumgesessen oder die Leute bauen und basteln Sachen für sich selber.

Der Projektleiter versucht Aufträge an Land zu ziehen, indem er Schulen und Kindergärten abklappert und dort nachfragt ob die irgendetwas brauchen. Die Aufträge werden jedoch immer weniger. Die Konkurrenz durch andere Beschäftigungsträger steigt.
Qualifiziert wird nicht.

Zwei der dort beschäftigten Frauen, so um die 50, erzählten, dass sie früher in der Fabrik gearbeitet haben- die eine bei Bahlsen, die anderen 27 Jahre lang bei Telefunken. Beide sind krank geworden, bei einer grösseren Entlassungswelle dann gekündigt worden. Sie sind als schwerbehindert eingestuft. „Da hast du dein Leben lang gearbeitet und dann braucht dich keiner mehr. Machen wir halt diese ABM.“ Sie hoffen auf Verlängerung, „eins-fuffziger“ wäre das letzte, da bekommt man ja keinen Urlaub und auch keine Krankengeld und der Lohn ist der reine Hohn.

Auch in anderen Gesprächen in den Werkstätten haben sich ABMlerinnen gegenüber Ein-Euro-Jobberinnen als privilegiert beschrieben, man verdiene ja mehr, oder sogar janz jut und das mit Urlaubs- und Krankengeld sei auch n grosser Vorteil. Der „Chef“ der Tischlerei, auch ABM, erzählt, dass er auf 1150 brutto und ca. 850 netto kommt (Ein-Euro-Jobberinnen je nach Mietehöhe auf 750 bis 850€).

Eine Ein-Euro-Jobberin aus einer anderen Einrichtung meinte, dass sie noch nie im Leben so viel Geld bekommen hat, wie jetzt mit ALG II und dem Ein-Euro-Job. Sie ist alleinerziehende Mutter und hat bisher als Kellnerein gearbeitet, was sie aufgrund eines Unfalls jetzt nicht mehr kann.

In der Kantine gabs auffällig junge und viele Leute. Im Vergleich schienen die Werkstatträume eher spärlich besetzt zu sein und vorwiegend mit Leuten so um die 40. Einer der Kochgehilfen meinte, er fände es gut hier, braucht kaum was zu machen, gibt keinen Stress. Er macht lieber Massnahmen, wo er in Ruhe gelassen wird, als in nem richtigen Job im Restaurantbetrieb zu arbeiten. Da hetzen sie einen, man hat am Ende Rückenprobleme und ist völlig alle. Die Leute dort haben auch interessiert nachgefragt, was wir machen und uns Tipps gegeben („mit ALG I würde ich auch lieber zu Hause bleiben...).

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 27.05.2005 bei INDYMEDIA
Kontakt:  eineurojob@gmx.net