Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe

von
Max Beer
06/05

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X. FRANKREICH (1830—1848). Zur Kapitelübersicht

1.  Das  Bürgerkönigtum.

Die wachsende Opposition gegen die feudal-kleri­kale Regierung seit 1827 veranlaßte König Karl X., zu Unterdrückungsmaßregeln zu greifen. Am 25. Juli 1830 unterzeichnete er drei Ordonnanzen, die die Pressefreiheit aufhoben, das Wahlgesetz noch ver­schlechterten und die letzten oppositionellen Wahlen für ungültig erklärten^ Diese drei Verfügungen waren die letzten Nägel in den Sarg der Bourbonen. Die Opposition rief die Arbeiter auf die Barrikaden und in den „glorreichen drei Tagen" (27. bis 29. Juli) war Karl X. gestürzt. Aber die Republik, für die die Pa­riser Arbeiter geblutet hatten, kam nicht, sondern das orleanistische Bürgerkönigtum in der Person Ludwig Philipps (1830—1848) und in der Regierung der Finanz. „Nach der Julirevolution", erzählt Marx(1), „als der liberale Bankier Lafitte seinen Kompere (Spießgesellen), den Herzog von Orleans, im Triumph nach dem Hotel de Ville (Stadthause) begleitete, ließ er das Wort fallen: ,Von nun an werden die Bankiers herrschen.' Lafitte hatte das Geheimnis der Revolu­tion verraten. Nicht die französische Bourgeoisie herrschte unter Ludwig Philipp, sondern eine Frak­tion (Bruchteil) derselben: Bankiers, Börsenkönige, Eisenbahnkönige, Besitzer von Kohlen- und Eisen­bergwerken und Waldungen, ein Teil des mit ihnen rallierten (vereinigten) Grundeigentums — die soge­nannte Finanzaristokratie... Die eigentliche indu­strielle Bourgeoisie bildete einen Teil der offiziellen Opposition, das heißt sie war in den Kammern nur als Minderheit vertreten." In der Regierungszeit des Bürgerkönigs wurde die durch die Napoleonischen Kriege und die bourbonische Restauration verlang­samte wirtschaftliche Umwälzung wieder lebhaft auf­genommen und die Produktions- und Verkehrsmittel kapitalistisch entfaltet. Verglichen mit den Resultaten der englischen waren zwar die französischen indu­striellen Fortschritte nicht imponierend, aber das so­zialökonomische Denken und die Arbeiterbewegung wurden doch durch sie stark beeinflußt. Ausdrucks­voll ist das Motto Pecqueurs, des bedeutendsten So­zialökonomen jener Zeit, das er auf das Titelblatt seiner „Economie sociale" (Paris 1839) setzte: „La vapeur est, á elle seule, une revolution memorable" (schon der Dampf allein ist eine denkwürdige Revolution). Der Bau von Eisenbahnen sowie von Dampfern und sonstigen Seefahrzeugen, das Steigen der Kohlen- und Eisenproduktion, das Aufblühen des Innen- und Außenhandels, die sehr erhebliche Zunahme von Aktiengesellschaften, der Drang nach Kolonien waren deutliche Anzeichen des Fortschreitens der indu­striellen Revolution.

Für die Arbeiter und die Kleingewerbetreibenden hatte diese Umwälzung vorläufig nur Nachteile. Po­litisch rechtlos, ökonomisch hilflos, und mit einem Staate in den Händen einer Finanzaristokratie, die die Nation ausbeutete und jeden Rebellionsversuch blutig niederschlug, waren die Massen dem Elend preisgegeben. Lange Arbeitszeit, miserable Löhne, hohe indirekte Steuern sowie politische Unzufrieden­heit, die noch durch den oppositionellen Teil der In­tellektuellen und des Kleinbürgertums genährt wurde, machten die arbeitende Bevölkerung der großen Städte und der Industriezentren für insurrektionelle Pläne und sozialistische Gedanken empfänglich.

Von 1830 bis 1839 sahen die verschiedenen Städte Frankreichs eine ganze Anzahl republikanischer und so­zialistischer Aufstände und Verschwörungen, und von 1837 bis 1848 wurde Frankreich in wachsendem Maße zum fruchtbaren Boden der verschiedensten sozialisti­schen Ideen und Vorschläge. Novellisten und Ro­mandichter, Theologen und Juristen wetteiferten mit­einander, die Unhaltbarkeit des kapitalistischen Sy­stems zu beweisen und die bestehende Ordnung zu verurteilen — so klagt Jean Reybaud im Jahre 1843 (im ersten Kapitel seinen „Etudes sur les re"forma-teurs", II, Paris 1843). -Das war das Jahr der An­kunft von Karl Marx in Paris.

2. Klassenteilung in Bourgeoisie und Volk.

Das soziale Ergebnis dieser wirtschaftlichen Ent­wicklung war die Trennung der Gesellschaft in zwei Klassen, die allgemein als Bourgeoisie und Volk bekannt wurden. Louis Blanc in seiner „Histoire de dix ans" (1830—1840), erschienen 1841, sagt: „Unter Bourgeoisie verstehe ich die Gesamtheit der Bürger, die die Produktionsinstrumente oder Kapital besitzt, die mit ihren eigenen Hilfsmitteln schafft und von anderen nicht abhängig ist. Das Volk (peuple) ist die Gesamtheit der Bürger, die kein Kapital besitzt und in ihrer Lebensexistenz vollständig von anderen ab­hängig sind" (Ausgabe 1846, Band I, S. 8). Diese Klassenteilung war so bekannt, daß in einer Pe­tition der Arbeiter an die Deputiertenkammer (3. Fe­bruar 1831) der Arbeiter Charles B6ranger erklärt: „... Es gibt wahrscheinlich nur wenige unter Ihnen, die nicht vom Volke sprechen hörten. Das Volk ist die Gesamtheit derjenigen, die arbeitet, die ihrer so­zialen Existenz beraubt ist, die nichts besitzt; Sie wissen, wen ich meine: das Proletariat" (Octave Festy, Mouvement Ouvrier, 1830—1834, Paris 1908, S. 82). Zu jener Zeit waren Volk und Proletariat gleichbedeu­tende Begriffe (vgl. bei Festy die Kritik Enfantins gegen die Julirevolution: „das Volk oder Proletariat focht auf den Barrikaden, aber nach dem Siege be­waffnete sich die Bourgeoisie gegen das Proletariat."

Wie wichtig für uns diese Feststellung ist, geht aus folgender Erwägung hervor. Waren damals Volk und Proletariat gleichbedeutende Begriffe, so bedeutete Volksherrschaft oder Demokratie tatsächlich prole­tarische Herrschaft, oder Herrschaft der Arbeiter­klasse, und nicht wie man heute Demokratie als Herr­schaft der ganzen Nation im Gegensatz zur Monarchie versteht. In den Jahren 1831—1848 bedeutete De­mokratie Volksherrschaft als Gegensatz zur Bour­geoisie.

Erst aus diesem historischen Milieu heraus ver­stehen wir die sonst unverständliche, weil scheinbar widerspruchsvolle Stelle im „Kommunistischen Mani­fest": „Der erste Schritt in der Arbeiter­revolution ist die Erhebung des Proleta­riats zur herrschenden Klasse, die Er-kämpfung der Demokratie." Demokratie im Sinne des Kommunistischen Manifests bedeutet dem­nach die Herrschaft der Arbeiterklasse.

Friedrich Engels ging noch weiter und sagte rund heraus: „Demokratie, das ist heutzutage der Kom­munismus ... Mit Ausnahme derjenigen Leute, die nicht zählen, sind im Jahre 1846 alle europäischen Demokraten mehr oder weniger klare Kommunisten" (Literarischer Nachlaß, Band II, S. 405).

Fahren wir nun in unserer Betrachtung der sozia­listischen Geschichte des Zeitabschnitts fort.

3. Geheime Verschwörungen und Putsche.

Es wurde bereits oben erwähnt, daß noch unter der Restauration, insbesondere seit 1821, teils liberale, teils demokratische Bewegungen entstanden, die ge­heime Organisationen bildeten und zum Zwecke hat­ten, die Bourbonen zu stürzen und die Souveränität der Nation wiederherzustellen. Das Muster dieser Or­ganisationen war die der Carbonari: eine italienische Verschwörung gegen die Fremdherrscher. Die Tak­tik der Carbonari war der bewaffnete Putsch; jeder Carbonaro hatte die Pflicht, eine saubere Flinte und 50 Patronen stets bereit zu halten, auf ein gegebenes Signal sich zu versammeln und sich den Befehlen der Führer unterzuordnen. Eine Anzahl Pariser Stu­denten unter Leitung von Bazard und Buchez schloß sich zur geheimen Organisation der „Amis de la V6rit£" (Wahrheitsfreunde) zusammen, um demokra­tische Zustände herbeizuführen. Bei der Aufnahme in den Bund wurde folgender Schwur geleistet: „Ich schwöre, meine sämtlichen Kräfte einzusetzen, um die Grundsätze der Freiheit, der Gleichheit, des Hasses gegen die Tyrannei zum Siege zu bringen. Ich ver­spreche, die Liebe zur Gleichheit überallhin zu ver­breiten, wo mein Einfluß reicht." Bazard und Buchez waren damals Studenten der Medizin und sie waren unter der jungen Generation auch die ersten, die sich sozialistischen Ideen zuwandten. Bazard war, wie wir früher sahen, der beste Erklärer des Saint-Simonismus. Die französischen Carbonari traten auch mit Buonarotti in Verbindung, der von Brüssel aus die Ideen der babeufistischen Verschwörung unter ihnen verbreitete. Louis August Blanqui schloß sich dieser Bewegung um das Jahr 1825 an. Im großen ganzen jedoch trugen diese Bewegungen teils einen bürgerlich-liberalen, teils einen demokratisch-republi­kanischen Charakter. Nach der Julirevolution (1830) schwenkten die bürgerlich-liberalen Elemente ab, und an deren Stelle trat das arbeitende Volk von Paris und einigen gewerblichen Mittelpunkten des Landes und wirkte zusammen mit den demokratisch-repu­blikanischen Elementen in deren geheimen Verbin­dungen, wobei jedoch das proletarisch-kommunistische Element, der energischste Teil der Arbeiterklasse, unter Leitung Blanquis den Vortrupp bildete.

Vom August 1830 bis Mai 1839 finden wir in Frankreich nacheinander vier große geheime Or­ganisationen: Amis du peuple (Volksfreunde), Droits de l'homme (Menschenrechte), Societe des familles (Ver­einigung der Familien) und Societe des saisons (Ver­einigung der Jahreszeiten). Nach dem Jahre 1839 gab es noch kleinere geheime Organisationen, die sich Nouvelles saisons (neue Jahreszeiten) nannten, aber keine erhebliche Rolle spielten, da ihnen Buo-narotti und Blanqui fehlten: ersterer war tot; letz­terer saß 1839—1848 im Gefängnis. Die meisten leitenden Persönlichkeiten dieser Geheimorganisa-tionen: Flocon, Raspail, Marrast, Blanqui, Barbes, Caussidiere usw. treffen wir dann als Häupter der Februarrevolution (1848) teils als bürgerliche Re­publikaner, teils als Sozialisten und Kommunisten.

Das Fortschreiten von bürgerlich-demokratischen Ideen zu proletarisch-kommunistischen Agitationen vollzog sich schrittweise, und es wurde gefördert durch den Einfluß Buonarottis sowie durch die ele­mentaren Aufstände der Lyoner Weber 1831 und 1834, die teils durch Hungerlöhne, teils durch repu­blikanisch-sozialistische Ideen hervorgerufen und von der bürgerlichen Regierung durch den liberalen Staatsmann Thiers blutig niedergeschlagen wurden — durch denselben Thiers, der die Schlächterei der Kommunards 1871 inszenierte. Die „Amis du peuple" und die „Droits de l'homme" waren noch überwie­gend bürgerlich-demokratisch oder republikanisch-sozialreformerisch; die „Familles" und die „Saisons" hingegen proletarisch-kommunistisch. In den beiden letzteren Vereinigungen lernten die deutschen Kom­munisten Weitling, Schapper, Bauer und andere Mit­glieder des Londoner deutschen Arbeiterbildungs­vereins, der später den Kern des Kommunistenbundes bildete, den revolutionären Kommunismus kennen. In den oben genannten französischen geheimen Ver­einigungen war die Bekanntschaft mit Buonarotti und dessen Buch von sehr starkem Einfluß. Und in ihnen fand auch die Idee der revolutionären Diktatur ihre Ausbildung. Von hier übernahmen sie Weitling und der Kommunistenbund.

Bei der Mitgliederaufnahme in die „Vereinigung der Familien" wurden u. a. folgende Fragen an den Kandidaten gestellt und von ihm folgendermaßen beantwortet:

„Was denkst du von der Regierung?" — „Die Re­gierung funktioniert im Interesse einer kleinen An­zahl von Bevorrechteten." — „Wer sind heutzutage die Aristokraten?" — „Die Geldleute, die Bankiers, die Valutaspekulanten, die Monopolisten, die Groß­grundbesitzer, — kurz, die Ausbeuter." — „Auf Grund welchen Rechts besteht die Regierung?" — „Auf dem der Gewalt." — „Was ist das herrschende Laster der Gesellschaft?" — „Die Selbstsucht, das Jagen nach Geld, das die Stelle aller Tugenden ein­nimmt; die Achtung vor dem Reichtum, die Ver­achtung und die Verfolgung der Besitzlosen." — „Was ist das Volk?" — „Die Gesamtheit der Arbeiter; ihre Lage ist die der Sklaven; das Schicksal des Pro­letariats ist nicht verschieden von dem der Hörigen oder der Schwarzen." — „Was soll die Grundlage der Gesellschaft sein?" — „Die soziale Gleichheit; die Rechte des Bürgers sind: gesicherte Existenz, unentgeltlicher Unterricht, Teilnahme an der Re­gierung; die Pflichten des Bürgers sind: Hingabe an die Gesellschaft, Brüderlichkeit gegenüber seinen Mitbürgern." — „Soll die nächste Revolution eine politische oder eine soziale sein?" — „Eine soziale." — „Könnte das Volk sich selber regieren nach sei­nem Siege in der Revolution?" — „Da die Gesell­schaft moralisch zu krank ist, um sofort gesunde Verhältnisse einführen zu können, so sind heroische Mit­tel nötig. Für einige Zeit muß das Volk eine revo­lutionäre Regierung haben"(2).

Eine revolutionäre Regierung bedeutete damals eine kommunistische Diktatur.

Einen noch ausgesprocheneren proletarisch-kom­munistischen Charakter hatte die „Vereinigung der Jahreszeiten". Ihr Aufstandsversuch vom Mai 1839, an dem auch deutsche Mitglieder (Weitling, Schap-per) beteiligt waren, endete mit einem Mißerfolg. Seine Anführer Blanqui und Barbes wurden ver­haftet und zum Tode verurteilt, jedoch zu lebensläng­licher Gefängnisstrafe begnadigt. Marx, der diese Organisation und ihre Tätigkeit kannte, sagt hier­über:

„Es ist bekannt, wie bis 1830 die liberalen Bour­geois an der Spitze der Verschwörungen gegen die Restauration standen. Nach der Julirevolution trat die republikanische Bourgeoisie an ihre Stelle. Das Proletariat, schon unter der Restauration zum Kon­spirieren (zu Verschwörungen) erzogen, trat in dem Maße in den Vordergrund, als die republikanischen Bourgeois durch die vergeblichen Straßenkämpfe von den Verschwörungen zurückgeschreckt wurden. Die Societe des saisons, mit der Barbes und Blanqui die Erneute von 1839 machten, war schon ausschließlich proletarisch..." Im großen ganzen meint Marx, „daß in der modernen Revolution auch dieser Teil des Proletariats nicht mehr hinreicht, und dß allein das gesamte Proletariat sie durchführen kann"(3).

 

4. August Blanqui.

 

Die hervorragendste Gestalt dieser Zeit ist August Blanqui. Scharfer Verstand, großes Wissen, messer­scharfe, phrasenlose Beredsamkeit, absolute Furcht­losigkeit, unbegrenzte Hingabe an die Sache des Proletariats, für die er die besten Jahre seines Lebens in Gefängnissen und im Exil verbrachte und von Polizei und Gendarmerie körperlich mißhandelt wurde, machen Blanqui zu einer Gestalt von heldenhafter Größe. Er wurde 1805 in Puget-Ternier geboren; sein Vater war Unterpräfekt; sein Bruder der be­rühmte Nationalökonom Adolf Blanqui. Nach Ab­solvierung des Gymnasiums bezog er die Universität in Paris, studierte gleichzeitig Medizin und Jura, schloß sich jedoch den geheimen politisch-revolutio­nären Verbindungen von Bazard und Buchez an und machte 1827 seinen ersten Straßenkampf mit, wobei er verwundet und verhaftet wurde. Ende 1829 trat er in die Redaktion des linksliberalen, später Saint-Simonistischen „Globe" ein; 1830 beteiligte er sich auf den Barrikaden an der Julirevolution; enttäuscht über ihr Ergebnis, schloß er sich den Amis du peuple an, wurde in deren Prozeß 1832 verwickelt, bei welcher Gelegenheit er den Richtern erklärte: „Es handelt sich hier um einen Kampf zwischen den Reichen und Armen, wobei jene die Angreifer sind; die Bevorrechteten mästen sich vom Schweiße der Armen; das Parlament ist nur eine Maschine, die 25 Millionen Bauern und 5 Millionen Arbeiter in ihr Räderwerk hineinzieht, ihnen das Blut auspreßt, um es in die Adern der Reichen einzuführen. Die Steuern sind eine Beraubung der arbeitenden Klassen durch die Müßiggänger." (De la Hodde, S. 65.) Er wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. In den Droils de l'homme bildete er den linken Flügel. In der Societe des familles war er Leiter, wurde verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. 1837 durch die all­gemeine Amnestie in Freiheit gesetzt, leitete er die Saisons, machte am 12. Mai 1839 einen Aufstandsver-such, wurde gefangen und — wie bereits erwähnt — zum Tode verurteilt und zu lebenslänglicher Gefäng­nisstrafe begnadigt, von der ihn die Februarrevolu­tion 1848 befreite. In Paris angelangt, sprach er sich scharf gegen die damals gebildete „Vorläufige Koalitionsregierung" aus und verlangte eine rein so­zialistisch-revolutionäre Regierung, die einige Zeit diktatorisch regieren und durch geeignete Reformen — weltliche Schulen, unentgeltlichen Unterricht, Ge­nossenschaftswesen, Sozialpolitik — die Bevölkerung schrittweise für eine republikanisch-kommunistische Gesellschaft vorbereiten sollte. „Denn der Kommu­nismus kann nicht durch Dekret eingeführt, sondern nur durch jahrelange Erziehung und Schulung schritt­weise verwirklicht werden." Die Revolution an sich ändere weder die Menschen noch die Verhältnisse; sie biete nur Gelegenheit zu administrativen und wirt­schaftlichen Reformen. Beim Siege der Revolution sollten alle Richter und hohen Beamten sofort ent­lassen und durch Laiengerichte ersetzt werden; die mittleren und unteren Beamten seien auf Kündigung zu behalten. Eine „Dictature parisienne" müsse die Regierungsgeschäfte übernehmen, bis das Land für Demokratie, Republik und genossenschaftliche Wirt­schaft reif sei. Die Hauptsache bei einer Revolution sei die Ergreifung der politischen Gewalt und deren Anwendung im Interesse der kulturellen und sozial­wirtschaftlichen Reform. Die Revolutionäre sollten sich von allen Utopien fernhalten, denn die Utopisten sind meistens politische Reaktionäre (4). Freilich sieht auch Blanqui den Weg zur Revolution noch nicht in der Organisierung des Proletariats, sondern in der Erziehung eines Führertrupps, der durch seine Ent­schlossenheit das Proletariat beim ersten Ansturm mitreißen soll. Blanqui war ein Bewunderer von Marx, dessen „Misere de la philosophie" (gerichtet gegen Proudhon) er gerne las (5).

 

Wegen seiner Aktion gegen die scheinrepublika­nische Nationalversammlung (Mai 1848) wurde er zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. 1869 war er be­müht, die Unzufriedenheit gegen Napoleon III. zu schüren und für die republikanische Regierungsform zu wirken. Im Kriege 1870 blieb er vorerst in Paris, gab hier eine Zeitschrift „Patrie en danger" (Vater­land in Gefahr) heraus. Februar 1871 verließ er Paris, nachdem er in einer Broschüre die leitenden Männer der neuen Republik als Reaktionäre und Verräter gebrandmarkt hatte; er begab sich zu seiner Schwe­ster nach der Provinz, wo er von der Versailler Re­gierung verhaftet wurde, so daß er an der Pariser Kommune nicht teilnehmen konnte, obwohl letztere den Versaillern anbot, ihn gegen eine Anzahl von Geiseln auszutauschen. Die Versailler wußten, wie Marx im „Bürgerkrieg" sagt, daß sie hierdurch der Kommune einen Kopf geben würden. Nur mit knap­per Not entging Blanqui dann einem Todesurteil vor einem Kriegsgericht; er wurde verbannt, kehrte erst nach der allgemeinen Amnestie im Jahre 1879 nach Paris zurück, wo er die Zeitschrift „Ni dieu, ni maitre" (Weder einen Gott, noch einen Herrn) her­ausgab. Hochbetagt starb dieser gefesselte Prome­theide in Paris am i. Januar 1881.

 

5. Sozialisten und Sozialkritiker: Pecqueur, Proudhon, Gäbet, Leroux, Blanc.

 

Während die Elite des Proletariats revolutionär war und durch Ergreifung der politischen Macht zur Ver­wirklichung ihrer sozialökonomischen Ziele zu gelangen suchte, zeigt die sozialistische Gedankenwelt jener Zeit (1830—1840) einen durchaus friedlichen, evolutionären Charakter: das Proletariat hat in ihr keine aktive Rolle: es ist nur der Gegenstand des Bedauerns, des Mitleids und der Menschenliebe. Der französische Sozialismus jener Zeit ist entweder ethisch-religiös oder utopisch (plänemachend).

Proletariat und Sozialismus schienen nichts mit­einander zu tun zu haben. Auf der einen Seite stan­den Buonarotti- Blanqui als proletarisch-revolutionäre Kommunisten, auf der anderen Seite die ethisch-reli­giösen und utopischen Sozialisten und Sozialkritiker. Die meisten dieser Sozialisten und Sozialkritikerwaren sehr bedeutende und fruchtbare Schriftsteller, aber sie standen entweder unter dem Einfluß der Saint-Simonisten und Fourieristen oder sie waren im klein­bürgerlichen Empfindungs- und Vorstellungskreis be­fangen. Als Saint-Simonisten oder Fourieristen er­warteten sie den sozialen Fortschritt von der Ent­wicklung des Kapitalismus, von der Großherzigkeit der Kapitalisten und vorn Staate, oder aber sie such­ten den Bedrängnissen der Kleingewerbetreibenden durch Schaffung von billigem und unentgeltlichem Kredit und Ausschaltung der Händler und der Staats­bürokratie (Steuerwesens) gerecht zu werden.

 

Der bedeutendste Saint-Simonist nach Bazard war Konstantin Pecqueur (1801—1887); er ist auch der verhältnismäßig originellste unter den französischen Sozialisten jenes Zeitabschnitts. Sein bestes Werk ist „Economie sociale" (Paris 1839), das den Einfluß der Dampfmaschine auf Handel, Industrie, Land­wirtschaft und im allgemeinen auf die Zivilisation be­handelt. Das Werk, in zwei Bänden erschienen, war eine Preisschrift auf die Frage der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften über den kulturellen Einfluß des Dampfes, der Eisenbahnen und der Dampfschiffe. Pecqueur erhielt den Preis, obwohl die Akademie nicht mit seinen sozialistischen Schlußfolgerungen übereinstimmen konnte. Er ist über die Errungenschaften der modernen Technik ganz begeistert und sieht in ihnen das Mittel: i. den Reichtum zu erhöhen durch die Zusammenfassung der zersplitterten Einzelwirtschaften und Betriebe; 2. die Gleichheit und Brüderlichkeit zu fördern, da die modernen Verkehrsmittel und Fabriken die Men­schen aneinander näher bringen, sie zu gemeinsamen Arbeiten zwingen und sie auf gegenseitige Dienst­leistungen angewiesen sein lassen: „Mit einem Wort: die Assoziation und alle sozialen Wirkungen fließen hieraus" (Band I, S. 80). Die Dampfmaschine in der Fabrik und die Lokomotive auf den Handelswegen bringen Ordnung, Regelmäßigkeit und Zusammen­hang in die bisherige Anarchie, Verwirrung und Zu-sammenhanglosigkeit. Watt und Stephenson haben die Zersplitterung und Atomisierung beseitigt und gemeinsame Arbeiten und Dienste geschaffen (I, 8.64—65, 95), so daß die allgemeine Tendenz unseres Zeitalters die Assoziation ist (I, S. 8iff.): die Zentralisation durch das Verschwinden der Kleinbetriebe, der Kleinhäuser und der Einzel­geschäfte und durch die Gründung von Aktiengesell­schaften; im Jahre 1838 wurden an der Pariser Börse Industriepapiere von 860 derartigen heimischen Ge­sellschaften notiert (I, S. 88). „Die Vereinigung einer großen Zahl von Arbeitern unter ein und demselben Dache ist die notwendige Folge von Kapitalien und der Zusammenfassung verschiedener Zweige ver­wandter Industrien und des entsprechenden Ver-schwindens der kleinen Ateliers und kleinen Industriezentren ... Alle Einflüsse der Vereinsamung und des  privaten  Lebens  der  Individuen  weichen  den Einflüssen   des   öffentlichen  Lebens ...   In  dieser neuen Art der Produktion verbirgt sich eine indu­strielle,   moralische   und   politische   Revolution   (I, S. 63). Das Wahre und Gute an der Volkswirtschaft ist   die  schrittweise   Sozialisierung   der   Reichtums- s quellen, der Arbeitsinstrumente, der Bedingungen der "allgemeinen Wohlfahrt" (Einleitung, Band I, S. VII). Alles in Vergangenheit und Gegenwart scheint auf die Sozialisierung der Arbeitsinstrumente hinzustre­ben, das heißt auf die Entziehung des Grund und Bodens und der Rohstoffe von der Herrschaft ein­zelner und auf ihre langsame Umwandlung in Ge­meineigentum, das unteilbar, unveräußerlich, sozial und kollektiv sein soll: „Wir bewegen uns zu diesem Zustande langsam, indirekt, auf dem gewundenen und unbekannten Wege der unabänderlichen Notwendig­keit,  der Macht der  Umstände; wir bewegen uns dorthin durch die  Religion,  die Politik, die prak­tische  Volkswirtschaft,   die  Änderungen  des   indu­striellen Mechanismus; und wir werden durch alle diese Wege gelangen zu Einrichtungen, die die So­zialisierung organisieren werden, die sie zu einem so­zialen Gesetz, zum obersten Grundgesetz der künf­tigen   ökonomischen   Verfassung   formulieren   und dekretieren werden"  (II, S. 12—13). Aber der Pro­zeß   der   Sozialisierung   hängt   in   letzter   Instanz nicht   von   materiellen   Kräften,   sondern   von   der moralischen Wiedergeburt des Menschen ab, durch die    er    imstande    sein   wird,   das   Eigeninteresse durch  die   Hingabe an  das  allgemeine  Wohl   zu ersetzen.

 

Das Motiv zur Arbeit soll nicht der Selbst­nutzen sein, sondern das Gemeinwohl. — Pecqueur war auch ein eifriger Verteidiger des Völkerfriedens und  der  internationalen  Schiedsgerichte.   Er  hatte ganz die Psyche der optimistischen Freihändler, nur machte ihn seine Bekanntschaft mit dem Saint-Simo-nismus und Fourierismus zum Sozialisten. Aus seinen Werken leuchtet ein liebenswürdiger, humaner und fein kultivierter Geist hervor. Das Ideal Pecqueurs war eine sozialistisch-ethische Gesellschaftsordnung: „eine Republik Gottes".

 

Viel lärmender und geschäftiger, aber keineswegs so lehrreich und großzügig war das Wirken seines Zeitgenossen P. J. Proudhon. Dieser wurde 1809 in Besannen, der Heimatstadt Fouriers, geboren. Ob­wohl von armen Eltern geboren, genoß er doch eine gute Schulbildung: er besuchte das Gymnasium bis zu seinem 19. Lebensjahre, wenn auch nicht sehr regelmäßig. Er war also kein Autodidakt, wie ich in meinem „Karl Marx" irrtümlicherweise annahm. Erst im 20. Lebensjahre lernte er die Buchdruckerkunst, wurde Korrektor und begann zu Schriftstellern, vorerst als Philologe, dann als Sozial­kritiker. 1840 veröffentlichte er seine berühmteste Schrift: „Was ist das Eigentum?" und gab zur Antwort: „Eigentum ist Diebstahl." 1846 veröffent­lichte er seine zweibändige „Wirtschaftliche Wider­sprüche oder die Philosophie des Elends", worauf Marx mit seinem „Elend der Philosophie" antwortete. 1844—45 waren beide in Paris bekannt geworden und diskutierten viel über soziale und philosophische Probleme. 1848 enthüllte er die Lösung des sozialen Problems: die Errichtung einer Volksbank, wo die Gewerbetreibenden billigen oder unentgeltlichen Kre­dit erhalten und ihre Produkte zu gleichen Werten austauschen könnten. Diese Schrift machte ihn in Paris berühmt und gab ihm die Möglichkeit, bei den Nachwahlen (Juni 1848) in die Nationalversamm­lung gewählt zu werden. Er gab sodann eine Zeit­schrift, mehrere Broschüren und Bücher heraus, für die er von der Reaktion verfolgt wurde. Er starb in Paris 1865. Proudhon war mehr Polemiker als Syste­matiker. Seme Grundgedanken lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen: Die Institution des Eigentums ist ungerecht und schädlich; die Tatsache der Be­setzung eines Grundstücks kann kein Eigentum be­gründen; ebensowenig kann Arbeit diese Begrün­dung sein, denn niemand hat den Grund und Boden gemacht; übrigens zeigt die Erfahrung, daß Arbeit nicht zum Besitz von Eigentum führt, denn die Ar­beiter sind arm. Rechtmäßig ist nur der Besitz (im Unterschied von Eigentum) derjenigen Dinge, die einer mit seiner Arbeit schafft. Aber der Austausch ist unter dem System des Eigentums nie von gleichen Werten gegen gleiche Werte möglich: der Arbei­ter kann nie mit seinem Lohne das Gut zurückkaufen, das er geschaffen hat; die Besitzer des Eigentums (der Produktionsmittel) eignen sich einen Teil des frem­den Arbeitsprodukts an in Form von Grundrenten, Profit und Zinsen. Um diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen, bedarf es nicht des Sozialismus oder des Kommunismus,  sondern  der  Errichtung  einer  Ge­sellschaft, in der die Werktätigen ihre Arbeitswerte gegen gleiche Arbeitswerte austauschen könnten. Die Handwerker sollen selbständig ihre Güter herstellen, wozu  sie  billigen  Kredit   von  der  von   ihnen  ge­gründeten   Volksbank   erhalten   sollen,   und   dann ihre Güter gleichwertig gegeneinander austauschen. Gegenseitiger  Kredit und gleichwertiger Austausch. Eine derartige Gesellschaft bedarf kei­nes   Staates.   Kurz:   sein   System   ist   Mutualismus (Gegenseitigkeit) und Anarchie (Staatslosigkeit). Es ist kleinbürgerlich, da es die ganze Entwicklung des Kapitalismus ignoriert — eine Entwicklung, die eine starke Tendenz zur Assoziation und Zentralisation der Wirtschaftskräfte hat, wie Pecqueur dies richtig sah.

 

Nun  zu  dem  minder  wichtigen.   Etienne Cabet (1788—1856), Rechtsanwalt und Generalprokurator in Korsika  (1830)  war ursprünglich  bürgerlicher  Re­publikaner, wurde vom Bürgerkönigtum verfolgt, aber von der Opposition in die Kammer gewählt, wo er seine Überzeugungen mutig verfocht. 1834 zu einer Gefängnisstrafe  verurteilt,  flüchtete  er  nach  Lon­don, wo er durch die Beobachtung der owenistischen Bewegung und durch Lektüre von Thomas Morus „Utopie"  Kommunist wurde.  Nach Frankreich zu­rückgekehrt, schrieb er 1842 seinen utopischen Ro­man „Reise nach Ikarien", der viel gelesen wurde und zur Verbreitung kommunistischer Ideen viel bei­trug. — Pierre Leroux (1797—1871) war der erste wirkliche Arbeiter, der  1824 Saint-Simonist wurde. Er war Schriftsetzer von Beruf, gründete den „Globe", fiel  später  vom   Saint-Simonismus  ab,   wurde  my­stisch-religiöser  Sozialreformer und  übte  einen ge­wissen Einfluß auf George Sand aus, die bekanntlich damals sogenannte sozialistische Romane schrieb. — Louis Blanc (1811—1882) war wesentlich Publizist.

 

Seine Geschichtswerke wurden viel gelesen. Als So­zialdemokrat wurde er durch seine kleine Schrift „Organisation du travaü" (1839—40) in weiten Kreisen bekannt. Die Organisation der Arbeit wurde zum Schlagwort der Februarrevolution (1848). Nach einer scharfen Verurteilung der Konkurrenz als der Quelle des modernen Elends, schlug Blanc vor: Verstaat­lichung der Eisenbahnen und Bergwerke, Errichtung von Arbeiterproduktivgenossenschaften mit Staats­hilfe. 1848 spielte Blanc eine bedeutende Rolle. Auch in der deutschen Märzrevolution wurde in Arbeiter­kreisen auf die Ideen Blancs zurückgegriffen. Sie waren um jene Zeit so populär, daß auch Lassalle sie annahm und sie später zum positiven Teil seiner Agita­tion machte. Sie spielten — trotz der Kritik von Marx und Engels — sogar noch in den Programmen der deutschen Sozialdemokratie eine Rolle. Auch Lenin hat mehrfach auf diesen verderblichen Einfluß Blancscher Ideen auf die Arbeiterbewegung hin­gewiesen.

 

6.  Februarrevolution  1848.

 

Für Revolutionäre und Arbeiter ist das ernste Stu­dium der Geschehnisse der Februarrevolution 1848 viel wichtiger als das irgendeiner früheren Revolu­tion. Seit dem Februar 1848 tritt das Proletariat auf die historische Bühne mit eigenen Forderungen, mit seinen Ansprüchen auf Macht in Politik und Wirt­schaft. Aufstieg, Entfaltung und Ende dieser Revo­lution erhalten für uns tiefe Lehren für die Gegen­wart und die Zukunft. Sie zeigt merkwürdige Paral­lelen zur deutschen Novemberrevolution 1918. — Die wachsende kleinbürgerlich-republikanische Opposi­tion, die Orgien der Finanz, die Bestechlichkeit hoher Würdenträger, die weite Verbreitung sozialistisch­evolutionärer Ideen, die Mißernten 1845 und 1846, die Geschäftskrise und Teuerung 1847 — diese Fak­toren vereinigten sich, um das Bürgerkönigrum vollends in Mißkredit zu bringen. Teile der Bour­geoisie und das Kleinbürgertum von Paris riefen die Arbeiter auf die Barrikaden; am 24. Februar 1848 folgten sie dem Rufe und nach einigen Zusammenstößen mit dem Militär siegte die Revolution. Der König flüchtete, die Massen strömten vor die Redak­tionsgebäude der oppositionellen Journale „National" und „Re"forme", wo eine Liste dei Provisorischen Regierung aufgestellt und vom draußenstehenden „Volke" genehmigt wurde. Die Republikaner woll­ten vorerst eine rein bürgerliche Regierung, aber die blasse Furcht vor den Barrikadenkämpfern ver-anlaßte sie, die Sozialisten Louis Blanc und Albert (letzterer war Arbeiter) ins Ministerium zu neh­men. An der Spitze der Regierung stand Lamartine, ein Poet, Redner und „Republikaner", aber kein So­zialist. Er und seine Genossen wollten sofort ihr „Ideal" verraten: zögerten mit der Ausrufung der Republik, aber die Drohung der Pariser Arbeiter, ausgesprochen durch Raspail, veranlaßte die neuen Herren, am 25. Februar die Republik zu prokla­mieren. Ebenso zwang der Arbeiter Marche der Re­gierung das Zugeständnis auf das Recht auf Ar­beit ab, — mit der geladenen Pistole in der Hand stand Marche vor Lamartine, bis dieses Recht for­muliert und niedergeschrieben wurde. Diese Forde­rung spielte damals eine ähnliche Rolle wie in der deutschen Novemberrevolution 1918 die auf Sozia­lisierung. Um Louis Blanc und Albert aus der Re­gierung los zu werden, ernannte das Ministerium eine Arbeitskommission nach dem Palais Louxembourg, die von Blanc und Albert geleitet wurde; Pecqueur war Sekretär dieser Kommission. Um das Recht auf Arbeit praktisch zu betätigen, wurden Nationalwerk­stätten — zu deutsch Notstandsarbeiten — in die Wege geleitet zum ausgesprochenen Zweck, die Ar­beiterforderungen zu diskreditieren und die soziali­stischen Gedanken als hirnverbrannt zu erweisen. In­zwischen organisierte die Regierung eine bewaffnete Macht, um die auf ihren Sieg stolzen und „anspruchs­vollen" Arbeiter niederzuhalten und schließlich nie­derzuwerfen. Wie oben erwähnt, befand sich August Blanqui bereits in Paris; er durchschaute die Pläne der Provisorischen Regierung und verlangte deren Säuberung und deren Ersetzung durch eine sozia­listische Regierung, die einige Zeit diktatorisch das Land für die Reformen vorbereiten sollte. Die Provisorische Regierung pochte aber auf ihre demokra­tischen Grundsätze und verlangte die Einberufung einer Nationalversammlung auf Grund des allge­meinen Wahlrechts. Die sozialdemokratischen Ele­mente, bezaubert von diesem Vorschlage, unterstütz­ten die Regierung und bekämpften Blanqui und seinen kommunistischen Anhang. Die Regierung hatte nun­mehr leichtes Spiel; sie stärkte die bewaffnete Macht — angeblich gegen die Kommunisten, in Wahrheit gegen das Proletariat, und als Blanqui auf den 16. April 1848 eine große Demonstration organisierte zum Sturze der Provisorischen Regierung und zwecks ihrer Ersetzung durch eine sozialistische Regierung, gelang es der Provisorischen Regierung mit Hilfe der Sozialdemokraten, dem Publikum und der be­waffneten Macht einen Kommunistenschreck einzu­jagen. Am 16. April setzte sich eine imposante, un­bewaffnete Demonstration in Bewegung durch die Straßen von Paris. Auf den Fahnen las man die Inschriften: „Abschaffung der Ausbeutung des Men­schen durch den Menschen l" „Recht auf Arbeit!" „Organisation der Arbeit!" Aber die von der Regie­rung ausgegebene Parole, daß es nicht gegen die Arbeiter und Sozialisten, sondern gegen die Kommu­nisten ginge, — diese schlaue Parole hatte zum Er­folg, daß die bewaffnete Macht die Demonstration mit dem Rufe: „Nieder mit den Kommunisten l" emp­fing. Die Sozialdemokraten und republikanischen Kleinbürger, erfüllt vom Kommunistenschreck, stimm­ten in den Ruf ein und vereitelten den Zweck des Unternehmens von Blanqui. Ende April fanden die Wahlen zur Nationalversammlung statt, bei denen sämtliche sozialistischen Kandidaten durchfielen und mehrere Arbeiter getötet wurden.

 

Die Provisorische Regierung trat ab, gepriesen von der Bourgeoisie, verdammt von allen kommunisti­schen und Sozialrevolutionären Elementen. Ungemein interessant ist Heinrich Heines Urteil über sie: „Der klägliche Verlauf der Revolution ist den ungetreuen Mandataren des Volkes zu verdanken, die den gro­ßen Akt der Volkssouveränität, die ihnen die un­umschränkteste Macht verlieh, durch ihr Ungeschick oder ihre Feigheit oder ihr Doppelspiel verzettelten...

 

Gleich in der ersten Stunde der Provisorischen Re­gierung, die sich eben diesen Namen gab, offenbarte ] sich das Unvermögen der kleinen Menschen. Schon ] dieser Name .Provisorische Regierung' bekundet offiziell ihr Zagnis und annullierte von vornherein alles..., was sie etwa tun konnten. Nie hat das Volk, das große Waisenkind, aus dem Glückstopf der Revolution miserablere Nieten gezogen, als die Per­sonen waren, welche jene Provisorische Regierung bildeten. Es befanden sich unter ihnen miserable Komödianten, die bis aufs Haar, bis auf die Farbe des Barthaars, jenen Helden des Liebhabertheaters glichen, das uns Shakespeare im ,Sommernachts­traum' ergötzlich vorführt. Diese täppischen Ge­sellen hatten in der Tat vor nichts mehr Angst als daß man sie für ernst halten möchte, und Schnock, der Tischler, versicherte im voraus, daß er kein wirklicher Löwe, sondern der provisorische Löwe, nur Schnock, der Tischler, sei, daß sich das Publikum nicht vor seinem Brüllen zu fürchten brauche, da es nur ein provisorisches Brüllen sei." (Heine, Deutsch­land, S. 242.)

 

Am 4. Mai trat die Nationalversammlung zusam­men und bildete eine rein bürgerliche Regierung. Elf Tage später benutzte Blanqui eine zugunsten Po­lens und Italiens und einer „demokratischen Außen­politik" veranstaltete Demonstration, um sich kurzer­hand an ihre Spitze zu stellen und sie vor die De­putiertenkammer zu führen. Er drang in die Kam­mer ein, erzwang sich das Wort, erinnerte die Her­ren, daß sie ihre Herrlichkeit nur der Aufopferung der Arbeiter zu verdanken hätten, daß die neue Re­gierung sich mit Außenpolitik, mit Rußland und Österreich beschäftige und keinen Versuch mache, die Mörder der erschlagenen französischen Arbeiter zur Rechenschaft zu ziehen und daß ihre eigentliche Aufgabe doch sei, sich mit sozialen Problemen zu beschädigen. Blanquis Auftreten einigte für kurze Zeit alle sozialistischen Elemente, und eine Minister­liste wurde entworfen, auf der alle sozialistischen Richtungen vertreten waren. Aber es war alles zu spät. Die Reaktion saß bereits im Sattel und hielt das Schwert fest in der Hand. Die neue Regierung sandte die Luxembourg-Kommission heim, löste die Nationalwerkstätten auf, riet den Arbeitslosen, in die Armee einzutreten oder nach der Provinz zu­rückzufahren; sie provozierte die Massen, bis diese in der letzten Juniwoche zum Aufstand griffen. Die­ser Juniaufstand des Pariser Proletariats ist der erste, der eine planmäßige Vorbereitung zeigt. Ihre Orga­nisation wird Kersausie, einem Freunde Raspails und ehemaligem Offizier, zugeschrieben1. Die Straßen von Paris bedeckten sich mit Barrikaden und feind­lichen Kämpfern. Der republikanische General Ca-vaignac führte die Truppen und nach dreitägiger Schlacht war die proletarische Revolution im Blut ihrer tapfersten Kämpfer ertränkt. Die republika­nische oder demokratische Bourgeoisie erschlug die wahren Republikaner und bahnte den Weg für Louis Napoleon, der zum Präsidenten der französischen Re­publik gewählt wurde, um dann durch den Staats­streich vom 2. Dezember 1851 die Diktatur und ein Jahr später die Kaiserkrone zu erringen. Inzwischen war August Blanqui im Gefängnis, Louis Blanc und die meisten Sozialdemokraten befanden sich bereits im Exil, um sich dem Gefängnis zu entziehen. So endigte die Februarrevolution mit einer schrecklichen Niederlage, dank der Uneinigkeit und der revolu­tionären Unerfahrenheit der Sozialisten und Arbeiter.

 

Anmerkungen

1) Karl Marx, „Klassenkämpfe in Frankreich". Ausgabe 1920, S. 24.

2) De la Hodde, Histoire des societes s^cretes, 1850, S. 199 ff., auch Elementarbücher des Kommunismus Bd. u, S. 8, wo wei­tere Zitate gegeben sind.

3) Aus dem literarischen Nachlaß von Marx und Engels, her­ausgegeben von F. Mehring, 1902, Bd. III, S. 428, 433.

4) L. A. Blanqui, Critique sociale. Paris 1885, Bd. I, S. 173—220.

5) Marx-Engels Briefwechsel, Stuttgart 1913, Bd. 4, S. 140.

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S. 472-490

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html