Ökonomenlexikon
Aristoteles

von Werner Krause
06/05

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384 v. u. Z. Stageira-322 v. u. Z. Chalkis; griechischer Philosoph, einer der bedeutendsten universellen Denker der Antike, der in seinen Werken die verschiedensten Wissensgebiete abhandelte und sich auch erfolgreich mit ökonomischen Problemen beschäftigte. A ist der Sohn des Nikomaches, der Leibarzt am Hof des makedonischen Königs Amyntas II. war. Im Jahre 367 v. u. Z. geht A. nach Athen an die Akademie Platons, an der er 20 Jahre lernte, lehrte, forschte und Bücher schrieb. 343 wird er von Philipp II. als Erzieher seines Sohnes Alexander an den Hof gerufen. Als Alexander den Thron besteigt und mit seinen großen Feldzügen beginnt, geht A. nach Athen zurück und verlegt seine Wirkungsstätte in die Anlagen des Gymnasiums Lykeion, wo er die Peripatetische Schule gründet. Hier erteilt er Unterricht und veranstaltet Streitgespräche. Die folgenden Jahre bilden den Höhepunkt seiner Lehr- und Forschertätigkeit. A., nach Alexanders Tod 323 als Anhänger der nun verfolgten makedonischen Partei wegen Gottlosigkeit angeklagt, verläßt Athen.

A.' wissenschaftliches Lebenswerk behandelt fast alle Gebiete der Natur und Gesellschaft, enthält sowohl idealistische und metaphysische als auch materialistische und dialektische Ideen, die sich z.T. widersprechen. Sein wissenschaftlich-philosophisches System ist eine Synthese der Erkenntnisse der griechischen Wissenschaft. Es spiegelt das Weltbild wider, das dem Erkenntnisstand der Antike am meisten entsprach. Für die Universalität der Lehre von A. ist kennzeichnend, daß er philosophische, ethische, politische, ökonomische und naturwissenschaftliche Erörterungen zu einer Einheit zusammenführte. So setzt er sich beispielsweise mit der Ware und dem Geld sowohl in der »Politik« als auch in der »Nikoma-chischen Ethik« auseinander. In diesen Abhandlungen, die den Aufbau des Staates zum Gegenstand haben und in Form von Dialogen und Monologen angelegt sind, behandelt A. auf dem Hintergrund der Sklavenhaltergesellschaft, die er als naturgegeben rechtfertigt, Fragen des Warenaustausches und der Geldbeziehungen. Da seine theoretischen Schlußfolgerungen auf einer exakten Analyse der Tatsachen beruhen, sind seine diesbezüglichen Darlegungen für die Geschichte des ökonomischen Denkens von außerordentlicher Bedeutung. A. stand zwar der Entwicklung von Tausch- und Geldbeziehungen skeptisch gegenüber, da sein Ideal der mit Sklaven betriebene naturalwirtschaftliche Ackerbau war, kam jedoch in seinen theoretischen Betrachtungen ökonomischer Erscheinungen Griechenlands zu bedeutenden Analysen der antiken Tauschwirtschaft. Bei der Beschäftigung mit Ware-Geld-Beziehungen gelangt A. zur Formulierung einiger Kategorien der politischen Ökonomie, deren Zusammenhänge er im Rahmen der Warenwirtschaft und in der Unterscheidung zur Naturalwirtschaft bereits weitgehend aufdeckt. Bei der Bestimmung des Unterschieds zwischen zwei Arten des Reichtums unterscheidet A. auch zwischen dem Gebrauchswert und dem Tauschwert der Ware. Wenn er auch nur die Produktion von Gebrauchswerten durch Ackerbauern und Handwerker als natürlich und auf die Befriedigung von Bedürfnissen gerichtet ansieht und die Zirkulation verurteilt, weil sie zwar Reichtum an Tauschwerten hervorbringe, aber doch als unnatürlich zu betrachten sei, so gelangt er doch trotz moralischer Verurteilung des Tauschprozesses zu bemerkenswerten Schlußfolgerungen.

A. entdeckt im Warenaustausch die Gleichheit der Warenwerte und fragt danach, was diese Gleichheit bestimme. Ohne zu einer ausgereiften Arbeitswerttheorie zu gelangen, hat A. einen wichtigen Vorstoß in die Wertproblematik gemacht, wenn er in der »Nikomachischen Ethik« schreibt: »Dem Unterschied von Baumeister und Schuhmacher muß also der Unterschied zwischen einer bestimmten Anzahl von Schuhen und einem Haus entsprechen.« Deshalb müßte alles, was ausgetauscht wird, irgendwie vergleichbar sein. A. scheitert daran, daß er das Geld als Mittel der Vergleichbarkeit betrachtet, das aufgrund gegenseitiger Übereinkunft geschaffen worden sei, um den gegenseitigen Bedarf zu messen. Marx schrieb dazu im »Kapital«: »Das Genie des Aristoteles glänzt grade darin, daß er im Wertausdruck der Waren ein Gleichheitsverhältnis entdeckt. Nur die historische Schranke der Gesellschaft, worin er lebte, verhindert ihn herauszufinden, worin denn >in Wahrheit dies Gleichheitsverhältnis besteht.« (MEW 23,74) >»Der Austausche, sagt er, >kann nicht sein ohne die Gleichheit, die Gleichheit aber nicht ohne die Kommensura-bilität< ... Hier aber stutzt er und gibt die weitere Analyse der Wertform auf. >Es ist aber in Wahrheit unmöglich..., daß so verschiedenartige Dinge kommensurabel^ d. h. qualitativ gleich seien. Diese Gleichsetzung kann nur etwas der wahren Natur der Dinge Fremdes sein, also nur >Notbehelf für das praktische Bedürfnis<.« (Ebenda, 73/74) Die weitere Analyse der Wertform scheitert am Mangel des Wertbegriffs, aber A. sprach »klar aus, daß die Geldform der Ware nur die weiter entwickelte Gestalt der einfachen Wertform ist, d. h. des Ausdrucks des Werts einer Ware in irgendeiner beliebigen andren Ware«. (Ebenda, 73) A. entdeckte den Doppelcharakter der Ware sowie die Wertform und erkannte die Notwendigkeit des Geldes. Von der Unterscheidung des Gebrauchswerts vom Tauschwert der Waren leitet A. die Gegenüberstellung von Ökonomik und Chrematistik ab. Die Ökonomik, die Haushaltungslehre, behandelt nach A. die naturgegebene wirtschaftliche Tätigkeit, die Gebrauchswerte produziert. Diese gingen nur dann in den Austausch, wenn die menschliche Vernunft gebietet, andere Gebrauchswerte durch Handel zu erlangen. Um das reine Erwerbsstreben von der Produktion und dem Handel von Gebrauchswerten abzugrenzen, prägte A. den Begriff »Chrematistik«, worunter er die reine Bereicherung, die auf die ständige Geldvermehrung gerichtete Tätigkeit des Wucher- und des Handelskapitals, verstand. Aus den Betrachtungen über die Kunst des Gelderwerbs, die den Tauschhandel als Mittel zur Bereicherung ansieht, leitete A. seine Auffassungen über das Wesen des Geldes und des Zinses ab. Er betrachtete die Zins-nahme als naturwidrig und als Widerspruch zur Aufgabe des Geldes, den Austausch von Produkten zu erleichtern.
Die ökonomischen Ansichten von A., die in seine philosophischen und naturwissenschaftlichen Betrachtungen eingebettet sind, waren in der Folgezeit für verschiedene Denkrichtungen sowohl Anknüpfungspunkt als auch Streitgegenstand. Sie eigneten sich als Argumentation für die Begründung von Zinsverboten wie auch für die Diskussion um die Wertproblematik. Von der marxistischen Lehre wird A. als ein hervorragender Philosoph gewürdigt, der auf zahlreichen Gebieten der Einzelwissenschaften, deren Differenzierungsprozeß damals begann, bahnbrechend wirkte. Seine bedeutende Leistung bei der wissenschaftlichen Analyse insbesondere ökonomischer Erscheinungen in der Antike ist zu einem wichtigen Bestandteil der Geschichte der politischen Ökonomie und des ökonomischen Denkens geworden.

Publikationen: Politik, Leipzig 1948; Nikomachische Ethik, Berlin 1979; Werke, 18 Bde., Berlin 1956ff. Literatur: K. Marx: Das Kapital. Erster Band, MEW 23; F. Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (»Anti-Dühring«), MEW 20; W.I. Lenin: Philosophische Hefte, LW 38; A.W. Ani-kin: Ökonomen aus drei Jahrhunderten, Berlin 1974; J. Kuczynski: Studien zu einer Geschichte der Gesellschaftswissenschaften, Bd. 2, Berlin 1975; Grundlinien des ökonomischen Denkens in Deutschland, Berlin 1977; F. Behrens: Grundriß der Geschichte der politischen Ökonomie, Bd. I, Berlin 1981; Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum, Berlin 1982; Philosophenlexikon, Berlin 1984; F. Jürß/D. Ehlers: Aristoteles, Leipzig 1984; Geschichte der politischen Ökonomie. Grundriß, Berlin 1985; I. Roshanski: Wissenschaften in der Antike, Moskau, Leipzig 1986.

Editorische Anmerkungen

Der Text stammt aus: Krause, Werner; Graupner, Karl-Heinz & Sieber, Rold (1989). Ökonomenlexikon. Berlin: Dietz. S. 14ff

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