Kommentare zum Zeitgeschehen
Sozial ist, was Arbeit abschafft!

von Peter Trotzig
06/05

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„Sozial ist, was Arbeit schafft!“ So lautet seit geraumer Zeit die zentrale Parole der organisierten Reaktion vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall, über deren Ziehkind „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ bis hin zu schwarz-gelben Koalition von CDU und FDP. (*)

„Sozial ist, wer Arbeit schafft“, das war auch schon der Slogan der deutsch-nationalen Reaktion um Alfred Hugenberg am Ende der Weimarer Republik. (vergl. TAZ vom 16.8.2002) Die Nazis, denen die Konservativen um Hugenberg u.a. zur Macht verhalfen, übertrafen alle Erwartungen bei der Schaffung von Arbeit und nannten sich daher nicht nur sozial sondern sogar „sozialistisch“! Sie schufen Arbeit in einer gigantischen Rüstungsindustrie, bauten nicht nur Panzer sondern gleich auch noch die Autobahnen, damit die Panzer zügig über alle Grenzen rollen konnten. Die chemische Industrie boomte und durfte mit Zyklon B glänzen. Und nicht zuletzt schufen die Nazis die Sklavenarbeit in Lagern und Industrie, sowie massenhaft Arbeitsplätze für Folterer und Mörder, ohne deren Tagewerk das System nicht funktioniert hätte. Eine wahrhaft „soziale“ Bilanz der Arbeitsbeschaffung! 

Der Slogan, wonach sozial sei, was Arbeit schafft, unterstellt, dass Arbeit an sich schon eine so menschenfreundliche Aktivität ist, dass alles, was sie mehrt nur zu begrüßen sei. Arbeit an sich ist aber ein sehr zweischneidiges Schwert. Sie ist neben der Natur die Kraft, die Menschen mit allem versorgt, was sie zum Leben brauchen. Insofern ist sie notwendig und „sozial“. Aber nicht alles was diese Arbeit hervorbringt ist nützlich, manches eher schädlich.

Mehr noch gilt, dass Arbeit für diejenigen, die sie verausgaben sehr unterschiedliche Belastungen und Gefahren in sich birgt. Die moderne Arbeitsmedizin weiß eine Menge davon zu berichten. So birgt beispielsweise die Produktion von Aspest und die Arbeit mit diesem Werkstoff ein tödliches Risiko für alle, die damit in Berührung kommen. Es hat lange gedauert, bis die menschenfreundlichen Kapitalisten, die nichts anderes im Sinn hatten, als Arbeit zu schaffen, die ihnen wiederum ein bisschen Profit verschafft, auf diese Produktion zu verzichten. Sie musste ihnen verboten werden, denn freiwillig verzichten Kapitalisten niemals auf Arbeit, die ihnen Profit schafft! Sozial ist, was Arbeit schafft, kann pauschal allen Ernstes nur jemand hinausposaunen, der von den Gefahren der Arbeit nicht betroffen ist und selbst von der Arbeit anderer lebt.

Arbeit ist auch eine Bedrohung für Menschen. Ob sie segensreich ist, hängt ganz davon ab, was produziert wird und in welcher Form, unter welchen Umständen produziert wird. Ist Kinderarbeit „sozial“? Ist ein Arbeitstag von 12 Stunden an 7 Tagen „sozial“? Ist stundenlanges Überkopfarbeiten „sozial“? Ist mehrstündiges arbeiten in gebückter Haltung „sozial“? Ist Sklavenarbeit „sozial“?

Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen was sie sagen! Das würde ich rufen, wenn ich gläubiger Christ wäre.

Der durch skrupellose kapitalistische Vorkämpfer erzeugte „Sachzwang“ der Globalisierung wird als ideologisches Schutzschild hoch gehoben, wenn die Heuchler der versammelten Reaktion ausrufen:

„Nein, Kinderarbeit meinen wir nicht! Aber man kann keine Politik machen gegen die Sachzwänge des Marktes!“ Und dann hagelt es die Sprüche vom wohltätigen Wirken von Angebot und Nachfrage, von der Mühsal und den Sorgen derjenigen, die zum Vorteil aller darauf achten müssen, dass sich ihre angelegtes Geld mit ausreichender Rendite vermehrt, damit es „allen“ gut geht.

„Wir“ haben über unsere Verhältnisse gelebt und der entfesselte Markt soll nun dafür sorgen, dass „wir“ wieder mit Augenmaß und pragmatischem Realitätssinn uns auf das beschränken, „was uns beschieden ist“ (Kaiser Wilhelm II). Wenn der Weltmarkt für eine Verteilung sorgt, in der die 358 reichsten Personen der Welt über soviel Geldreichtum verfügen, wie die 2,3 Milliarden Ärmsten (UNO, 1997), dann sollen die Menschen das als notwendig und unabänderlich akzeptieren lernen, weil z.B. der Reichtum dieser 358 mit samt ihrem besitzenden Anhang angeblich „unsere“ Existenz sichert. Und wenn unsere Existenz nicht gesichert ist, dann liegt das eben daran, dass z.B. die Besitzer privater Reichtümer noch nicht genug haben. Ein kleines bisschen möchten sie auch profitieren von ihrem selbstlosen Einsatz, z.B. durch eine Rendite von 25%. Sonst macht das Geldanlegen gar keinen Spaß. Welchen Sinn macht schließlich der private Besitz von soviel Geld? Für privaten Konsum ist es mehrere Nummern zu groß. Der Reiz liegt darin, es zu vermehren!

Wenn sie sagen, sozial sei, was Arbeit schafft, dann meinen sie, sozial ist, was Lohnarbeit schafft, die ihren Reichtum mehrt! Ist der Preis der Lohnarbeit zu hoch und gefährdet die Mehrung des privaten Reichtums, dann muss er eben runter! Wie weit er runter muss? Soweit runter, bis die Anlage des Geldes sich wieder lohnt! So einfach ist das! Das schafft Sankt Markt, diese heilige Kuh!

Ist dazu die Anwendung von Kinderarbeit erforderlich? Dann wird „der Markt“ sie einführen! Ist dafür eine Hungerlohn erforderlich, von dem die Lohnabhängigen sich gerade noch reproduzieren können? Dann wird „der Markt“ ihn einführen. Es handelt sich nur um ein ökonomisches Gesetz, mit dem die Besitzenden nichts zu schaffen haben. Sie sind für keine ihrer sozialen Schweinereien verantwortlich und waschen die Hände in Unschuld. Schließlich müssen „wir alle“ uns nach den unabänderlichen Gesetzen des Marktes richten, zu denen es angeblich keine Alternative gibt. Sankt Markt beschert den Menschen eine wahrhaft göttliche Ordnung, die von der Masse der Mensche einen hohen sozialen Tribut verlangt!

Die Dummheit und Heuchelei des Slogans der versammelten Reaktion muss für jeden denkenden Menschen eine Zumutung sein. Der Markt selbst, der alles richten soll, schafft selbst unausgesetzt Arbeit ab, nämlich Arbeit, die nicht (kapital-)produktiv genug ist und daher, kapitalistisch angewendet, den Reichtum der Geldbesitzer nicht mehrt oder sogar durch staatliche Subventionierung Geld kostet, dass besser kapitalproduktiv angelegt werden soll. Zu gern würde unsere „Arbeitspropheten“ Sankt Markt beispielsweise auf die Kohlebergwerke im Ruhrgebiet loslassen und diese Arbeit endgültig und restlos abschaffen, so wie er die nicht den Maßstäben der Kapitalproduktivität genügende Arbeit in den neuen Bundesländern abgeschafft hat!

Man stelle sich einen Moment lang eine Welt ohne kapitalistischen Privatbesitz, ohne Markt und Geld vor, eine Welt, in der Menschen Produktion und Verteilung dessen, was sie konsumieren aus freien Stücken gemeinschaftlich organisieren. Und sei es, dass man diese Vorstellung nur entwickelt, um wieder menschliche Maßstäbe für die Bewertung gesellschaftlicher Prozesse zu erlangen, um nicht ökonomisch-sachlich mit den Christiansen-Runden und anderen Glanzlichtern öffentlicher Meinungsproduktion zu verblöden. Wenn man diesen Moment innehält, dann wird sofort klar, dass sozial ist, was Arbeit abschafft! Mit möglichst geringem Aufwand und bei möglichst kleinen Risiken für Gesundheit und Leben alles das produzieren, was wir zum Leben brauchen und was uns Genuss verschafft. Wie wir produzieren, was wir produzieren und wie wir es verteilen entscheiden wir in Gemeinschaft. Die Reduzierung von notwendiger Arbeit und die Ausdehnung von frei verfügbarer Zeit für alle Individuen bei guter materieller Versorgung wäre der Zweck dieser Gemeinschaft.

Man muss wider alle Tatsachen des sozialen Elends auf diesem Planeten ganz und gar an Sankt Markt glauben, um den reaktionären Phrasen folgen zu können. Es handelt sich um eine neue Religiosität, die sich breit macht. Die Prediger sind wohl organisiert (Initiative neue soziale Marktwirtschaft) und ziehen als Plage durchs Land. Sie nutzen alle Medien und Institutionen, um den ökonomischen Aberglauben zu verbreiten.

Ich weiß nicht, wohin mit meinem Zorn und fange an zu träumen, einen kleinen, bescheidenen Traum vom Bündnis einer vom Untergang bedrohten Spezies, der kapitalismuskritischen Linken, einem Bündnis, das alle sozialreformerischen und sozialrevolutionären Kräfte umfasst. Ich träume davon, dass die noch vorhandenen Kräfte, sich zu der anstehenden „Richtungswahl“ auf ein gemeinsames Ziel verständigen: die Kritik des Slogans „Sozial ist, was Arbeit schafft“! Alle Zeitschriften und Flugblätter, alle Internetprojekte konzentrieren sich auf diesen zentralen Punkt und treten dem ökonomisch-religiösen Wahn von Sankt Markt entgegen. Jede Ausgabe muss mit einem Beitrag zur Kritik aufmachen! Jeden Tag muss es zu lesen und zu hören sein, dass dieser Slogan eine Kampfansage an die Masse der Menschen ist und eine intellektuelle Zumutung obendrein! In jeder Wahlveranstaltung die Reaktionäre mit Tatsachen konfrontieren, die ihren Slogan ad absurdum führen. Mögen die Argumentationen und Ziele der verschiedenen Richtungen und Gruppen auch weit auseinander gehen, so sind doch alle von dem gleichen Wunsch beseelt: den Durchmarsch der versammelten Reaktion verhindern und die Kritik am Kapitalismus oder auch nur an seinen Auswüchsen entwickeln und verbreiten.

Ich träume von einem Wahlergebnis, das deutlich macht: „Nicht mit uns! Nicht in unserem Namen!“ Wahlbeteiligung bei 80%, Anzahl der ungültig gemachten Stimmzettel 70%. Denn eins muss auch klar sein: der neoliberalisierten SPD keine Stimme!

Sozial ist, was Arbeit abschafft! 

*) Ein Grundzug der politischen Reaktion ist die manchmal unglaubliche Dummheit ihrer Slogans. Auch Naturkatastrophen schaffen immens viel Arbeit. Man kann nur sagen: Mehr davon! Da bei Naturkatastrophen nach christlicher Auffassung ja der „liebe Herrgott“ seine Hände im Spiel hat, wäre mit diesem „Programmpunkt“ der segensreichen Arbeitsbeschaffung auch dem C im Namen der CDU Genüge getan.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen. Dieser wurde am 11.6.2005 erstellt.