„Sozial ist, was Arbeit schafft!“ So lautet seit geraumer Zeit die
zentrale Parole der organisierten Reaktion vom Arbeitgeberverband
Gesamtmetall, über deren Ziehkind „Initiative neue soziale
Marktwirtschaft“ bis hin zu schwarz-gelben Koalition von CDU und
FDP. (*)
„Sozial ist, wer Arbeit schafft“, das war auch schon
der Slogan der deutsch-nationalen Reaktion um Alfred Hugenberg am
Ende der Weimarer Republik. (vergl. TAZ vom 16.8.2002) Die Nazis,
denen die Konservativen um Hugenberg u.a. zur Macht verhalfen,
übertrafen alle Erwartungen bei der Schaffung von Arbeit und nannten
sich daher nicht nur sozial sondern sogar „sozialistisch“! Sie
schufen Arbeit in einer gigantischen Rüstungsindustrie, bauten nicht
nur Panzer sondern gleich auch noch die Autobahnen, damit die Panzer
zügig über alle Grenzen rollen konnten. Die chemische Industrie
boomte und durfte mit Zyklon B glänzen. Und nicht zuletzt schufen
die Nazis die Sklavenarbeit in Lagern und Industrie, sowie
massenhaft Arbeitsplätze für Folterer und Mörder, ohne deren
Tagewerk das System nicht funktioniert hätte. Eine wahrhaft
„soziale“ Bilanz der Arbeitsbeschaffung!
Der Slogan, wonach sozial sei, was Arbeit schafft,
unterstellt, dass Arbeit an sich schon eine so menschenfreundliche
Aktivität ist, dass alles, was sie mehrt nur zu begrüßen sei. Arbeit
an sich ist aber ein sehr zweischneidiges Schwert. Sie ist neben der
Natur die Kraft, die Menschen mit allem versorgt, was sie zum Leben
brauchen. Insofern ist sie notwendig und „sozial“. Aber nicht alles
was diese Arbeit hervorbringt ist nützlich, manches eher schädlich.
Mehr noch gilt, dass Arbeit für diejenigen, die sie
verausgaben sehr unterschiedliche Belastungen und Gefahren in sich
birgt. Die moderne Arbeitsmedizin weiß eine Menge davon zu
berichten. So birgt beispielsweise die Produktion von Aspest und die
Arbeit mit diesem Werkstoff ein tödliches Risiko für alle, die damit
in Berührung kommen. Es hat lange gedauert, bis die
menschenfreundlichen Kapitalisten, die nichts anderes im Sinn
hatten, als Arbeit zu schaffen, die ihnen wiederum ein bisschen
Profit verschafft, auf diese Produktion zu verzichten. Sie musste
ihnen verboten werden, denn freiwillig verzichten Kapitalisten
niemals auf Arbeit, die ihnen Profit schafft! Sozial ist, was Arbeit
schafft, kann pauschal allen Ernstes nur jemand hinausposaunen, der
von den Gefahren der Arbeit nicht betroffen ist und selbst von der
Arbeit anderer lebt.
Arbeit ist auch eine Bedrohung für Menschen. Ob sie
segensreich ist, hängt ganz davon ab, was produziert wird und in
welcher Form, unter welchen Umständen produziert wird. Ist
Kinderarbeit „sozial“? Ist ein Arbeitstag von 12 Stunden an 7 Tagen
„sozial“? Ist stundenlanges Überkopfarbeiten „sozial“? Ist
mehrstündiges arbeiten in gebückter Haltung „sozial“? Ist
Sklavenarbeit „sozial“?
Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen was sie
sagen! Das würde ich rufen, wenn ich gläubiger Christ wäre.
Der durch skrupellose kapitalistische Vorkämpfer
erzeugte „Sachzwang“ der Globalisierung wird als ideologisches
Schutzschild hoch gehoben, wenn die Heuchler der versammelten
Reaktion ausrufen:
„Nein, Kinderarbeit meinen wir nicht! Aber man kann
keine Politik machen gegen die Sachzwänge des Marktes!“ Und dann
hagelt es die Sprüche vom wohltätigen Wirken von Angebot und
Nachfrage, von der Mühsal und den Sorgen derjenigen, die zum Vorteil
aller darauf achten müssen, dass sich ihre angelegtes Geld mit
ausreichender Rendite vermehrt, damit es „allen“ gut geht.
„Wir“ haben über unsere Verhältnisse gelebt und der
entfesselte Markt soll nun dafür sorgen, dass „wir“ wieder mit
Augenmaß und pragmatischem Realitätssinn uns auf das beschränken,
„was uns beschieden ist“ (Kaiser Wilhelm II). Wenn der Weltmarkt für
eine Verteilung sorgt, in der die 358 reichsten Personen der Welt
über soviel Geldreichtum verfügen, wie die 2,3 Milliarden Ärmsten
(UNO, 1997), dann sollen die Menschen das als notwendig und
unabänderlich akzeptieren lernen, weil z.B. der Reichtum dieser 358
mit samt ihrem besitzenden Anhang angeblich „unsere“ Existenz
sichert. Und wenn unsere Existenz nicht gesichert ist, dann liegt
das eben daran, dass z.B. die Besitzer privater Reichtümer noch
nicht genug haben. Ein kleines bisschen möchten sie auch profitieren
von ihrem selbstlosen Einsatz, z.B. durch eine Rendite von 25%.
Sonst macht das Geldanlegen gar keinen Spaß. Welchen Sinn macht
schließlich der private Besitz von soviel Geld? Für privaten Konsum
ist es mehrere Nummern zu groß. Der Reiz liegt darin, es zu
vermehren!
Wenn sie sagen, sozial sei, was Arbeit schafft, dann
meinen sie, sozial ist, was Lohnarbeit schafft, die ihren Reichtum
mehrt! Ist der Preis der Lohnarbeit zu hoch und gefährdet die
Mehrung des privaten Reichtums, dann muss er eben runter! Wie weit
er runter muss? Soweit runter, bis die Anlage des Geldes sich wieder
lohnt! So einfach ist das! Das schafft Sankt Markt, diese heilige
Kuh!
Ist dazu die Anwendung von Kinderarbeit erforderlich?
Dann wird „der Markt“ sie einführen! Ist dafür eine Hungerlohn
erforderlich, von dem die Lohnabhängigen sich gerade noch
reproduzieren können? Dann wird „der Markt“ ihn einführen. Es
handelt sich nur um ein ökonomisches Gesetz, mit dem die Besitzenden
nichts zu schaffen haben. Sie sind für keine ihrer sozialen
Schweinereien verantwortlich und waschen die Hände in Unschuld.
Schließlich müssen „wir alle“ uns nach den unabänderlichen Gesetzen
des Marktes richten, zu denen es angeblich keine Alternative gibt.
Sankt Markt beschert den Menschen eine wahrhaft göttliche Ordnung,
die von der Masse der Mensche einen hohen sozialen Tribut verlangt!
Die Dummheit und Heuchelei des Slogans der
versammelten Reaktion muss für jeden denkenden Menschen eine
Zumutung sein. Der Markt selbst, der alles richten soll, schafft
selbst unausgesetzt Arbeit ab, nämlich Arbeit, die nicht (kapital-)produktiv
genug ist und daher, kapitalistisch angewendet, den Reichtum der
Geldbesitzer nicht mehrt oder sogar durch staatliche
Subventionierung Geld kostet, dass besser kapitalproduktiv angelegt
werden soll. Zu gern würde unsere „Arbeitspropheten“ Sankt Markt
beispielsweise auf die Kohlebergwerke im Ruhrgebiet loslassen und
diese Arbeit endgültig und restlos abschaffen, so wie er die nicht
den Maßstäben der Kapitalproduktivität genügende Arbeit in den neuen
Bundesländern abgeschafft hat!
Man stelle sich einen Moment lang eine Welt ohne
kapitalistischen Privatbesitz, ohne Markt und Geld vor, eine Welt,
in der Menschen Produktion und Verteilung dessen, was sie
konsumieren aus freien Stücken gemeinschaftlich organisieren. Und
sei es, dass man diese Vorstellung nur entwickelt, um wieder
menschliche Maßstäbe für die Bewertung gesellschaftlicher Prozesse
zu erlangen, um nicht ökonomisch-sachlich mit den
Christiansen-Runden und anderen Glanzlichtern öffentlicher
Meinungsproduktion zu verblöden. Wenn man diesen Moment innehält,
dann wird sofort klar, dass sozial ist, was Arbeit abschafft! Mit
möglichst geringem Aufwand und bei möglichst kleinen Risiken für
Gesundheit und Leben alles das produzieren, was wir zum Leben
brauchen und was uns Genuss verschafft. Wie wir produzieren, was wir
produzieren und wie wir es verteilen entscheiden wir in
Gemeinschaft. Die Reduzierung von notwendiger Arbeit und die
Ausdehnung von frei verfügbarer Zeit für alle Individuen bei guter
materieller Versorgung wäre der Zweck dieser Gemeinschaft.
Man muss wider alle Tatsachen des sozialen Elends auf
diesem Planeten ganz und gar an Sankt Markt glauben, um den
reaktionären Phrasen folgen zu können. Es handelt sich um eine neue
Religiosität, die sich breit macht. Die Prediger sind wohl
organisiert (Initiative neue soziale Marktwirtschaft) und ziehen als
Plage durchs Land. Sie nutzen alle Medien und Institutionen, um den
ökonomischen Aberglauben zu verbreiten.
Ich weiß nicht, wohin mit meinem Zorn und fange an zu
träumen, einen kleinen, bescheidenen Traum vom Bündnis einer vom
Untergang bedrohten Spezies, der kapitalismuskritischen Linken,
einem Bündnis, das alle sozialreformerischen und
sozialrevolutionären Kräfte umfasst. Ich träume davon, dass die noch
vorhandenen Kräfte, sich zu der anstehenden „Richtungswahl“ auf ein
gemeinsames Ziel verständigen: die Kritik des Slogans „Sozial ist,
was Arbeit schafft“! Alle Zeitschriften und Flugblätter, alle
Internetprojekte konzentrieren sich auf diesen zentralen Punkt und
treten dem ökonomisch-religiösen Wahn von Sankt Markt entgegen. Jede
Ausgabe muss mit einem Beitrag zur Kritik aufmachen! Jeden Tag muss
es zu lesen und zu hören sein, dass dieser Slogan eine Kampfansage
an die Masse der Menschen ist und eine intellektuelle Zumutung
obendrein! In jeder Wahlveranstaltung die Reaktionäre mit Tatsachen
konfrontieren, die ihren Slogan ad absurdum führen. Mögen die
Argumentationen und Ziele der verschiedenen Richtungen und Gruppen
auch weit auseinander gehen, so sind doch alle von dem gleichen
Wunsch beseelt: den Durchmarsch der versammelten Reaktion verhindern
und die Kritik am Kapitalismus oder auch nur an seinen Auswüchsen
entwickeln und verbreiten.
Ich träume von einem Wahlergebnis, das deutlich
macht: „Nicht mit uns! Nicht in unserem Namen!“ Wahlbeteiligung bei
80%, Anzahl der ungültig gemachten Stimmzettel 70%. Denn eins muss
auch klar sein: der neoliberalisierten SPD keine Stimme!
Sozial ist, was Arbeit abschafft!
*) Ein
Grundzug der politischen Reaktion ist die manchmal unglaubliche
Dummheit ihrer Slogans. Auch Naturkatastrophen schaffen immens
viel Arbeit. Man kann nur sagen: Mehr davon! Da bei
Naturkatastrophen nach christlicher Auffassung ja der „liebe
Herrgott“ seine Hände im Spiel hat, wäre mit diesem
„Programmpunkt“ der segensreichen Arbeitsbeschaffung auch dem C im
Namen der CDU Genüge getan.
Editorische
Anmerkungen
Peter
Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine
Kommentare zum Zeitgeschehen. Dieser wurde am 11.6.2005 erstellt.
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