Die Antwort der Politik auf Störungen der Schulordnung an der Berliner Rütli-Schule: Schluß mit der Integrationsverweigerung!

oder: Zu ändern hat sich nicht der beschissene deutsche Kapitalismus, sondern die Einstellung der Migranten

Von GegenStandpunkt Marburg
06/06

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Erst kürzlich hatten angesichts nächtlicher Brände in französischen Vorstädten deutsche Politiker beruhigend darauf hingewiesen, daß die "gesellschaftliche Realität bei uns anders", mit derartigen Störungen der öffentlichen Ordnung also eher nicht zu rechnen sei. Da genügt ein "Brandbrief" von Lehrern einer Berliner Hauptschule an ihre Schulbehörde, um in der Regierungskoalition ein gewaltiges Echo auszulösen. In ihm beklagen sie mangelnden Respekt vor den Lehrern, Desinteresse der Schüler und Eltern und Sachbeschädigungen sowie das Fehlen von "Mitarbeitern aus anderen Kulturkreisen", "die uns bei Deeskalation und Krisenintervention helfen". Nicht weniger als ein "nationaler Integrationsgipfel" erscheint den "aufgescheuchten Politikern" (FAZ) als die einzig angemessene Antwort auf die Störung der Schulordnung im Bezirk Neukölln. Hat sich die pädagogische Welt über Nacht gravierend verändert - oder wird sie nur anders interpretiert?

Bildungsanstalten wie die Rütli-Schule wegen der dort üblichen rauhen Sitten zum "Symbol für eine gescheiterte Integrationspolitik" zu ernennen erscheint, nüchtern gesehen, in einer Hinsicht alles andere als sachgerecht. Durchaus im Einklang mit den Fortschritten und Ansprüchen der deutschen Klassengesellschaft findet in diesem Teil des Bildungssystems der Teil der heranwachsenden Staatsbürger ordnungsgemäße Betreuung, für den schon vor Eintritt ins Berufsleben die "Perspektivlosigkeit" hinsichtlich seiner marktwirtschaftlichen Benützung und damit die Perspektive auf ein Leben in garantierter Existenznot feststeht. Daß sich in diesem Teil der Überbevölkerung - ohne die ein erfolgreicher Kapitalismus nicht zu haben ist! - eine große Zahl Jugendlicher "mit Migrationshintergrund" befindet, ist bekannt und auch kein Zufall: Deutsche Unternehmer haben und nehmen sich die Freiheit, aus dem Überangebot von Lehrstellenbewerbern mit nützlichen "Sekundärtugenden" wie Fleiß und Gefügigkeit diejenigen mit den besten Abschlüssen und Qualifikationen auszuwählen.
Das schlägt überwiegend zu Ungunsten der Bewerber aus Einwandererfamilien aus, nicht weil die Ausbildungsbetriebe etwas gegen fremdstämmige Jugendliche hätten, sondern weil das deutsche Ausbildungssystem einen großen Teil von ihnen bereits frühzeitig von weiteren Bildungsfortschritten
ausschließt. Nicht nur die Überbevölkerung, sondern auch ihre ethnische Zusammensetzung verdankt sich also den Selektionskriterien des Kapitals, das Lehrstellen nur seinen Kalkulationen entsprechend schafft. Die Hauptschule ist das auf bescheidenem Niveau gehaltene Bildungsangebot für die von vornherein Ausgemusterten, die mit keinen Anforderungen an "Exzellenz"-Leistungen behelligt werden, weil für sie die Konkurrenz um irgendwie taugliche Zugangsberechtigungen zum Arbeitsleben bereits gelaufen ist. Umso wichtiger sind für sie Disziplin und eine "gefestigte Haltung" (so die Familienministerin), die sich vor allem im Respekt vor der Schulordnung zu bewähren hat. So funktioniert
dieser Schulzweig in der deutschen Klassengesellschaft - und jetzt werden die Kids frech!

Der Skandal, den die entnervten Lehrer mit ihrem Brandbrief auslösen, liegt selbstverständlich nicht in der Funktion der Schule für ein Wirtschaftssystem, das einem Teil der Jugend den Einstieg ins "Arbeitsleben" von vornherein und ziemlich endgültig verwehrt. Er liegt in der Störung des Schulfriedens, mit der dessen Hüter nicht mehr fertig werden; und damit ist schon alles klar: Die sichere Aussicht auf ein Leben "am Rand der Gesellschaft" wird als gegebene Lage vorausgesetzt - "So ist es eben!". Tiefer schürfende Analysen, die der Sache "auf den Grund" gehen, vertiefen genau diesen "Befund":

"Diese Schüler sind zweifach stigmatisiert. Sie wissen, daß sie als Hauptschüler überhaupt keine Chancen auf eine Lehrstelle haben. Und in der Gesellschaft sind sie stigmatisiert als Ausländer."

Wenn das der Grund des Elends ist: Sollte man dann das "Stigmatisieren" nicht einfach mal bleibenlassen? Kein einziger Gedanke aber bewegt sich in diese Richtung. Hauptschüler "mit Migrationshintergrund" haben ihren doppelten Makel weg, da ist nichts zu machen; das ist schlicht und ergreifend ihre Lebenssituation. Mit der haben sie es alles andere als einfach, das leugnet niemand. Daraus folgt aber bestenfalls das eine: In dieser ihrer Lebenslage muß man ihnen helfen, nicht aus ihr heraus!

"Ganz wichtig ist deshalb, wie man innerhalb der Schule mit diesen Strukturen (!) umgeht."

Damit nicht am Ende zum Entsetzen aller ordnungsliebenden Bürger die "Polizei an der Schule!" deren gestörten Frieden reparieren muß. Eine paßgenaue Schulpädagogik ist umso wichtiger, als bei den Problemfällen, die von den Rütli-Lehrern angezeigt worden sind, auf die Erziehungsanstalt Nr. 1 der bürgerlichen Gesellschaft, die Familie, überhaupt kein Verlaß ist. Im Gegenteil, sie ist selber Teil des Problems, wenn nicht überhaupt dessen Ursache, jedenfalls ist sie in ihrer türkischen Variante eine einzige ungute "Struktur":

"Die Jungen bekommen als 'junge Prinzen' ihre Wünsche fast vollständig erfüllt ... Jeder vierte türkische Junge erlebt, daß der Vater die Mutter prügelt ... So erklärt sich die hohe Akzeptanz solcher Macho-Normen bei türkischen Jugendlichen ..." (Ahmet Toprak, aus Kurdistan stammender Referent für Gewaltprävention in SZ, Ostern 2006)

Und wer meint, solch fundamentalen Entgleisungen wäre mit Erziehungsberatung oder gar mit ein bißchen Vernunft beizukommen, der täuscht sich total:

"Im Grunde müßte die Gewaltprävention schon in der Schwangerschaft anfangen." (Die an einer "sozialen Brennpunktschule" wirkende türkische Pädagogin Sevinç Yada)

Nach der Seite hin ist also keinerlei Abhilfe in Sicht. Das Problem, leibhaftig oder bereits in der 3. Generation aus Asien zugereiste Jugendliche in hoffnungsloser Lebenslage zu einer "lebensbejahenden Einstellung und angepaßter Lebensführung" zu erziehen, bleibt an der Schule hängen. Die ist damit aber, das weiß man jetzt, eindeutig überfordert. Denn es geht gar nicht bloß um das Fehlverhalten Einzelner. Das dokumentiert nach dem Urteil der politisch Zuständigen vielmehr das ganz grundsätzliche Fehlverhalten einer ganzen Bevölkerungsschicht, die ihre "Stigmatisierung" mit der Organisation einer "Parallelgesellschaft" beantworte.

So gesehen ist es nur angemessen, wenn als Reaktion auf Prügeleien an der Rütli-Schule ein Ruck durch die deutsche Ausländerpolitik geht. Vorfälle wie diese, so die politische Entscheidung, sind ein Frontabschnitt der Auseinandersetzung mit den "Parallelkulturen". Die haben sich als Folge von "Migration" mitten in den Nationen des Abendlands entwickelt und bedrohen - so der Konsens der europäischen Regierungen seit der Ermordung des niederländischen Filmemachers van Gogh - die innere Sicherheit des Gemeinwesens. Angesichts dieser Gefahrenlage wird bedingungslose Anpassung, leitkulturell ausgedrückt: die Integration der "andern" ohne Wenn und Aber, zur nationalen Aufgabe. Wie das am effektivsten zu bewerkstelligen ist, welche bisherigen Fehler dringlich abzustellen sind, kurz: über die Methoden der Integration darf wie immer kontrovers diskutiert werden, solange klar ist: Was sich zu ändern hat, ist nicht im geringsten der deutsche Kapitalismus mit den beschissenen Lebensbedingungen, die er in- wie ausländischen Bewohnern des Standorts zumutet, sondern allein und ein bißchen plötzlich die Einstellung der Migranten.

Und einmal mehr ist jetzt wieder endgültig klar: Hier kann die Hauptgesellschaft nicht länger abwarten, bis die Parallelgesellschaft sich mal selber ändert. Der Staat hat gefälligst dafür zu sorgen, daß den Migranten keine andere Wahl bleibt als Anpassung bis zur Unkenntlichkeit: Er hat doch die Mittel notfalls das Universalheilmittel: "Raus!" Politikersprüchen von der Art:

"Es geht! Wir können erreichen, daß dort (in den Ausländerghettos) unser Wertekanon herrscht und man (!) sich wie in Westeuropa fühlt!" (H. Buschkowsky, Bürgermeister in Berlin-Neukölln, SPD)

...haben Taten zu folgen: Kampf der Integrationsverweigerung! Nicht nur an der Rütli-Schule - aber eine Hauptfront bleibt die Schule schon. Allein schon deswegen, weil man da über ein paar probate pädagogische Zuchtmittel verfügt: Ausschluß aus der Klassengemeinschaft, Arrest, Internat bzw. Heim - und für die ganz resistenten Integrationsverweigerer bleibt als überzeugendste pädagogische Perspektive immer noch die Abschiebung.

Die ganze schöne Aufregung wäre freilich halb verschenkt, wenn die Mehrheitsgesellschaft nicht die Gelegenheit beim Schopf ergriffe, auch mit sich, mit ihrem Versagen, ihrer Unfähigkeit, Migranten die rechten Sitten zu lehren, ins Gericht zu gehen. Abrechnung ist angesagt mit aller Unsittlichkeit, mit der die Ordnungsfanatiker der Republik schon seit Jahrzehnten abrechnen: Weg mit diesen "multikulturellen Illusionen", mit dem vergifteten "Erbe von '68", mit Relativismus und Vaterlandsvergessenheit!

"Wer soll auch einen Staat und dessen Repräsentanten achten, wenn diese vorrangig Selbstzweifel und Selbstaufgabe verkörpern? Gerade jungen Muslimen, deren agile (!) Religion sich ausbreitet, kann nicht entgehen, wie sehr die christlich-abendländische Kultur in Deutschland in die Ecke gedrängt worden ist." (B. Kohle, FAZ, 06. 04. 2006)

Die Deutschen müssen sich am Riemen reißen. Ihren christlich-abendländischen Pflichtenkanon aus der Ecke hervorholen. Dem "agilen" Fremdkörperwesen der Migranten die eigene dogmatische Überzeugungstreue, den eigenen sittlichen Fundamentalismus entgegensetzen. Damit am Ende auch die doppelt "stigmatisierte" jugendliche Überschuß-Bevölkerung des Kapitalstandorts Deutschland mal richtig merkt, daß sie weder in Sachen Gewalttätigkeit noch in Sachen "agil"-aktiver Borniertheit ihrer "Gastgesellschaft" das Wasser reichen kann.

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Ausgabe 11-06 vom 26. Mai 2006
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