Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe

von
Max Beer
06/06

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II. UNTERGANG DER ANTIKEN WELT Zur Kapitelübersicht

1. Zerfall des Römischen Reiches.

Die kulturelle Rückentwicklung des römischen Reiches nahm unvermeidlich ihren Fortgang. Die Feudalisierung des Grundbesitzes, die Bindung der Kleinpächter an die Scholle, die Organisierung der städtischen Handwerke in Zünfte waren teils die Ursache, teils die Wirkung des wirtschaftlichen Stillstandes und Rückganges. Die drückende Lage der landwirtschaftlichen Bevölkerung war selbstredend nicht geeignet, die städtischen Proletarier zurück aufs Land zu locken. Noch mehr: mit der zunehmenden Hörigkeit des Landvolkes begann eine Landflucht nach den Städten, wo jedoch verhältnismäßig wenig Arbeitsgelegenheit vorhanden war.

Die Einengung der Produktion und die Abnahme der Subsistenzmittel äußerte sich in einer Abnahme der Bevölkerungszahl, in einem Sinken der Volkskraft. Und das geschah zu einer Zeit, wo die germanischen Stämme: Goten, Alemannen, Vandalen, Burgunder und Franken immer kräftiger auf die Reichsgrenzen zu drücken begannen. Das Reich brauchte Soldaten, aber der Grundbesitz brauchte Arbeiter, und die Mannschaftsbedürfnisse beider Mächte konnten nicht befriedigt werden, da, wie gesagt, die Volkskraft abnahm. Der Großgrundbesitz siegte und behielt die Arbeiter. Die Reichsverteidigung wurde in wachsendem Maße geschwächt, wodurch es den Germanen, Hunnen, Awaren und anderen herandrängenden Völkerschaften schließlich gelang, Rom zu überrennen. Einen umfassenden, diktatorischen Versuch der Reorganisation machte der Soldatenkaiser Diokletian um die Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert; er verwandelte das Römische Reich in eine cäsaristisch-militärische Despotie, band die ganze Bevölkerung kastenartig an ihre Beschäftigung, regulierte alles und jedes, aber das Reich war sozialwirtschaftlich krank und konnte nicht mehr geheilt werden. Das war die Zeit des Sieges der christlichen Kirche, die Zeit des Todeskampfes des römischen Weltreiches. Zu Ende des 4. Jahrhunderts zerfiel es in zwei Teile: ins weströmische und oströmische Reich. Jenes erlag den Germanen, dieses vegetierte weiter als byzantinisches Reich.

2. Ursache des Untergangs der antiken Welt.

Im vorhergegangenen Kapitel verzeichneten wir die letzten Phasen des Römischen Reiches oder der antiken Welt. Wir sprachen von der unheilbaren Krankheit, der dieses Reich verfallen war. Wir wissen aber noch nicht, was in letzter Instanz die Ursache war, die einem einst so machtvollen politischen Organismus ein Ende bereitete. Wohl können überlegene feindliche Mächte vieles zerstören, aber die germanischen Stämme und die Hunnen waren weder an Menschen noch an Organisation dem römischen Weltreiche überlegen. Der Erfolg dieser Stämme wurde doch schließlich nur möglich, weil Rom bereits krank war und die Mittel in sich nicht finden konnte, die soziale Gesundheit wieder zu erlangen. Was also war die wirkliche Ursache, die den Untergang Roms und somit der antiken Welt herbeiführte?

Die Ursache ist nur zu finden in dem Unvermögen Roms, die Produktionskräfte zu entfalten, die Produktion zu steigern und die materiellen Bedürfnisse eines so großen Reiches zu befriedigen. Wäre Rom ein landwirtschaftliches, auf einer zahlreichen, unabhängigen Bauernschaft begründetes Reich geblieben, oder hätte es neben der Latifundienwirtschaft noch ein technisch fortgeschrittenes Gewerbeleben entwickelt, so würde es imstande gewesen sein, die Bevölkerung mit den nötigen Lebensmitteln zu versorgen. Die Folge würde eine stetig wachsende Bevölkerungszahl gewesen sein, die genügend Truppen und technische Mittel hätte liefern können, um die Reichsgrenzen zu schützen.

Rom blieb aber einerseits in primitiven Produktionsformen stecken, andererseits machte die Latifundienwirtschaft dem freien Bauerntum ein Ende. Die Folge war eine Abnahme der Existenzmöglichkeiten, somit auch ein beständiger Rückgang der Bevölkerungszahl und der Volkskraft. Die Diktatur Diokletians, die staatlichen und polizeilichen Regulierungen konnten diesem Übel nicht nur nicht abhelfen, sondern verschlimmerten es, indem sie die ohnehin schmale Lebensbasis noch mehr einschränkten.

. Warum blieb Rom aber in primitiven Produktionsformen stecken? Die materielle Rückständigkeit war offenbar die Folge der unfreien Arbeit, auf der Rom beruhte. Sklaverei und Hörigkeit drückten der produktiven Arbeit den Stempel der Minderwertigkeit und der Unehre auf. Die besten Köpfe und die begabtesten Künstler wandten sich von der produktiven Arbeit ab, ja, sie hielten sie für eines freien Mannes unwürdig. Bei dieser Sachlage war ein technischer Fortschritt unmöglich. Sobald es an Existenzmitteln not tat, suchte man nicht nach neuen Arbeitsmethoden, Erfindungen oder Verbesserungen der Werkzeuge, sondern man half sich durch Zwang, Krieg, Eroberung und Raub. Als aber Rom die antike Welt erobert, ausgeraubt und die erbeuteten Reichtümer verpraßt hatte, wurde die materielle Basis des Reiches so schmal, daß sie es nicht mehr tragen konnte. Die Stöße der undisziplinierten, in Bewegung geratenen barbarischen Völkerschaften genügten sodann, das letzte große Imperium der antiken Welt in Stücke zu schlagen. Auf den Trümmern Roms bauten dann die Germanen neue Staatswesen.

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S.145-148

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html