Betrieb & Gewerkschaft
Arbeiterkontrolle im Praxistext
Ein Film dokumentiert den Aufbruch und die Probleme in fünf venezolanischen Fabriken

Filmrezension v
on
Peter Nowak
06/06

trend
onlinezeitung

5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela“
Ein Film von Dario Azzellini & Oliver Ressler, 81 Min., spanisch mit deutschen Untertiteln

Der Mann sieht aus wie ein etwas jüngerer Fidel Castro. Auch seine marxistisch grundierte Rhetorik kann es mit der des kubanischen Staatschefs aufnehmen. Doch ist der bekannte venezolanische Marxist Carlos Lanz seit Anfang 2005 Direktor der selbstverwalteten Aluminiumhütte Alcasa in Venezuela. Vorgestellt wird er in dem Film „Fünf Fabriken“. Die
Koproduktion des Berliner Filmemachers Dario Azzellini und des Wiener Künstlers Oliver Ressler nimmt den Zuschauer gleich mit in die venezolanische Arbeitswelt. Fünf Großunternehmen in unterschiedlichen Regionen des Landes werden vorgestellt: neben der Aluminiumhütte, ein Textilunternehmen, eine Tomatenfabrik, eine Kakaofabrik und eine
Papierfabrik. Sie waren alle von ihren vormaligen Besitzern aufgegeben und die Arbeiter waren entlassen worden. Sie haben sich entschlossen, die Fabriken zu besetzen und die Produktion wieder in Gang zu bringen. Das ist ihnen in den gezeigten Fällen mit einigen Erfolg gelungen. Darauf sind die Interviewpartner auch sehr stolz. So betonte eine Arbeiterin aus der Papierfabrik, die Besetzung das Werk der Belegschaft gewesen sei. Die Regierung hat die Fabriken später unterstützt und auch günstige Kredite vergeben. Das weiß die Belegschaft zu würdigen, betont aber eindeutig ihre Unabhängigkeit.

Die in den fünf Fabriken an ihren Produktionsorten aufgenommen Protagonisten berichten über alternative Organisationsweisen und das Experimentieren von Modellen von Arbeiterkontrolle. Auch die Schwierigkeiten der Selbstverwaltung werden dabei ebenso ehrlich geschildert und analysiert. So sieht der Marxist Carlos Lanz in einem rein gewerkschaftlichen Bewusstsein der Belegschaften eine große Gefahr für den weiteren Ausbau der Arbeiterkontrolle in Venezuela

Die Situation in den fünf Fabriken ist unterschiedlich. Doch gemeinsam ist die Suche nach besseren Produktions- und Lebensmodellen. Dabei stehen nicht nur konkrete Verbesserungen für die Arbeiter im Vordergrund. Aury Arocha, Laboranalystin der Ketchup-Fabrik "Tomates Guárico“ betont: Der Unterschied zwischen Unternehmen sozialer Produktion (EPS) und kapitalistischen Unternehmen besteht darin, dass die EPS für die Gemeinschaft, d.h. im Sinne der Gesellschaft arbeiten.“

Hier wurde eine Gelegenheit verpasst, noch einmal genauer nachzufragen. Wie sind die konkreten Arbeitsbedingungen ausgestaltet und wer hat darüber entschieden? Wer bestimmt über das Arbeitstempo und die Löhne? Carlos Lanz aber auch andere Interviewpartner betonten mehrmals, dass Venezuela weiterhin ein kapitalistisches Land ist und deshalb auch noch Ausbeutungsverhältnisse weiter existieren. „Das Alte ist noch nicht abgeschlossen. Das Neue ist noch im Entstehen“, erklärte ein Interviewer poetisch.

Der Film zeigt die Mühen der Ebene im venezolanischen Umgestaltungsprozess und entlässt den Zuschauer mit der Frage, wann solche Debatten auch wieder bei uns in der betrieblichen Auseinandersetzung auf die Tagesordnung kommen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 28.5.2006 überlassen.

Der Film läuft zur Zeit täglich im Lichtblickkino in Berlin. Genaue Infos
gibt es unter: http://www.azzellini.net/veranstaltungensub.htm
Dort kann auch die DVD bestellt werden.