Gesetzliche Freigabe von Rauschgift
Ein Blick in die Geschichte der Alkoholprohibition in den USA

von Detlev Kretschmann
06/06

trend
onlinezeitung
Die "Expertinnen" diskutieren. Also die, die sich rausnehmen, für andere sprechen zu können. Meist werden sie von staatlichen Stellen oder staatlich unterstützten Stellen bezahlt. Es ist also von diesen gut lebenden, weil gut bezahlten Menschen, kaum Revolutionäres zu erwarten.

Die Qualität der Diskussion ist die Tendenz, die die Expertinnen noch VOR dem schwerfälligen Staatsapparat erkennen können.

Im Bereich der illegalen Drogen sehen die 'Expertinnen" die Drogenfreigabe als Tendenz. Dabei gibt es durchaus Abstufungen, die der Kompromißbereitschaft, also der Schere im Kopf, geschuldet sind. Harte und weiche Drogen werden unterschieden. Es gibt Differenzen in Bezug auf den künftig berechtigten Personenkreis.

Was aber heute als ganz neuer Trend diskutiert wird der erste Kongress zur Drogenakzeptanz in Berlin liegt erst wenige Monate zurück - ist ein alter Hut. Zumindest für die USA ist die Aufhebung eines rechtlichen Verbots von Drogen eine gesellschaftliche Erfahrung, die es lohnt zu betrachten.

Für die Frage, ob Drogen "gut" oder "schlecht" waren, spielten gesundheitliche Erwägungen immer eine untergeordnete Rolle, Es waren die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, in denen letztendlich die Antwort zu suchen war.

In den neuenglischen Kolonien galten fermentierte Getränke als "gute Kreaturen Gottes". Die Lebens- und Arbeitswelt der weißen Siedler fiel in eins Produktion und Leben waren auf niedriger Stufe weitgehend "alkoholunempfindlich".

Etwa zu Beginn des 18.Jahrhunderts hielten die destillierten Getränke (mit einem zehnfachen Gehalt an Alkohol) Einzug in die Kolonien.

Diese neuen Getränke fanden reißenden Absatz, hatten sich doch die Lebens- und Produktionsbedingungen für die Arbeiter unter der beginnenden Manufakturproduktion erheblich verschärft. Dem Sprit wurde nun die "Göttlichkeit" aberkannt. Er galt nicht nur der einflußreichen Kirche als Teufelszeug. Erste Untersuchungen auf der damaligen wissenschaftlichen Höhe der Zeit, also aus der naturphilosophischen Perspektive, stellten die zerstörerische Wirkung der Destillate auf die Menschen und den "sozialen Körper" der USA fest. Die möglicherweise "gewohnheitsbildende" Wirkungskraft wurde hervorgehoben. Das beobachtete Suchtpotential wurde in das hochprozentige "Gift" verlagert. Wissenschaftlich war der identische chemische Kern.

Die Folgen des Alkoholkonsums wurden der Substanz zugeschrieben. Für die arbeitende Klasse, unter den Bedingungen des sich ausformenden Industriekapitalisrnus , galt der Sprit als nahrhaft, gesund, stimulierend und heilwirksam.

Da nun der Alkohol die bürgerliche Realitätskonstruktion bedrohte, wurden seine negativen Eigenschaften überbetont: nährstoffarm, narkotisierend, süchtigmachend, gewohnheitsbildend, psychisch und physisch ungesund...

Die Probleme des Alkoholkonsums wurden bis in die Zeit der Prohibition (die Volstead-acts beinhalteten das Verbot der Produktion, Distribution und Kommerzialisation aller alkoholischen Getränke mit mehr als 0,05% Alkoholgehalt) 1919- 1933 kollektiv, also als gesamtgesellschaftliches Phänomen betrachtet. Allerdings wurden dem Alkohol (einem offenbar metaphysischen Gift) die sozialen übel des Kapitalismus zugeschrieben.

Deshalb gab es schon lange vor 1919 in den Einzelstaaten Bestimmungen, die die soziale und politische Ordnung erhalten und die wirtschaftliche Prosperität schützen sollten. Dabei forderte das Bürgertum für sich selbst und "die gefährlichen Unterklassen" den Verzicht auf das Alkoholgift. Den klugen Zeitgenossinnen war jedoch klar, daß nicht das System Fehler machte, indem es Alkohol erlaubte, sondern daß das System selbst der Fehler war ,

Für die Lösung der sozialen Probleme des Massenelends in den USA sahen die Genossinnen messerscharf die Revolution vor, nicht etwa Gesetzesänderungen , wenngleich sich auch die SozialistInnen der Forderung nach Prohibition angeschIossen hatten.

Die Prohibition war der Ausdruck eines Versuchs, den Kapitalismus progressiv zu reformieren. Sie gehört historisch in eine Reihe mit den Kämpfen um

  • die Abschaffung der Kinderarbeit,
  • Kontrolle der Monopole und Trusts,
  • Etablierung der Einkommenssteuer,
  • das Frauenwahlrecht.

Eine Rücknahme der Prohibition, des strikten Drogenverbots also, mußte dann auch "wissenschaftlich" verbrämt werden.

Die an sich richtige Erkenntnis, daß Alkohol nur als Ware in einer hochentwickelten Konsumgesellschaft eine soziale Gefahr darstellt, mußte relativiert werden.

Bereits in der Aufweichungsphase der Prohibition geschah das durch die Individualisierung der Suchtproblematik. Noch heute ist die Antiprohibitionsbewegung mit Mätzchen und Mythen behängt. Dieser Bewegung und ihren Lohnwissenschaftlern ging es tatsächlich um die Abdämmung einer radikalisierten Strukturreform des US-Kapitalismus.

Die Prohibition. war in den USA erfolgreich. Die Verbotsbestimmungen wurden weitgehend eingehalten. Die aus Gangsterfilmen bekannten Tatbestände waren zwar da, aber keineswegs bestimmend (Schwarzmarkt, Korruption, überzogene Polizeiaktionen, Überlastung der Justiz durch AIkoholverfahren...).

Die für die Arbeiterklasse wichtigen Tatbestände, wie Krankheit, Sterblichkeit, Kriminalität, Arrest, Hospitalisierung als Folge von Alkoholgebrauch gingen in kaum vorstellbarem Ausmaß zurück. Der vom Bürgertum mit der Prohibition verbundene Properitätsgedanke erwies sich als Flop. In ihrer trockensten Zeit fielen die USA in ihre tiefste Depression.

Ab 1928 lag der Kampf gegen die Interessen der Arbeiterklasse in bezug auf den Alkohol in den bis heute bewährten Händen von Sozialarbeitern. Der New Yorker Sozialarbeiter J. Gebhardt brachte mit einem kleinen Stab in drei Jahren 13 Forschungspamphlete unter das Volk. In allen wurde der Individualisierung des Alkoholkonsums und den Horrorgeschichten über die Prohibitionsfolgen das Wort geredet. Mit ihrer gut bezahlten Propagandamaschine, deren Ergebnisse noch heute als seriös und wissenschaftlich gelten, konnte die Sozialarbeitergruppe Einfluß gewinnen.

Die Lohnschreiber des Kapitals fanden ihren Meisterapologeten in E.M. Jellinek, dessen "wissenschaftliche" Erkenntnisse bis heute über die Therapie- und Äbstinenzbewegung und die WHO die Drogendiskussion bestimmen. Jellinek hat die Krankheit "AIkoholismus" wiederentdeckt und damit die gesellschaftlichen und politischen Ursachen des Alkoholproblems umgedeutet in ein medico-psychiatrisches Individualproblem , das eigentlich nur eine ganz kleine Minderheit hätte. Soziales Trinken, sei von nun an möglich und die unbedenkliche Regel, Nur die 'kranken" also die wenigen süchtigen Individuen müssten geheilt werden.

Dafür hatte er, zusammen mit den Anonymen Alkoholikern, Pläne erarbeitet, die sich aber ausschließlich an die Mittelschichten richteten. Gebhardt und später Jellinek waren lediglich die "wissenschaftlichen" Vollstrecker der gesamtgesellschaftlichen Tendenz. Nichts wäre also falscher, als in der Aufhebung der schon vorher aufgeweichten Prohibition eine Verschwörung des nassen gegen das trockene Amerika zu sehen. Es trafen hier Strukturveränderungen des US-Kapitalismus mit dem Beginn der Massenkonsumgesellschaft und der Herausbildung der "new middle-classes" zusammen.

Diese neue Klasse ließ die alten bürgerlichen Wertekonstellationen nicht mehr gelten, sondern kreierte einen Lebensstil der moralischen Befreiung und der betonten Individualität (Freizeit, Vergnügen, Konsum. . . ) Diese große Bewegung der aus ökonomischen Veränderungen hervorgegangenen neuen Mittelklassen entschied die Rücknahme der Prohibition mit, denn ihr neuer Lebensstil erforderte auch den freien Zugang zur Droge. Die schließlich durchgeführte gesetzliche Aufhebung des Alkoholverbots war die einzige Verfassungsänderung der USA, die zurückgenommen wurde. Die Frage ob trocken oder naß lag nun in den Einzel Staaten. Die Zentralregierung war ebenfalls geschwächt. Auch dies war ein politisches Ziel im Kampf gegen das Verbot.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel entstand der 90er Jahre  unter heftiger Verwendung des Buches: Alkohol, Individuum und Gesellschaft von W. Hermann Fahrenkrug, Campus-Verlag, Frankfurt/New York, 1984 und war für die WILDCAT bestimmt, die ihn damals nicht abdruckte. Wir fanden das Manuskript in unserem Archiv.

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