Rüstungsforschung an der TU Berlin

von antu
06/06

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Die Technische Universität ist kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um die Verwicklungen von Nazi-Staat und Wissenschaft geht. Ihre Vorgängerin, die Technische Hochschule Charlottenburg galt als Hochburg der Nationalsozialisten(1). Die menschenverachtende Weltanschauung des Faschismus war bereits vor 1933 tief verwurzelt unter Studierenden wie Professoren und mündete später in Vertreibung von Wissenschaftlern und Ausschluss von Lernenden aufgrund ihres Glaubens.  Doch die Geschichte wäre nicht komplett ohne die Erwähnung der „Wehrtechnische Fakultät“, einer Stütze der Militärmaschinerie, die Krieg und Vernichtung nach ganz Europa trug.

Das ist der Grund warum die britische Militäradministration zur Neueröffnung die Vermittlung humanistischer Werte und des Gefühls für persönliche Verantwortung der Wissenschaftler zu einem Grundprinzip der Technischen Universität erklärte(2).

Und auch nach dem Wegfall der alliierten Bestimmungen beschloss der Akademische Senat 1991 in einer Selbstverpflichtung „daß an der TU Berlin keine Rüstungsforschung durchgeführt werden soll.“(3)

Neoliberale Aufrüstung

Doch inzwischen scheinen diese Auflagen für die Entscheidungsträger an der TU keine Bedeutung mehr zu haben. In Zeiten der neoliberalen Umstrukturierung des Bildungssektors wird bedenkenlos die Verschmelzung von Wirtschaft und Bildung, folglich die Ausrichtung der Bildungseinrichtungen nach kapitalistischer Verwertungslogik vorangetrieben. Firmenmessen, auf denen sich das „Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung“ an der TU präsentiert, wie im Jahr 2004 geschehen, sind damit ebensowenig ein Problem wie eine Universitätsbibliothek im „Volkswagenhaus“.

Ausgerechnet Volkswagen! Ein Konzern, der im zweiten Weltkrieg durch den Bau des „Kübelwagen“, der V1-Raketen und vieler anderer Kriegsprodukte zu den wichtigsten Rüstungsunternehmen gehörte und dabei ungehemmt vom Einsatz von ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen profitierte.

Damit ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Re-Etablierung von Rüstungsforschung an der TUB entgegen aller Beschlüsse und Argumente.

Zurück zu alten Stärken?

Doch dieser Schritt ist längst getan, in der Fakultät VIII für Wirtschaft & Management hat sich eine Veranstaltung etabliert, die den bezeichnenden Titel „Verteidigungstechnologie, Streitkräfteökonomik, Geopolitik“ trägt.

Professor Dr. Markus C. Kerber beschäftigt sich ohne Skrupel und unbehelligt mit Themen, über die wir im folgenden einen kurzen Überblick geben möchten. Auch seine Reaktionen auf kritische Nachfragen sollen dokumentiert werden.

„Seitdem der Kalte Krieg endgültig beendet ist, ist die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz geworden. Dies führt notwendigerweise zu einer Revision ihrer Rolle, ihrer Ausrüstungsbasis sowie der Beurteilung des geopolitischen Kontextes, in welchem deutsche Souveränität an internationaler Sicherheitspolitik - jenseits der Territorialverteidigung- teil hat. Die Politik hat die intellektuellen Herausforderungen nur zögerlich angenommen. Daher will die Wissenschaft voranschreiten und die Infrastruktur für das öffentliche Gut Sicherheit überdenken helfen.“(4)

Mit diesen Worten kündigt Prof. Kerber das Seminar auf seiner Internetseite an, die Stoßrichtung ist damit klar und konkrete Themen wie „Die Folgen für die Ausrüstung der Streitkräfte aus dem Wandel zur Interventionsarmee“, „Neue strategische Optionen durch Quantensprünge in der Militärtechnologie“ oder „Die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsprinzip bei der Entscheidung von rüstungswirtschaftlichen Optionen“(5) machen sie nur noch deutlicher: Deutschland führt wieder Kriege in aller Welt und mit Hilfe der Wissenschaft sollen zum einen militärstrategische Überlegungen angestellt, zum anderen direkt am kriegswirtschaftlichen Prozess optimiert werden.

In der Einführungsveranstaltung des Seminars „für Theorie und Praxis“6 am 12. Mai 2006 wurde der Korvettenkapitän der Reserve7 Kerber dann auch konkreter.

Vorbild für seine Forschung sei der "Afrikakämpfer" Oberst Gerber, der vor mehreren Jahrzehnten ein Buch veröffentlichte, das eine "Gedankenrevolution" ausgelöst hätte. Erstmals sei die Wirtschaftlichkeit im Militär von ihm thematisiert worden. Auf die Zwischenfrage, wieso Kerber sich ausdrücklich auf Gerber als "Afrikakämpfer" beziehe, entgegnete er nur, dass Gerber ja inzwischen gestorben wäre und man ihn doch in ruhe lassen solle, schließlich hätte er uns ja nichts getan. UNS nicht...

Im heutigen Zeitalter wäre eine ökonomisch durchorganisierte Auswertung von Informationen für Geheimdienste eine wichtige Aufgabe. Ließen sich doch aufbauend darauf Drohszenarien gegen Staaten aufbauen, die nicht so wollen, wie sie sollen. Ein Beispiel dafür wäre der aktuelle Konflikt um den Atomwaffensperrvertrag. Kerber möchte nun mit wissenschaftlichen Mitteln herausfinden, wie sich z.B. die Auswertung von Satellitenbildern wirtschaftlicher, also effizienter gestalten lässt.

Wieweit sich geheimdienstliche Arbeit und Kriegsgeschehen trennen lässt, demonstriert der Krieg gegen den Irak anschaulich. So liegt eine Verbindung zum militärischen nicht nur vor, wenn im Kriegsfalle, Angriffsziele ausspioniert werden. In der Kriegsvorbereitung wird sich immer gern auf angebliche oder tatsächliche Geheimdienstinformationen bezogen. Sie liefern die Vorwände für die militärischen Angriffe, die sich nicht selten im Nachhinein als Farce, als Schauspiel in dem Legitimationen durch obskure Verdrehungen von Fakten und Tatsachen konstruiert werden, herausgestellt haben. Der ehemalige Kriegsminister Scharping lieferte im Vorfeld und während des Krieges gegen Jugoslawien ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie auch deutsche Politiker basierend auf Geheimdienstinformationen die unglaublichsten Legitimationsmärchen für ihre Militärschläge konstruieren.

Doch auch, wenn der reale Krieg dann ausgebrochen ist, hat Kerber Ideen und Argumente, über die sich die Strategen der Rüstungskonzerne freuen werden.
Beim Einsatz von Kampfjets, erklärte er, solle Menschenleben geschont werden. Deshalb müsse überlegt werden, wie der Einstatz von unbemannten Kampfdronen wirtschaftlich gestaltet werden könne. Haarsträubend die Erläuterung: Wenn ein Abschuss eines Jets nämlich den Tod des Piloten zur Folge hätte, wäre schließlich die kostspielige Investition in dessen Ausbildung verloren gegangen. Damit offenbart Kerber, dass seine Überlegungen keineswegs humanistischer Natur sind, sondern rein militärwirtschaftlicher. Noch verdeutlicht wird diese Doppelmoral dadurch, dass das Leben derjenigen, auf die die Bomben fallen, in dieser Argumentation überhaupt keine Rolle spielt.

Neutralität der Wissenschaft?

Auf Einwände anwesender StudentInnen reagierte er immer wieder mit dem gleichen Argument, wenn er sie nicht einfach ignorierte: Er betreibe keine Rüstungsforschung, er treffe hier keine politischen Aussagen, er stelle hier nur Betrachtungen an. Damit spricht sich Kerber von jeder Verantwortung frei. Er stellt sich auf den Standpunkt des scheinbar neutralen Wissenschaftlers, der ohne Verantwortungsgefühl seine Erkenntnisse preisgibt, sich keine Gedanken um deren Verwendung macht(8).

Nachdem sich die BRD eineinhalb Jahrzehnte nach der Einverleibung der DDR auf der Bühne der Weltpolitik längst wieder als Großmacht rehabilitiert hat, nachdem seit Jahren Auslandseinsätze der Bundeswehr wieder zur deutschen Außenpolitik gehören kann es diese Neutralität nicht geben.

Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien schreiben die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr fest: Die schlagkräftige Durchsetzung deutscher Interessen in der ganzen Welt. Dazu läuft derzeit eine umfassende Umstrukturierung zur effizienten Kampftruppe. Rüstungs-Großprojekte in Milliardenhöhe sorgen für die materielle Basis.

Seit Jahren läuft auch die EU-Militärmaschinerie auf Hochtouren, EU-Eingreiftruppe und Battle Groups werden mit deutscher Beteiligung aufgestellt. Mit geplanten Einsätzen, wie demnächst im Kongo, soll u.a. demonstriert werden, dass die EU als Militärmacht präsent und handlungsfähig ist.

Es kann also keine reine Betrachtungen geben. Wer beschreibt, analysiert, korrigiert und so an der Optimierung von Rüstungs- und Einsatzprozessen sowie außenpolitischen Strategien mitwirkt, der bezieht zweifellos Stellung: Für die Militarisierung der Gesellschaft, für eine Militärmacht Europa, für deutsche Großmachtsambitionen.

Deutschnationales Gedankengut

Es ist jedoch nicht weiter verwunderlich, dass Kerber sich mit dem wackeligen Konstrukt der neutralen Beobachtung zufrieden gibt um sich gegen KritikerInnen abzuschotten, denn seine eigenen politischen Vorstellungen dürften sich wohl eher im Deutschnationalen Bereich abspielen.

Herr Kerber publiziert nämlich nicht nur gerne in verschiedenen Militärzeitungen, auch in der rechtsextremen Zeitschrift „Junge Freiheit“ hat er in den letzten Jahren mehrere Artikel veröffentlicht. Besonders ins Auge sticht ein Artikel aus dem Jahr 2003(9). Die polnische Stadt „Landsberg an der Warthe“ liegt darin für ihn in Ostbrandenburg und das wiederum sei Mitteldeutschland. Damit offenbart der Professor Dr., dem wir wohl keine Unwissenheit über die Deutschen Grenzen vorwerfen können, sein deutsch-nationalistisches und revanchistisches Weltbild. Im Rückgriff auf antiamerikanische Argumentationsmuster versucht er alle Menschen, die sich nicht mit dem Großdeutschen Projekt der „Wiedervereinigung“ identifizieren können, eine „entgrenzt individualistische[n] Einstellung mit hedonistisch-amerikanisierten Zügen“ zu haben.

Glaubt man Kerber ziehe sich dieses „Unbehagen mit dem Nationalen“ durch die ganze Gesellschaft. So sei die Kultusministerkonferenz ein „Synonym für föderale Anarchie“, weil sie es nicht schaffe der „Unkultur der deutschen Schulen“ eine „deutsche Kultur“ entgegenzusetzen

Sein liebstes Steckenpferd bleibt aber Europa. Als wäre die EU nicht schon deutsches Projekt genug, beklagt er sich über die nicht berücksichtigte „wiederholte Feststellung der deutschen Mittellage“ und trauert über die „Beseitigung“ der „letzten deutschen Spurenelemente in der europäischen Konstruktion“.

Die fragwürdige Bezugnahme auf den „Afrikakämpfer“ Oberst Gerber (siehe oben) erscheint so auf einmal in einem ganz anderen Licht.

Wir wollen Kerber nicht unterstellen, dass er ein Anhänger des Nationalsozialismus sei, jedoch kann nach obiger Darstellung mit guten Gründen behaupten werden, dass Kerbers Weltbild revisiontistische und ins rechtsextreme tendierende Züge trägt.

Es scheint also nicht an den Haaren herbeigezogen eine Verbindung seiner Gedankenwelt und dem ach so neutralen Rüstungsseminar zu sehen. Die vorgeschobene Neutralität hat sich damit endgültig als lächerliches Rechtfertigungskonstrukt entlarvt.

Forderungen

Laut eigener Aussage von Kerber läuft das Seminar bereits seit mehreren Jahren an der Uni, bisher scheint es noch keine Probleme gegeben zu haben.

Wir fragen uns wie es sein kann, dass die Uni-Leitung solch eine Veranstaltung zulässt, die klar der Selbstverpflichtung des Akademischen Senats (s.o.), wie den verbindlichen Grundprinzipien der TU Gründung (s.o) widerspricht.

Wir wollen keine Universität, die deutschnationalen Reaktionären ein Forum bietet, um die Gesellschaft unter dem Deckmäntelchen der wissenschaftlichen Neutralität an Militarisierung und an den Einsatz von Militärschlägen als außenpolitisches Mittel zur Durchsetzung deutscher geostrategischer und wirtschaftlicher Interessen zu gewöhnen. Wir wollen keine Einbindung der TU Berlin in das großdeutsche Projekt.

Wir wollen eine Universität, an der kritische Inhalte gefördert werden, an der ein Maß für die Verantwortung der Wissenschaft vermittelt wird, an der emanzipatives Denken ermöglicht wird.

Deshalb fordern wir die sofortige Streichung des Seminars aus dem Studienprogramm. Wir fordern die Universitätsleitung auf, zur Forschungsarbeit und Lehrtätigkeit Prof. Kerbers Stellung zu beziehen, sowie die zukünftige Durchsetzung der Beschlüsse des AS, die ein klares Verbot von Rüstungsforschung aussprechen.

Wir fordern die Verschmelzung von Wirtschaft und Bildung allumfassend zurückzuschrauben. Bildung muss unabhängig und frei sein um Kritik entwickeln und erhalten zu können.

Juni 2006


Fußnoten

1 siehe z.B. die Webseite der TUB ( http://www.tu-berlin.de/uebertu/geschichte.htm  )

2 Major-General E. P. Nares zur Eröffnung der Technischen Universität: „It should teach you that all education, technical, humanistic, or what you will, is universal: that is to say it must embrace the whole of man, the whole personality, and its first aim is to produce a whole human being, capable of taking his place responsibly beside his fellows in a community.“

3 Beschluß AS 3/343-29.5.91: siehe http://jpberlin.de/antifa-pankow/antifa-tu/text/ruestungsbeschluss.htm  

4 Veranstaltungsankündigung laut www.wm.tu-berlin.de/dozenten/europolis/seminar_ruestung.html  

5 laut Handreichung in der Seminarvorstellung

6 siehe http://www.wm.tu-berlin.de/dozenten/europolis/index.html

7 Gegen Afrikakämpfer Oberst Gerber (siehe unten) sei er ja nur ein „kleiner Korvetenkapitän der Reserve“

8 In welchem Maße dies im Widerspruch mit den Gründungsprinzipien der TU steht, verdeutlicht folgender Auszug aus der o.g. Eröffnungsrede: „This universality is necessary in education because only by cultivation the whole of himself can man acquire a sense of responsibility, and only by responsibility can freedom, peace and justice—that is the happiness of all men—be assured. Those technicians—and they were not few—who were content to put their technical brains at the disposal of Hitler’s war machine without considering the ends to which it led were lacking in responsibility. If they had first thought, “What will be done with this discovery of mine? To what use will this machine I can make be put? How is it related to the whole functioning of mankind?”, then those of them who were whole men and felt responsibility for their actions would have seen that the aim was unjust and represented the perversion of their ingenuity.“

9 „Irrungen und Wirrungen / Friedrich Dieckmann stellt mit "Was ist deutsch?" die deutscheste aller Fragen“, Ausgabe 49/03, siehe http://www.jf-archiv.de/archiv03/getdata.asp?FILE=493yy58%2Ehtm&S1=Markus&S2=Kerber&S3=, die folgenden Zitate sind hieraus entnommen

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien bei  https://jpberlin.de/antifa-pankow/antifa-tu/. Wir wurden um weitere Veröffentlichung von antifa_tub@no-log.org am 8.6.2006 gebeten