Das Wertgesetz im Raum

von Karlheinz Borchert und Dirk Schubert
06/06

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Die Verwandlung der einfachen in die kapitalistische Warenproduktion geht einher mit der Wandlung der gesellschaftlichen Synthesis und der Siedlungsform konkret: Eine über den Austausch vermittelte Siedlungsform bedingte die Überwindung der bäuerlichen Naturalwirtschaft, den Übergang zum Metallgeld als allgemeinem äquivalent und eine Profitrate in ihrer einfachsten Form (1). Die spätfeudale, kommerzielle Siedlungsform erfordert bereits eine Überwindung der 'ökonomisch allgemeinen Gültigkeit' (2) des Marxschen Wertgesetzes. Die endgültige historische Durchsetzung der kapitalistischen Konkurrenz geschieht jedoch erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beziehung der Profitrate zum Mehrwert hergestellt, die Produktion unter das Kapital subsummiert wird und die Herausbildung einer allgemeinen Profitrate endgültig die Werte in Produktionspreise verwandelt. (3) Es ist nun an dieser Stelle die Aufgabe, die anarchische, räumliche Entwicklung dei. bürgerlichen Gesellschaft mit ihrem inneren Regulator, dem entfalteten Wertgesetz, zu vermitteln.

Ohne hier auf umfangreiche Ableitungen eingehen zu wollen, finden wir als erstes Ergebnis der allgemeinen Wirkung des Wertgesetzes die Verwandlung der Werte in Produktions- und Marktpreise (4), als zweites Ergebnis die Angleichung der Produktionsbedingungen in den besonderen Sphären 'innerhalb ihrer sich stets erneuernden realen Ungleichheit' und die 'Etablierung der jeweils fortgeschrittensten Produktionsbedingungen als durchschnittlicher' (5); als drittes Ergebnis die Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit auf die besonderen Sphären der Produktion und deren Angleichung an die durchschnittlichen Produktionsbedingungen; schließlich als viertes Ergebnis den Gesamtproduktionsprozeß und die Reproduktion der umfassenden sozialen Verhältnisse.

Die Möglichkeit ungleicher individueller Profitraten liegt bereits in der Herausbildung eines Marktwertes bzw. Produktionspreises unter ungleichen (Re)-Produktionsbedingungen der Einzelkapitale begründet. Sobald aber diese Bedingungen nach ihrer stofflichen oder wertmäßigen Seite als räumlich-disparitär verteilt unterstellt werden, läßt sich auch der Zusammenhang der räumlichen Distribution und der Allokationsbewegung mit dem Wertgesetz als Resultat des Bestrebens der Einzelkapitale nach Maximierung ihrer individuellen Profitraten ableiten.

Dem Streben der Einzelkapitale nach Erzielung von Surplusprofiten tritt auf der Ebene des Gesamtraproduktionsprozesses das Wertgesetz im Raum als blindwirkendes Naturgesetz gegenüber, über das sich die proportionale Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit ebenso auch in ihrer räumlichen Dimension durchsetzt, wie die Dominanz des Kapitals über die Arbeit, schließlich die Konkurrenz zwischen den Einzelkapitalen selbst.

Die gesellschaftliche Siedlungsstruktur ist damit nur ausgehend vor Gesamtreproduktionsprozeß zu entwickeln, denn Agglomeration und Deglomeration beinhalten gerade die räumliche Organisation der Elemente der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion und gleichzeitig die disparitäre Verteilung ihrer Bedingungen. Die kapitalistische Siedlungsform ist selbst materielle Bedingung ihrer Reproduktion aufgrund des besonderen Gebrauchswertes, der aus dieser räumlichen Morphologie erwächst und stets als gesellschaftliches Bedürfnis ins Verhältnis zur Produktion des Sozialraumes gesetzt werden muß. So wie die Bedingungen der Produktion zugleich Bedingungen der Reproduktion sind (6), so stellt sich auch die Reproduktion der Siedlungsstruktur dar als Resultat des über das Zwangsgesetz der Konkurrenz vermittelten Gesamtzusammenhangs, der sich nur über die Verwertung und Aktion der Einzelkapitale aktualisiert. Damit erscheint auch das spezifische Herrschaftsverhältnis und die räumliche Distribution der gesellschaftlichen Arbeit nicht unmittelbar (7), sondern als Ergebnis des "Wertgesetzes im Raum".

Je nach der unterschiedlichen stofflichen Anlagesphäre des Kapitals und dem historischen Stand der Produktivkraftentwicklung ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die externen, allgemeinen (Re)-Produktionsbedingungen, deren ungleiche regionale Verteilung auch die erzielbare Profitrate räumlich differenziert. Es ist evident, daß gleiche (Re)-Produktionsbedingungen (Standortfaktoren) hierbei für die besonderen Kapitale von unterschiedlicher Bedeutung sind.(besondere Standortfaktoren (8)). Mithin unterliegt auch dieses Verhältnis selbst einer historischen Variation gemäß dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte.

Für ein gegebenes Kapital macht sich der 'Zwang des Gebrauchswertes' dahingehend geltend, daß die Standortwahl durch das Ausmaß der räumlichen Präsenz der hierfür spezifischen stofflichen Vorbedingungen eingeschränkt wird. Aber ebenso, wie sich das Kapital prinzipiell gleichgültig gegenüber seiner besonderen Anlagesphäre verhält, ebenso existieren die regionalen stofflichen Voraussetzungen der Produktion nur als 'besondere Verwertungsbedingungen' für ein einmal in einer besonderen Sphäre engagiertes Kapital. Als Strategie der Profitmaximierung erfolgt die Nachfrage nach dem lokalen Standort als Reflex auf die gegebene räumlich-disparitäre Verteilung der Verwertungsbedingungen bei gegebenen Verwertungsanforderungen der besonderen Einzelkapitale. (9) Agglomeration und Deglomeration sind nun nicht nur als disparitäre Verteilung der (Re)-Produktionsbedingungen die Voraussetzung der räumlich ungleichen Profitraten, sondern gleichzeitig das Resultat ihrer Angleichung über die Konkurrenz der Kapitale um den günstigsten, d. h. die höchstmöglichste Verwertung erlaubenden Standort.

"Angleichung der Profitraten, Verschwinden des Surplusprofites als Ergebnis der Durchsetzung des Wertgesetzes über die Herausbildung einer Durchschnittsprofitrate, bedeutet, wenn an verschiedenen Orten produziert wird. Agglomerationsbildung durch Zuzug von Kapitalen, die lokal und regional begrenzte nicht mobile und beliebig vermehrbare Produktionsbedingungen mit in Anspruch nehmen wollen, oder aber Angleichung der regionalen Entwicklung durch Ubiquisierung solcher Surplusprofite ermöglichenden vorher regional und lokal begrenzter Produktionsbedingungen (Deglomerationsbildung - d. V.)." (10)

In jedem Fall führt die räumliche Disparität der Kapitalverwertungsbedingungen zu einer Ausgleichs- und Allokationsbe-wegung, in der sich letztlich die gesellschaftlich fortgeschrittensten (Re)-Produktionsbedingungen durchsetzen. In dieser Allokationsbewegung, zumindest Ausrichtung auf die städtischen Konzentrationen werden deren stoffliche und wertmäßige Vorteile stets als gesellschaftlich 'durchschnittliche' neu gesetzt (Produktion auf erweiterter Stufenleiter).

Wir sehen damit, daß sich die gesamten räumlichen Verhältniss in der wertgesetzlichen Konkurrenz, in dieser 'inneren Tendenz als äußerer Notwendigkeit' (11) reproduzieren. Aber obwohl und gerade weil Ergebnis der Aktion der individuellen Kapitale, entzieht sich der soziale Raum als räumliche Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit in seiner Totalität und Gesellschaftlichkeit der individuellen Beeinflussung. Blindwirkend und hinter dem Rücken der Akteure setzt das Wertgesetz Agglomeration und Deglomeration ins gesellschaftlich notwendige Maß.

Anmerkungen:

(1) Z. B. die aus der Marktgenossenschaft abgeleitete und für alle Beteiligten sichtliche gleiche Genossenschaftsprofitrate (vgl. Marx 1973, Bd. 25, S. 911 f).
(2) ebd., S. 903/909
(3) ebd., S. 915 f
(4) ebd., S. 190
(5) Evers, A. Städtische Strukturen und Staatsinterventionsmus, in Arch+ 1973, S. 9
(6) Marx 1972, Bd. 23, S. 591
(7) Marx 1973, Bd. 25, S. 603
(8) Evers ebd. 1973, S. 10
(9) vgl. Hein, W., Zur Theorie der regionalen Differenzierung kapitalistischer Gesellschaften in der Industrialisierung, Konstanz 1977
(10) Evers ebd. 1973, S. 11
(11) Marx 1974, Grundrisse, S. 317

 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien In: Krise der Stadt (Hrsg.: Schubert, Dirk) Westberlin 1981, S.16ff

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