Was geschah am 2. Juni 1967 vor der westberliner Oper?
Auszüge aus einer Dokumentation
06/07

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Gegen 18.00 Uhr treffen vor der Deutschen Oper in der Charlotten­burger Bismarckstraße die ersten Zuschauer und Demonstranten ein. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits „Greiftrupps" (Kriminalbe­amte in Zivil) bereitgestellt. Gegen 18.45 Uhr wird der nördliche Geh­steig der Bismarckstraße (auf dieser Seite liegt die Oper) polizeilich gesperrt, die Zuschauer und Demonstranten gehen auf die andere Straßenseite und stellen sich dort zwischen den beiden nächsten Quer­straßen (Krumme Straße und Sesenheimer Straße) auf. In Richtung Oper sind „Hamburger Reiter" aufgestellt, hinter den Zuschauern befindet sich ein Bauzaun. 

Von 19.00 bis 19.15 Uhr besetzt die Polizei das Baugelände im RUcken der Demonstranten. Diese zeigen Plakate mit Aufschriften wie „Blutsauger", „Mörder raus aus West-Berlin", „Keine Diktato­ren als Gäste einer freien Stadt", „Nieder mit dem Mörder-Schah", „Autonomie für die Teheraner Universität" und „Freilassung der in­haftierten Studenten". Um ungefähr 19.00 Uhr rufen die Demon­stranten Sprechchöre: „Mo-Mo-Mossadegh", „Schah-Schah-Schaschlik" und „Mörder". Gegen die Polizei richten sie Sprechchö­re wie „SA-, SS-Schah", „Gestapo", „Notstandsübung" und „Schweine". Schaulustige und Demonstranten, die auf die Bäume oder den Bauzaun geklettert sind, werden von der Polizei nach Auf­forderungen zum Verlassen heruntergerissen, zum Teil unter Schlag­stockeinsatz.

Als einer der ersten Gäste trifft der Regierende Bürgermeister Hein­rich Albertz ein. Er ist überrascht, daß — nach den Vorfällen am Vormittag — der gesamte Opernplatz und die Bismarckstraße ent­gegen seiner Weisung nicht freigehalten worden sind, und gibt die Weisung zur Räumung nach dem Eintreffen des Schahs. Um 19.21 Uhr treffen mit zwei Sonderbussen der BVG unangemeldet die „Jubelperser" ein, die sich mit Transparenten und Plakaten mit Pro-Schah-Parolen am Eingang der Oper aufstellen wollen. Sie werden von der Polizei angewiesen, sich am nordöstlichen U-Bahn-Eingang unter Polizeibewachung aufzustellen. Mit Eintreffen der „Jubelperser" werfen die Demonstranten Eier, Tomaten, Farbbeu­tel, Rauchkerzen, Sandtüten, Gummiringe und brennende Zigaretten über die Absperrungen auf die Straße. Die Kette der Polizeibeamten vor der Barriere wird um 19.40 Uhr auf 80 Polizisten erhöht. Uniformierte „Greiftrupps" holen aus der Menge einzelne Personen heraus, die — nach Auskunft der Polizei — „vermeintlich mit Gegenständen geworfen oder mit Trillerpfeifen die Sprechchöre diri­giert" haben. 

Um 19.30 Uhr trifft Innensenator Wolfgang Busch vor der Oper ein. Er hält die Situation für nicht besorgniserregend.  

Um 19.48 Uhr wird die nördliche, um 19.53 Uhr die südliche Fahr­bahn vor der Oper für den Verkehr gesperrt. Polizeipräsident Erich Duensing gibt den Befehl zur Räumung der Bismarckstraße nach Ein­treffen des Schahs an die Polizei weiter. 

Um 19.56 Uhr betreten Schah und Schahbanu — von den meisten Zu­schauern unbemerkt — die Oper. 

Aus der Zuschauermenge, die zwischen der Krummen und der Sesen­heimer Straße in dem von der Polizei sogenannten „Schlauch" einge­schlossen ist, werden auch Rauchkerzen geworfen. Polizisten werfen einige der Rauchentwickler in den „Schlauch" zurück. Dort entsteht eine „panikartige Stimmung" (Zeugenaussage). Personen, die ihrer­seits die Rauchkerzen wieder zurückwerfen, werden z.T. unter Schlä­gen festgenommen. In dieser Situation werden auch Steine geworfen, laut Polizeiauskunft werden bis 20.04 Uhr 6 Polizeibeamte getroffen. Auf „Ehrengäste" werden weder Steine noch sonstige Wurfkörper geworfen. 

Mit Beginn der Ouvertüre zu Mozarts „Zauberflöte" ist der Höhepunkt der Demonstration zunächst überschritten. (Die Oper dauert mindestens drei Stunden.) Einige Demonstranten beginnen bereits abzuwandern. Es wird die Parole ausgegeben, in drei Stunden wiederzukommen.

In dieser Situation beginnt die Polizei mit der gewaltsamen Räumung: Kurz nach 20.00 Uhr gehen Polizeibeamte in die Menge und fordern zum Verlassen der Straße auf. Um 20.07 Uhr beginnt die erste von vier „Räumphasen". 

Das Einsatzkommando der Polizei erhält den Befehl „Knüppel frei" Polizisten drängen die Demonstranten und Zuschauer unter Schlagstockgebrauch in Richtung Krumme Straße. Um 20.04 Uhr werden zwei „Keileintriebe" vorgenommen: Zwei Gruppen der Polizei drängen über die Absperrgitter in die Zuschauermenge, die eine Gruppe sperrt den Gehweg in Richtung Sesenheimer Straße ab und geht gegen die Demonstranten mit dem Gummiknüppel vor, die andere drängt die Zuschauer unter Schlagstockgebrauch in Richtung Krumme Straße. In dem abgesperrten Teil des „Schlauches" kommt es zu Sitzdemonstrationen. (Um 20.05 Uhr soll nach Darstellung der Polizei der Lautsprecherwagen B 53 die Demonstranten aufgefordert haben, den südlichen Gehweg der Bismarckstraße in Richtung Ernst-Reuter-Platz, Krumme Straße, Leibnizstraße und in Richtung Wilmersdorfer Straße, Sesenheimer Straße, zu räumen, da sie sonst „in den Bereich polizeilicher Maßnahmen" kämen. Von keinem der später vernommenen Zeugen, die sich zu diesem Zeitpunkt im „Schlauch" befinden, wird diese Version bestätigt. Die Eintragung Über diese Lautsprecherdurchsage im Buch des Wagens B 53 erweist sich als nachträglich vorgenommen.) 

Von 20.00 Uhr bis 20.15 Uhr werden etwa 80 Demonstranten durch die Polizei verletzt. Der SPD-Abgeordnete Gerd Löffler, der Zeuge des Vorgehens der Polizei wird, läuft in das Foyer der Oper und fordert einen Polizisten auf, den Innensenator zu holen. „Er soll sich ansehen, was seine Polizei anrichtet." Ihm wird geantwortet, Innensenator Wolfgang Busch sei nicht auffindbar. 

In dieser Phase wird auch das Mitglied der Kommune I Fritz Teufel wegen eines angeblichen Steinwurfes festgenommen. (Rechtsanwalt Horst Mahler weist am 14. September 1967 nach, daß Fritz Teufel spätestens um 20.10 Uhr festgenommen wird. Der Polizist Heilscher, der durch den angeblich von Fritz Teufel geworfenen Stein verletzt wird, wird erst um 20.15 Uhr getroffen.)

Ab 20.16 Uhr werden die — auch im „Schlauch" eingekesselten — Demonstranten nachweislich das erste Mal über den Lautsprecherwagen der Polizei aufgefordert, das Einsatzgebiet zu räumen. In der Krummen Straße werden in der „II. Räumphase" gegen die abwandernden und aus dem „Schlauch" entkommenen Demonstranten Wasserwerfer eingesetzt. „Greiftrupps" der Polizei versuchen „Rädelsführer" festzunehmen. Zu dieser Zeit Festgenommene hören in den Polizeiwagen über Funk, daß jetzt der „Plan Füchsejagen" beginnen soll. 

Ein in einem Hauseingang in der Krummen Straße stehender einzelner Demonstrant wird von einem Polizisten angefallen, Überwältigt und anschließend in den Garagenhof des Hauses Nr. 66/67 geschleift. Etwa 30 Demonstranten und Schaulustige, die den Vorfall beobachtet haben, verfolgen den Polizisten. Der Eingang des Garagenhofes wird etwas später von einer Polizeikette, die von einem Journalisten auf die Situtation auf dem Garagenhof aufmerksam gemacht wurde, abgeriegelt. Die Polizisten schlagen mit ihren Gummiknüppeln auf die Eingeschlossenen ein. (Ein Teil der dort Verletzten muß anschließend in Krankenhäuser transportiert werden und dort in stationärer Behandlung bleiben. Die Polizeibeamten sagen später aus, die Demonstranten hätten sie mit Messern bedroht. Diese Version wird von keinem anderen Zeugen bestätigt, auch werden weder Messer noch andere Waffen gefunden.) 

In dieser Situation gibt gegen 20.30 Uhr der Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras im Abstand von 22 Sekunden (Tonbandaufzeichnung) zwei Schüsse aus seiner Dienstpistole ab. Mit einem Schuß trifft er den 26-jährigen Studenten der Freien Universität, stud. phil. Benno Ohnesorg, von hinten in den Kopf.

Benno Ohnesorg, der ein rotes Hemd trägt, wird (spätere Zeugenaussagen) zu diesem Zeitpunkt von einer Gruppe Polizisten mißhandelt. Auf dem Transport ins Krankenhaus bemüht sich eine Krankenschwester, die ebenfalls in dem Garagenhof von der Polizei blutig geschlagen wurde und eine Gehirnerschütterung hat, um den noch lebenden Benno Ohnesorg. Im Städtischen Krankenhaus Moabit wird sie — obgleich blutüberströmt — von dem diensthabenen Arzt abgeweisen, da sie ihre Personalien nicht angeben will. Benno Ohnesorg verstirbt kurz darauf. 

Um ungefähr 21.00 Uhr wird in der Krumme Straße die Meldung verbreitet, ein Polizist sei erstochen worden. Um 21.15 Uhr befinden sich etwa 400 Demonstranten in der Wilmersdorfer Straße. Auf der Fahrbahn verbrennen einige Springer-Zeitungen. Um 21.26 Uhr wird die Straße von der Polizei unter Knüppeleinsatz geräumt. („III. Räumphase") Um 21.37 Uhr sind auf dem KurfUrstendamm in der Höhe der Wilmersdorfer Straße beide Fahrbahnen von Demonstranten und Schaulustigen blockiert. Ab 21.43 Uhr verfolgen Beamte der Polizei z. T. in Zivil einzelne Demonstranten, die versuchen, Richtung Gedächtniskirche abzuwandern oder zu fliehen, schlagen wiederholt auf sie ein und nehmen einige fest. („IV. Räumphase") Um 22.00 Uhr erfolgt durch einen Lautsprecherwagen der Polizei auf dem Kurfürstendamm (Kranzlereck) die Durchsage, ein Polizeibeamter sei von einem Demonstranten getötet worden.

In der Nacht zum 3. Juni 1967 heißt es zunächst, Benno Ohnesorg sei „durch eine Schädelverletzung" gestorben. Nachdem bei der Obduktion die Kugel als Todesursache festgestellt worden ist, erklärt das Landeskriminalamt in seiner Pressemitteilung, Benno Ohnesorg sei aufgrund des Schußwaffengebrauchs eines „lebensgefährlich" bedrohten Beamten getötet worden. 

Später verbreitet ein Sprecher des Senats, die tödliche Verletzung sei auf einen Querschläger zurückzuführen, der von einem Warnschuß gestammt habe. Am 4. Juni 1967 erklärt Innensenator Busch vor dem Akademischen Senat der Freien Universität, der Schuß habe sich versehentlich gelöst. Im weiteren Verlauf des Tages stellt sich heraus, daß zwei Schüsse abgegeben worden sind. Am 5. Juni — bei Vorliegen des Autopsieberichts — dementiert Innensenator Busch die Querschläger-Version. Der Leiter der Mordkommission erklärt, diese Version sei von der Kriminalpolizei niemals ausgegeben worden. Kriminalobermeister Kurras erklärt in einem Interview der BZ, er sei mit Messern bedroht worden und habe einen Warnschuß abgeben wollen.

Editorische Anmerkungen

Quelle: Dokumentation    FU BERLIN
Freie Universität Berlin 1948-1973
Hochschule im Umbruch
Teil V - 1967-1969 Gewalt und Gegengewalt
Westberlin, 1983, S. 8ff

OCR-Scan Red TREND

Siehe dazu auch:

FU Spiegel 58, Sonderdruck Juni 1967
Ein kommentierender Bericht über die Ereignisse am 2. Juni, mit zahlreichen Fotos

Oder im ARCHIV ROCK & REVOLTE der Kurzfilm:
Der Tod Benno Ohnesorgs - kommentiert von Ulrike Meinhof