Neulich
sah ich eine Fernseh-Dokumentation über den schweren
Seilbahn-Unfall von Sölden (Österreich), bei dem es 9 Tote und
mehrere Schwerverletzte gegeben hatte.
Die
Seilbahn-Gesellschaft hatte ein Bauvorhaben ausgeschrieben. Für
dieses Bauvorhaben war es erforderlich Beton für Fundamente, in
die Berge zu transportieren. Üblicherweise wird dieser
Betontransport bei solchen alpinen Bauvorhaben mit Hubschraubern
zur Baustelle transportiert (ein Betonkübel wird an einem langen
Seil befestigt und zur Baustelle geflogen). So sollte es auch
hier geschehen. Der Unfall ereignete sich, als der Hubschrauber
die Seilbahn überfliegen wollte. Das Seil, an dem der Betonkübel
hing, löste sich, der gefüllte, 700 kg schwere Betonkübel fiel
auf das Seil der Seilbahn, eine Gondel mit ihren Insassen
stürzten in die Tiefe und aus 2 weiteren Gondeln wurden Insassen
herausgeschleudert. Der genaue technische Hergang ist bis heute
ungeklärt. Annähernd geklärt sind jedoch folgende Umstände:
- Die
Seilbahngesellschaft erteilte natürlich den Auftrag für den
Beton-Transport dem billigsten Anbieter.
- Der
Anbieter kalkulierte mit einem vergleichsweise unerfahrenen
Hubschrauberpiloten – schätze mal er war auch vergleichsweise
billig – und der kürzesten Flugroute. (Es gab mehrere
Möglichkeiten, die Baustelle anzufliegen. Die kürzeste und
billigste Route kreuzte die Seilbahn.)
- Die
Seilbahngesellschaft hielt es nicht für nötig, den
Personentransport mit Gondeln für die Zeit des Betontransports
einzustellen. Warum wohl? Na wegen der ausfallenden Einnahmen.
- Außer
dem Hubschrauberpiloten will niemand etwas von der geplanten
Route gewusst haben. „Hauptsache billig“, sagte sich wohl die
Seilbahngesellschaft! „Hauptsache wir kriegen den Auftrag und
machen unseren Schnitt“, der Betreiber der
Hubschrauber-Fluggesellschaft!
- Um die
„Ökonomie“ des Unfallgeschehens komplett zu machen, noch
folgendes: ganz schnell nach dem verheerenden Unglück bot eine
Versicherungsgesellschaft Eltern getöteter Kinder eine Summe
von 15.000 Euro pro Kind an. Für dieses Geld wollten die
Gesellschaften natürlich eine Unterschrift, mit der die
Angehörigen der Toten auf alle weiteren Ansprüche verzichten.
Die Kosten gering halten eben!
Die Medien verloren ihr Interesse ebenso schnell, wie es
aufgekommen war. Auch sie wollen mit der Ware „Nachricht“ vor
allem Gewinn machen. Dazu brauchen sie aktuelle,
sensationstüchtige Schlagzeilen und Berichterstattung.
Langwierige, klärende Untersuchungen sind langweilig,
versprechen keine hohen Auflagen, keinen großen Umsatz von
Nachricht in Geld und damit auch keinen ausreichenden Profit.
So sahen sich die Angehörigen der Opfer in ihrem Bemühen um
Klärung bald allein gelassen, denn welcher Staatsanwalt,
sollte wohl die Ökonomie anklagen? Es gibt schließlich ein
„öffentliches Interesse“ daran, dass die kapitalistische
Ökonomie in solchen Fällen möglichst ungeschoren davon kommt.
Schließlich leben wir alle davon. Oder nicht?
Auf die
Anklagebank hätte eigentlich die Ökonomie gehört,
Produktionsverhältnisse und die zwanghafte Logik, die sich
daraus für die Akteure ergibt. Auf der Anklagebank landete aber
nur der Pilot des Hubschraubers, der auch verurteilt wurde. Alle
anderen Akteure hatten sich schließlich nur um Preise, Kosten,
Umsatz und Gewinn gekümmert und waren ganz ahnungslos, was die
Risiken des konkreten Arbeitsablaufs anbetrifft. Alle taten das,
was „ökonomisch vernünftig“ ist und darum geht es schließlich
immer und überall zuerst.
Solche
schweren tödlichen und verstümmelnden Unfälle passieren nicht so
oft. 99mal berührt, 99mal ist nichts passiert. Passiert es dann
doch, dann versteckt man sich gern hinter der sogenannten
„Verkettung unglücklicher Umstände“, nicht nur in Sölden. Da
kann man halt nichts machen, damit muss mensch leben. Man tut
so, als habe da die Natur, das Schicksal und nicht die Ökonomie
gearbeitet. An dieser Ökonomie kann und darf man ja nichts
ändern.
Die
„Verkettung solch unglücklicher Umstände“ resultiert aber fast
immer aus der ökonomischen Logik, der die Akteure folgen und
unter unseren Bedingungen folgen müssen. In der Rechtfertigung
des Verhaltens kommt es dann regelmäßig zu geradezu zynischen
Äußerungen, die an Kälte und Gleichgültigkeit kaum zu überbieten
sind.
In jedem
„normalen“ kapitalistischen Produktionsbetrieb hängen heute
Warnschilder, die besagen, dass man sich niemals unter
schwebenden Lasten aufhalten soll. Weil sie ökonomisch
vernünftig handeln – das duldet keine Umwege! - laufen die Laute
aber trotzdem immer wieder darunter her. Und auch hier passieren
immer mal wieder schwere Unfälle. Einen Dummen, einen
Verantwortlichen findet man dann meistens. Allein das, was
kompromissloses sicherheitsbewusstes Handeln verhindert, wird
nicht zur Verantwortung gezogen.
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.