Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Wie die Ökonomie so arbeitet – schwere Arbeitsunfälle im Kapitalismus
06/07

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Neulich sah ich eine Fernseh-Dokumentation über den schweren Seilbahn-Unfall von Sölden (Österreich), bei dem es 9 Tote und mehrere Schwerverletzte gegeben hatte.

Die Seilbahn-Gesellschaft hatte ein Bauvorhaben ausgeschrieben. Für dieses Bauvorhaben war es erforderlich Beton für Fundamente, in die Berge zu transportieren. Üblicherweise wird dieser Betontransport bei solchen alpinen Bauvorhaben mit Hubschraubern zur Baustelle transportiert (ein Betonkübel wird an einem langen Seil befestigt und zur Baustelle geflogen). So sollte es auch hier geschehen. Der Unfall ereignete sich, als der Hubschrauber die Seilbahn überfliegen wollte. Das Seil, an dem der Betonkübel hing, löste sich, der gefüllte, 700 kg schwere Betonkübel fiel auf das Seil der Seilbahn, eine Gondel mit ihren Insassen stürzten in die Tiefe und aus 2 weiteren Gondeln wurden Insassen herausgeschleudert. Der genaue technische Hergang ist bis heute ungeklärt. Annähernd geklärt sind jedoch folgende Umstände:

  1. Die Seilbahngesellschaft erteilte natürlich den Auftrag für den Beton-Transport dem billigsten Anbieter.
  2. Der Anbieter kalkulierte mit einem vergleichsweise unerfahrenen Hubschrauberpiloten – schätze mal er war auch vergleichsweise billig – und der kürzesten Flugroute. (Es gab mehrere Möglichkeiten, die Baustelle anzufliegen. Die kürzeste und billigste Route kreuzte die Seilbahn.)
  3. Die Seilbahngesellschaft hielt es nicht für nötig, den Personentransport mit Gondeln für die Zeit des Betontransports einzustellen. Warum wohl? Na wegen der ausfallenden Einnahmen.
  4. Außer dem Hubschrauberpiloten will niemand etwas von der geplanten Route gewusst haben. „Hauptsache billig“, sagte sich wohl die Seilbahngesellschaft! „Hauptsache wir kriegen den Auftrag und machen unseren Schnitt“, der Betreiber der Hubschrauber-Fluggesellschaft!
  5. Um die „Ökonomie“ des Unfallgeschehens komplett zu machen, noch folgendes: ganz schnell nach dem verheerenden Unglück bot eine Versicherungsgesellschaft Eltern getöteter Kinder eine Summe von 15.000 Euro pro Kind an. Für dieses Geld wollten die Gesellschaften natürlich eine Unterschrift, mit der die Angehörigen der Toten auf alle weiteren Ansprüche verzichten. Die Kosten gering halten eben!
    Die Medien verloren ihr Interesse ebenso schnell, wie es aufgekommen war. Auch sie wollen mit der Ware „Nachricht“ vor allem Gewinn machen. Dazu brauchen sie aktuelle, sensationstüchtige Schlagzeilen und Berichterstattung. Langwierige, klärende Untersuchungen sind langweilig, versprechen keine hohen Auflagen, keinen großen Umsatz von Nachricht in Geld und damit auch keinen ausreichenden Profit. So sahen sich die Angehörigen der Opfer in ihrem Bemühen um Klärung bald allein gelassen, denn welcher Staatsanwalt, sollte wohl die Ökonomie anklagen? Es gibt schließlich ein „öffentliches Interesse“ daran, dass die kapitalistische Ökonomie in solchen Fällen möglichst ungeschoren davon kommt. Schließlich leben wir alle davon. Oder nicht?

Auf die Anklagebank hätte eigentlich die Ökonomie gehört, Produktionsverhältnisse und die zwanghafte Logik, die sich daraus für die Akteure ergibt. Auf der Anklagebank landete aber nur der Pilot des Hubschraubers, der auch verurteilt wurde. Alle anderen Akteure hatten sich schließlich nur um Preise, Kosten, Umsatz und Gewinn gekümmert und waren ganz ahnungslos, was die Risiken des konkreten Arbeitsablaufs anbetrifft. Alle taten das, was „ökonomisch vernünftig“ ist und darum geht es schließlich immer und überall zuerst.

Solche schweren tödlichen und verstümmelnden Unfälle passieren nicht so oft. 99mal berührt, 99mal ist nichts passiert. Passiert es dann doch, dann versteckt man sich gern hinter der sogenannten „Verkettung unglücklicher Umstände“, nicht nur in Sölden. Da kann man halt nichts machen, damit muss mensch leben. Man tut so, als habe da die Natur, das Schicksal und nicht die Ökonomie gearbeitet. An dieser Ökonomie kann und darf man ja nichts ändern.

Die „Verkettung solch unglücklicher Umstände“ resultiert aber fast immer aus der ökonomischen Logik, der die Akteure folgen und unter unseren Bedingungen folgen müssen. In der Rechtfertigung des Verhaltens kommt es dann regelmäßig zu geradezu zynischen Äußerungen, die an Kälte und Gleichgültigkeit kaum zu überbieten sind.

In jedem „normalen“ kapitalistischen Produktionsbetrieb hängen heute Warnschilder, die besagen, dass man sich niemals unter schwebenden Lasten aufhalten soll. Weil sie ökonomisch vernünftig handeln – das duldet keine Umwege! - laufen die Laute aber trotzdem immer wieder darunter her. Und auch hier passieren immer mal wieder schwere Unfälle. Einen Dummen, einen Verantwortlichen findet man dann meistens. Allein das, was kompromissloses sicherheitsbewusstes Handeln verhindert, wird nicht zur Verantwortung gezogen.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.