Die Welt - französisch le monde - drehte sich ein Stückchen
weiter, Jean-Marie Colombani flog dabei aus der Kurve. Nun
möchte er in den Wagen zurückklettern, aus dem er
hinausgeschleudert worden war. Wieviel Erfolg er dabei haben
wird, ist zur Zeit noch offen.
Der bald 59jährige Colombani führte seit 13 Jahren als
Herausgeber und Unternehmenschef die Geschicke der Pressegruppe
Le Monde, deren Herzstück die gleichnamige Pariser Abendzeitung
bildet. Am Dienstag vergangener Woche (22. Mai) verfehlte er
nun die Mehrheit im Repräsentationsorgan der bei der Zeitung
beschäftigten Jorunalisten, die er benötigt hätte, um ein neues
sechsjähriges Mandat als Direktor anzutreten. Bis zum
Wochenanfang schien er jedoch nicht zum Aufgeben entschlossen.
In einem dramatischen Leitartikel, der in der Ausgabe vom
vorigen Freitag erschien, beschwor er eine Krise, ähnlich derer,
„die im Laufe ihrer langen Geschichte unsere Zeitung zu
destabilisieren, ja zu zerstören drohten“.
Was kümmert mich meine Niederlage...
Ich oder das Chaos? So klingt seine Argumentation, obwohl er
freilich hinzufügt, die Zukunft des bisher von ihm geführten
Presseunternehmens liege nunmehr „in den Händen des
Aufsichtsrats“ – in welchem die internen und externen Aktionäre
vertreten sind – und dessen Entscheidungen werde er
respektieren, „so ungerecht auch immer sie mir erscheinen
mögen“. Das Aufsichtsratsmitglied Claude Perdriel, Chef des
sozialliberalen Wochenmagazins Le Nouvel Observateur, führt
unterdessen lautstark eine Kampagne für den Verbleib des
Direktors auf seinem Posten durch: Es gebe „keinerlei Grund
dafür, dass Jean-Marie Colombani geht.“
Die nächste Sitzung des Aufsichtsrats verspricht also heib
zu werden. Statt wie geplant am vorigen Freitag (25. Mai)
stattzufinden, wurde sie vorsorglich zunächst einmal auf den 4.
Juni verschoben. An diesem Donnerstag wurde nunmehr eine
nochmalige Verschiebung publik, und die schicksalhafte Sitzung
soll erst am 12. Juni stattfinden. Dann soll entweder Colombani
im Amt bestätigt – oder aber, wenn eine Einigung darüber
gelingt, dessen Nachfolger bestimmt werden.
Zwar hatte dieser bei der Abstimmung der Société des rédacteurs
du Monde (SRM), eine Art Zwischenform zwischen
Selbstverwaltungsorgan und Personalrat für die Journalisten der
Zeitung, die Mehrheit deutlich verfehlt. Statt der gemäb
den Statuten notwendigen 60 Prozent der Stimmen erhielt er nur
48,5 Prozent. Und bei den Journalisten der beiden anderen „Pole“
in dem Pressekonzern, denen der linksliberalen Fernseh- und
Kulturzeitschrif Télérama sowie des südfranzösischen
Zeitungseigentümers Midi Libre, erntete Colombani deutliche
Mehrheiten von Nein-Stimmen. Aber, so rechnen Perdriel und
andere vor, hätte man bei der „Redakteursgesellschaft“ (SRM) von
Le Monde die ungültigen Mehrheiten und Enthaltungen nicht
mitgezählt – wie die Statuten es jedoch erfordern -, dann hätte
Colombani dort immerhin 51 Prozent erreicht. Also eine
hauchdünne Mehrheit, die aber ebenfalls nicht ausgereicht hätte.
Und bei Télérama und Midi Libre hätte er noch immer absolute
Stimmenmehrheiten gegen sich, im ersten Falle über 60 Prozent.
Doch die Anhänger eines Verbleibs des bisherigen Chefs fügen
ihrem Argument noch ein weiteres hinzu: Nähme man die Voten
aller Beschäftigten bei Le Monde zusammen - also neben denen
des schreibenden Personals auch die der Techniker und sonstigen
Angestellten -, dann hätten 297 für Colombani und 188 gegen ihn
gestimmt. „Eine Minderheit möchte ihren Willen einer Mehrheit
aufzwingen“, tönte Claude Perdriel deshalb. Die bisherige
Struktur, die den Journalisten explizit ein Vetorecht über die
Geschicke ihrer Zeitung einräumt, betrachten Teile des
Aufsichtsrats und die Colombani-Anhänger damit offen als
hinfällig.
Rückblick auf die Ära Colombani
Wie Gottvater habe er an der Spitze des Medienkonzerns amtiert,
autorit-paternalistisch geschaltet und gewaltet, meinen
Kritiker. Der korsischstämmige Colombani, der im
westafrikanischen Dakar - damals noch ein Verwaltrungssitz des
französischen Kolonialimperium - zur Welt kam, hält dagegen, er
habe die ökonomische und dadurch auch die journalistische
Unabhängigkeit seiner Zeitung bewahrt. Und dies in Zeiten, da
die Kapitelkonzentration auch im Pressesektor erheblich zunimmt,
ebenso wie die Investitionstätigkeit fachfremder Unternehmen und
Konzerne. So gehört zur Zeit rund ein Drittel der französischen
Presselandschaft dem Flugzeugbauer und Rüstungsindustriellen
Serge Dassault - und ein weiteres Drittel dem in ähnlichen
Bereichen tätigen Mischkonzern von Arnauld Lagardère, der unter
anderem auch beim europäischen Rüstungs- und Luftfahrtkonzern
EADS mitmischt.
Die Tatsache, dass mit ihm ein ehemaliger Journalist an der
Spitze der Unternehmensgruppe stand, diente Colombani vor diesem
Hintergrun ebenso als Argument für seine Politik wie die
bisherigen statutenmäbigen
Garantien für die Unabhängigkeit der Redaktion. Dazu zählt,
dass die Personalvertretung der letzten weder durch eine
Aufsichtsratsmehrheit noch durch die übrigen
Beschäftigtenkategorien überstimmt werden kann. Ein Modell, von
dem sich die Unternehmensführung und/oder manche Aktionäre in
eben diesem Augenblick zu verabschieden scheinen.
Ausdehnungsstragegie und Eroberungskurs
Zu
Colombanis Strategie zählte ein aggressiver wirschaftlicher
Expansionskurs, der von der Pariser Abendzeitung selbst
ausging: „Bevor Andere uns fressen, werden wir selber grob
und fressen wiederum andere Presseorgane auf“, lautete dabei
die Unternehmensphilosophie. Zählt Le Monde selbst rund 600
Beschäftigte, so beschäftigt der gesamte Medienkonzern
inzwischen ihrer rund 3.000. So schluckte das Unternehmen im
Jahr 2000 die regionale Pressekette Midi Libre in Südfrankreich
und drei Jahre später den Herausgeber La Vie catholique, dem
unter anderem das erfolgreiche Magazin Télérama gehört.
Aber diese Operationen wurden teilweise mit ungedeckten Schecks
finanziert. Denn Le Monde verfügte nicht über ausreichend
Liquiditäten, sondern baute rechnerisch auf das, was die
aufgekauften Publikationsorgane wirtschaftlich abwerfen sollten.
Auf diesem Wege häufte der Konzern einen Schuldenberg in Höhe
von rund 100 Millionen Euro an. Vielen Redakteuren wurde
Colombanis Strategie aus diesen Gründe allmählich unheimlich: zu
riskant, zu teuer, zu schuldenträchtig. Dies dürfte seinen, für
den Augenblick erzwungenen, Abgang zu erheblichen Teilen
erklären.
Überdies wurden die Aufkäufe und Übernahmen zwar im Namen der
Unabhängigkeit der Presse gegenüber den Grobkonzernen
getätigt – trugen aber indirekt dazu bei, diese zu stärken, da
Le Monde in ihnen wichtige Kooperationspartner für seine
Strategie entdeckte. Um das von ihm gewünschte grobe
regionale Presseimperium in Südfrankreich zu realisieren,
strebte Colombani wechselseitige Beteiligungen zwischen „seinem“
Unternehmen Midi Libre und den Filialen des Hachette-Konzerns –
das ist die Pressesparte im Imperium Lagardères - an. Hachette
gehören La Provence in Marseille sowie Nice-Matin in Nizza.
Statt weniger wird es also zukünftig mehr Presseeintopf geben.
Und das politische Profil?
Ferner war de facto auch die Frage der politischen
Positionierung von Le Monde aufgeworfen, auch wenn diese bisher
nur implizit gestellt wird. Die Pariser Abendzeitung hat eine
lange Tradition der Unabhängigkeit von Regierungen, und wurde
deshalb mitunter nicht sonderlich von ihnen geliebt. Im
Algerienkrieg wurde das Blatt über 20 mal durch die
Staatsorgane beschlagnahmt. Erstmals schwand diese
Unabhängigkeit leicht, nachdem 1981 der „Sozialist“ François
Mitterrand zum Präsidenten gewählt worden war. Aber Le Monde ist
noch immer eine Zeitung, in der sich fundierte Informationen
über alle wichtigen politischen und gesellschaftlichen
Strömungen finden und fast alle auch dann und wann zu Wort
kommen. Auch wenn das Profil eher bürgerlich ist, kann zu einem
konkreten Thema auch mal ein Gastbeitrag von einem Mitglieds
der anarchosyndikalistischen CNT oder der trotzkistischen LCR
Abdruck finden. Lediglich die extreme Rechte kommt nicht mit
eigenen Autoren zu Wort, es wird aber regelmäbig
über sie berichtet, wobei auf die Qualität der Informationen
und Analysen geachtet wird. Insofern ist Le Monde eine im
besten denkbaren Sinne liberale Zeitung, eine Qualitätszeitung,
die freilich vorwiegend – neben Intellektuellen – die
bürgerlichen Eliten und besonders ihren linksliberalen Flügel
informiert.
Aber in den letzten Jahren hat die Pariser Abendzeitung unter
Colombani Neuland betreten, indem sie erstmals eindeutig bei
Wahlkämpfen zugunsten bestimmter Kandidaten eingriffen. 1995
unterstützte die redaktionelle Linie implizit die Kandidatur
Jacques Chiracs. Alle wichtigen politischen Angriffe wurden
ausschlieblich
auf dessen (innerbürgerlichen) Hauptkonkurrenten, den damaligen
konservativ-wirtschaftsliberalen Premierminister Edouard
Balladur, konzentriert. In diesem Jahr nun konnte man eine
ungewohnt offene, explizite Unterstützung für die
Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal erleben, die die
Zeitung selbst seit Sommer 2005 politisch mabgeblich
mit aufgebaut hatte. Zuletzt gab es kurz vor dem Wahltermin
einen von Jean-Marie Colombani gezeichneten Leitartikel, der
klipp und klar Partei ergriff. Und das ist neu für Le Monde.
Mutmablich
entspricht es seiner Strategie, dass ein auf Expansionskurs
befindliches Unternehmen auch politische Partner – möglichst mit
Aussicht auf Regierungsfähigkeit – benötigt. An der Seite
Nicolas Sarkozys war dabei nicht viel zu holen, da dieser
ohnehin eine Reihe von Duzfreunden an der Spitze führender
Medienkonzerne zählt und auch mitunter offen in deren
Berichterstattung eingriff. In den eigenen Reihen musste die
offene Positionierung aber Widersprüche hervorrufen, da die
Redaktion noch immer politisch heterogen zusammengesetzt ist.
Das reicht vom thatcheristischen Wirtschaftsredakteur und
Leitartikler Eric Le Boucher, dem die „Reform“versprechen
Sarkozys zu schlapp ausfallen, bis hin zum
Gewerkschaftsspezialisten Rémi Barroux, der zur radikalen Linken
gehört. Eine einheitliche Positionierung nach auben
hin wird dadurch erschwert. Auch Colombanis Vorpreschen an
dieser Stelle könnte ihm – vorläufig - den Kopf gekostet
haben.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von Autor am
1.6.07 zur Veröffentlichung.
Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus
und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid
wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch
erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu
haben sein.